JudikaturJustiz6Ob101/17x

6Ob101/17x – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. November 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* Baugesellschaft mbH, *, vertreten durch Dr. Hubert Köllensperger und Mag. Wolfgang Stockinger, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagten Partei O* GmbH, *, vertreten durch Dr. Günther Retter Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Mödling, wegen 209.757,40 EUR sA (Revisionsinteresse 26.925 EUR sA) infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Jänner 2017, GZ 5 R 161/16g 41, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 18. Juli 2016, GZ 33 Cg 25/14x 37, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, das das Urteil des Erstgerichts einschließlich der bereits in Rechtskraft erwachsenen Abweisung eines Teils des Klagebegehrens insgesamt zu lauten hat:

„1. Das Klagebegehren besteht mit 36.925,28 EUR zu Recht.

2. Die Gegenforderung besteht nicht zu Recht.

3. Die beklagte Partei ist daher schuldig, der klagenden Partei 36.925,28 EUR samt 9,08 % Zinsen p.a. seit 19. Februar 2014 binnen 14 Tagen zu zahlen.

4. Das Mehrbegehren von 172.832,12 EUR samt 9,08 % Zinsen p.a. seit 19. Februar 2014 wird abgewiesen.“

Die klagenden Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 15.539,80 EUR (davon 2.589,97 EUR) bestimmten Kosten des Verfahrens aller Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ausschließlich die Frage der Berechtigung der als Gegenforderung eingewandten Pönaleforderung der Beklagten, die die Vorinstanzen übereinstimmend mit 26.925 EUR als zu Recht bestehend erkannten.

Die Klägerin wurde von der Beklagten mit Generalunternehmerleistungen für einen Dachgeschoßausbau beauftragt. Im Werkvertrag vereinbarten die Parteien einen Gesamtpauschalpreis von 610.000 EUR netto, den Baubeginn mit 7. 3. 2012 und die Fertigstellung mit 30. 11. 2012 („Pönaletermin“). Die Klägerin verpflichtete sich im Werkvertrag, bei Nichteinhaltung des Fertigstellungstermins („Pönaletermins“), je Kalendertag der Überschreitung ein Pönale von 600 EUR netto begrenzt mit 5 % der Auftragssumme zu zahlen.

Die von der Beklagten beizustellenden Ausführungs- und Polierpläne lagen erst zwei Monate nach Baubeginn (7. 3. 2012) vor. Die wesentlichen Arbeiten der Klägerin waren im Februar/März 2013 abgeschlossen, wobei die Nichteinhaltung des Gesamtfertigstellungstermins (30. 11. 2012) vor allem auch daran lag, dass der Klägerin die Polierpläne mit mehr als zweimonatiger Verspätung zur Verfügung standen.

Die Beklagte rechnete prozessual gegen die mit Klage geltend gemachte Werklohnforderung von 209.757,40 EUR sA mit einer Pönaleforderung von 30.500 EUR wegen der Überschreitung des Fertig-stellungstermins (30. 11. 2012) um mehr als sechs Monate auf. Die Ausführungs- und Polierpläne seien zwar mit cirka zweimonatiger Verspätung übergeben worden. Das habe aber keinen Einfluss auf den Baubeginn (7. 3. 2012) und den Bauablauf gehabt. Die Klägerin habe nämlich auch ohne Pläne fristgerecht mit den Abbrucharbeiten im Dachgeschoß beginnen können. Der Verzug sei ausschließlich auf Nachlässigkeiten der Klägerin zurückzuführen, die erst drei bis vier Monate nach dem 30. 11. 2012 das Kartensystem für den Lift und diverses Material für die Terrassen bestellt habe.

