JudikaturJustiz5Ob204/15h

5Ob204/15h – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. April 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Höllwerth, die Hofrätin Dr. Grohmann sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des C***** F*****, vertreten durch Dr. Karlheinz de Cillia, Mag. Michael Kalmann, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen Bestellung eines Sachwalters, über den Rekurs der betroffenen Person gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben vom 7. September 2015, GZ 2 R 204/15x 23, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Murau vom 26. Juni 2015, GZ 7 P 25/15s 15, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos behoben.

Das Verfahren wird gemäß § 122 Abs 1 AußStrG eingestellt.

Text

Begründung:

Zu 12 E 2/15d des Erstgerichts ist gegen den Betroffenen ein Räumungsverfahren anhängig. Im Zuge eines Räumungsversuchs verständigte der Gerichtsvollzieher das Erstgericht darüber, dass sich in den Räumlichkeiten zahllose Fahrnisse befänden. Allein in einem Zimmer würden sich 12 m 3 Sachen befinden; auch die Garage sei vollgeräumt. Jemand müsse für den Verpflichteten entscheiden, was weggeworfen gehöre und was nicht; es werde daher angeregt, einen Sachwalter für ihn zu bestellen. Außerdem seien Geld und Sparbücher aufgefunden worden.

Nach dem Gutachten des vom Erstgericht bestellten Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie zeigen sich beim Revisionsrekurswerber mäßige Einbußen im kognitiven Bereich in Form einer Verlangsamung, Konzentrationsschwäche, diskreter Merkfähigkeitsstörung und dysthymer Stimmungslage mit eingeschränkter affektiver Schwingungsfähigkeit. Er sei ausreichend orientiert, zeige keine Rechenschwäche und sei in der Lage, zu lesen und zu schreiben. Die aus psychiatrischer Sicht beschriebenen Einbußen seien vor allem im Zusammenhang mit dem Räumungsverfahren von klinischer Relevanz und führten zu einer entsprechenden Einschränkung der Diskretions und Dispositionsfähigkeit.

Das Erstgericht bestellte gemäß § 268 Abs 3 Z 2 ABGB einen Rechtsanwalt zum Sachwalter zur Vertretung des Betroffenen im Verfahren über die Räumungsexekution sowie zur Vertretung in Gerichtsverfahren, welche im Zusammenhang mit familiären Konflikten des Betroffenen stünden. Mit Bezug auf das Sachverständigengutachten führte es aus, dass der Betroffene demnach nicht in der Lage sei, die im Spruch genannten Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich zu besorgen.

Das vom Betroffenen angerufene Rekursgericht änderte den Beschluss des Erstgerichts hinsichtlich der vom Sachwalter zu besorgenden Angelegenheiten ab und sprach aus, dass diesem die Vertretung des Betroffenen im Verfahren über die Räumungsexekution und in einem ebenfalls beim Erstgericht anhängigen Verfahren über eine Fahrnis und Forderungsexekution zukomme. Die Bestellung eines Sachwalters setze neben einer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung voraus, dass überhaupt Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen seien. Ohne einen Sachwalter müsse der betroffenen Person ein Nachteil drohen, was hier im Zusammenhang mit der anhängigen Räumungsexekution der Fall sei. Nach dem Akteninhalt sei eine Vielzahl von Fahrnissen zu entsorgen, was der Betroffene mit der zur Konsequenz verweigere, dass vielfach offensichtlich wertlose Sachen auf dessen Kosten eingelagert werden müssten. Die dadurch drohende finanzielle Belastung sei zu seinem Wohl hintanzuhalten, weswegen ihm zur Vertretung ein Sachwalter zur Seite zu stellen sei. Die Fahrnis und Forderungsexekution sei zur Hereinbringung der Kosten des der Räumungsexekution zugrunde liegenden Verfahrens eingeleitet worden. Aufgrund des Zusammenhangs mit dem Räumungsexekutionsverfahren sei es sachgerecht, den Sachwalter auch mit der Vertretung des Betroffenen in diesem Exekutionsverfahren zu betrauen.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Betroffenen, mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben.

Der Sachwalter hat von der ihm durch den Obersten Gerichtshof eingeräumten Möglichkeit, eine Revisionsrekursbeantwortung zu erstatten (vgl dazu 6 Ob 157/15d), keinen Gebrauch gemacht.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Betroffenen ist zulässig und berechtigt.

1. Die Bestellung eines Sachwalters hat subsidiären Charakter und darf nur dann erfolgen, wenn der Betroffene nicht anders, nämlich durch die im § 268 Abs 2 ABGB erwähnten Möglichkeiten, in die Lage versetzt werden kann, seine Angelegenheiten im erforderlichen Ausmaß zu besorgen (RIS Justiz RS0049088; Hopf in KBB 4 § 268 Rz 4).

2. Die Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters für eine behinderte Person müssen konkret und begründet sein. Sie müssen sich sowohl auf die psychische Krankheit oder geistige Behinderung als auch auf die Schutzbedürftigkeit beziehen. Die Sachwalterbestellung setzt voraus, dass überhaupt Angelegenheiten zu besorgen sind (3 Ob 209/10x; 5 Ob 160/13k; Barth/Ganner , Handbuch des Sachwalterrechts 2 49). Eine psychische Erkrankung oder eine geistige Behinderung rechtfertigt für sich allein die Bestellung eines Sachwalters noch nicht, sondern nur dann, wenn der psychisch Kranke oder geistig Behinderte außer Stande ist, alle oder einzelne seiner Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen.

