JudikaturJustiz5Ob158/14t

5Ob158/14t – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Februar 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Höllwerth, die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Hochleitner Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die beklagte Partei A*****AG, *****, vertreten durch Dr. Michael Nocker, Rechtsanwalt in Wien, wegen 193.194,23 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 13. Juni 2014, GZ 4 R 85/14v 21, mit dem das Zwischenurteil des Landesgerichts Linz vom 14. März 2014, GZ 4 Cg 52/11a 17, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Alleingesellschafter der Klägerin, A*****, war bis 31. 3. 2002 Angestellter der Beklagten. Ab 1. 4. 2002 war er dann als selbständiger Versicherungsagent für die Beklagte tätig. Mit Einbringungsvertrag vom 26. 9. 2003 brachte A***** sein nicht protokolliertes Einzelunternehmen in die Klägerin ein. Grundlage der Geschäftsbeziehung zwischen den Streitteilen war ein Agenturvertrag vom 1. 4. 2002. Eine sogenannte „Partnerschaftsvereinbarung“ und eine „Zusatzvereinbarung“ enthielten zusätzliche Sondervereinbarungen.

Die Beklagte löste das Agenturverhältnis am 4. 5. 2010 mit sofortiger Wirkung.

A***** war im Strafverfahren zu AZ 11 Hv 94/13y des Landesgerichts Linz Beschuldigter. Er wurde dort vom Vorwurf, er habe mithilfe von in zwei Gerichtsverfahren vorgelegten, gefälschten Urkunden die Beklagte an ihrem Vermögen schädigen wollen, freigesprochen, weil eine konkrete, kausale Bestimmungs- oder Beitragshandlung zum Tatvorwurf des schweren Betrugs nicht erweislich war.

Die Klägerin macht im vorliegenden Verfahren aufgrund der vorzeitigen Beendigung des Agenturvertrags Ausgleichs und Schadenersatzansprüche von zusammen 193.194,23 EUR sA geltend.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und erwiderte, dass ein wichtiger Grund zur Vertragsauflösung vorgelegen sei. A*****, damaliger Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Klägerin, habe zumindest zwei Urkunden, welche er zur Durchsetzung von Ansprüchen gegen die Beklagte benötigt habe, durch Einkopieren einer Paraphe des vormaligen Landesdirektors der Beklagten in diese Urkunden gefälscht. Die Klägerin habe diese Urkunden dann zur Anspruchsverfolgung bei Gericht vorgelegt.

Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend.

Nach den Urteilsfeststellungen sind die Unterschriften auf den fraglichen Urkunden (Blg ./1 bis ./3) ident. Diese wurden per Kopie und Scannen vervielfältigt und angebracht. Es steht aber nicht fest, dass A***** derjenige war, der die Paraphen des vormaligen Landesdirektors der Beklagten durch Einkopieren in diese Urkunden als Beweis für das Zustandekommen einer Vereinbarung über deren Inhalt angebracht habe.

Rechtlich verwies das Erstgericht darauf, dass die Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes die kündigende Beklagte treffe. Im Hinblick auf die wiedergegebene Negativfeststellung bestehe der Ausgleichsanspruch der Klägerin dem Grunde nach zu Recht.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es übernahm die Negativfeststellung des Erstgerichts und folgerte rechtlich, dass kein Ausgleichsanspruch bestehe, wenn der Unternehmer das Vertragsverhältnis wegen eines schuldhaften, einen wichtigen Grund darstellenden Verhaltens des Handelsvertreters vorzeitig aufgelöst habe. Der Unternehmer habe das Vorliegen eines wichtigen Grundes und das Verschulden des Handelsvertreters zu behaupten und zu beweisen (RIS Justiz RS0111006). Eine strafgerichtliche Verurteilung würde den Unternehmer zwar zur vorzeitigen Auflösung des Vertragsverhältnisses berechtigen, sei aber nicht Voraussetzung für eine berechtigte vorzeitige Auflösung aus wichtigem Grund. Nach den Feststellungen sei aber der Beklagten der ihr obliegende Beweis für das Vorliegen eines wichtigen Grundes und ein Verschulden nicht gelungen. Es stehe nämlich nicht fest, dass die Klägerin die Paraphen des vormaligen Landesdirektors der Beklagten durch Kopieren in diese Urkunden angebracht habe. Soweit die Beklagte meine, dass bereits die Vorlage dieser gefälschten Urkunden durch die Klägerin zur Geltendmachung ihrer Ansprüche einen wichtigen, zur vorzeitigen Auflösung berechtigenden Grund darstelle und das Fehlen einer dahin gehenden Feststellung als sekundären Feststellungsmangel rüge, wäre auch damit noch kein Verschulden der Klägerin bewiesen. Insgesamt erweise sich damit die Berufung der Beklagten als nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil die Entscheidung im Wesentlichen von der Lösung der Tatfrage abhänge.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass das Klagebegehren abgewiesen werde.

