JudikaturJustiz6Ob229/18x

6Ob229/18x – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Februar 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** E*****, vertreten durch Dr. Anika Loskot, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. G***** W*****, vertreten durch Schenz Haider Rechtsanwälte OG in Mödling, wegen 2.000 EUR sA und Unterlassung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Berufungsgericht vom 19. Oktober 2018, GZ 1 R 104/18a 40, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 54 Abs 1 ÄrzteG 1998 sind der Arzt und seine Hilfspersonen zur Verschwiegenheit über alle ihnen in Ausübung ihres Berufs anvertrauten oder bekannt gewordenen Geheimnisse verpflichtet. Unter den Begriff des Geheimnisses fallen alle Umstände, die nur dem Patienten selbst oder einem beschränkten Personenkreis bekannt sind und die nach dem Willen des Betroffenen anderen nicht bekannt werden sollen. Das Berufsgeheimnis des Arztes erstreckt sich somit auf alle für andere Personen nicht wahrnehmbare Tatsachen, die dem Arzt bei Ausübung seines Berufs über jemanden bekannt werden und an deren Geheimhaltung der Betroffene ein berechtigtes Interesse hat (6 Ob 267/02m).

1.1. Dass die im „Ärztliche[n] Befundbericht“ des beklagten Arztes vom 26. 8. 2016 (Beilage ./A) angeführten Umstände a) des vormals bestehenden Arzt-Patientenverhältnisses zwischen den Streitteilen, b) der (damaligen) Adoleszenzkrise der (nunmehr dreißigjährigen) Klägerin und c) einer (deshalb damals durchgeführten) Einzelpsychotherapie (gestalttheoretische Psychotherapie) der Klägerin bei einer Lehrpsychotherapeutin unter den Begriff des Geheimnisses des § 54 Abs 1 ÄrzteG 1998 fallen, ist im Revisionsverfahren zu Recht nicht (mehr) strittig.

1.2. Der Beklagte händigte den Befundbericht (nur) der Mutter der Klägerin aus, der nach den Feststellungen der Vorinstanzen diese Umstände bereits zuvor bekannt gewesen waren. Das Argument der außerordentlichen Revision, der Beklagte habe damit Geheimnisse im Sinn des § 54 Abs 1 ÄrzteG 1998 nicht offenbart, übersieht allerdings, dass er den Bericht mit dem Hinweis aushändigte, die Mutter der Klägerin dürfe ihn ausschließlich für die Vorlage bei der Ethikkommission des BMASGK nutzen; er wusste auch, dass gerade dies der Zweck des von ihm geforderten „Gutachtens“ war.

2. Nach § 54 Abs 2 Z 4 ÄrzteG 1998 (in der hier noch anzuwendenden Fassung vor BGBl I Nr 25/2017) bestand die Verschwiegenheitspflicht nicht, wenn die Offenbarung des Geheimnisses nach Art und Inhalt zum Schutz höherwertiger Interessen der öffentlichen Gesundheitspflege oder der Rechtspflege unbedingt erforderlich war.

2.1. Das Vorliegen solcher höherwertiger Interessen konnte damit eine Durchbrechung der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht im Einzelfall rechtfertigen, wobei die Erwähnung der Bereiche „öffentliche Gesundheitspflege“” und „Rechtspflege“ nicht dahin interpretiert werden durfte, dass es außerhalb dieser Bereiche keine anderen Interessen gebe, die als höherwertig angesehen werden dürften. Auch das Interesse dritter Personen an ihrer eigenen Gesundheit wurde deshalb den genannten Bereichen zumindest gleichgesetzt, weshalb die Offenbarung eines gesundheitsbezogenen Geheimnisses schon dann gerechtfertigt war, wenn (irgendein) öffentliches oder berechtigtes privates Interesse die Offenlegung rechtfertigte. Allerdings setzte die Beurteilung eine nach den Umständen des Einzelfalls vorzunehmende umfassende Interessenabwägung voraus (6 Ob 267/02m; ebenso 2 Ob 149/12v RdM 2013/32 [ Wallner , 164]; 9 ObA 118/17v JAS 2018, 33 [ Wallner ] = jusIT 2018/46 [ Thiele ] = DRdA 2018, 433 [ Goricnik ]), wobei ein Arzt „in eigener Sache“ Berufsgeheimnisse jedenfalls nur im unbedingt notwendigen Ausmaß preisgeben durfte (9 ObA 118/17v); um das unerlässliche Vertrauen zu einem Arzt in Ausübung seines Berufs nicht zu erschüttern, konnte der Geheimnisschutz durch ein höherwertiges Rechtsgut nur als „Ergebnis einer strengen Prüfung“ verdrängt werden (1 Ob 310/97p).

Diese Interessenabwägung begründete – von krassen Fehlbeurteilungen abgesehen – regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (2 Ob 149/12v; 9 ObA 118/17v).

2.2. Die Mutter der Klägerin hatte den Beklagten als Hausarzt der Familie ersucht, ihm ein „Gutachten“ über ihre Familie zu schreiben, damit ihre Beschwerde bei der Ethikkommission des BMASGK „ernst genommen“ werden würde. Sie wollte sich über eine – damals noch – in die Psychotherapeutenliste, in die Liste der Klinischen Psychologen und in die Liste der Gesundheitspsychologen eingetragene Psychotherapeutin beschweren, bei der sich die Klägerin in Behandlung befand. Der Beklagte war bei Erstellung des Berichts aufgrund seiner eigenen jahrelangen Erfahrungen (auch) als Psychotherapeut der Auffassung, dass das Vorgehen seiner Kollegin, wie es ihm von der Mutter der Klägerin geschildert worden war, unzulässig sei und sowohl deren Gesundheit als auch jene anderer in Behandlung befindlicher Patienten gefährdet sein könnten, wobei er Gefahr in Verzug annahm.

Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung sind diese Umstände zwar zugunsten des Beklagten zu berücksichtigen. Das Berufungsgericht hat allerdings in jedenfalls vertretbarer Weise darauf hingewiesen, dass er seine Berufsgeheimnisse „nur im unbedingt notwendigen Ausmaß preisgeben“ hätte dürfen und dies für die unter 1.1. genannten Umstände gerade nicht zutraf. Selbst wenn man im Sinn der Ausführungen der außerordentlichen Revision davon ausginge, dass die Offenlegung des früheren Arzt-Patientenverhältnisses zwischen den Streitteilen „insofern unerlässlich [ gewesen sei ], als [ damit ] seine Glaubwürdigkeit gewährleistet [ war ] und seine Aussage nur dann von Bedeutung sein [ konnte ], wenn er einen Nahebezug zur Familie dar[ zu ]stellen“ vermochte, so vermag der Beklagte auch im Revisionsverfahren nicht darzutun, weshalb er die viele Jahre zurückliegende Adoleszenzkrise der Klägerin und deren damalige Einzelpsychotherapie (gestalttheoretische Psychotherapie) erwähnen musste. Seine Auffassung, die Abwägung, ob die Voraussetzungen für eine Durchbrechung des Geheimnisschutzes vorliegen, habe – offensichtlich generell – der Arzt selbst vorzunehmen, lässt sich aus der von ihm erwähnten Entscheidung (1 Ob 310/97p) jedenfalls nicht ableiten; dort ging es um die Frage, inwieweit die Entbindung eines Arztes als Zeuge von der Geheimhaltungspflicht durch Gerichtsbeschluss substituierbar sei.