JudikaturJustiz6Ob108/20f

6Ob108/20f – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Februar 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden, die Hofräte Hon. Prof. Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers J***** S*****, vertreten durch Dr. Herbert Hubinger, Rechtsanwalt in Kirchdorf an der Krems, gegen die Antragsgegnerin N*****, vertreten durch die Onz, Onz, Kraemmer, Hüttler Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Enteignungsentschädigung, über die Revisionsrekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 6. Februar 2020, GZ 3 R 156/19k 60, womit über den Rekurs des Antragstellers der Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 16. Oktober 2019, GZ 2 Nc 4/17y 56, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Dem Revisionsrekurs der Antragsgegnerin wird nicht Folge gegeben.

Die Antragsgegnerin ist schuldig, dem Antragsteller die mit 833,88 EUR (darin enthalten 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

2. Dem Revisionsrekurs des Antragstellers wird teilweise Folge gegeben.

2.1. Der angefochtene Beschluss, der in seinen Punkten 1. und 2. unverändert aufrecht bleibt (teils rechtskräftig, teils bestätigt), wird in seinem Punkt 3. dahin abgeändert, dass dieser Punkt folgendermaßen zu lauten hat:

„3. Das Mehrbegehren, die Gesamtentschädigung mit weiteren 7.226,35 EUR festzusetzen, wird abgewiesen.“

2.2. Im Übrigen, somit hinsichtlich des Begehrens, die Gesamtentschädigung mit weiteren 7.226,35 EUR festzusetzen und die Antragsgegnerin zur Zahlung dieses Betrags zu verurteilen, sowie im Kostenpunkt werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und es wird dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung aufgetragen.

2.3. Die Antragsgegnerin hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen. Die Kosten des Revisionsrekurses des Antragstellers sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist die Festsetzung einer Enteignungsentschädigung für die zwangsweise Einräumung der Dienstbarkeit der Duldung, der Errichtung, des Bestands und des Betriebs einer 110 kV-Leitungsanlage zugunsten der Antragsgegnerin auf dem mit Wald bestandenen Grundstück des Antragstellers samt den damit für diesen verbundenen Einschränkungen der Nutzung seines Grundstücks.

[2] Außer Streit ste ht , dass in Bezug auf die Positionen Wertminderung (Außerbewirtschaftung), Wertminderung (Weiterbewirtschaftung), Überspannung, Hiebsunreife, Randschäden, Wirtschaftserschwernis und Bringungserschwernis (pauschal) ein Gesamtentschädigungsbetrag von 35.000 EUR inklusive USt angemessen ist.

[3] Strittig sind nur noch die Positionen Risikoerhöhung Kalamität von 8.372,17 EUR und allgemeine Wertminderung in Höhe von 14.452,70 EUR.

[4] Das Erstgericht traf zu diesen Positionen umfangreiche Feststellungen und setzte den Entschädigungsbetrag mit den außer Streit gestellten 35.000 EUR (inklusive USt) fest. Die beiden noch streitverfangenen Positionen seien nicht ersatzfähig.

[5] Das nur vom Antragsteller angerufene Rekursgericht änderte den erstgerichtlichen Beschluss dahingehend ab, dass es den Entschädigungsbetrag mit 43.372,17 EUR festsetzte, die Antragsgegnerin zur Zahlung dieses Betrags verurteilte und das Mehrbegehren von 14.452,70 EUR abwies. Es sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig.

[6] Zur Position Risikoerhöhung Kalamität führte das Rekursgericht aus, der Antragsteller habe aufgrund der Servitut die Entfernung der die Arbeiten zur Errichtung einer Leitungsanlage und deren sicheren Bestand hindernden oder gefährdenden Bäume, Sträucher und Äste zu dulden. D urch den Bau der Trasse entstünden zwei zusätzliche Bestandsränder, die wesentlich anfälliger gegenüber Wind-, Schnee- und Käferkalamitäten s eien , als das ohne Bauereignis im ungestörten Bestand der Fall wäre. Dass sogenannte Randschäden zu entschädigen seien, werde von der Antragsgegnerin nicht in Abrede gestellt. Ein qualitativer Unterschied zwischen den nach Ansicht der Antragsgegnerin zu berücksichtigenden Schäden durch Zuwachsverluste, eine mögliche Bodenverschlechterung (Aushagerung) und eine Änderung der Sortimentsverteilung und nach dem festgestellten Sachverhalt ebenfalls zu erwartenden mechanische Schäden vor allem durch Sturmereignisse und Schneekatastrophen sowie einen höheren Käferbefall sei nicht zu erkennen. Durchschnitte die Trasse der Leitungsanlage das Waldgrundstück des Antragstellers nicht, sondern führte sie entlang der Grundgrenze des Waldgrundstücks, wäre der Antragsteller nicht von den vom Erstgericht festgestellten Errichtungs- bzw Herstellungs- und Pflegekosten für zusätzliche Waldränder betroffen, die durch die projektmäßige Öffnung seines Waldgrundstücks entst ünden . Die Position „Risikoerhöhung Kalamität“ von 7.409 EUR netto bzw (zuzüglich 13 % USt: 963,17 EUR) 8.372,17 EUR brutto sei daher zu entschädigen.

