JudikaturJustiz4Ob96/61

4Ob96/61 – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. Dezember 1961

Kopf

SZ 34/182

Spruch

Grenzen zwischen Dienstvertrag und Mietvertrag über eine Werkswohnung.

Entscheidung vom 5. Dezember 1961, 4 Ob 96/61.

I. Instanz: Arbeitsgericht Amstetten; II. Instanz: Kreisgericht St. Pölten.

Text

Das klagende Fabriksunternehmen begehrte von den Beklagten die Räumung der von ihnen benützten Wohnung mit der Begründung, daß es sich bei dieser Wohnung um eine Dienstwohnung handle und daß die Beklagten, die nicht mehr bei der Klägerin beschäftigt sind, jeden Rechtstitel zur Benützung dieser Wohnung verloren hätten.

Die Beklagten behaupteten dagegen, daß sie die Wohnung in Miete genommen hätten, und beantragten Abweisung der Klage.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren abgewiesen und folgenden Sachverhalt festgestellt:

Bei der gegenständlichen Wohnung handle es sich um eine sogenannte Werkswohnung in einem der fabrikseigenen Häuser der Klägerin. Der Erstbeklagte sei seit 1944, die Zweitbeklagte seit 1949 bei der Klägerin beschäftigt gewesen; beide seien nun nicht mehr bei der Klägerin beschäftigt. Bis zum Jahr 1931 sei für die Wohnungen in den fabrikseigenen Häusern der Klägerin kein Entgelt verlangt worden. Ab 1931 seien auch betriebsfremde Personen mit gesonderten Verträgen in solche Wohnungen hineingenommen worden. In den Jahren 1948 bis 1950 seien mit den Wohnungsinhabern von der USIA, die damals die klägerische Firma verwaltet habe, Mietverträge abgeschlossen worden.

In diesen Mietverträgen heiße es u. a. "An den Mieter ......

Mietsätze ...... Miete ...... ". Auch sei in diesen Verträgen der Berechnungsschlüssel mit 48 g je Quadratmeter Wohnraum, mit 20 g für einen Quadratmeter Wohnraum als Betriebskosten und mit einem bestimmten Anteil für Strom und für Grundsteuer angegeben. In der Lohnbuchhaltung der Klägerin schienen die Beträge als Mieten, Grundsteuerbeiträge usw. auf. Die Zweitbeklagte habe die gegenständliche Wohnung im Jahre 1950 als reine Dienstwohnung erhalten und keinerlei Mietzins zahlen müssen. Solche reine Dienstwohnungen hätten auch einige andere Angestellte der Klägerin. Der Erstbeklagte sei erst 1954 in die Wohnung eingezogen. Seither zahlten beide Beklagten so wie andere Werksangehörige den nach Quadratmeter berechneten Mietzins samt Betriebskosten und Grundsteuer. Darüber, daß die Mieter diese Wohnungen nur für die Dauer der Dienstzeit hätten, sei "damals" nie etwas gesprochen worden. Erst der spätere Betriebsleiter und Verwalter F. habe, als er mit den Wohnungsangelegenheiten betraut worden sei, diejenigen, die eine neue Wohnung in den Werkshäusern bekamen, immer darauf hingewiesen, daß dies nur für die Dauer des Dienstverhältnisses sei und die Wohnung bei Auflösung des Dienstverhältnisses geräumt werden müsse. Die Beklagten hätten jedoch, als sie die Wohnung in Miete bekamen, keinerlei Hinweis erhalten; zumindest sei dies nicht erweislich. Sie hätten damit rechnen können, bei Auflösung des Dienstverhältnisses die Wohnung als Mietwohnung behalten zu können, weil sie auf Grund der Erfahrungen der Zweitbeklagten gewußt hätten, daß es auch Dienstwohnungen gebe, für die keinerlei Entgelt zu zahlen sei. Auch aus der Höhe des Mietzinses hätten sie nicht entnehmen können, daß dieser nur als Benützungsentgelt anzusehen sei. Der von den Beklagten eingehobene Mietzins sei nämlich ortsüblich und angemessen. Den Beklagten sei so wie allen anderen und auch denjenigen, die eine Dienstwohnung ohne Entgelt hatten, die Wohnungsbeihilfe ausgezahlt worden.