Die Klägerin erwiderte der Aufrechnungseinwendung, nach der vertraglichen Vereinbarung hätten die von der Beklagten beizustellenden Ausführungs- und Polierpläne mit Baubeginn 7. 3. 2012 vorliegen müssen. Die Ausführungs-/Polierpläne für das Dachgeschoß seien am 22. 5. 2012 und jene für das Galeriegeschoß am 30. 5. 2012 geliefert worden. Die Höhenangaben in den Polierplänen seien erforderlich gewesen, weil diese insbesondere für die tragenden Mauern von Bedeutung gewesen seien. Wegen der fehlenden Pläne sei der Bauzeitplan „über den Haufen“ geworfen worden.

Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung mit 36.925,28 EUR und die Gegenforderung mit 26.925 EUR als zu Recht bestehend und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von 10.000,28 EUR sA. Das Mehrbegehren wies es ab. Es traf unter anderem die eingangs wiedergegebenen Feststellungen. Zur Gegenforderung führte es in seiner rechtlichen Beurteilung aus, im Werkvertrag hätten die Parteien vereinbart, eine Übernahme durch die Beklagte erfolge bei mangelfreier Herstellung, wenn um die erforderliche baubehördliche Benützungsbewilligung angesucht und alle hiezu erforderlichen Unterlagen der Behörde durch die Klägerin vorgelegt worden seien. Aufgrund von Planabweichungen liege eine positive Fertigstellungsmeldung noch nicht vor. Die Klägerin sei verpflichtet gewesen, die erforderlichen Atteste und Befunde beizubringen. Ein Kaminbefund bzw Kamingutachten sei im April 2013 noch nicht vorgelegen, sodass nicht alle erforderlichen Unterlagen der Baubehörde hätten übergeben werden können. Gehe man davon aus, dass die Polierpläne zwei Monate zu spät vorgelegen seien, hätte sich das Bauzeitende vom 30. 11. 2012 auf etwa 31. 1. 2013 verschoben. Das Kamingutachten wäre für die Erlangung einer positiven Fertigstellungsmeldung erforderlich gewesen. Die vertragliche Pönalebestimmung gelange daher zur Anwendung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin, die die Abweisung des Klagebegehrens im Umfang von 136.170,27 EUR und auch die Festellung der Gegenforderung bekämpfte, nicht Folge. Die Beklagte habe zugestanden, dass die Ausführungs- und Polierpläne mit cirka zweimonatiger Verspätung übergeben worden seien. Trotz der Behauptung der Beklagten, die verspätete Übergabe habe keinen Einfluss auf den Baubeginn und den Bauablauf gehabt, habe die Klägerin kein konkretes Vorbringen erstattet, welchen konkreten Arbeitsablauf der Bauzeitplan ursprünglich vorgesehen habe und welche Verzögerungen welcher Gewerke durch das Fehlen der Polierpläne eingetreten seien. Aus ihrem Vorbringen lasse sich keine konkret fassbare Verzögerung im Sinn eines „über den Haufen Werfens“ eines bestimmten Zeitplans ableiten. Dass ein Ausführungsplan am für den Baubeginn vorgesehenen Tag nicht vorliege, müsse nämlich, zB wenn Abbrucharbeiten oder andere Vorbereitungsarbeiten heranstehen, noch nicht per se zu einer Verzögerung führen. Die Klägerin habe auch nicht dargelegt, dass die festgestellte Verzögerung hinsichtlich der Übermittlung des Kaminbefundes an die Beklagte in einem Kausalzusammenhang mit der verspäteten Vorlage von Ausführungsplänen stehe.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision unzulässig ist, weil keine Rechtsfrage von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Beklagten nach Freistellung durch den Obersten Gerichtshof beantwortete außerordentliche Revision der Klägerin ist zulässig; sie ist auch berechtigt.

Die Klägerin strebt mit ihrer Revision den Zuspruch von weiteren 26.925 EUR sA an, weil das Berufungsgericht unzutreffend das Zurechtbestehen der Gegenforderung bejaht habe. Das Berufungsgericht setze sich über die unbekämpfte (im Rahmen der rechtlichen Beurteilung getroffene) Feststellung des Erstgerichts hinweg, wonach die Nichteinhaltung des Gesamtfertigstellungstermins vor allem daran gelegen sei, dass der Klägerin die Polierpläne mit mehr als zweimonatiger Verspätung zur Verfügung gestanden seien. Daher sei der Zeitplan „über den Haufen geworfen“ worden, sodass es keine verbindliche Pönalevereinbarung mehr gebe.