[7] Zur Position allgemeine Wertminderung führte das Rekursgericht aus, d a s zur Position Risikoerhöhung Kalamität Gesagte gelte allerdings nicht für die begehrte „Wertminderung“ der von der zwangsweise eingeräumten Servitut nicht betroffenen Restliegenschaft bzw eines Teils davon. Würde die weithin sichtbare Freileitung nicht am Grundstück des Antragstellers, sondern unmittelbar an der Grundgrenze errichtet, wäre die vom Erstgericht festgestellte mit der Errichtung und dem Betrieb einer Freileitung für den Eigentümer der an den eigentlichen Schutzstreifen angrenzenden Liegenschaft verbundene Wertminderung entschädigungslos hinzunehmen. Bezüglich der im Rekurs beanspruchten Position allgemeine Wertminderung fehle es daher an der Kausalität der Enteignung für den behaupteten Schaden.

[8] Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil die Judikatur zur Entschädigung von Projektschäden im Zusammenhang mit der zwangsweisen Begründung von Servituten nicht völlig einheitlich sei . Auch sei die Abgrenzung zu dem in § 14 Abs 6 ForstG vorgesehenen Anspruch auf Entschädigung der durch den Verlust des Deckungsschutzes verursachten vermögensrechtlichen Nachteile gegenüber dem Leitungsberechtigten noch nicht durch höchstgerichtliche Judikatur geklärt.

[9] Die Antragsgegnerin strebt mit ihrem Revisionsrekurs die Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichts an.

[10] Der Antragsteller begehrt mit seinem Revisionsrekurs die Erhöhung des Entschädigungsbetrags um 14.452,70 EUR auf 57.824,87 EUR; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

[11] In den Revisionsrekursbeantwortungen verweisen beide Parteien auf die Unzulässigkeit des jeweils gegnerischen Revisionsrekurses mangels erheblicher Rechtsfrage. Die Antragsgegnerin be antragt, dem Revisionsrekurs des Antragstellers nicht Folge zu geben. Der Antragsteller beantragt, den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

[13] Der Revisionsrekurs des Antragstellers ist zulässig und teilweise im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

[14] 1. Zum Revisionsrekurs der Antragsgegnerin

[15] 1.1. Sämtliche Normen, die die Rechtsmittelwerberin als abgrenzungsbedürftig gegenüber dem hier gegenständlichen Anspruch auf Enteignungsentschädigung nach § 19 OÖ StarkstromwegeG 1970 iVm §§ 4 ff EisbEG ansieht, sind nicht einschlägig:

[16] 1.1.1. § 14 Abs 6 ForstG ist nicht einschlägig, weil sich die Norm mit dem Schadenersatzanspruch des Eigentümers des nachbarlichen Waldes befasst. Um nachbarliche Ausgleichsansprüche geht es im vorliegenden Fall nicht.

[17] 1.1.2. Gleiches gilt auch für § 364a ABGB, der nachbarliche Ansprüche regelt.

[18] 1.1.3. § 17 StarkstromwegegrundsatzG (BGBl 1968/71) ist nicht einschlägig, weil dort der zur Vornahme von Vorarbeiten Berechtigte (§ 5) sowie der zum Bau und Betrieb einer elektrischen Leitungsanlage Berechtigte (§§ 7 und 9) als ersatzpflichtig genannt werden. Im vorliegenden Fall geht es nicht um Vorarbeiten iSv § 5 leg cit ( eine vorübergehende Inanspruchnahme fremden Gutes zur Vornahme von Vorarbeiten für die Errichtung einer elektrischen Leitungsanlage). § 7 leg cit sieht (hier nicht vorliegende) befristete (§ 8 leg cit) Bau- und Betriebsbewilligungen vor. § 9 leg cit regelt die bescheidmäßige Einräumung von Leitungsrechten an Grundstücken, sofern nicht – wie hier – zur Sicherung des dauernden Bestands derselben an einem bestimmten Ort die Enteignung (§ 10) erforderlich ist. Nach § 11 Abs 1 lit a leg cit kann die Enteignung – wie hier – die Bestellung von Dienstbarkeiten an unbeweglichen Sachen umfassen.

