JudikaturJustiz6Ob181/13f

6Ob181/13f – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Juni 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. W***** GmbH, 2. W***** GmbH, 3. W***** GmbH, alle *****, vertreten durch Dr. Ludwig Beurle und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 483.621,78 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Juli 2013, GZ 5 R 66/13g-30, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. Jänner 2013, GZ 53 Cg 23/11w 25, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben .

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im Umfang des klagsstattgebenden Teils des Berufungsurteils aufgehoben . Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerinnen sind ebenso wie jene in dem der Entscheidung des Obersten Gerichtshof vom 24. 3. 2014, 8 Ob 96/13w, zugrundeliegenden Fall Elektrizitätsunter-nehmen und betreiben Windkraftanlagen. Die (hier und im genannten Vorverfahren jeweils) Beklagte betreibt ein Übertragungsnetz und ist Regelzonenführer iSd § 7 Abs 1 Z 35 ElWOG 1998 (nunmehr § 7 Abs 1 Z 60 ElWOG 2010). Der Netzbereich, in dem die Klägerinnen ihren Strom einspeisen, ist der von der Beklagten gebildeten Regelzone zugeordnet.

Zwischen den Klägerinnen und der Beklagten bestehen ebenso wie zwischen den am Vorverfahren beteiligten Parteien keine vertraglichen Vereinbarungen über den Netzzugang. Auch die (hier) Klägerinnen speisen ihren Strom nicht in das von der Beklagten betriebene Übertragungsnetz, sondern in ein Verteilernetz ein.

Als Regelzonenführer ist die Beklagte zur Bereitstellung der Systemdienstleistung entsprechend den technischen Regeln verpflichtet. § 25 Abs 14 ElWOG 1998 sah vor, dass dem Regelzonenführer für die Bereitstellung dieser Systemdienstleistung gegenüber Erzeugern ein Anspruch auf Abgeltung der damit verbundenen Aufwendungen zusteht. Auf Grundlage der Ermächtigung des § 25 Abs 4 ElWOG 1998 bestimmte die Energie-Control-Kommission (E-CK) die Systemnutzungsentgelte im Elektrizitätsbereich durch Verordnungen (SNT-VO). So setzte sie für die Jahre 2009 bis 2011 das Systemdienstleistungsentgelt in §§ 8, 21 lit a der SNT VO 2006 in der Fassung der Novelle 2009 (im Folgenden als „SNT-VO 2009“ bezeichnet), der SNT-VO 2010 und der SNT-VO 2010 in der Fassung der Novelle 2011 (im Folgenden als „SNT-VO 2011“ bezeichnet) fest. Die Beklagte schrieb den Klägerinnen die sich daraus errechnenden Systemdienstleistungsentgelte vor. Die Klägerinnen zahlten daraufhin unter ausdrücklichem Vorbehalt der Rückforderung wegen Gesetzes- bzw Verfassungswidrigkeit der Verordnungen in diesem Zeitraum 242.369,77 EUR (Erstklägerin), 106.882,59 EUR (Zweitklägerin) und 134.369,42 EUR (Drittklägerin).

Vor Einbringung der Klage bzw vor entsprechenden Änderungen der Klagebegehren leiteten auch die Klägerinnen Streitbeilegungsverfahren bei der E-CK gemäß § 21 Abs 2 ElWOG 1998 ein. Die Kommission wies diese Anträge zurück. Mangels Einspeisung der von den Klägerinnen erzeugten elektrischen Energie in das Netz der Beklagten liege keine Streitigkeit zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen vor.

