JudikaturJustiz5Ob30/13t

5Ob30/13t – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. November 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** W*****, vertreten durch Lenz Luger Rechtsanwälte OG in Dornbirn, gegen die beklagte Partei Verlassenschaft nach J***** U***** W*****, verstorben am 21. Februar 2013, zuletzt *****, vertreten durch Dr. Anton Tschann, Rechtsanwalt, 6700 Bludenz, Mühlgasse 2, als Verlassenschaftskurator (Bestellungsbeschluss vom 3. Mai 2013, GZ 7 A 34/13g 17 des Bezirksgerichts Montafon) wegen Unterhalt, infolge Rekurses der Klägerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 20. Dezember 2012, GZ 3 R 291/12k 37, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Montafon vom 19. September 2012, GZ 2 C 3/11y 33, aufgehoben wurde

1.) den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Die Parteibezeichnung der beklagten Partei wird von „Josef Ulrich W*****“, auf „Verlassenschaft nach Josef Ulrich W*****, verstorben am 21. Februar 2013, zuletzt *****, vertreten durch Dr. Anton Tschann, Rechtsanwalt in 6700 Bludenz, Mühlgasse 2, als Verlassenschaftskurator (Bestellungsbeschluss vom 3. Mai 2013, GZ 7 A 34/13g 17 des Bezirksgerichts Montafon) richtiggestellt.

2.) in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt :

Dem Rekurs der beklagten Partei wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und das Urteil des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.941,90 EUR bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 323,65 EUR USt) sowie die mit 1.387,88 EUR bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin 232,98 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die zwischen den Streitteilen im Jahr 1991 geschlossene Ehe wurde aufgrund einer Scheidungsklage der Klägerin mit Urteil des Bezirksgerichts Montafon vom 9. 6. 2008, 2 C 37/06s, gemäß § 50 EheG mit der Wirkung geschieden, dass sie mit Rechtskraft des Urteils aufgelöst wurde. Ein auf § 49 EheG gestütztes Widerklagsbegehren des Beklagten wurde abgewiesen. Ein Verschuldensausspruch findet sich im Scheidungsurteil nicht (bestätigt durch Urteil Landesgericht Feldkirch, 3 R 243/08w; außerordentliche Revision zurückgewiesen 6 Ob 7/09m).

Der vormalige Beklagte ist am 21. 2. 2013 also nach Fällung der Entscheidung des Berufungsgerichts verstorben. An seine Stelle ist nunmehr die Verlassenschaft getreten (§ 235 Abs 5 ZPO; Punkt 1 des Spruchs). Im Weiteren wird jedoch vom „Beklagten“ gesprochen.

Der Beklagte stand seit 2003 unter Sachwalterschaft und war seit dem 27. 7. 2009 in einem Pflegeheim in S***** untergebracht. Die Kosten dafür wurden zum Teil von ihm selbst nämlich 80 % seines Pensionseinkommens und Pflegegeld, soweit es über 10 % der Stufe 3 hinausgeht aufgebracht, im Übrigen nach dem Vorarlberger Mindestsicherungsgesetz (im Folgenden: VlbgMSG) getragen.

Die Klägerin ist Pensionistin und erhält seit 1. 2. 2011 laut Bescheid vom 30. 6. 2011 eine Alterspension in Höhe von 375,68 EUR sowie eine Ausgleichszulage von 417,72 EUR.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin vom Beklagten Billigkeitsunterhalt nach § 69 Abs 3 EheG beginnend mit 1. 1. 2010 in Höhe von zuletzt (ON 34) 377,10 EUR monatlich. Sie sei nicht in der Lage, sich selbst zu erhalten. Sie habe während der Ehe mit dem Beklagten in dessen Landwirtschaft gearbeitet sowie Vermietungen und Verpachtungen ausgeübt, ohne dass der Beklagte sie angemeldet hätte. Sie habe daher von Sozialhilfe in Höhe von 517 EUR gelebt und Mietzinsbeihilfe von 450 EUR bezogen. Seit ihrer Pensionierung beziehe sie unter Abzug eines Krankenversicherungsbeitrags eine Alterspension von nur 335,22 EUR sowie eine Ausgleichszulage, die ihr aber unterhaltsrechtlich nicht als Einkommen anzurechnen sei. Hingegen beziehe der Beklagte eine Pension von 2.058 EUR inkl. Sonderzahlungen und darüber hinaus 14 mal jährlich eine Invalidenrente von 143 EUR. Auch habe er Erlöse aus Liegenschaftsverkäufen erzielt, deren Verbleib zu klären sei. Nach Billigkeitsgrundsätzen sei der Beklagte zur Leistung von Unterhalt zu verpflichten.

Der Beklagte bestritt das Begehren und beantragte dessen Abweisung. Er benötige 80 % seines Pensionseinkommens, um die Pflegekosten zu bestreiten und sei überdies auf Pflegeleistungen von dritter Seite angewiesen. Er beziehe Mindestsicherung durch Übernahme der Unterkunfts und Verpflegungskosten im Pflegeheim gemäß § 5 Abs 3 und § 8 VlbgMSG LGBl Nr 64/2010 iVm § 1 Abs 3, § 5 Abs 1 und 4 sowie § 9 der Vlbg MindestsicherungsVO.

Darüber hinaus brachte der Beklagte vor, der Anspruch der Klägerin ihm gegenüber sei nachrangig gegenüber Ansprüchen gegen ihre sechs Kinder. Auch habe die Klägerin ihren Unterhaltsanspruch verwirkt, weil sie den Beklagten im Stich gelassen und sich scheiden habe lassen, als seine Pflegebedürftigkeit absehbar geworden sei. Auch habe sie einen großen Teil seines Vermögens verwirtschaftet.

