JudikaturJustiz5Ob535/90

5Ob535/90 – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. März 1990

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik, Dr. Zehetner, Dr. Klinger und Dr. Schwarz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elisabeth H***, Grafikerin, Wien 1, Griechengasse 7, vertreten durch Dr. Hans Nemetz und Dr. Hans-Christian Nemetz, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Manfred K***, Inhaber des Werbestudios "PR und Promotion", Stockerau, Schaumanngasse 70, vertreten durch Dr. Peter Hoffmann-Ostenhof, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 75.600,-- s.A., infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Handelsgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 5.Dezember 1989, GZ 1 R 274/89-12, womit das Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 2.Juni 1989, 10 C 2439/88d-6, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Zahlung von sieben in keinem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehenden Forderungsbeträgen von zusammen S 75.600,-- für erbrachte Grafikleistungen, darunter zwei Honorarbeträge von S 18.000,-- und S 24.000,--, die anderen alle unter S 15.000,--.

Zu der vom Bezirksgericht für Handelssachen Wien für den 2.6.1989 angeordneten ersten Tagsatzung erschien der Beklagte trotz am 14.4.1989 selbst übernommener Ladung nicht. Es erschien seine Ehefrau. Diese wurde vom Richter belehrt, daß nach § 29 Abs 1 ZPO (in der damals geltenden Fassung) nur der Beklagte persönlich oder ein Rechtsanwalt einschreiten könne, weil relativer Anwaltszwang bestehe. Die erschienene Ehegattin des Beklagten nahm dies zur Kenntnis. Sie wurde über die Anfechtungsmöglichkeit des über Antrag der Klägerin ergehenden Versäumungsurteiles laut dann zukommender Rechtsbelehrung sowie über Möglichkeit der Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages belehrt. Daraufhin entfernte sie sich ohne Antragstellung. Über die Möglichkeit einer einstweiligen Zulassung wurde nicht gesprochen (Bericht des Erstgerichtes über die erste Tagsatzung, ON 11).

Über Berufung des Beklagten hob das Gericht zweiter Instanz das Versäumungsurteil vom 2.6.1989 und die erste Tagsatzung vom selben Tag als nichtig auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, daß das Verfahren hinsichtlich der Ansprüche von S 18.000,-- und S 24.000,-- erst nach Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses fortzusetzen sei.

Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsansicht, daß auch für die Streitwertberechnung im Sinne des § 29 Abs 1 ZPO eine Zusammenrechnung nur unter den in § 55 Abs 1 JN genannten Voraussetzungen zu erfolgen habe. Es bestehe daher nicht - wie das Erstgericht unrichtig angenommen habe - relative Anwaltspflicht, so daß die Ehegattin des Beklagten bei der ersten Tagsatzung gemäß § 38 ZPO als Bevollmächtigte des Beklagten einstweilen zuzulassen gewesen wäre. Da das Erstgericht dies unterließ, habe es in gesetzwidriger Weise dem Beklagten die Möglichkeit genommen, vor Gericht zu verhandeln (§ 477 Abs 1 Z 4 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Klägerin ist nicht berechtigt.

