JudikaturJustiz6Ob170/05a

6Ob170/05a – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. November 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ.Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Gerda A*****, 2. Stefanie K*****, 3. Aloisia L*****, und 4. Werner T*****, alle vertreten durch Dr. Hans Kaska und Dr. Christian Hirtzberger, Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Franz T*****, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OEG in St. Pölten, wegen 20.822,32 EUR, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 17. Februar 2005, GZ 21 R 38/05d-36, womit infolge der Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 12. November 2004, GZ 3 C 653/02w-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat den klagenden Parteien zu Handen des Klagevertreters die mit 1.351,94 EUR (darin 225,32 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die vier Kläger und der Beklagte sind die Kinder des am 11. Februar 2000 ohne Hinterlassung eines Testaments verstorbenen Franz T***** sen. Der Reinnachlass betrug 89.123,19 S (= 6.476,84 EUR). Im Jahr 1979 war eine Eigentumswohnung in St. Pölten angeschafft worden, in der in der Folge die Eltern, der Beklagte und die damals elfjährige Erstklägerin wohnten. Der Beklagte war von 1970 bis 1973 als Tischler beschäftigt. Er erkrankte an TBC und Diabetes und erblindete vollständig. Der Vater ging davon aus, dass der Beklagte wegen seiner Erblindung und Krankheit nie ein selbständiges Leben führen werde können und zeitlebens auf Hilfe angewiesen sein würde. Als Unterstützung und Vorsorge wollte der Vater deshalb, dass die Wohnung dem Sohn gehören sollte, wobei zuerst die Eltern für dessen Pflege zu sorgen hätten und nach deren Ableben die Erstklägerin - solange sie in der Wohnung leben würde - diese Aufgabe übernehmen sollte. Den Kaufvertrag über die Eigentumswohnung schloss der Beklagte, er wurde bücherlicher Eigentümer. Der Vater wohnte bis zu seinem Tod in dieser Wohnung.

Mit ihrer am 21. März 2002 beim Erstgericht eingelangten Klage begehren die Kläger den Schenkungspflichtteil nach § 785 ABGB von je

5.380 EUR. Die Eigentumswohnung sei aus Mitteln des Vaters auf den Namen des Beklagten angeschafft worden, weil die Eltern davon ausgegangen seien, dass der Beklagte wegen seiner Erblindung niemals ein selbständiges Leben führen werde können. Entgegen diesen Erwartungen habe der Beklagte aber geheiratet und sei aus der Wohnung ausgezogen.

Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klagebegehren. Die Wohnung sei ausschließlich aus seinen finanziellen Mitteln angeschafft worden. Er habe die Anzahlung, die Annuitäten und die Betriebskosten bezahlt. Der Beklagte wandte eine Gegenforderung von 3.000 EUR aus dem Titel des Schadenersatzes ein.

Das Erstgericht stellte nach Einschränkung der Klagebegehren die Klageforderungen mit je 5.205,58 EUR als zu Recht bestehend und die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend fest und verurteilte den Beklagten zur Bezahlung von je 5.205,53 EUR. Die Teilabweisung von je 174,42 EUR erwuchs in Rechtskraft. Von seinen auf den Seiten 5 bis 8 der Urteilsausfertigung getroffenen Feststellungen ist für das Revisionsverfahren neben dem schon oben wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt als wesentlich nur noch (zusammengefasst) hervorzuheben:

Die Eigentumswohnung und die Wohnungseinrichtung wurden aus finanziellen Mitteln des Vaters (insbesondere aus einer Abfertigungszahlung seines Dienstgebers) angeschafft. Der Beklagte leistete zum Wohnungsankauf keinen finanziellen Beitrag. Es kann nicht festgestellt werden, über welche Geldmittel der Beklagte zum Zeitpunkt des Kaufes der Eigentumswohnung verfügt hat. Im Zeitpunkt des Todes des Vaters hatte die Wohnung einen Wert von 75.600 EUR. Das Erstgericht bejahte in rechtlicher Hinsicht eine Schenkung iSd § 938 ABGB und eine Anrechnung dieser Schenkung bei der Berechnung des Nachlasses gemäß § 785 Abs 1 ABGB unter Heranziehung der Wertermittlungsmethode iSd oberstgerichtlichen Rechtsprechung (SZ 57/90).

