JudikaturJustiz5Ob170/02i

5Ob170/02i – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. August 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Klinger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann und Dr. Baumann und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei Sybille M*****, vertreten durch Dr. Dieter Stromberger, Rechtsanwalt in Villach, wider den Gegner der gefährdeten Partei Dr. Zbigniew Jan B*****, wegen einstweiliger Verfügung gemäß § 382b Abs 1 Z 1 EO, infolge Revisionsrekurses der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgericht vom 16. Mai 2002, GZ 2 R 114/02m-5, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Villach vom 22. März 2002, GZ 2 C 26702d-2, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sowie des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Kosten des Verfahrens über den Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung nach § 382b EO.

Text

Begründung:

Die gefährdete Partei ist nach ihren Behauptungen die leibliche Tochter der am 19. 9. 2001 verstorbenen Brigitte M*****, welche kurz vor ihrem Tod, nämlich am 17. 9. 2001, ihren langjährigen Lebensgefährten, den Gegner der gefährdeten Partei geheiratet hat. Brigitte M***** war Eigentümerin des Hauses ***** in *****, in dem sie bis kurz vor ihrem Tod mit dem Antragsgegner in Lebensgemeinschaft lebte. Nach dem Tod der Brigitte M***** wohnen nunmehr die Antragstellerin und der Antragsgegner gemeinsam in diesem Haus.

Mit der Behauptung, seit dem Tod ihrer Mutter mache ihr der Antragsgegner durch sein Verhalten das Zusammenleben mit ihm im Haus unzumutbar, begehrt die Antragstellerin gemäß § 382b EO ihm aufzutragen, das Haus ***** in ***** und dessen unmittelbare Umgebung zu verlassen und ihm die Rückkehr in dieses Haus und dessen unmittelbare Umgebung zu verbieten.

Die Antragstellerin habe ein dringendes Wohnbedürfnis an dieser Wohnung. Die Unzumutbarkeit des Zusammenlebens mit dem Antragsgegner werde vor allem durch ständige Beschimpfungen, Beleidigungen, Drohung mit Einweisung in die Psychiatrie, Versperren von Kästen, Wegnahme von Gegenständen etc bewirkt. Die gefährdete Partei habe wegen dieser Belastungssituation bereits ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Einer Aufforderung, das Haus, das er ohne Rechtstitel benütze, zu räumen, sei der Antragsgegner nicht nachgekommen. Das Erstgericht wies den Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung mit der Begründung ab, seit dem Tod der Mutter der Antragstellerin und Ehegattin des Antragsgegners am 19. 9. 2001 bestehe zwischen den Parteien kein Stiefvater-Stieftochter-Verhältnis mehr, weshalb die Antragstellerin nicht unter die Angehörigen im Sinn des § 382b Abs 3 Z 1 lit c iVm lit b EO zu zählen sei. Die Angehörigeneigenschaft müsse aber im Zeitpunkt der in § 382b Abs 1 und 2 EO umschriebenen Handlungen gegeben sein.

Einem dagegen von der gefährdeten Partei erhobenen Rekurs gab das Gericht zweiter Instanz nicht Folge und wies den verfahrenseinleitenden Antrag zurück.

Das Rekursgericht teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, dass die Antragstellerin nicht mehr "Angehörige im Sinn des § 382b Abs 3 EO" sei. Die Verbindung zwischen einem Ehegatten und den Verwandten des anderen Ehegatten heiße Schwägerschaft (§ 40 ABGB). Das Schwägerschaftsverhältnis erlösche aber mit der Auflösung der sie begründenden Ehe, soferne nicht das Gesetz, wie etwa in § 321 Abs 2 ZPO oder § 152 Abs 1 Z 2 StPO etwas anderes anordne (EF 32.694). Jedenfalls müsse die Angehörigeneigenschaft noch im Zeitpunkt der in § 382b umschriebenen Handlungen gegeben sein. Der Oberste Gerichtshof habe eine analoge Anwendung des § 382b EO auf ehemalige Lebensgefährten abgelehnt (JBl 2001, 390). In der Literatur sei allerdings die Frage, ob unter die "Angehörigen" im Sinn des § 382b EO auch ehemalige nahe Angehörige fielen, umstritten (dagegen:

Schwimann Rz 4 zu vor § 40 ABGB; Sykora in AnwBl 1998, 292 ff; dafür:

Hopf/Kathrein Eherecht 1998, 478).