Der Verfassungsgerichtshof hat unter anderem aus Anlass eines vom Erstgericht beantragten Verfahrens zur Prüfung der SNT-VO mit Erkenntnis vom 21. 6. 2011, G 3 5/11, festgestellt, dass § 25 Abs 1 Z 1 („Netznutzungsentgelt“) und Z 3 („Netzverlustentgelt“), § 25 Abs 4 und § 25 Abs 12 ElWOG 1998 idF BGBl I 121/2000 wegen Widerspruchs gegen das Determinierungsgebot des Art 18 B-VG verfassungswidrig waren. Aufgrund zahlreicher von Erstgerichten gestellter Verordnungsprüfungsanträge hob der Verfassungsgerichtshof in weiterer Folge mit Erkenntnis vom 27. 9. 2011, V 59/09 ua, die SNT-VO 2009, die SNT VO 2010 sowie die SNT-VO 2011 infolge des Wegfalls der Bestimmung des § 25 Abs 4 ElWOG 1998 zur Gänze als gesetzwidrig auf. Der Verfassungsgerichtshof ordnete an, dass die Aufhebung der SNT-VO 2011 erst mit Ablauf des 31. 3. 2012 in Kraft tritt. Mit Wirkung zum 1. 1. 2012 wurde diese Verordnung von der E-CK auf Grundlage der Bestimmungen des ElWOG 2010 durch die Systemnutzungsentgelte-Verordnung 2012 (SNE-VO 2012) ersetzt.

Die Vorinstanzen verpflichteten die Beklagte zur Rückzahlung der geleisteten Zahlungen; das Berufungsgericht wies lediglich ein Teilzinsenbegehren insoweit rechtskräftig ab. Aufgrund der Anlassfallwirkung der Aufhebung des § 25 Abs 1 Z 1 und 3, Abs 4 und Abs 12 ElWOG 1998 sowie der SNT VO 2009, 2010 und 2011 seien diese Bestimmungen im vorliegenden Verfahren nicht anwendbar. Der Gesetzgeber habe die Entgeltbestandteile in § 25 ElWOG abschließend regeln wollen. § 25 Abs 14 ElWOG 1998 könne nicht herangezogen werden. Die Leistungsbegehren seien daher wegen Wegfalls der rechtlichen Grundlage für die Zahlung der Entgelte berechtigt.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig.

Die Revision ist entgegen diesem Ausspruch, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508a Abs 1 ZPO), zulässig; sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat in der bereits erwähnten Entscheidung 8 Ob 96/13w bei völlig identem und ebenfalls die Beklagte betreffendem Sachverhalt unter anderem ausgeführt:

[…]

Nach § 25 Abs 4 ElWOG 1998 bestimmte die E CK mit den jährlich angepassten SNT-Verordnungen die Systemnutzungstarife, darunter auch jenen für die Bereitstellung der Systemdienstleistungen.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis G 3-5/11-11 die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 25 Abs 1 Z 1 und Z 3, § 25 Abs 4 und § 25 Abs 12 ElWOG (G 3-5/11-11) im Wesentlichen darauf gestützt, dass § 25 ElWOG für die Tarifbestandteile Netzverlustentgelt und Netznutzungsentgelt keine Zuordnung der Verpflichtung zur Bezahlung dieser Entgelte zu bestimmten Benutzern der Elektrizitätsnetze festlege. Dies verstoße gegen Art 18 B-VG, weil es die Existenz gänzlich verschiedener Regelungsmodelle mit verschiedenen Zielsetzungen ermögliche. Die gänzliche Aufhebung der SNT VO (also auch hinsichtlich der für die Systemdienstleistung festgelegten Entgelte) ua für die hier maßgeblichen Jahre 2009 bis 2011 stützte der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis V 59/09 auf die Anlassfallwirkung der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der oben genannten Bestimmung des ElWOG über die Festlegung von Systemnutzungstarifen. Ohne die „Generalklausel“ des § 25 Abs 4 ElWOG bleibe die gesetzliche Regelung der Adressaten einer Systemnutzungstarifverordnung völlig lückenhaft und damit jede dieser Verordnungen ohne gesetzliche Grundlage.