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Es hielt die Beweiswürdigung des Erstgerichts für unbedenklich und bestätigte die Rechtsansichten des Erstgerichts. Entgegen dem Einwand des Beklagten könne sich nicht nur ein Testamentserbe, sondern auch ein gesetzlicher Erbe auf die Schenkungsanrechnung gemäß § 785 Abs 1 ABGB berufen. Zwar blieben gemäß § 785 Abs 3 ABGB Schenkungen, die aus sittlicher Pflicht erfolgten, unberücksichtigt. Auf eine sittliche Pflicht habe sich der behauptungs- und beweispflichtige Beklagte im Verfahren erster Instanz aber nicht berufen. Seine Ausführungen im Berufungsverfahren verstießen gegen das Neuerungsverbot des § 482 ZPO.

Das Berufungsgericht sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision (jeweils) nicht zulässig sei, änderte diesen Ausspruch über Antrag des Beklagten aber ab und erklärte die ordentliche Revision doch für zulässig, weil zum Ausmaß der Behauptungs- und Beweislast über das Vorliegen des Ausnahmetatbestands des § 785 Abs 3 ABGB keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Insoweit der Revisionswerber auf dem Standpunkt steht, dass die Kläger als gesetzliche Erben sich nicht auf das Pflichtteilsrecht und die Anrechnung von Schenkungen gemäß § 785 Abs 1 ABGB berufen dürften, ist ihm die gegenteilige ständige oberstgerichtliche Judikatur entgegenzuhalten (RIS-Justiz RS0012882). Einer weiteren Begründung zu diesem Punkt bedarf es nicht.

2. Zur Behauptungs- und Beweislast zum Thema der Nichtanrechnung von aus sittlicher Pflicht gemachten Schenkungen (§ 785 Abs 3 ABGB):

Der Revisionswerber setzt der Rechtsansicht des Berufungsgerichts über ein fehlendes bzw. nicht ausreichendes Prozessvorbringen im Verfahren erster Instanz die Feststellungen des Erstgerichts entgegen, dass der Vater der Streitteile anlässlich der Schenkung davon ausgegangen sei, der Beklagte werde wegen seiner Erblindung und Krankheit nie ein selbständiges Leben führen können und daher zeitlebens auf Hilfe angewiesen sein. Die Eigentumswohnung sei aus diesen Gründen dem Sohn als Unterstützung und Vorsorge ins Eigentum übertragen werden sollen. Allein damit sei der Fall des § 785 Abs 3 erster Satz ABGB schon nachgewiesen. Dieser Ansicht ist nicht zu folgen:

Im Verfahren erster Instanz hat der Beklagte nur vorgebracht, dass er erblindet und der Vater deshalb davon ausgegangen sei, dass der Sohn bei den Eltern wohnen werde. Dieser behauptete, unstrittige und auch festgestellte Sachverhalt reicht aber keineswegs aus, die Schenkung der Eigentumswohnung, die im Todeszeitpunkt immerhin einen Verkehrswert von 75.600 EUR hatte, als eine Schenkung aus dem Grund einer sittlichen Verpflichtung qualifizieren zu können. Bei der Auslegung des Begriffs „sittliche Pflicht" ist davon auszugehen, dass die Bestimmung des § 785 ABGB die Gleichstellung aller pflichtteilsberechtigten Kinder bezweckt. Unter diesem Gesichtspunkt ist eine Schenkung, mit der einer sittlichen Pflicht entsprochen wurde, nur dann anzunehmen, wenn hiezu eine besondere, aus den konkreten Umständen des Falls erwachsene, in den Geboten der Sittlichkeit wurzelnde Verpflichtung des Schenkers (Erblassers) bestand. Dies lässt sich nur unter Berücksichtigung der persönlichen Beziehungen zwischen Schenker und Beschenktem, ihres Vermögens und ihrer Lebensstellung entscheiden (RIS-Justiz RS0012972). Unter die Lebensverhältnisse fallen auch die Verhältnisse anderer Beteiligter (3 Ob 75/02d), hier also die Verhältnisse der vier Geschwister des Beklagten. In den Hauptanwendungsfällen beruht die Schenkung aus sittlicher Pflicht auf familiärer Bindung oder einer Notlage des Beschenkten (Kralik, Erbrecht³ 303). Beides läge hier vor. Die Schenkung muss aber auch dem Umfang nach einer sittlichen Pflicht entsprechen (Kralik aaO). Die sittliche Pflicht kann nur insoweit bestehen, als das nach der Vermögens- und Einkommenssituation der Beteiligten vernünftige Maß nicht unverhältnismäßig überschritten wird (Zankl, Die Lebensversicherung im Pflichtteilsrecht, NZ 1989, 1 [6]). Nach herrschender Meinung kann eine Schenkung aus sittlicher Pflicht auch nur einen angemessenen Teil der Schenkung erfassen (Welser in Rummel³, ABGB § 785 Rz 15; RIS-Justiz RS0108722). Daraus folgt, dass eine Schenkung von hohem Wert nicht a priori schon deshalb als aus sittlicher Pflicht gegeben zu erachten ist, weil der Geschenknehmer ein naher Verwandter und bedürftig ist. Daraus folgt weiters eine Behauptungslast des Beklagten, der die für seinen Rechtsstandpunkt (d.i. das Vorliegen des Tatbestands des § 785 Abs 3 erster Satz ABGB) günstigen, die Klageansprüche hindernden Tatsachen zu beweisen hat (RIS-Justiz RS0037797). Zu diesen zu behauptenden Tatsachen hätte es gehört, dass der Beklagte zunächst die Einkommens- und Vermögensverhältnisse aller Beteiligten darlegt. Es hätte weiters eines Vorbringens über die Anschauungen in den Kreisen bedurft, die den Lebensverhältnissen der Familie der Prozessparteien entsprachen. Der allgemeine Begriff „sittliche Pflicht" bedarf anhand konkreter Umstände einer Auslegung, wie dies auch auf die Beurteilung der guten Sitten zutrifft. Dabei kommt es grundsätzlich und für die verschiedensten Lebensbereiche auf die Anschauungen der redlichen und rechtsverbundenen Mitglieder der betroffenen Verkehrskreise an, wie dies beispielsweise für die Auslegung von Vertragsklauseln oder allgemeinen Geschäftsbedingungen gilt (RIS-Justiz RS0008901; 1 Ob 144/04i = SZ 2004/123). In der Rechtsprechung wird zur Lösung zahlreicher Rechtsprobleme, insbesondere im Bereich des Familienrechts, immer wieder die Figur eines maßstabgerechten Durchschnittsmenschen herangezogen, insbesondere im Bereich des Unterhaltsrechts der sogenannte „bonus pater familias" und die maßstabgerechte Normfamilie (6 Ob 285/98z). Nach einem solchen Maßstab ist auch die Frage der sittlichen Pflicht iSd § 785 Abs 3 erster Satz ABGB zu untersuchen. Dies hat zur Folge, dass auch zu diesem Thema ein Parteivorbringen des Beklagten erforderlich gewesen wäre, weil ja der Fall denkbar ist, dass die Eigentumswohnung das einzige nennenswerte Vermögen des Vaters war und auch eines oder mehrere der anderen Kinder (der Kläger) bedürftig gewesen sein konnte, sodass die Schenkung an den Sohn trotz seiner Erblindung eine Übergehung der anderen Kinder nicht rechtfertigte, die Schenkung also keiner sittlichen Verpflichtung entsprach, weil sie mit den Anschauungen in den dem Schenkenden sozial gleichstehenden Kreisen nicht in Einklang zu bringen wäre (vgl auch die von Kralik aaO 303 FN 16 zitierte, zur vergleichbaren Bestimmung des § 534 dBGB ergangene Entscheidung des BGH, NJW 1981, 111).

Es ist dem Berufungsgericht zuzustimmen, dass der Beklagte im Verfahren erster Instanz schon seiner Behauptungslast nicht nachgekommen ist, hat er doch nicht einmal eine eigene finanzielle Notlage, sondern vielmehr gegenteilige Vermögensverhältnisse behauptet, die es ihm erlaubt haben sollen, die Eigentumswohnung aus eigenen Mitteln zu erwerben. Das schon aufgezeigte notwendige Sachverhaltsvorbringen zum Ausnahmetatbestand des § 785 Abs 3 erster Satz ABGB holte er schließlich auch nicht einmal im Berufungsverfahren nach, wo nur von einer Unterhaltspflicht des Vaters nach § 140 ABGB die Rede ist und der nicht zu teilende Standpunkt vertreten wird, der Ankauf der Eigentumswohnung für den Sohn sei als Erfüllung der Unterhaltspflicht bzw. aufgrund eines Größenschlusses als Schenkung aus sittlicher Pflicht zu qualifizieren. Für die Annahme einer Unterhaltsverpflichtung des Vaters zur Überlassung eines Vermögens in ganz erheblichem Umfang vermag der Revisionswerber keine tauglichen Gründe ins Treffen zu führen.

Das Berufungsgericht hat aus den dargelegten Gründen zu Recht dem beweispflichtigen Beklagten schon die Verletzung seiner Behauptungslast vorgeworfen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO.

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