Hierzu wurde erwogen:

1.1.1. Der Oberste Gerichtshof beantwortete in der Entscheidung 1 Ob 58/98f (= SZ 72/26; RIS Justiz RS0111948) die Frage, welches Schicksal der für den Fall der Nichteinhaltung des Terminplans durch den Werkunternehmer versprochenen Vertragsstrafe (§ 1336 ABGB) beschieden ist, wenn der Zeitplan infolge Änderung des Leistungsprogramms oder gar wegen Behinderung des Werkunternehmers zufolge Missachtung von Mitwirkungspflichten durch den Werkbesteller von Ersterem nicht eingehalten werden kann. Danach sind unter Bedachtnahme auf die werkvertragliche Risikoverteilung bei pönalisiertem Verzug mangels abweichender Vereinbarung je nach dem zeitlichen Ausmaß der Verzögerung folgende Fallkonstellationen zu unterscheiden:

a) Überschaubare kurzfristige Verzögerungen, die der Sphäre des Werkbestellers zuzurechnen sind, gleichviel ob sie von ihm angeordneten Leistungsänderungen oder der zögerlichen Erfüllung von dessen Mitwirkungspflichten entspringen, verlängern die vertraglich festgelegten Fertigstellungsfristen entsprechend; die Vertragsstrafe sichert dann die Einhaltung der so modifizierten (verlängerten) Ausführungsfristen.

b) Überschreiten indes die aus der Sphäre des Werkbestellers herrührenden Verzögerungen das in erster Linie am Umfang der zu erbringenden Werkleistungen und an die wirtschaftliche Leistungskraft des Werkunternehmens abzulesende zeitliche Maß des Üblichen, auf das sich jeder Werkunternehmer einzustellen hat, wird also der Zeitplan „über den Haufen geworfen“, dann gibt es keine verbindliche Fertigstellungsfrist mehr und die Strafabrede geht ins Leere, selbst wenn der Werkunternehmer zur Leistung in angemessener Frist verhalten bleibt und insofern auch in Verzug geraten kann.

1.1.2. In der Fallkonstellation b) kann der Werkbesteller nur einen bei ihm tatsächlich eingetretenen Verzögerungsschaden mit Klage oder durch Aufrechnung gegen die eingeklagte Forderung geltend machen (1 Ob 58/98f; 8 Ob 156/06h).

1.2. Eine abweichende Vereinbarung wurde von keiner der Parteien behauptet.

1.3.1. In der Entscheidung 8 Ob 156/06h billigte der Oberste Gerichtshof die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass aus der Sphäre des Werkbestellers herrührende Verzögerungen von einem Monat keine überschaubaren kurzfristigen Verzögerungen im Sinn der Entscheidung 1 Ob 58/98f sind, sondern vielmehr den Bauzeitplan „über den Haufen“ warfen. Dem lag die Feststellung zugrunde, dass es gegenüber dem ursprünglichen Bauzeitplan ausschließlich wegen Umständen, die aus der Sphäre des beklagten Werkbestellers herrührten (verspätete Lieferung von Ausführungsplänen, fehlerhafte Statikerpläne) zu einer Verzögerung von einem Monat kam.

1.3.2. In der Senatsentscheidung 6 Ob 95/08a wurde in der Auffassung des Berufungsgerichts, bei aus der Sphäre des Werkbestellers herrührenden Verzögerungen von bis zu zwei Monaten seien die neuerlichen Fertigstellungstermine nicht mehr durch eine Pönalevereinbarung abgesichert, keine im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung erblickt.