Das Berufungsgericht hat die Verhandlung gemäß § 25 Abs. 1 Z. 3 ArbGerG. neu durchgeführt und der Berufung der Klägerin keine Folge gegeben. Es traf im wesentlichen dieselben Feststellungen wie das Erstgericht, stellte weiter fest, daß Werksarbeiter ihre Wohnungen räumen mußten, wenn das Dienstverhältnis beendet war und die Räumung verlangt wurde, daß aber der seinerzeitige russische Generaldirektor auf die in Rußland bestehende gegenteilige Übung hingewiesen habe, und ließ lediglich dahingestellt sein, ob das von den Beklagten gezahlte Entgelt als angemessener Mietzins zu bezeichnen ist, aus dem die Erhaltungskosten bestritten werden können. In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht im wesentlichen aus:

Bei Überlassung einer Wohnung an einen Dienstnehmer seien im Einzelfall Vereinbarungen möglich, die von der Wohnungsüberlassung ohne jedes Entgelt nur auf die Dauer der Dienstzeit ("reine Dienstwohnung") bis zur selbständigen Miete mit allen Elementen eines Mietvertrages reichten. Die Auffassung, daß auch bei solchen selbständigen Mietverträgen die Beendigung des Dienstverhältnisses den Vertrag auflöse, sei als unrichtig abzulehnen, weshalb die Formulierung Klangs (2. Aufl. V 16) zumindest zu allgemein gehalten, wenn nicht unrichtig sei. Ein selbständiger Mietvertrag bestehe auch bei Beendigung des Dienstverhältnisses fort und könne nur nach § 19 Abs. 2 Z. 7 MietG. erleichtert aufgekundigt werden. Eine Vereinbarung, daß die Wohnung nur auf die Dauer des Dienstverhältnisses vergeben werde, bilde in aller Regel das wesentliche Indiz dafür, daß kein selbständiger Mietvertrag vorliege, sondern daß Dienstverhältnis und Wohnungsüberlassung eine untrennbare wirtschaftliche Einheit bilden, daß also ein einheitlicher Vertrag vorliege. In einem solchen Fall müsse das Rechtsverhältnis einheitlich beurteilt werden, auch wenn es Elemente des Mietvertrages enthalte. Mit der Auflösung des Dienstverhältnisses ende auch der Anspruch auf Benützung der Wohnung. Die Zahlung eines Entgeltes für die Wohnung schließe das Vorliegen eines einheitlichen Vertrages nicht aus, namentlich wenn es wegen seiner Geringfügigkeit vernachlässigt werden könne. Im vorliegenden Fall habe nun die Zweitbeklagte die Wohnung bis 1954 ohne Entgelt (als Dienstwohnung) innegehabt, im Jahr 1954 sei aber zweifellos der Rechtscharakter der Wohnung geändert worden. Sei von einem bestimmten Zeitpunkt an für eine bisher unentgeltlich überlassene Wohnung ein Betrag als "Miete" zu zahlen, der nicht sofort als unangemessen niedrig zu erkennen sei, so könne der Inhaber dieser Wohnung mit Fug und Recht annehmen, als Gegenleistung dafür die bessere Rechtsstellung eines Mieters zu erhalten, wenn ihm nicht das Gegenteil bekanntgegeben werde. Durch den festgestellten Vorgang im Jahr 1954 sei somit gemäß § 863 ABGB. die Umwandlung der bisherigen Dienstwohnung in eine Mietwohnung vereinbart worden.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge und änderte die Urteile der Untergerichte dahin ab, daß der Räumungsklage stattgegeben wurde.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Klägerin bekämpft die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß durch die Einhebung eines Entgeltes ab 1954 der Rechtscharakter hinsichtlich der Wohnung dergestalt geändert worden sei, daß seither die Beklagten die Stellung von Mietern erhalten hätten, und daß sich dies aus § 863 ABGB. ergebe. Sie führt an, auch ein konkludent zustande gekommener Vertrag setze zumindest voraus, daß die Parteien die Absicht hatten, einen solchen Vertrag zu schließen. Für eine solche Absicht der Klägerin fehle jeder Hinweis.

