JudikaturJustiz6Ob207/22t

6Ob207/22t – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. November 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer Zeni-Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Mag. Domenique Schöngrundner, Rechtsanwalt in Deutschlandsberg, gegen die beklagte Partei V* AG, *, Deutschland, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 29.000 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 24. August 2022, GZ 10 R 35/22f-45, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin kaufte am 29. 4. 2011 das von der Beklagten hergestellte Kfz VW Touran Sky BMT TDI um 29.000 EUR, das mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet ist.

[2] Mit Klage vom 9. 6. 2020 begehrte sie die Zahlung von 29.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 29. 4. 2011 Zug um Zug gegen Rückstellung des Fahrzeugs, hilfsweise die Zahlung von 5.800 EUR samt 4 % Zinsen ab Klageeinbringung. Weiters begehrte sie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle noch nicht bezifferbaren oder eingetretenen Schäden aus dem Kaufvertragsabschluss.

[3] Die Vorinstanzen wiesen die Klage auch im vorliegenden dritten Rechtsgang ab. Das Berufungsgericht ließ die Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die außerordentliche Revision der Klägerin ist unzulässig.

[5] 1. Der Begründung des Urteils des Berufungsgerichts ist deutlich zu entnehmen, dass dieses bereits den Eintritt eines von der Beklagten verursachten Vermögensschadens oder möglicher künftiger, von der Beklagten verursachter Vermögensschäden verneinte und zusätzlich von der Verjährung der geltend gemachten Schadenersatzansprüche der Klägerin ausging. Dass es das Zahlungsbegehren der Klägerin abwies und dabei die Frage der Verjährung offen ließ, begründete es damit, dass es schon den Schadenseintritt bzw dessen Verursachung durch die Beklagte verneinte. Hinsichtlich des Feststellungsbegehrens stellte es jedoch klar, von der Verjährung der Ansprüche auszugehen.

[6] Die Klägerin war daher gehalten, in ihrer außerordentlichen Revision – auch insofern, als sie die Stattgebung des ersten Hauptbegehrens auf Zahlung von 29.000 EUR Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs anstrebt – sowohl zur Frage des Eintritts eines von der Beklagten verursachten Schadens als auch zur Verjährung eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung darzutun. Zur Begründung der Revisionszulässigkeit nach § 502 Abs 1 ZPO bedarf es nämlich der (weiteren) Voraussetzung, dass die Entscheidung von der Lösung der angeführten Rechtsfrage abhängt (RS0088931).

[7] 2.1. Bereits in der Berufung trat die Klägerin der Beurteilung des Erstgerichts, die dreijährige Verjährungsfrist sei bei Klageeinbringung schon abgelaufen gewesen, nicht entgegen. Auch in der außerordentlichen Revision wird kein Vorbringen zur dreijährigen Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB erstattet.

[8] 2.2. Eine strafgerichtliche Verurteilung ist für die Anwendung der langen Verjährungsfrist nicht erforderlich (RS0034432). Liegt keine strafgerichtliche Verurteilung vor, dann hat der Zivilrichter selbständig das Vorliegen der im strafrechtlichen Sinn zu verstehenden Voraussetzungen zu prüfen (8 Ob 28/21g [Rz 16 ff]; 6 Ob 160/21d [Rz 16]; vgl auch 5 Ob 210/20y [Rz 15 ff]).

[9] 2.3. Die Ausführungen des Berufungsgerichts, dass die Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist (unter anderem) deshalb ausscheide, weil nicht feststehe, welche Taten namentlich genannten Personen in einem bestimmten Strafverfahren zur Last gelegt würden, sind daher nicht geeignet, die Klageabweisung durch die Vorinstanzen zu tragen.

[10] In der außerordentlichen Revision wird aber übersehen, dass die Vorinstanzen ohnehin eigene Feststellungen – konkret Negativfeststellungen – zu den Handlungen und Unterlassungen sowie zu einem allfälligen Vorsatz von „zumindest einem Organmitglied“ der Beklagten trafen und auf Grundlage dieser eigenen Feststellungen die Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist auf die hier geltend gemachten Ansprüche verneinten.

