JudikaturJustiz6Ob611/80

6Ob611/80 – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Juni 1980

Kopf

SZ 53/95

Spruch

Die im Laufe eines Rechtsstreites vom Gericht angeordnete Vorlage der Handelsbücher einer Partei kann nicht erzwungen werden. Gegen einen Beschluß, welcher die Vorlage der Handelsbücher "bei Exekution" aufträgt, ist ein abgesondertes Rechtsmittel zulässig OGH 23. Juni 1980, 6 Ob 611/80 (OLG Linz 2 R 17/80; LG Salzburg 3 Cg 309/78).

Text

Der Kläger und der Zweitbeklagte errichteten mit Gesellschaftsvertrag vom 13. Oktober 1967 eine Kommanditgesellschaft, die erstbeklagte Partei, deren persönlich haftender Gesellschafter der Zweitbeklagte und deren Kommanditist der Kläger waren. Der Zweitbeklagte betreibt eine Handelsagentur. Der Kläger kundigte mit Schreiben vom 27. Juni 1974 das Gesellschaftsverhältnis zum 30. Juni 1975 auf und ist seit diesem Tag als Kommanditist aus der Gesellschaft ausgeschieden. Der Kläger begehrte mit der vorliegenden Klage unter Punkt 1 die Feststellung, daß die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig seien, ihm 30% jenes Betrages zu bezahlen, um welchen die Gewinne der erstbeklagten Partei aus den Geschäftsjahren 1973/74 und 1974/75 durch unrechtmäßige Verrechnungen von Betriebsausgaben vermindert worden und die betriebswirtschaftlich nicht dem Unternehmen der Gesellschaft zuzurechnen seien. Unter Punkt 2 begehrte er die Verurteilung der Beklagten zur Barzahlung des Betrages von 348 789.31 S samt 5% Zinsen seit 1. Jänner 1978. Der Kläger behauptete, der Zweitbeklagte habe ab 1972 die Geschäftstätigkeit seiner Handelsagentur immer mehr ausgeweitet und zum Nachteil der Kommanditgesellschaft und des Klägers in den Jahresabschlüssen 1973/74 und 1974/75 der Kommanditgesellschaft gewinnschmälernde, in keinem rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Unternehmen der Kommanditgesellschaft stehende Betriebsausgaben zugerechnet. Der Zweitbeklagte habe die vom Kläger geforderte Vorlage aller Geschäftsunterlagen seiner Handelsagentur trotz mehrfacher Aufforderung abgelehnt. Ohne Einsicht in diese Unterlagen könne der Steuerberater des Klägers keine berichtigte Gewinnermittlung erstellen. Eine Feststellung des dem Kläger bisher vorenthaltenen Gewinnanteiles sei erst nach Durchführung der Bucheinsicht möglich, weshalb gemäß § 45 HGB, der Antrag gestellt werde, dem Zweitbeklagten aufzutragen, dem Kläger und seinem bevollmächtigten Vertreter Einsicht in sämtliche Geschäftsbücher, Buchhaltungsbelege und Jahresabschlüsse aus den Geschäftsjahren vom 1. Jänner 1968 bis 31. Dezember 1975 der vom Zweitbeklagten als Einzelkaufmann betriebenen Handelsagentur zu gewähren. Der unter Punkt 2 des Klagebegehrens geforderte Betrag stelle das dem Kläger zustehende restliche Auseinandersetzungsguthaben dar. Die Beklagten beantragten Abweisung des Klagebegehrens. Der Zweitbeklagte bestritt den Vorwurf, gewinnschmälernde Betriebsausgaben der Kommanditgesellschaft zugerechnet zu haben. Er behauptete, anläßlich einer Betriebsprüfung bei der Erstbeklagten und der Handelsagentur des Zweitbeklagten habe das Finanzamt festgestellt, daß alle Buchungen korrekt gewesen und keine unrichtigen Zuordnungen erfolgt seien. Es bestehe kein Grund zur Vorlage der Buchungsunterlagen der Handelsagentur des Zweitbeklagten. Es handle sich um den Versuch, einen Erkundungsbeweis zu führen.