[19] 1.2. Die Rechtsmittelwerberin meint, beim rekursgerichtlichen Zuspruch für die Position Risikofaktor Kalamität handle es sich um einen nicht ersatzfähigen Projektschaden.

[20] 1.2.1. Projektschäden/Unternehmensschäden sind solche Schäden, die durch den Bau oder Betrieb der auf der enteigneten Fläche errichteten Anlage, wie etwa einer Bundesstraße entstehen. Darunter fällt vor allem bei Teilenteignung die Wertminderung des Restgrundstücks durch vermehrte Lärm-, Geruchs- und Staubimmissionen und Verschlechterung oder Entzug der Zufahrtsmöglichkeit, Sichtbehinderung usw (7 Ob 39/13f mwN = JBl 2014, 523 [abl Schlager ] = SV 2014, 129 [abl Kerschner ] = ZRB 2014, 67 [krit Seeber-Grimm/Seeber ]). Nach dem die Rechtsprechung aufarbeitenden Referat dieser Entscheidung verneint die weitaus überwiegende Rechtsprechung die Einbeziehung von Projektschäden in die Berechnung der Entschädigung (ErwGr 3.2).

[21] Sodann führt die Entscheidung zu den auch hier in Rede stehenden Beeinträchtigungen Folgendes aus (ErwGr 3.5):

„Nicht zu berücksichtigen sind daher mittelbare Enteignungsfolgen, wie etwa Immissionsschäden durch Bau, künftigen Bestand und Betrieb der Anlage. Da der Enteignete durch die Entschädigung Ausgleich für das gebrachte Sonderopfer der Eigentumsentziehung erhält, ist er bezüglich der weiteren Folgen nicht anders zu behandeln als seine Umwelt. Unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung von Enteigneten und nicht enteigneten Nachbarn soll der Enteignete, dessen Sonderopfer ausgeglichen ist, nicht etwas (Schäden aus Projekterrichtung und Betrieb) ersetzt bekommen, was alle nicht enteigneten Nachbarn ersatzlos hinzunehmen haben. Bestehen hingegen selbständige Ansprüche wegen Immissionen, so ist der Enteignete gehalten, gleich wie der nicht enteignete Nachbar diese auf dem dafür vorgesehenen Weg durchzusetzen. Der Umstand, dass die Enteignung für die Verwirklichung des Projekts notwendig ist, kann nicht dazu führen, dass der Enteignete, der dafür ohnedies Ersatz über die Eigentumsentschädigung erhält, günstiger gestellt wird, weil er im Enteignungsentschädigungsverfahren Ersatz für etwas erhält, wofür der nicht enteignete Nachbar entweder keinen oder einen erst auf anderem Weg durchsetzbaren Ersatz geltend machen kann.“

[22] Mit den „selbständigen Ansprüchen aus Immissionen“ können im Zusammenhang mit einer Enteignung nicht Unterlassungsansprüche nach § 364 Abs 2 ABGB, sondern nur Schadenersatzansprüche nach § 364a ABGB gemeint sein. Mit dem „auf anderem Weg durchsetzbaren Ersatz“ wird offenbar auf den Umstand hingewiesen, dass Ansprüche nach § 364a ABGB im streitigen Verfahren durchzusetzen sind, wohingegen das Enteignungsverfahren nach dem (dort wie da) anzuwendenden Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetz im Außerstreitverfahren durchzuführen ist (§ 24 Abs 1 EisbEG).

[23] 1.2.2. Nach neuerlicher Prüfung der Rechtslage können die zitierten Ausführungen der Entscheidung 7 Ob 39/13f nur teilweise aufrecht erhalten werden:

[24] 1.2.2.1. Zutreffend ist, dass aus dem Grund der Gleichbehandlung der Enteignete betreffend die genannten Immissionen materiell-rechtlich nicht anders behandelt werden kann als die nicht von der Enteignung betroffenen Nachbarn. Müssen daher die (nicht enteigneten) Nachbarn die von dem für die Enteignung kausalen Projekt ausgehenden Immissionen entschädigungslos dulden (weil sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß nicht überschreiten oder die ortsübliche Benutzung des Grundstücks nicht wesentlich beeinträchtigen, vgl § 364 Abs 2 ABGB), kann auch dem Enteigneten insoweit keine Entschädigung zustehen.