Die Klägerin bestritt die Leistungsfähigkeit ihrer 6 Kinder aus einer früheren Ehe sowie, dass sie für den Vermögensverfall des Beklagten verantwortlich sei und ihn im Stich gelassen hätte.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es vertrat in rechtlicher Hinsicht die Auffassung, dass die sechs Kinder der Klägerin ihr gegenüber zwar vorrangig zum Unterhalt verpflichtet wären, die Klägerin jedoch ihre Ansprüche gegenüber ihren Kindern gemäß § 143 Abs 1 ABGB aF (vor dem KindNamRÄG 2013 BGBl I 2013/15) wegen gröblicher Vernachlässigung verwirkt habe. Gegenüber dem Beklagten sei ein Anspruch auf Billigkeitsunterhalt zu verneinen, weil sich die Klägerin sämtliche eigene Einkünfte, so auch die von ihr bezogene Ausgleichszulage anrechnen lassen müsse, sodass sie insgesamt ein Einkommen in Höhe des Existenzminimums von 712,50 EUR zur Verfügung habe.

Der dagegen von der Klägerin erhobenen Berufung gab das Gericht zweiter Instanz Folge, hob das angefochtene Urteil (mangels Anfechtung im Differenzbetrag) im Umfang eines Anspruchs von 377,10 EUR monatlich auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Eine Teilabweisung von monatlich 62,90 EUR ist in Rechtskraft erwachsen.

In rechtlicher Hinsicht teilte das Berufungsgericht die Rechtsansicht des Erstgerichts nicht, dass eine vom Unterhaltsberechtigten bezogene Ausgleichszulage als unterhaltsminderndes Einkommen des Unterhaltsberechtigten zu qualifizieren wäre.

Ansprüche der Klägerin iSd § 143 ABGB aF gegenüber ihren Kindern verneinte das Berufungsgericht infolge gröblicher Vernachlässigung der Unterhaltspflicht durch die Klägerin.

Der Klägerin stehe also gegen den Beklagten grundsätzlich vorbehaltlich seiner Bedürfnisse, Vermögens und Erwerbsverhältnisse Billigkeitsunterhalt nach § 69 Abs 3 EheG zu. Die Leistungsfähigkeit des Beklagten sei allerdings noch in mehreren Punkten aufklärungsbedürftig.

Das Berufungsgericht erklärte den Rekurs gegen seinen Aufhebungsbeschluss für zulässig, weil zur (vollen) Abzugsfähigkeit von Heimkosten und zur Behandlung des „Taschengeldes“ eines in einem Pflegeheim untergebrachten Unterhaltspflichtigen noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Beschlusses im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils.

Die Klägerin beantragte, dem Rekurs des Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Beklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Voraussetzungen des Anspruchs auf Billigkeitsunterhalt iSd § 69 Abs 3 EheG verkannte.

Der Rekurs ist auch im Sinn des Begehrens auf Wiederherstellung der erstinstanzlichen klageabweisenden Entscheidung berechtigt.

Enthält ein Scheidungsurteil aus einem der in den §§ 50 bis 52 EheG bezeichneten Gründen oder nach § 55 EheG keinen Schuldausspruch, so steht gemäß § 69 Abs 3 EheG ein Billigkeitsunterhalt nach denselben Kriterien wie nach § 68 EheG zu. Der Ehegatte, der die Scheidung verlangt und dessen Klage zur Scheidung der Ehe geführt hat (5 Ob 604/84 SZ 58/192), hat dem anderen Unterhalt nach Billigkeit zu gewähren, selbst aber keinen Unterhaltsanspruch. Schon nach dem Gesetzeswortlaut hat daher ein Ehegatte, der selbst auf Scheidung klagte, in einem solchen Fall grundsätzlich keinen Unterhaltsanspruch (1 Ob 190/06g Zak 2007/10, 13; 5 Ob 604/84 SZ 58/192; LGZ Wien 44 R 1012/80 EFSlg 36.443; Fischer Czermak , Zum Unterhalt nach Scheidung bei gleichem und ohne Verschulden, NZ 2001, 254 mit Hinweis auf Ferrari in Ferrari/Hopf , Eherechtsreform 41; Hopf/Kathrein , Eherecht² [2005] § 69 EheG Anm 14; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth , Ehe und Partnerschaftsrecht, § 69 EheG Rz 24 unter Hinweis auf EFSlg 36.443 ua). Wird eine Ehe über Klage und Widerklage ohne Schuldausspruch geschieden, können grundsätzlich beide Ehegatten Unterhalt nach Billigkeit verlangen (1 Ob 950/54 SZ 27/326; Gitschthaler aaO). Unterhaltsberechtigt ist in diesen Fällen jener Ehegatte, bei dem die Billigkeitsvoraussetzungen tatsächlich vorliegen (5 Ob 604/84 SZ 58/192; Gitschthaler aaO).

Im gegenständlichen Fall wurde die Widerklage des hier Beklagten abgewiesen.

Der Klägerin steht, weil über ihre Klage die Scheidung der Ehe gemäß § 50 EheG erfolgte, kein Billigkeitsunterhalt nach § 69 Abs 3 EheG, worauf sie ihr Begehren (ausdrücklich und ausschließlich) gründete, zu.

Der Rekurs des Beklagten erweist sich somit als berechtigt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.