Die Klägerin erstattete eine ihr freigestellte Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision zurückzuweisen, in eventu abzuweisen und das Urteil des Berufungsgerichts zu bestätigen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und in dem im Abänderungsantrag mitenthaltenen Aufhebungsantrag auch berechtigt, weil die Vorinstanzen entscheidungswesentliches Vorbringen der Beklagten nicht berücksichtigt und die Beweispflicht teilweise unrichtig beurteilt haben.

Die Beklagte macht im Rahmen ihrer Revisionsausführungen (ua) eine Verkennung der Rechtslage durch die Vorinstanzen dahin geltend, dass es nicht (allein) auf die fragliche Fälschung der Beweisurkunden durch A***** ankomme. Der wichtige Grund für die vorzeitige Auflösung des Vertragsverhältnisses sei vielmehr darin gelegen, dass die Klägerin (bzw deren Erfüllungsgehilfe) in Vorverfahren zur Geltendmachung ihrer Ansprüche der Beklagten drei nachweislich „gefälschte“ Urkunden vorgelegt habe. Damit spricht die Beklagte entgegen den Ausführungen der Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung sehr wohl entscheidungsrelevante, von den Vorinstanzen aber nicht behandelte Tat und Rechtsfragen an:

1. Nach § 22 Abs 1 HVertrG kann der Vertretungsvertrag jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist von jedem Teil aus wichtigem Grund gelöst werden. Gemäß § 22 Abs 2 HVertrG ist es als ein wichtiger Grund, der den Unternehmer zur vorzeitigen Lösung des Vertragsverhältnisses berechtigt, (ua) anzusehen, wenn sich der Handelsvertreter einer Handlung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Unternehmers unwürdig erscheinen lässt (Z 2; „Vertrauensunwürdigkeit“). Das die Vertrauens-unwürdigkeit des Handelsvertreters auslösende Verhalten setzt Verschulden (arg: „... schuldig macht ...“) voraus (1 Ob 342/97v).

2. Gemäß § 24 Abs 1 HVertrG gebührt dem Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses ein angemessener Ausgleichsanspruch nach Maßgabe der dort genannten Voraussetzungen. Ein solcher Ausgleichsanspruch besteht nach § 24 Abs 3 HVertrG (ua) dann nicht, wenn der Unternehmer das Vertragsverhältnis wegen eines schuldhaften, einen wichtigen Grund nach § 22 HVertrG darstellenden Verhaltens des Handelsvertreters gekündigt oder vorzeitig aufgelöst hat (Z 2).

3. Nach den den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen des Erstgerichts steht nicht fest, dass A***** derjenige war, der die Paraphen des vormaligen Landesdirektors der Beklagten durch Einkopieren in die fraglichen Urkunden als Beweis für das Zustandekommen einer Vereinbarung über deren Inhalt angebracht hat. Die Fälschung der Urkunden kann demnach der Klägerin schon aus diesem Grund nicht als ein die vorzeitige Vertragsauflösung und den Entfall des Ausgleichsanspruchs begründendes Verhalten zugerechnet werden.

4. Die Beklagte hat allerdings in ihrem Schriftsatz vom 5. 2. 2014 (ON 15) (ua) zum „verschuldeten wichtigen Grund“ auch behauptet:

„... haben die klagende Partei bzw A***** in drei unterschiedlichen Zivilprozessen gegen die beklagte Partei drei verschiedene Urkunden zum Beweis ihrer geltend gemachten Ansprüche vorgelegt, welche nach dem Schriftbild (Schriftzug, Größe, Abstand zwischen Paraphe und Datumsangabe, etc) völlig idente Paraphen samt völlig identer Datumsangaben aufweisen, sodass es eigentlich sogar für jeden Laien völlig klar sein müsste, dass zumindest zwei dieser drei Paraphen samt Datumsangaben auf die Urkunde kopiert worden sein müssen, da es niemand schafft, drei bis ins letzte Detail völlig idente Paraphen samt völlig identen Datumsangaben auf drei verschiedene Urkunden zu setzen.

Schon gar nicht ist es nach der Lebenserfahrung möglich, die beigefügten Datumsangaben auf den drei Urkunden im jeweils exakt selben Abstand zur Paraphe zu setzen. So ein Ergebnis lässt sich nicht einmal erzielen, wenn man ein leeres Blatt über das Blatt mit Paraphe samt Datumsangabe legt und den Schriftzug und die Datumsangabe nachzieht (paust).