Der Oberste Gerichtshof kann der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes nicht folgen. Schon in der grundlegenden Entscheidung JBl. 1929 S. 125 wurde ausgesprochen, daß kein Mietvertrag, sondern ein Lohnvertrag vorliegt, wenn dem Dienstnehmer das Recht der Wohnungsbenützung nur für die Dauer des Dienstverhältnisses eingeräumt wird, und daß dies auch dann gilt, wenn für die Wohnungsbenützung ein Entgelt zu entrichten ist. An dieser Rechtsansicht hat der Oberste Gerichtshof seither festgehalten (ArbSlg. 5598. Soz. VIII B S. 90, ArbSlg. 6599, EvBl. 1960 Nr. 45 = JBl. 1960 S. 307). Diese Ansicht wird auch in der Lehre von Klang vertreten (a. a. O., ferner 255 f.). Im vorliegenden Fall ist festgestellt, daß einige Angestellte der Klägerin Dienstwohnungen haben, für die sie keinerlei Entgelt zahlen müssen, und daß auch die Zweitbeklagte ursprünglich eine solche Dienstwohnung hatte; ferner daß die übrigen Werksangehörigen für die ihnen in den fabrikseigenen Häusern der Klägerin überlassenen Wohnungen bis 1931 kein Entgelt zu leisten hatten, daß für diese Wohnungen später ein Entgelt festgesetzt wurde und in den Jahren 1948 bis 1950 Mietverträge schriftlich geschlossen wurden, schließlich, daß auch die Beklagten seit 1954 so wie die anderen Werksangehörigen einen Mietzins zahlen, ohne daß mit allen diesen Werksangehörigen (einschließlich der Beklagten) ausdrücklich vereinbart war, daß ihnen die Wohnungen nur für die Dauer des Dienstverhältnisses zur Verfügung gestellt würden.

Aus diesem Sachverhalt ergibt sich, daß denjenigen Werksangehörigen, denen eine Wohnung gegen Entgelt zur Benützung überlassen wurde, das Entgelt nicht auf den Lohn angerechnet wurde, daß also die Wohnung nicht einen Teil des Entgeltes (Lohnes) bildete. Wäre dies der Fall, so wäre nach Lehre und ständiger Rechtsprechung (s. oben) schon aus diesem Grund anzunehmen, daß hier selbständige, mit dem Dienstvertrag verbundene Mietverträge vorliegen, die aber mit Rücksicht auf den Zweck der Wohnungszuweisung nicht den Mieterschutzvorschriften unterworfen sind, sondern zugleich mit dem Dienstvertrag ihr Ende erreichen. Auch wenn aber der für die Wohnung verrechnete Zins nicht auf den Lohn angerechnet wird, ist dann ein Lohnvertrag und nicht ein Mietvertrag anzunehmen, wenn das Recht der Wohnungsbenützung nur für die Dauer des Dienstverhältnisses eingeräumt wird. Die prozeßentscheidende Frage geht daher dahin, ob zwischen der Klägerin und den Beklagten vereinbart war, daß das Recht der Wohnungsbenützung auf die Dauer des Dienstverhältnisses beschränkt sein sollte. Daß eine solche Vereinbarung ausdrücklich nicht getroffen wurde, ist festgestellt. Es war daher zu prüfen, was im vorliegenden Fall redlicherweise als stillschweigend zum Ausdruck gebrachte gemeinsame Parteienabsicht aufzufassen ist (§§ 863, 914 ABGB.). Diese Frage gehört in das Gebiet der rechtlichen Beurteilung und kann daher vom Obersten Gerichtshof auf Grund der vorliegenden Feststellungen auch anders als von den Unterinstanzen beantwortet werden (Rspr. 1933 Nr. 339).