Der während des Verfahrens vom Gericht bestellte Sachverständige teilte mit Schreiben vom 11. September 1979 dem Erstgericht mit, er habe den Steuerberater der Kommanditgesellschaft um treuhändige Überlassung der Bilanzunterlagen der Handelsagentur des Zweitbeklagten für die Jahre 1973 bis 1975 gebeten, doch hätten die Beklagtenvertreter mitgeteilt, daß diesem Ersuchen nicht entsprochen werden könne.

Das Erstgericht trug dem Zweitbeklagten auf, die Geschäftsbücher und die Bilanzen seiner Handelsagentur und die der erstbeklagten Partei bis zum 30. Juni 1975 binnen vier Wochen bei Exekution dem Gericht vorzulegen, da ohne die Geschäftsunterlagen über das Leistungsbegehren des Klägers nicht entschieden werden könne. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Beklagten teilweise Folge und änderte den erstgerichtlichen Beschluß dahingehend ab, daß im Spruch die Worte "bei Exekution" zu entfallen haben. Im übrigen wies es den Rekurs zurück. Der angefochtene Beschluß müsse, abgesehen davon, daß dem Zweitbeklagten die Urkundenvorlage bei sonstiger Exekution aufgetragen worden sei, als prozeßleitende Verfügung angesehen werden. Schon die deutsche Rechtslehre zu § 45 HGB sehe vor, daß der Prozeßgegner nur im Zusammenhang mit einem begrenzten Beweisthema zur Urkundenvorlage veranlaßt werden könne. Die für die Vorlegung der Handelsbücher bestehende Vorlagepflicht im Rahmen der §§ 303 bis 307 ZPO würde bedeuten, daß im Antrag auf Vorlage nicht nur das Beweisthema, sondern auch der Inhalt der vorzulegenden Urkunden anzuführen wäre, weil sonst die Weigerung des Gegners, die Urkunde vorzulegen, nicht nach § 307 Abs. 2 ZPO gewürdigt werden könnte. Im Zusammenhang mit § 183 Abs. 1 Z 2 ZPO könne jedoch die Vorlage der Handelsbücher nach §§ 45 bis 47 HGB zur Kenntnisnahme ihres gesamten Inhaltes bei Vermögensauseinandersetzungen, insbesondere in Erbschafts-, Gütergemeinschafts- und Gesellschaftsstreitigkeiten, angeordnet werden. Sowohl nach § 319 ZPO als auch nach § 186 ZPO wäre gegen einen derartigen Vorlageauftrag ein abgesondertes Rechtsmittel unzulässig. Sei nicht einmal das Erstgericht an eine prozeßleitende Verfügung gebunden, könne umsoweniger das Rechtsmittelgericht im Zusammenhang mit einer prozessualen Frage über die Rechtserheblichkeit eines Parteivorbringens und die Notwendigkeit und den Umfang, darüber Beweise aufzunehmen, absprechen. Ein Rechtsmittelverbot könne aber andererseits nur insoweit gelten, als sich die Entscheidung ihrer Art nach noch unter jenen gesetzlichen Tatbestand subsumieren lasse, der einer abgesonderten Anfechtung nicht zugänglich sein solle. Gehe man davon aus, daß ein Zwang gegen eine Prozeßpartei, an der Beweisaufnahme in bestimmter Weise mitzuwirken, im Zivilprozeß in der Regel, abgesehen vom Abstammungsverfahren, nicht in Betracht komme, wäre es wertlos, wenn sich die Beklagten gegen die Urkundenvorlage bei sonstiger Exekution erst im Zusammenhang mit einem Rechtsmittel gegen die nächstfolgende Entscheidung zur Wehr setzen könnten, wenn inzwischen der angefochtene Beschluß bereits vollzogen wäre. Es sei daher notwendig, die Exekutionsandrohung aus dem erstgerichtlichen Beschluß auszuscheiden. Da jedoch ein abgesondertes Rechtsmittel gegen einen grundsätzlichen ohne die genannte Sanktion ergangenen Beschluß versagt sei, sei der Rekurs im übrigen unzulässig. Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Zum Revisionsrekurs des Klägers:

Der OGH pflichtet der Ansicht des Rekursgerichtes bei, daß der Beschluß des Erstgerichtes insoweit abgesondert anfechtbar ist, als in ihm entgegen den Vorschriften der Zivilprozeßordnung der Auftrag zur Vorlage der Geschäftsbücher und Bilanzen "bei Exekution" erteilt wurde. Daher muß auch dem Kläger das Recht zugestanden werden, den in diesem Belang abändernden Beschluß des Rekursgerichtes zu bekämpfen.