[25] 1.2.2.2. Soweit aber die Immissionen das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen, haben nach den einschlägigen Bestimmungen (nur) die Nachbarn des Grundstücks, von dem die Immissionen ausgehen, entweder den Unterlassungsanspruch nach § 364 Abs 2 ABGB oder – im Fall einer behördlich genehmigten Anlage – den Schadenersatzanspruch nach § 364a ABGB. Beide Ansprüche sind im streitigen Verfahren durchzusetzen.

[26] 1.2.2.3. Auch bei einer behördlich genehmigten Starkstromleitung – wie hier – handelt es sich um eine behördlich genehmigte Anlage nach § 364a ABGB (vgl 2 Ob 545/89), weshalb für Nachbarn Ansprüche nach dieser Gesetzesbestimmung denkbar sind.

[27] 1.2.2.4. Wie schon unter 1.1.2. ausgeführt, regelt § 364a ABGB Ansprüche der Nachbarn und ist deshalb nicht einschlägig, weil hier nicht Ansprüche der Nachbarn, sondern solche des durch Einräumung einer Zwangsservitut teilenteigneten Grundeigentümers selbst zu beurteilen sind.

[28] 1.2.2.5. Entgegen den oben wiedergegebenen Ausführungen der Entscheidung 7 Ob 38/13f sieht die Rechtsordnung somit für den Enteigneten Ansprüche nach § 364a ABGB nicht vor. Die von der zitierten Entscheidung zutreffend hervorgehobene Notwendigkeit der Gleichbehandlung von Enteignetem und nicht enteignetem Nachbarn gebietet aber, auch dem Enteigneten Ersatzansprüche zuzubilligen, wenn der Nachbar unter sonst gleichen Voraussetzungen nach § 364a ABGB anspruchsberechtigt ist. Es stellt sich daher die Frage der analogen Anwendung des § 364a ABGB auf den Enteigneten selbst. Dafür bedürfte es einer planwidrigen Gesetzeslücke, die aber nicht vorhanden ist: Denn der hier anzuwendende § 4 Abs 1 EisbEG verpflichtet das Eisenbahnunternehmen, den Enteigneten für alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile gemäß § 365 ABGB schadlos zu halten. Unter solche vermögensrechtlichen Nachteile lassen sich aber zwanglos auch die (für Nachbarn) von § 364a ABGB erfassten Beeinträchtigungen subsumieren.

[29] Als Ergebnis ist somit festzuhalten, dass (entgegen der Entscheidung 7 Ob 39/13f) der Enteignete Schadenersatz für unter § 364a ABGB fallende zu duldende Immissionen im Rahmen des außerstreitigen Entschädigungsverfahrens geltend machen kann.

[30] Angesichts der weithin vergleichbaren Rechtsschutzgarantien im streitigen Zivilverfahren einerseits und im Außerstreitverfahren andererseits begegnet die unterschiedliche Verfahrensart, in der einerseits Nachbarn und andererseits der Enteignete selbst vergleichbare Ansprüche geltend zu machen haben, keinen Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz (vgl etwa VfSlg 10367/1984; VfGH G 52/95; zuletzt G 329/2018).

[31] Abgesehen von den dargelegten rechtlichen Argumenten spricht für dieses Ergebnis vor allem, dass es zweckmäßiger ist, wenn der Enteignete sämtliche aus der Enteignung resultierenden Ansprüche in einem einzigen Verfahren geltend machen kann.

[32] 1.2.2.6. Somit bleibt zu prüfen, ob die durch die Enteignung verursachten Beeinträchtigungen unter der Position „Risikoerhöhung Kalamität“ nach den Kriterien der § 364 Abs 2, § 364a ABGB ersatzfähig sind. Dies ist zu bejahen, weil die durch die Zwangsservitut verursachten festgestellten zu erwartenden Schäden sowohl das nach den örtlichen Verhältnissen (vor der Enteignung) gewöhnliche Maß übersteigen als auch die ortsübliche Benutzung der von der Trasse betroffenen (nicht enteigneten) Grundstücksstreifen wesentlich beeinträchtigen.