Soweit eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht zwingend vorgeschrieben ist (§ 27 Abs 1 ZPO), kann gemäß § 29 Abs 1 ZPO jede eigenberechtigte Person zum Bevollmächtigten bestellt werden, jedoch sind in Ehesachen und in Sachen, deren Streitwert an Geld oder Geldeswert S 30.000,-- übersteigt, an Orten, an denen wenigstens zwei Rechtsanwälte ihren Sitz haben, nur Rechtsanwälte als Bevollmächtigte zuzulassen (relative Anwaltspflicht). Unter Streitwert ist dann, wenn der Streitgegenstand, das heißt hier die eingeklagte Forderung, in einem Geldbetrag besteht, dieser zu verstehen (siehe Fasching, Lehrbuch2 Rz 259 ff). Die Bestimmungen der Jurisdiktionsnorm über den Streitwert, die im Zusammenhang mit dem Zuständigkeitskatalog getroffen werden, gehen davon aus, daß es auf den jeweils eingeklagten Einzelanspruch ankommt. Dies folgt daraus, daß im § 55 Abs 1 JN die Zusammenrechnung mehrerer in einer Klage geltend gemachter Ansprüche nur unter den dort genannten Voraussetzungen zu erfolgen hat, nicht aber in allen anderen Fällen, in denen auch die Geltendmachung mehrerer Ansprüche in einer Klage zulässig ist (siehe § 227 ZPO). Die in § 55 Abs 4 JN (damalige Fassung; jetzt § 55 Abs 5 JN) vorgesehene Maßgeblichkeit der Zusammenrechnungsvorschriften auch für die Besetzung des Gerichtes, die Zulässigkeit von Rechtsmitteln und die Berufungsgründe bedeutet nichts anderes, als daß im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen für die Zusammenrechnung nach § 55 Abs 1 JN der so ermittelte Streitwert (= Summe der Einzelansprüche) auch für die dort genannten Bereiche maßgebend ist. Es kann in dieser Rechtssache dahingestellt bleiben, ob im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen für die Zusammenrechnung der so ermittelte Streitwert auch für die Beurteilung des relativen Anwaltszwanges nach § 29 Abs 1 JN maßgebend wäre. In der hier zu beurteilenden Rechtssache ist nämlich mangels Vorliegens der in § 55 JN normierten Voraussetzungen überhaupt nicht zusammenzurechnen. Es bleibt daher - und zwar auch für den Bereich der relativen Anwaltspflicht - bei der allgemeinen Regel, daß unter Streitwert jeweils der auf den Einzelanspruch entfallende Geldbetrag oder Geldeswert maßgebend ist. Dies ist auch systemkonform, weil die Geltendmachung mehrerer nicht in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehenden Ansprüche in einer Klage nichts anderes bedeutet als die vom Kläger auf Grund der ihm erteilten gesetzlichen Ermächtigung vorgenommene Verbindung des Prozesses über diese mehreren einzelnen Ansprüche, wie sie bei getrennter Klageführung nach § 187 ZPO durch Gerichtsbeschluß erfolgen kann. Auch im letztgenannten Fall würde dies für den im Bereich der Jurisdiktionsnorm und der Zivilprozeßordnung gebrauchten Streitwertbegriff zu keiner Änderung führen. Das Gerichtsgebührengesetz und das Rechtstarifsgesetz hingegen sehen hiefür eigene Zusammenrechnungsvorschriften vor.

Die in der Lehre (Fasching, Lehrbuch2 Rz 442) vertretene Ansicht, mehrere Ansprüche seien bei Beurteilung der relativen Anwaltspflicht immer zusammenzurechnen, weil sich das aus der Nichterwähnung in § 55 Abs 4 JN und den gleichen Erwägungen wie für das Mahnverfahren ergäbe, folgt der Oberste Gerichtshof aus den vorhin dargestellten Gründen nicht.

Richtigerweise hätte daher das Erstgericht die Ehegattin des Beklagten, die für diesen bei der ersten Tagsatzung einschritt, nach § 38 ZPO vorläufig zulassen müssen. Da es dies - ausgehend von einer unrichtigen Rechtsansicht - unterließ, entzog es den Beklagten durch ungesetzlichen Vorgang die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln und verwirklichte dadurch den Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO. Daran ändert auch der in der Rekursbeantwortung vertretene Standpunkt der Klägerin nichts, die Ehegattin des Beklagten hätte nicht einmal andeutungsweise Erklärungen in Richtung einer Bestreitung des Klagevorbringens abgegeben, weil die erste Tagsatzung für ein Sachvorbringen gar nicht vorgesehen ist. Zu einer anderen Antragstellung, z.B. auf Anordnung einer mündlichen Streitverhandlung, wurde sie vom Gericht nicht zugelassen. Aus diesem Grund wurde auch nur ein Urteilsvermerk über das über Antrag der Klägerin erlassene Versäumungsurteil verfaßt, nicht aber ein Protokoll über die erste Tagsatzung. Der Ablauf der ersten Tagsatzung wurde erst durch den Bericht des Erstgerichtes (ON 11) aktenkundig gemacht. Durch diese öffentliche Urkunde ist - entgegen der in der Rekursbeantwortung vertretenen Rechtsansicht - der gemäß § 292 Abs 2 ZPO zulässige Gegenbeweis (Fasching, Lehrbuch2 Rz 633) gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit des ein Protokoll über die erste Tagsatzung ersetzenden Urteilsvermerkes ON 6 erbracht. Dem Rekurs war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet auf § 52 Abs 1 Satz 2 ZPO.