JudikaturJustiz5Ob196/06v

5Ob196/06v – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. September 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch, Dr. Kalivoda, Dr. Höllwerth und Dr. Grohmann als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am 5. August 2005 geborenen Mj Desirée G*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter Sabine G*****, vertreten durch MMag. Dr. Felix Hörsberger, Rechtsanwalt in Wien als Verfahrenshelfer, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 12. Jänner 2006, GZ 45 R 236/06y-73, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Text

Begründung:

Die Eltern der ehelich geborenen Minderjährigen verbüßen derzeit eine viereinhalbjährige Freiheitsstrafe, unter anderem wegen eines an der älteren Tochter der Mutter begangenen schweren sexuellen Missbrauches (§ 206 Abs 1 StGB). Die während der Haft geborene Minderjährige wurde der Mutter unmittelbar nach der Geburt abgenommen und im folgenden Monat bei Pflegeeltern untergebracht, die in geordneten Verhältnissen leben und - ebenso wie die Schwester des Vaters, deren Obsorgeberechtigung die Mutter in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs anstrebt - für die Pflege und Erziehung des Kindes bestens geeignet sind.

Rechtliche Beurteilung

Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, welchem Elternteil bei Gegenüberstellung der Persönlichkeit, Eigenschaften und Lebensumstände die Obsorge für das Kind übertragen werden soll, ist immer eine solche des Einzelfalles und begründet daher keine erhebliche Rechtsfrage, wenn das als Grundprinzip des Kindschaftsrechtes ein vorrangiges Entscheidungskriterium (§ 178a ABGB) darstellende, den Interessen der Eltern vorgehende (RIS-Justiz RS0048969 [T1]) Kindeswohl gewahrt wird (RIS-Justiz RS0007101 [T2 und 8]). Nichts anderes hat auch für die Beurteilung der Eignung eines sonstigen Angehörigen als in Frage kommenden Obsorgeberechtigten zu gelten (vgl 7 Ob 596/90 = SZ 63/204 = RIS-Justiz RS0048890; vgl 7 Ob 31/02p; Stabentheiner in Rummel, ABGB³ 1. ErgBd. § 186a Rz 1a). Die Rechtsauffassung des Rekursgerichtes, bei der Entscheidung über die Obsorge den Pflegeeltern gegenüber der leiblichen Tante den Vorzug zu geben, lässt keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung erkennen, entspricht sie doch dem vom Gesetzgeber in § 187 ABGB (idF des KindRÄG 2001) eindeutig geregelten Vorrang (ua) der Pflegeeltern gegenüber einer „anderen geeigneten Person", die nur dann als Obsorgeberechtigte zu bestellen ist, soweit keine geeignete Person aus der erstgenannten Personengruppe (Eltern, Großeltern und - in dieser Gruppe hier ausschließlich in Betracht kommenden - Pflegeeltern) zur Verfügung steht und kein Fall einer gesetzlichen Obsorgebetrauung des Jugendwohlfahrtsträgers gemäß § 211 ABGB vorliegt (Stabentheiner aaO § 187 Rz 2). Das Argument des Revisionsrekurses zur Relevanz des näheren Grades der Blutsverwandtschaft für Obsorgeentscheidungen (dazu RIS-Justiz RS0107739) negiert die in § 187 ABGB enthaltene ausdrückliche Reihung der für die Obsorge geeigneten Personen und lässt überdies einen zur Wahrung des Kindeswohles zu vermeidenden Pflegeplatzwechsel (vgl RIS-Justiz RS0047903; vgl RS0047848) im Fall der Übertragung der Obsorge an die leibliche Tante außer Acht. Die Ausführungen der Mutter, die Übertragung der Obsorge an die Pflegeeltern scheitere an der in § 186a Abs 1 ABGB geregelten Voraussetzung eines für längere Zeit beabsichtigten Pflegeverhältnisses, sind im Akteninhalt nicht gedeckt, zumal die Pflegeeltern bereits am 14. September 2005 - somit kurz nach Übernahme des Kindes in ihre Pflege - einen Antrag auf Übertragung der Obsorge stellten und ihren Wunsch nach dauernder Eingliederung des Kindes in den Familienverband dokumentierten (ON 40). Das den Eltern in § 186a Abs 2 ABGB eingeräumte „relative Vetorecht" gegen die Übertragung der Obsorge an die Pflegeeltern würde die aufrechte Obsorgeberechtigung der zustimmungsberechtigten Eltern voraussetzen (Stabentheiner aaO § 186a Rz 2) und kommt deshalb nicht in Betracht, weil die bereits vom Erstgericht angeordnete Entziehung der Obsorge nicht bekämpft wurde; dementsprechend strebt die Mutter in ihrem Rechtsmittel auch nur die Übertragung der Obsorge an die leibliche Tante an.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).