JudikaturJustiz6Ob178/08g

6Ob178/08g – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. November 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K*****, vertreten durch Dr. Anton Cuber, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Ö***** AG, *****, vertreten durch Koller Schreiber Rechtsanwälte Partnerschaft in Wien, wegen 4.857,11 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 13. Juli 2007, GZ 1 R 237/06h 14, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 25. September 2006, GZ 12 C 2069/05k 11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 445,82 EUR (darin 74,30 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Ein Mitarbeiter der Klägerin gab am 30. 6. 2005, dem letzten Tag einer arbeitsrechtlichen Präklusionsfrist, im Namen eines Arbeitnehmers, für den die Klägerin Rechtsschutz übernommen hatte, eine Klage mit einem auf 4.929,78 EUR lautenden Zahlungsbegehren mittels eingeschriebenen Briefs - adressiert an das zuständige Gericht - zur Post. Auf dem Postweg ging das Schriftstück verloren. Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass der Arbeitnehmer, der seine Schadenersatzansprüche zwischenzeitig an die Klägerin abgetreten hat, dieses Verfahren gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber gewonnen hätte. Die Beklagte leistete Ersatz in Höhe von 72,67 EUR und lehnte unter Berufung auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine darüber hinausgehende Haftung mit der Begründung ab, es wäre der Klägerin oblegen, das Schriftstück als Wertbrief aufzugeben.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die restlichen 4.857,11 EUR. Deren Allgemeine Geschäftsbedingungen seien hinsichtlich des eingewendeten Haftungsausschlusses unklar, jedenfalls aber sittenwidrig.

Die Beklagte wendete ein, ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen seien im Verwaltungsweg kontrolliert und genehmigt worden; sie seien nicht unklar und unterlägen auch keiner Inhaltskontrolle.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren übereinstimmend ab; das Berufungsgericht sprach darüber hinaus aufgrund eines Abänderungsantrags der Klägerin aus, dass die ordentliche Revision zulässig ist; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sowohl zur Frage, ob es sich bei der Beförderung einer Klagsschrift durch die Beklagte um die Beförderung einer Wertsendung im Sinne der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten handelt, als auch zur Frage, ob unter Berücksichtigung der für Wertsendungen „exorbitant hohen Beförderungsentgelte" der Beklagten eine Haftungsbeschränkung für „eingeschriebene" Briefe nicht als sittenwidrig eingestuft werden müsste; da diese Fragen „eine Vielzahl an Briefsendungen" beträfen, seien sie als erhe blich im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO anzusehen. In der Sache selbst vertraten die Vorinstanzen die Auffassung, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten seien weder unklar noch sittenwidrig. Gebe der Absender eines eingeschriebenen Briefs dessen Wert bzw Interesse nicht an, hafte die Beklagte bei Verlust oder Beschädigung lediglich bis zu einem Betrag von 72,67 EUR. Eine solche Beschränkung bei Massenpostgeschäften widerspreche auch nicht grundlegenden Werten der österreichischen Rechtsordnung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. Da der von der Klägerin vertretene Arbeitnehmer das Verfahren gegen seinen früheren Arbeitgeber gewonnen hätte und auch die Einbringlichkeit dieser Forderung von der Beklagten nicht in Abrede gestellt wird (zur Beweislast bei vergleichbarer Interessenlage Reischauer in Rummel , ABGB³ [2007] § 1293 Rz 5 Seite 52 mwN [Beweislast desjenigen, der pflichtwidrig die Einbringung einer Forderung für einen anderen verletzt]), hat der Arbeitnehmer einen Schaden in Höhe des Klagebegehrens erlitten, den er nach den Feststellungen der Vorinstanzen an die Klägerin abgetreten hat.

2. Es ist zwischen den Parteien nicht strittig, dass auf den vorliegenden Versendevorgang die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten für den „Briefdienst Inland" Anwendung finden. Diese gründen in § 24 Abs 2 PostG 1997 und werden vom zuständigen Bundesminister als oberste Postbehörde genehmigt (vgl dazu ausführlich Riss , Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Post für den Briefdienst Inland, in Knyrim/Leitner/Perner/Riss , Aktuelles AGB Recht [2008] 107).