Der Kläger meint, es könne nicht schaden, wenn er seinen "Antrag auf Bucheinsicht" auf § 45 HGB gestüzt habe, obwohl aus dem in der Klage geschilderten Sachverhalt einwandfrei ableitbar gewesen sei, daß es sich um einen Antrag gemäß § 47 HGB gehandelt habe. Der Beschluß des Erstgerichtes vom 18. Dezember 1979 sei daher rechtlich als meritorische Entscheidung zu beurteilen. Die aus § 47 HGB ableitbaren privatrechtlichen Ansprüche seien eindeutig materiellrechtlicher Natur, zumindest nicht rein prozessualer Art. Der Beschluß bedürfe daher der Vollstreckbarkeit. Ohne diese wäre der im § 47 HGB begrundete Anspruch nicht durchsetzbar. Der Ansicht des Klägers, er habe einen vom Rechtsstreit unabhängigen Anspruch im Sinne des § 47 HGB geltend gemacht, kann nicht beigepflichtet werden. Derartiges ergibt sich nicht aus seinem Prozeßvorbringen. Es kann daher schon aus diesem Grund nicht davon ausgegangen werden, der Anspruch auf Vorlage der Handelsbücher sei "materiellrechtlicher Natur." Aus der in diesem Zusammenhang vom Kläger zitierten Entscheidung SZ 32/97 läßt sich für seinen Standpunkt nichts gewinnen. Dort handelte es sich um einen außerhalb eines Rechtsstreites vom Registergericht erteilten Auftrag zur Gewährung der Einsicht in die Handelsbücher.

Nach der Lehre stellen die Vorschriften der §§ 45 und 46 HGB eine Ergänzung zu den Vorschriften der Zivilprozeßordnung dar (vgl. Fasching III, 380; Hämmerle - Wünsch, Handelsrecht[3]I, 284 f.;

Brüggemann im GroßKommHGB[3] I, 496 f., insbesondere Anm. 1;

Schlegelberger, KommHGB[5] I, 366). Wie bei dem an den Prozeßgegner zu erteilenden Auftrag zur Vorlage der Handelsbücher vorzugehen ist, richtet sich daher nach den Bestimmungen der §§ 303 bis 307 ZPO (vgl. Hämmerle - Wünsch a. a. O., 284 II). Diese Bestimmungen sehen die Anwendung eines Zwanges zur Vorlage der Urkunden durch den Prozeßgegner nicht vor, weshalb das Rekursgericht mit Recht die Worte "bei Exekution" aus dem erstgerichtlichen Beschluß entfernt hat.

Soweit der Kläger schließlich meint, wenn es sich tatsächlich nur um eine prozeßleitende Verfügung handeln würde, wäre diese durch die zweite Instanz nicht abänderbar gewesen und damit die ausgesprochene Abänderung rechtsirrig erfolgt, ist er auf die bereits vom Rekursgericht gegebene Begründung zu verweisen, daß eine Rechtsmittelbeschränkung nur so weit gelten kann, soweit sich die Entscheidung unter jenen gesetzlichen Tatbestand subsumieren läßt, der eine abgesonderte Anfechtung ausschließt. Die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung über die Vorlage von Urkunden durch den Prozeßgegner sehen (im Gegensatz zu einem derartigen an einen Dritten erteilten Auftrag - dazu § 308 Abs. 2 letzter Satz ZPO -) die Ausübung eines Zwanges nicht vor. Soweit das Prozeßgericht dennoch eine derartige Anordnung getroffen hat, kann einer solchen Anordnung die Bestimmung des § 319 Abs. 2 ZPO nicht entgegenstehen, da es sich in diesem Belang nicht um einen gemäß §§ 303, 307 und 316 ZPO gefaßten Beschluß handelt.