Möglich sind solche völlig identen „Einheiten“ aus Paraphe und Datumsangabe auf drei unterschiedlichen Urkunden schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung nur durch technische Vervielfältigung (entweder Kopieren von einer Urkunde auf die beiden anderen oder zB durch Einscannen der 'Einheit' aus Paraphe und Datumsangabe und ausdrucken auf weitere Urkunden).“

5. Die Beklagte hat demnach der Klägerin nicht (nur) die Fälschung der betreffenden Urkunden, sondern (auch) deren Vorlage als Beweismittel in Vorprozessen zur Durchsetzung von Ansprüchen gegen die Beklagten angelastet. Ein solches Verhalten ist nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs jedenfalls dann als Vertrauensunwürdigkeit im Sinn des § 22 Abs 2 HVertrG anzusehen, wenn der Handelsvertreter bei vernünftiger Betrachtungsweise und nach den näheren Umständen der Erlangung und Verwendung entsprechend dem wiedergegebenen Vorbringen der Beklagten geradezu erkennen musste, dass die betreffenden Urkunden gefälscht sind und er diese dennoch zur Durchsetzung eigener Ansprüche gegen den beklagten Unternehmer verwendet. Ob dies im vorliegenden Fall zutrifft, lässt sich allerdings nicht beurteilen, weil das Erstgericht keine Feststellungen zur Unterfertigungspraxis derartiger Urkunden durch die (seinerzeitigen) Vertreter der Beklagten, zur Erlangung der betreffenden Urkunden durch die Klägerin, zum äußerem Erscheinungsbild der Urkunden, insbesondere zur Auffälligkeit der Fälschungen, und zu den Umständen ihrer Verwendung in den betreffenden Zivilprozessen getroffen hat. Diese Tatfragen werden vom Erstgericht im fortgesetzten Verfahren mit den Parteien zu erörtern und dazu werden dann aussagekräftige Feststellungen zu treffen sein.

6. Zu Beweispflicht und Beweislast gilt dann Folgendes:

6.1. Es wird zwar in der Rechtsprechung recht allgemein referiert, dass das Verhalten des Handelsvertreters seine ausgleichsschädigende Wirkung nur entfalte, wenn es schuldhaft gesetzt wurde und der Unternehmer das Vorliegen eines wichtigen Grundes sowie das Verschulden des Handelsvertreters zu behaupten und zu beweisen habe (vgl etwa 2 Ob 275/98z SZ 71/179 und die Nachweise in RIS Justiz RS0111006). Allerdings wird schon in der erwähnten Entscheidung 2 Ob 275/98z (SZ 71/179), in der es eine Insolvenz des Handelsvertreters zu beurteilen galt, darauf hingewiesen, dass „nach der allgemeinen Lebenserfahrung ... kein typischer Zusammenhang zwischen der Konkurseröffnung und einem Verschulden, der einen Anscheinsbeweis ... rechtfertigen könnte,“ bestehe. Damit wird zumindest die Möglichkeit eines, das Verschulden des Handelsvertreters geradezu indizierenden Sachverhalts zwar erkannt, im damals zu beurteilenden Anlassfall allerdings verneint.

6.2. Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits zu Fällen von Vertragsverletzungen (§ 22 Abs 2 Z 3 HVertrG [Verletzung wesentlicher Vertragsbestimmungen]) ausgesprochen, es liege am Unternehmer, die Tatsache der Vertragsverletzung zu behaupten und zu beweisen, dass aber das erwiesene vertragswidrige Verhalten das Verschulden des Handelsvertreters indiziere, womit der Unternehmer seiner Behauptungs und Beweispflicht entspreche. Gemäß § 1298 ABGB sei es dann Sache des klagenden Handelsvertreters, sein mangelndes Verschulden unter Beweis zu stellen (1 Ob 342/97v [Nichterreichen der vereinbarten Verkaufsleistung]; 9 ObA 59/09f JBl 2010, 312 = EvBl 2010/50 [Nichtzahlung der vereinbarten Erlösanteile] mwN zur Verteilung der Behauptungs und Beweislast in der älteren Rsp; idS allenfalls auch schon zur Vertrauensunwürdigkeit 8 ObA 299/01f).

6.3. Dieser Ansatz muss auch für den vorliegenden Fall einer möglichen Vertrauensunwürdigkeit als Richtschnur dienen: Ist nach objektiver Sicht vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters auf der Grundlage der gemäß Punkt 5. noch zu treffenden Feststellungen davon auszugehen, dass die Klägerin die fraglichen Urkunden in den Vorprozessen gegen die Beklagte verwendete, obwohl ihr deren Fälschung offenbar aufgefallen sein musste, so wird dieses objektiv evident vertrauensunwürdige Verhalten der Klägerin ihr Verschulden indizieren. Dann wird es Aufgabe der Klägerin sein, jene naturgemäß nur ihr bekannten -Umstände nachzuweisen, aus denen sich gegebenenfalls das Fehlen eines Verschuldens im Zusammenhang mit der Verwendung der gefälschten Urkunden gegen die Beklagte ergibt.

7.1. Der Revision war zum Zweck der Verfahrensergänzung im dargestellten Sinn Folge zu geben.

7.2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
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