Rechtliche Beurteilung

Das Rekursgericht unterließ einen Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstandes in Übereinstimmung mit der dazu ergangenen Rechtsprechung (RZ 2000/5 mwN), erklärte jedoch den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil zur Frage des Angehörigenverhältnisses im Sinn des § 382b EO betreffend Stiefvater/Stieftochter bei Tod der die Schwägerschaft begründenden Mutter keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege. Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Stattgebung des Begehrens auf Erlassung der einstweiligen Verfügung.

Weil das Erstgericht seine abweisende Entscheidung ohne Beiziehung des Antragsgegners gefällt hatte, blieb das Revisionsrekursverfahren einseitig.

Der Revisionsrekurs der Antragstellerin ist aus den vom Rekursgericht bezeichneten Gründen zulässig und im Sinn eines in einem Abänderungsbegehren enthaltenen Aufhebungsbegehrens auch gerechtfertigt.

Die Verbindung, welche zwischen einem Ehegatten und den Verwandten des anderen Ehegatten entsteht, wird zufolge § 40 Satz 3 ABGB als Schwägerschaft bezeichnet. Diese wird also durch den Tatbestand einer Ehe begründet (vgl Wolff in Klang² I/1, 280). Ob die Schwägerschaft und die von ihr ausgelösten Rechtsfolgen mit der Auflösung der sie begründenden Ehe erlöschen, wird durch das Gesetz nicht unmittelbar angeordnet. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes erlischt das Schwägerschaftsverhältnis (entgegen Wolff in Klang² I/1, 281) mit der Auflösung der sie begründenden Ehe, sofern das Gesetz nichts anderes anordnet (EFSlg 32.694). Solche gesetzlichen Anordnungen finden sich etwa in § 321 Abs 2 ZPO oder § 152 Abs 1 Z 2 StPO. Hier wird ausdrücklich geregelt, dass das Entschlagungsrecht der bezeichneten Angehörigen auch dann weiter besteht, wenn das eheliche Verhältnis, welches die Angehörigkeit begründet, nicht mehr besteht.

Auf die Auswirkungen des Todes (der die Schwägerschaft vermittelnden Person) kommt es aber hier entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht entscheidend an, weil § 382b Abs 3 EO das Schutzobjekt dieser Bestimmung nicht über Schwägerschaft definiert.

§ 382b Abs 3 EO nennt die "nahen Angehörigen" zu deren Gunsten eine einstweilige Verfügung nach Abs 1 und 2 getroffen werden kann. Hier heißt es in Z 2 lit a: Verwandte in gerader Linie, einschließlich der Wahl- und Pflegekinder und der Wahl- und Pflegeeltern, des Ehegatten oder Lebensgefährten. Damit stellt sich aber die von den Vorinstanzen als entscheidend angesehene Frage, nicht, ob die Schwägerschaft zwischen Antragstellerin und Antragsgegner noch aufrecht ist, weil die Antragstellerin jedenfalls eine Verwandte in gerader Linie des Ehegatten des mit der einstweiligen Verfügung Belangten ist. Das bleibt sie jedenfalls. Dass jene Person, die das Angehörigenverhältnis vermittelt, hier die Mutter der Antragstellerin und Ehegattin des Antragsgegners noch leben müsste, setzt die gesetzliche Bestimmung nicht voraus. Die Angehörigeneigenschaft zwischen der Antragstellerin und ihrer Mutter (= Tochter der Ehegattin) besteht demnach noch im Zeitpunkt der in Abs 1 und 2 des § 382b EO umschriebenen Handlungen.

Damit wird nicht eine planwidrige Lücke im Gesetz geschlossen, was vom Obersten Gerichtshof im Fall des § 382b EO als lex specialis abgelehnt wird (vgl JBl 2000, 246; JBl 2001, 390), sondern der in § 382b Abs 3 EO verwendete Begriff "Verwandte in gerader Linie des Ehegatten" ausgelegt. Kinder des Ehegatten bleiben also Angehörige im Sinn des § 382b Abs 3 EO wenn dieser Elternteil stirbt. Die Antragstellerin gehört damit zum geschützten Angehörigenkreis jener Regelung, aus der sie die Berechtigung bezieht, den Antragsgegner aus der gemeinsamen Wohnung wegweisen und ihm den Aufenthalt verbieten zu lassen.

Ausgehend von der vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht der Vorinstanzen unterblieb bisher eine Durchführung des Bescheinigungsverfahrens, welches nunmehr in erster Instanz nachzuholen sein wird. Erst dann wird sich die Begründetheit des Begehrens der gefährdeten Partei beurteilen lassen. Eine Aufhebung war daher unumgänglich.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO iVm § 393 EO.