[33] Die Risikoerhöhung Kalamität ist somit ersatzfähig.

[34] 1.3. Die Gefahr, mit dem Ersatz der Position Risikoerhöhung Kalamität im Rahmen des Enteignungsverfahrens könnte es zu einer verbotenen Doppelentschädigung kommen, besteht nicht: Denn aus den Ausführungen unter 1.1. und 1.2. ergibt sich, dass die von der Rechtsmittelwerberin ins Treffen geführten Anspruchsgrundlagen (§ 364a ABGB, § 14 ForstG, § 17 Starkstromwegegrundsatzgesetz [vgl oben 1.1.1. bis 1.1.3.]) nicht einschlägig und daher auf Ansprüche des Enteigneten nicht anwendbar sind. Auch aus der von der Rechtsmittelwerberin zitierten Entscheidung 8 Ob 636/88 ist für ihren Rechtsstandpunkt nichts zu gewinnen, weil diese Entscheidung im Gegensatz zum vorliegenden Fall nachbarrechtliche Ansprüche betraf.

[35] 1.4. Entgegen der Ansicht der Rechtsmittelwerberin handelt es sich bei den Schäden unter der Position Risikoerhöhung Kalamität auch nicht um (derzeit noch nicht ersatzfähige) ungewisse künftige Nachteile im Sinn des § 9 Abs 1 EisbEG. Diese Bestimmung setzt voraus, dass ein zu leistender Kapitalsbetrag nicht vollständig ermittelt werden kann, weil der abzuschätzende Nachteil sich nicht von vornherein bestimmen lässt. Hier steht jedoch hinreichend und durchaus konkret fest, mit welchen nachteiligen Veränderungen an den an die Schneise angrenzenden Waldstreifen zu rechnen ist. Der Schaden lässt sich daher schon jetzt abschätzen und berechnen, weshalb er schon jetzt abzugelten ist.

[36] 2. Zum Revisionsrekurs des Antragstellers

[37] 2.1. Der Rechtsmittelwerber meint, aufgrund der Ausführungen des S achverständigen bestehe ein offener Einschätzungsspielraum zwischen 4 und 8 % der (von den Vorinstanzen als nicht ersatzfähig erachteten Position) Wertminderung, so mit im Umfang des Doppelten der vom Sachverständigen eingeschätzten Wertminderung von 6.395 EUR netto. Gemäß § 273 ZPO k önne das Gericht in dieser Bandbreite im Rahmen der Vorgaben durch den Sachverständigen auch das Doppelte des Werts zusprechen.

[38] Diesem Rechtsmittelvorbringen ist jedoch das eingangs wiedergegebene Parteienvorbringen in erster Instanz entgegenzuhalten. Danach sind nur noch die Positionen Risikoerhöhung Kalamität von 7.409 EUR zuzüglich USt und allgemeine Wertminderung in Höhe von 6.395 EUR strittig.

[39] Dies ist dahingehend zu verstehen, dass diese Positionen zwar dem Grunde nach, nicht aber der Höhe nach strittig sind, weil hinsichtlich der Höhe der angegebenen Beträge kein Bestreitungsvorbringen erstattet wurde.

[40] Das Rechtsmittelvorbringen vom allenfalls (nach § 273 ZPO auszumessenden) höheren (nämlich inklusive USt doppelten) Schaden betreffend Wertminderung verstößt somit gegen das Neuerungsverbot gemäß § 66 Abs 2 AußStrG und ist daher unbeachtlich. Im Umfang des (inklusive USt) halben Revisionsrekursinteresses des Antragstellers war daher die angefochtene Entscheidung zu bestätigen und das Entschädigungsbegehren abzuweisen.

[41] 2.2. Im Übrigen weist jedoch der Rechtsmittelwerber im Ergebnis zutreffend darauf hin, dass das Rekursgericht im angefochtenen Beschluss eine Tatsache zugrundelegt, die das Erstgericht nicht festgestellt hat: Das Rekursgericht ist nämlich offenbar von der nicht festgestellten Tatsache ausgegangen, dass die Wertminderung, die aufgrund der weithin sichtbaren Freileitung wegen der von potenziellen Käufern erwarteten Preisreduktion eintritt, im Sinne der „Parallelverschiebungstheorie“ auch dann bestünde, wenn die Freileitung nicht auf dem Grundstück des Antragstellers, sondern unmittelbar an der Grundgrenze errichtet worden wäre. Diesfalls bestünde in der Tat die Position allgemeine Wertminderung nicht zurecht, weil nach der Rechtsprechung Schäden des Eigentümers durch das Enteignungsprojekt, die auch dann eingetreten wären, wenn diesem nichts enteignet worden wäre, nicht zu ersetzen sind (RS0058497).