2.1. Das Erstgericht stellte disloziert in seiner rechtlichen Beurteilung fest, dass die Nichteinhaltung des Gesamtfertigstellungstermins (30. 11. 2012) vor allem auch daran lag, dass der Klägerin die Polierpläne mit mehr als zweimonatiger Verspätung zur Verfügung standen. Damit steht fest, dass die Behauptung der Beklagten, die verspätete Übergabe der Pläne habe keinen Einfluss auf den Baubeginn (7. 3. 2012) und Bauablauf gehabt, nicht zutrifft. Die Feststellung des Erstgerichts war auch durch das Vorbringen der Klägerin gedeckt. Das Berufungsgericht hat diese Feststellung bei seiner rechtlichen Beurteilung nicht beachtet.

2.2. Die Beklagte hat die von der Klägerin behaupteten Daten der Lieferung der Ausführungs-/ Polierpläne nicht konkret bestritten, sondern eine Verzögerung von cirka zwei Monaten sogar zugestanden. Im Lichte der oben dargestellten Rechtsprechung ist – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – bei einer dem Beklagten zuzurechnenden mehr als zwei Monate verspäteten, für die Nichteinhaltung des Fertigstellungstermins auch kausale Planübergabe unter Bedachtnahme auf die vereinbarte Bauzeit von knapp weniger als neun Monaten von einer das zeitliche Maß des Üblichen überschreitenden Verzögerungen auszugehen: Der Zeitplan wurde also durch die verspätete Übergabe der Pläne „über den Haufen geworfen“. Dieser Beurteilung steht – entgegen der Ansicht der Beklagten – die Feststellung des Erstgerichts, dass die Nichteinhaltung des Gesamtfertigstellungstermins „vor allem auch “ an der verspäteten Planübergabe lag, nicht entgegen. Auch aufgrund dieser Feststellung steht fest, dass infolge der Missachtung der Mitwirkungspflicht durch die Beklagte die Klägerin den Fertigstellungstermin nicht einhalten konnte.

2.3. Da es in diesem Fall keinen verbindlichen Fertigstellungstermin mehr gibt und die Pönalevereinbarung ins Leere geht, fehlt der Gegenforderung der Beklagten die geltend gemachte rechtliche Grundlage. Einen tatsächlich bei der Beklagten eingetretenen Verzögerungsschaden haben die Vorinstanzen nicht festgestellt.

3.1. Die Kostenentscheidung beruht in Bezug auf das Verfahren erster Instanz und auf das Berufungsverfahren auf §§ 43 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO und in Bezug auf das Revisionsverfahren auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

3.2. Die Erfolgsquote der Beklagten beträgt im Verfahren erster Instanz rund 82 % und im Berufungsverfahren rund 80 %. Die Beklagte hat daher Anspruch auf 64 % ihrer Kosten des Verfahrens erster Instanz (das sind 18.140,53 EUR [darin 3.023,42 EUR USt]) und von 60 % ihrer Kosten des Berufungsverfahrens (das sind 2.055,31 EUR [darin 342,55 EUR USt]); der Kostenersatzanspruch beläuft sich somit auf insgesamt 20.195,84 EUR (darin 3.365,97 EUR USt).

3.3. Entsprechend ihrer Erfolgsquoten im Verfahren erster Instanz und im Berufungsverfahren hat die Klägerin Anspruch auf Ersatz von 18 % der Pauschalgebühr erster Instanz und von 20 % der Pauschalgebühr zweiter Instanz (das sind 750,60 EUR + 817,60 EUR = 1.568,20 EUR). Der Ersatzanspruch im Revisionsverfahren beträgt 3.087,84 EUR (davon 287,64 EUR USt und 1.362 EUR Barauslagen). Insgesamt hat die Beklagte der Klägerin Kosten von 4.656,04 EUR (darin 287,64 EUR USt und 2.930,20 EUR Barauslagen) zu ersetzen.

3.4. Die Saldierung der gegenseitigen Kostenersatzansprüche ergibt einen Kostenersatzanspruch der Beklagten von 15.539,80 EUR (davon 2.589,97 EUR USt).