[11] 2.4. Soweit sich die außerordentliche Revision dagegen wendet, dass das Berufungsgericht in Erledigung der Beweisrüge auf die Unschuldsvermutung und die „Unmöglichkeit“, strafrechtlich relevantes Verhalten in einem Zivilprozess zu beurteilen, hinweist, macht sie einen Mangel des Berufungsverfahrens gemäß § 503 Abs 1 Z 2 ZPO geltend.

[12] Ein dem Berufungsgericht unterlaufener Verfahrensverstoß bildet aber nur dann den Revisionsgrund des § 503 Z 2 ZPO, wenn er abstrakt geeignet war, eine unrichtige Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz herbeizuführen (RS0043027; RS0043049), was vom Rechtsmittelwerber darzutun ist (RS0116273 [T1]; RS0043027 [T10]; RS0043049 [T6]). Diesen Anforderungen entspricht das Revisionsvorbringen, das „verwerfliche Verhalten“ der Beklagten bereits im erstinstanzlichen Verfahren behauptet zu haben, nicht. Auch das Vorbringen, die Tathandlungen, die handelnden Personen und die lukrierten Vorteile seien gerichtsbekannt, reicht zur Darstellung der Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht aus.

[13] Damit wird (auch) im Zusammenhang mit der Erledigung der Beweisrüge durch das Berufungsgericht kein Mangel des Berufungsverfahrens aufgezeigt, der eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung begründen könnte.

[14] 2.5. Das Berufungsgericht hat nicht die Rechtsprechung missachtet, wonach die lange Verjährungsfrist des § 1489 ABGB auf juristische Personen anwendbar ist, wenn sie als Verband iSd § 1 Abs 2 VbVG für eine qualifizierte Straftat gemäß § 3 VbVG strafrechtlich verantwortlich sind (6 Ob 239/20w [Rz 37, 41]; 7 Ob 113/21z [Rz 26]; vgl RS0133583).

[15] 2.6. Darauf, dass der Verband seit Geltung des VbVG nicht nur für Straftaten seiner Organe, sondern nach § 3 Abs 2 und 3 VbVG für solche Taten seiner Entscheidungsträger (iSd § 2 Abs 1 VbVG) und Mitarbeiter (iSd § 2 Abs 2 VbVG), sohin eines weiter gefassten Personenkreises verantwortlich ist – während sich die (nur) auf Organhandeln abstellende Rechtsprechung auf die Anwendung der langen Verjährungsfrist zu Lasten von juristischen Personen auf vor der Anwendbarkeit des VbVG begangene Straftaten bezieht (6 Ob 92/21d [Rz 16 ff]; 7 Ob 113/21z [Rz 29 f]; vgl 8 Ob 28/21g [Rz 15]; 6 Ob 160/21d [Rz 14]) – nimmt die außerordentliche Revision nicht Bezug. In der außerordentlichen Revision wird vielmehr ein strafbares Handeln zugunsten der Beklagten nur von Organen behauptet. Auch in diesem Zusammenhang wird daher keine Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO geltend gemacht.

[16] 2.7. Entgegen dem Revisionsvorbringen steht auch die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Negativfeststellungen gingen zu Lasten der Klägerin, im Einklang mit der Rechtsprechung, wonach die Voraussetzungen für die Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist vom Geschädigten zu beweisen sind (RS0034432 [T1]; RS0034398 [T3]).

[17] 2.8. In der außerordentlichen Revision wird daher keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Anwendbarkeit der 30-jährigen Verjährungsfrist des § 1489 Satz 2 Fall 2 ABGB dargetan.

[18] 3. Ausgehend davon ist die Frage, ob das Berufungsgericht den Eintritts eines von der Beklagten verursachten Vermögensschadens zu Unrecht verneinte, für den Ausgang des Rechtsstreits nicht präjudiziell (vgl RS0088931 [T2]) und vermag daher die Zulässigkeit der außerordentlichen Revision nicht zu begründen.