[42] Nun steht aber diese Annahme des Rekursgerichts nicht fest.

[43] 2.3. Im Übrigen sind die Feststellungen des Erstgerichts zur Position allgemeine Wertminderung nach Ansicht des Senats unklar und widersprüchlich und jedenfalls nicht ausreichend, um die strittige Ersatzfähigkeit dieser Position zu beurteilen:

[44] Der erste Absatz dieser Feststellungen stellt auf eine Wertminderung aufgrund der Käufererwartung wegen der weithin sichtbaren Freileitung ab und ermittelt diese Wertminderung anhand von prozentuellen Abschlägen des Werts der doppelten Schutzstreifenfläche. Unter der erwähnten, aber eben nicht feststehenden weiteren vom Rekursgericht gemachten Sachverhaltsannahme bestünde diese Position tatsächlich nicht zu Recht.

[45] Der zweite Absatz der diesbezüglichen Feststellungen beschäftigt sich jedoch nicht mit der Wertminderung wegen der Käufererwartung, sondern mit diversen negativen körperlichen Einwirkungen (genannt ua Eisabfall, Unterspülungen der Masten, Abriss der Leitungen etc), die von der Stromleitung auf den offenbar darunter (im Bereich der Trassenservitut) liegenden Waldbereich ausgehen. Diese – zweifellos wertmindernden – Umstände haben jedoch nicht (unmittelbar) etwas mit einer Wertminderung aufgrund der geänderten Käufererwartung zu tun. Sollten diese negativen körperlichen Einwirkungen die „allgemeine Wertminderung“ begründen, stellte sich überdies die Frage, ob diese zu erwartenden Schäden nicht schon mit der unstrittigen und rechtskräftig zuerkannten Entschädigungssumme von 35.000 EUR abgegolten sind.

[46] In Widerspruch zum zweiten Absatz der einschlägigen Feststellungen (der – wie erwähnt – offenbar Schäden auf der Servitutsfläche betrifft) sagt der dritte Absatz aus, die noch streitverfangene allgemeine Wertminderung betreffe das Risiko Kalamität abseits des projektierten Dienstbarkeitsstreifens . Sollten damit die Kalamitäten (Kalamität bedeutet laut Österreichischem Wörterbuch fachsprachlich „schwerer Hagel-, Sturm-, Insektenschaden“) auf den beiden an die Trassenservitut angrenzenden Grundstreifen gemeint sein, stellte sich die Frage, ob diese Wertminderung nicht schon unter der Position „Risikoerhöhung Kalamität“ abgegolten wäre.

[47] Zusammengefasst lässt sich aus den unklaren und widersprüchlichen Feststellungen des Erstgerichts zur Position „allgemeine Wertminderung“ die Ersatzfähigkeit dieser Position nicht beurteilen. Somit ist insoweit die Sache nicht spruchreif und in die erste Instanz aufzuheben. Das Erstgericht wird dazu klare, widerspruchsfreie und ausreichende Feststellungen treffen und danach neuerlich über diese Position absprechen müssen. Ob dazu eine Verfahrensergänzung nötig ist, bleibt der Beurteilung des Erstgerichts überlassen.

[48] 3. Kosten

[49] 3.1. Die Kostenentscheidung betreffend die Revisionsrekursbeantwortung des Antragstellers gründet sich auf § 44 EisbEG iVm § 41 ZPO.

[50] 3.2. Die Kostenentscheidung betreffend den Revisionsrekurs des Antragstellers und die Revisionsrekursbeantwortung der Antragsgegnerin gründet sich auf § 44 EisbEG. Da die Kosten des Revisionsrekurses nicht durch ein ungerechtfertigtes Einschreiten des Antragstellers hervorgerufen wurden, bedeutet dies, dass die Antragsgegnerin die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen hat. Dagegen bilden die dem Antragsteller im Revisionsrekursverfahren entstandenen Kosten weitere Verfahrenskosten, weil über deren Ersatz erst mit der Entscheidung ausgesprochen werden kann (vgl 7 Ob 39/13f).