3. Ausgehend von diesen Grundsätzen macht der Revisionsrekurswerber zu Recht geltend, dass kein Grund für eine Sachwalterbestellung vorliegt:

3.1 Die in § 268 Abs 1 ABGB verwendeten Begriffe der psychischen Krankheit und der geistigen Behinderung sind Rechtsbegriffe, die nicht unbedingt mit medizinischen Definitionen übereinstimmen müssen. Sie umfassen jede geistige Störung, die die gehörige Besorgung der eigenen Angelegenheiten hindert (RIS Justiz RS0049003). Ob hier überhaupt eine psychische Krankheit beim Betroffenen in diesem Sinn vorliegt, ist nach den Feststellungen der Vorinstanzen keineswegs eindeutig. Danach leidet der Betroffene an mäßigen Einbußen im kognitiven Bereich, die im Zusammenhang mit dem anhängigen Räumungsverfahren zu einer entsprechenden Einschränkung der Diskretions und Dispositionsfähigkeit führen. Ob daraus schon eine solche psychische Erkrankung abgeleitet werden kann, mit der eine Beeinträchtigung der Fähigkeit zur selbstbestimmten Verhaltenssteuerung verbunden ist (3 Ob 55/13d), kann hier jedoch dahinstehen.

3.2 Das Rekursgericht rechtfertigte die Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung mit der drohenden finanziellen Belastung aus der möglichen Einlagerung von Fahrnissen, die zu übernehmen sich der Betroffene weigere.

3.3 Die Gefahr eines Nachteils für den Betroffenen selbst liegt vor, wenn ohne Sachwalterbestellung ein Schaden an Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre oder Vermögen des Behinderten droht. Dabei rechtfertigt nicht schon jeder Nachteil die Bestellung eines Sachwalters. Als Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte -Selbstbestimmung eines Menschen muss die Sachwalterbestellung immer verhältnismäßig sein. Dabei ist auch zu prüfen, ob Art, Umfang und/oder Schwere des hier in Betracht kommenden vermögensrechtlichen Nachteils die Bestellung eines Sachwalters rechtfertigt ( Weitzenböck in Schwimann , ABGB 4 § 268 Rz 14). Nicht jeder drohende (Prozess )Aufwand reicht schon für die Annahme eines relevanten Nachteils, dem durch eine Sachwalterbestellung begegnet werden soll, aus (6 Ob 195/98i).

3.4 Bei der

Räumungsexekution nach § 349 EO sind auf der Liegenschaft oder im Räumungsobjekt befindliche Sachen des Verpflichteten diesem zu übergeben oder aber zu verwahren. Wenn der Verpflichtete mit der Entfernung säumig ist, kommt es zum Verkaufsverfahren nach § 349 Abs 2 EO. Richtig ist daher, dass die bei der Räumung zu entfernenden beweglichen Gegenstände in Ermangelung einer zur Übernahme befugten (oder bereiten) Person zunächst auf Kosten des Verpflichteten zu verwahren sind (vgl 9 Ob 2169/96b; LGZ Wien MietSlg 61.775; MietSlg 65.823). Voraussetzung dafür ist, dass es sich um Fahrnisse handelt, die nicht wertlos sind. Zur Abklärung der Frage, ob die im zu räumenden Objekt befindlichen Sachen wertlos sind und damit entrümpelt werden können oder ob sie von Wert und daher einzulagern sind, kann, wenn es der die Räumung durchführende Gerichtsvollzieher für erforderlich hält, nach zweitinstanzlicher Judikatur ein Sachverständiger beigezogen und mit der Schätzung beauftragt werden (vgl LGZ Wien MietSlg 52.845; MietSlg 61.775). Die dafür notwendigen Kosten sind vom Verpflichteten dem betreibenden Gläubiger gemäß § 74 Abs 1 EO zu ersetzen. Auch ein zu diesem Zweck bestellter Sachwalter hätte zu entscheiden, ob die zu räumenden Sachen wertlos sind und daher entsorgt werden können oder ob sie (auf Kosten des Betroffenen) zu verwahren sind. Damit kann der Argumentation des Rekursgerichts nicht mehr gefolgt werden, die Sachwalterbestellung wäre erforderlich, um die mit der Einlagerung komplett wertloser Sachen verbundenen finanziellen Nachteile zu verhindern. Die mit der Beiziehung eines Sachverständigen zur Bewertung der Fahrnisse verbundenen Kosten stehen aber zur Bestellung eines Sachwalters ebenso außer Verhältnis, wie die sonst mit einer Räumung einhergehenden finanziellen Nachteile. Diese erweisen sich als Folge der exekutiven Umsetzung eines Räumungstitels und können damit regelmäßig durch die Tätigkeit eines Sachwalters nicht verhindert werden, sodass auch darin kein die Bestellung eines Sachwalters rechtfertigender drohender Nachteil gesehen werden kann. Den Vorinstanzen ist zwar zuzugestehen, dass mit der Räumung der Liegenschaft im vorliegenden Fall eine besondere Belastung für das Vollzugsgericht einhergeht; die Interessen Dritter, demnach auch die der Behörden hier des Vollzugsgerichts bilden aber keine für die Sachwalterbestellung taugliche Grundlage (3 Ob 43/06d; Weitzenböck aaO Rz 15).

4. Die Beschlüsse der Vorinstanzen sind daher ersatzlos zu beheben und das Verfahren einzustellen (§ 122 Abs 2 Z 1 AußStrG). Die Voraussetzungen für einen Ausspruch nach § 122 Abs 3 AußStrG liegen nicht vor.