IV. Ausgehend von diesen Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofs vertritt der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass der Wegfall öffentlich-rechtlicher (Preis-)Regelungen in den SNT VO grundsätzlich kein Hindernis dafür ist, über den öffentlich-rechtlich ungeregelten Sachverhalt eine privatrechtliche Vereinbarung innerhalb der Grenzen des rechtlich Erlaubten abzuschließen (RIS-Justiz RS0128445 ; 4 Ob 126/12a, 5 Ob 150/12p, 1 Ob 149/12m, 8 Ob 29/13t). Wird bei einem behördlichen Preisregelungssystem die preisfestsetzende Norm nachträglich unanwendbar, so fällt die Kompetenz zur Preisregelung wiederum den Vertragsparteien zu (RIS-Justiz RS0128445 [T5]). Dem steht auch nicht die Absicht des Normgebers entgegen, einen bestimmten Preisregelungssachverhalt (hier Systemnutzungsentgelte nach § 25 ElWOG 1998 und der darauf gegründeten SNT-VO) abschließend regeln zu wollen (zuletzt etwa 8 Ob 29/13t).

V. Hier besteht allerdings keine vertragliche Rechtsbeziehung zwischen den Streitteilen. Stattdessen greift hier aber die Bestimmung des § 25 Abs 14 ElWOG 1998 ein, die eindeutig den Zweck verfolgt, die Einspeiser zur Tragung des Systemdienstleistungsaufwandes der von ihnen genützten Netze zu verpflichten. Soweit die Klägerinnen dem entgegen halten, dass die Heranziehung von § 25 Abs 14 ElWOG 1998 als Anspruchsgrundlage der Systematik des Gesetzes widerspreche, ist darauf zu verweisen, dass mit dem Wegfall des Abs 4 des § 25 ElWOG 1998 auch die Bezugnahme auf die Erlassung der Tarife weggefallen ist. Es verbleibt nur der zweite Satz des § 25 Abs 1 ElWOG 1998, wonach ua die Entgelte für die Systemdienstleistungen (§ 25 Abs 1 Z 4 ElWOG 1998) unter Zugrundelegung eines Tarifes zu ermitteln sind, der von der E-CK durch Verordnung oder Bescheid zu bestimmen ist. § 25 Abs 14 ElWOG, der anordnet, dass dem Regelzonenführer gegenüber Erzeugern für die Bereitstellung der Systemdienstleistung ein Anspruch auf Abgeltung der damit verbundenen Aufwendungen zusteht, wurde vom Verfassungsgerichtshof nicht aufgehoben. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ist damit davon auszugehen, dass diese Bestimmung und die darin normierte Verpflichtung mit den aufgehobenen Bestimmungen in keinem untrennbaren Zusammenhang steht (zuletzt etwa G 123/2012 unter Verweis auf VfSlg 16.756/2002, 16.869/2003 bzw zuletzt etwa 17.594/2005). Für die hier maßgeblichen Zeiträume war die Erlassung eines Tarifs durch Verordnung nach den Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofs nicht möglich. Daher ging die Regelung des zweiten Satzes des § 25 Abs 1 ElWOG 1998 ins Leere und kann nur für andere Zeiträume Relevanz erlangen. Der Oberste Gerichtshof teilt daher die Auffassung, dass für den hier maßgebenden Zeitraum § 25 Abs 14 ElWOG 1998 Grundlage für den Anspruch der Beklagten auf Ersatz der mit der Systemdienstleistung verbundenen Aufwendungen bildet.

[…]

Der erkennende Senat sieht keine Veranlassung, sich diesen Ausführungen nicht anzuschließen; im Übrigen haben sich auch die Klägerinnen, die in beiden Verfahren von derselben Anwaltssozietät vertreten werden, nach Vorliegen der Vorentscheidung des 8. Senats und Freistellung der Revisionsbeantwortung im vorliegenden Verfahren am Revisionsverfahren nicht mehr beteiligt.

Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren ebenfalls die Höhe der mit den Systemdienstleistungen verbundenen Aufwendungen zu ermitteln und den von den Klägerinnen unter diesem Titel gezahlten Beträgen gegenüberzustellen haben.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.