2. Nach Punkt 4.1.1. Satz 2 dieser Allgemeinen Geschäftsbedingungen haftet die Post dem Absender bei bloß leichter Fahrlässigkeit nur für Schäden an den zur Bearbeitung übergebenen Sachen (Briefsendungen) selbst und für Personenschäden, nicht jedoch für sonstige Schäden. Dass die Beklagte nicht bloß leichte Fahrlässigkeit zu vertreten hätte, behauptet keine der beiden Parteien.

Damit ist der von der Klägerin geltend gemachte Schaden bei Briefen ohne Wertangabe grundsätzlich von einer Haftung der Beklagten ausgeschlossen. Wie Schaginger/Trpin (PostG und PostO [1958] 178) bereits zum PostG 1957 aufgezeigt haben, ist nämlich nur ein unmittelbarer Schaden ersatzfähig, also jener Schaden, der dem Absender dadurch entstanden ist, dass die Sendung dem Empfänger überhaupt nicht oder nur im beschädigten Zustand zugekommen ist; bei einem Brief gehörten dazu nur die Kosten des Briefpapiers, die Postgebühren, die Neuausfertigung des Schriftstücks und ähnliches, alles andere sei „mittelbarer Schaden". Diese Rechtslage hat Punkt 4.1.1. Satz 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten dadurch übernommen, dass er die Haftung für „sonstige Schäden" ausschließt.

Will ein Kunde für den Fall des Verlusts nicht nur den Wert des Briefs (seines Inhalts) im aufgezeigten Sinn ersetzt erhalten, hat er nach Punkt 4.1.3. der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten das „Interesse" des Briefs anzugeben; darunter ist auch jener Schaden zu verstehen, der dem Absender aus dem Verlust des Briefs entstehen könnte.

Weshalb diese Regelungen „jedenfalls unklar" sein sollten, wie die Klägerin insbesondere in ihrer Berufung ausführte, ist für den Obersten Gerichtshof nicht nachvollziehbar. In der Revision meint die Klägerin ohnehin nur mehr, unklar sei, ob eine Klagsschrift einen Wert darstelle. Dabei spricht sie allerdings selbst davon, dass am Einlangen der Klagsschrift bei Gericht „ein wesentliches Interesse besteht". Dieses Interesse, auf das Punkt 4.1.3. der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten ausdrücklich Bezug nimmt, liegt jedoch zumindest bei Klagsschriften, die unmittelbar vor dem Ende einer Präklusivfrist mit der Post an das Gericht übermittelt werden sollen, im Prozesserfolg (Klagebegehren).

3. Die auf den vorliegenden Versendevorgang anzuwendenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen wurden mit Bescheid des BMVIT vom 25. 2. 2003, GZ 100326/III, im Verwaltungsweg ex ante kontrolliert und genehmigt (vgl Riss aaO). Dies hindert an sich eine (weitere) Geltungs- und Inhaltskontrolle ex post durch die Zivilgerichte nicht (3 Ob 246/98t = SZ 72/81; 4 Ob 50/00g = SZ 73/46; 9 Ob 70/00k; Gruber , Geltungskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen [§ 864a ABGB] in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, FS Kramer [2003] 501 mwN).

Die Klägerin meint nun, sittenwidrig (im Sinne von unzumutbar) sei der sich aus Punkt 4.1.3. der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ergebende Zwang der Kunden der Beklagten, Briefsendungen wie die vorliegende als Wertbrief aufzugeben, für die jedoch ein Beförderungsentgelt von 1 % des angegebenen Werts bzw des angegebenen Interesses zu leisten sei, welches „komplett außer Relation zur Gegenleistung" stehe; andernfalls leiste die Beklagte Ersatz lediglich in Höhe von 72,67 EUR. Auch dieser Argumentation vermag sich der Oberste Gerichtshof nicht anzuschließen:

Die österreichische Rechtsordnung anerkennt auch in anderem Zusammenhang, dass derjenige, der eine Sache zur Beförderung oder zur Aufbewahrung übernimmt, für deren für ihn nicht erkennbaren (hohen) Wert grundsätzlich nicht einzustehen hat. So schränkt etwa § 429 Abs 2 UGB die Haftung des Frachtführers für den Verlust oder die Beschädigung von Kostbarkeiten, Kunstgegenständen, Geld und Wertpapieren insofern ein, als der Frachtführer nur dann haftet, „wenn ihm diese Beschaffenheit oder der Wert des Gutes bei der Übergabe zur Beförderung angegeben worden ist". Nach Lehre ( Schütz in Straube , HGB³ [2003] § 429 Rz 19; vgl auch Holzhammer , Allgemeines Handelsrecht und Wertpapierrecht8 [1998] 267) und Rechtsprechung (6 Ob 257/07y) dient diese Einschränkung dazu, den Frachtführer vor ruinösen Schadenersatzpflichten zu bewahren; es soll ihm die Möglichkeit gegeben werden, den Transport besonders schadensanfälliger Güter abzulehnen bzw entsprechende Sicherungsmaßnahmen zu treffen; dazu muss das Risiko jedoch für den Frachtführer erkennbar sein (vgl in diesem Sinn auch deutscher BGH I ZR 121/04 vom 6. 6. 2007).

Auch Wertgegenstände, die sich in übernommenen Kleidungsstücken befinden und mit denen nach aller Erfahrung nicht gerechnet werden muss (etwa das wertvolle Schmuckstück im oder am abgelegten Mantel), die also „nicht sichtbar" bzw nicht als besonders wertvoll erkennbar sind, sind nicht von der Obhutspflicht des Verwahrers umfasst; es kommt diesbezüglich kein Vertrag zustande, weil sich der Verwahrer des Werts der verpflichtend übernommenen Sache bewusst werden können muss (8 Ob 126/70; 6 Ob 257/07y; vgl auch Binder in Schwimann , ABGB³ [2006] § 958 Rz 17).

Es ist daher nicht zu beanstanden, dass die Beklagte aufgrund ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen als „Verwahrer" und „Beförderer" der Briefsendungen über den Wert bzw das Interesse derselben informiert werden muss, um ihr die Gelegenheit zu geben, diese einer erhöhten Kontrolle und Sorgfalt bei der Beförderung zu unterziehen. Da dies mit erhöhten Kosten verbunden ist und die Beklagte für den Fall des Verlusts höhere Entschädigungsleistungen zu erbringen bzw für derartige Leistungen Vorsorge zu treffen hat, ist es auch nicht weiter zu beanstanden, dass sie für Wertbriefe ein höheres Beförderungsentgelt verlangt.

Ob dieses Beförderungsentgelt bei Klagsschriften „unzumutbar" hoch sein könnte, bedarf hier keiner weiteren Erörterung. Es hätte für die gegenständliche Sendung rund 50 EUR betragen, was die Klägerin in ihrer Revision ausdrücklich als nicht zu hoch ansieht. In anderen Fällen wiederum können Personen, die Klagen bei Gericht einbringen wollen, auch zu anderen „Beförderungsmöglichkeiten" greifen. So weist die Klägerin selbst in ihrer Revision auf die (offensichtlich günstigere) „Preisgestaltung anderer Konkurrenzunternehmen" der Beklagten hin. Bereits seit 1. 10. 1995 können darüber hinaus unter anderem Mahnklagen elektronisch bei Gericht eingebracht werden, seit 1. 7. 2007 ist dies für Rechtsanwälte und Notare sogar verpflichtend festgelegt (ERV Verordnung). Und schließlich können Klagsschriften auch persönlich bei Gericht überreicht werden.

Soweit Riss (aaO) ausführt, Punkt 4.1.1. Satz 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten sei intransparent und daher Verbrauchern gegenüber unwirksam, ist daraus für die Klägerin nichts zu gewinnen. Einerseits erscheint es fraglich, ob sie Verbraucherin im Sinne des § 1 KschG ist, und andererseits meint Riss ausdrücklich Punkt 4.1.1. Satz 1 der Geschäftsbedingungen.

4. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.