Die ursprünglich unentgeltliche Überlassung der werkseigenen Wohnungen an Angestellte oder Arbeiter spricht einwandfrei dafür, daß diese Wohnungen nur auf die Dauer des Dienstverhältnisses zur Verfügung gestellt wurden und daß sich darüber auch beide Teile im klaren wären. Es ist allgemein bekannt, daß Unternehmungen vielfach gezwungen sind, ihren Arbeitnehmern Unterkünfte oder Wohnungen zur Verfügung zu stellen, wenn sie auf geeignete Hilfskräfte Wert legen, und daß sie diesen wirtschaftlichen Zweck auf die Dauer nur erreichen können, wenn das Dienstverhältnis und das Recht auf Wohnungsbenützung jeweils zu gleicher Zeit enden. Dadurch, daß später ein "Mietzins" festgesetzt und eingehoben wurde, änderte sich in dem Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und ihren Arbeitnehmern nichts, weil die Voraussetzungen gleichgeblieben waren. Dafür spricht, daß die "Mietsätze" zwischen Generaldirektion und Betriebsrat der klägerischen Firma vereinbart wurden, weil es einer Mitwirkung des Betriebsrates nicht bedarf, wenn der Unternehmer mit einem Dienstnehmer einen selbständigen, mit dem Dienstvertrag nicht verbundenen Mietvertrag abschließen will oder einen solchen Vertrag abgeschlossen hat und einzelne Vertragsbestimmungen ändern will. Allgemein für alle Werkswohnungen der Klägerin läßt sich daher als gemeinsame Parteiabsicht erkennen, daß diese Wohnungen den Dienstnehmern nur auf die Dauer des Dienstverhältnisses überlassen sein sollten. Was aber für alle Werksangehörigen gilt, muß um so mehr für die Beklagten zutreffen, weil die Zweitbeklagte die Wohnung ursprünglich als unentgeltliche Dienstwohnung, beschränkt auf die Dauer des Dienstverhältnisses, innehatte und aus der Angleichung der Vertragsbedingungen an jene der übrigen Werksangehörigen nicht geschlossen werden kann, daß den Beklagten damit gegenüber den anderen Arbeitnehmern der Klägerin eine Sonderstellung eingeräumt werden sollte. Gerade im Fall der Beklagten ist die Bestimmung des § 863 ABGB. mit Vorsicht anzuwenden, weil die stillschweigende Umwandlung eines einheitlichen Dienstvertrages in einen Dienstvertrag und einen den Schutzvorschriften des Mietengesetzes unterworfenen Mietvertrag mit allen seinen einschneidenden Folgewirkungen ohne wirklich überzeugende Hinweise nicht angenommen werden kann (vgl. Soz. VIII B S. 90, ArbSlg. 6136, oder für den umgekehrten Fall ArbSlg. 6899).

Die in Lehre und Rechtsprechung vertretene Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes (vgl. insbesondere Klang a. a. O. und EvBl. 1960 Nr. 45) steht durchaus im Einklang mit der Bestimmung des § 19 Abs. 2 Z. 7 MietG. Dem Berufungsgericht ist zuzubilligen, daß ein selbständiger Mietvertrag bei Beendigung des Dienstverhältnisses fortbesteht und zu seiner Auflösung einer Kündigung bedarf. Nur muß es sich um einen selbständigen Mietvertrag im Sinne der vorstehenden Ausführungen handeln, also nicht um eine nur für die Dauer des Dienstverhältnisses eingeräumte Wohnungsbenützung (wenn auch gegen Entgelt) und nicht um einen Vertrag, mit welchem in dazu bestimmten Häusern in den Dienstnehmern gegen Zahlung eines bestimmten, auf den Lohn anzurechnenden Zinses Wohnungen zugewiesen werden (vgl. hiezu Swoboda, Kommentar zum MietG., 2. Aufl. S. 216.; Sternberg, Das Mietengesetz, 4. Aufl. S. 390).

Aus den dargelegten rechtlichen Erwägungen ergibt sich, daß das Rechtsverhältnis zwischen den Streitteilen als einheitlicher Dienstvertrag, bei dem Arbeits- und Bestandverhältnis in unlösbarem Zusammenhang stehen, aufzufassen ist. Bei einem solchen Vertragsverhältnis endet das Recht der Wohnungsbenützung mit dem Dienstvertrag. Das Räumungsbegehren der Klägerin war daher begrundet, so daß ihre Revision Erfolg haben mußte, ohne daß auf die Ausführungen zum Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens einzugehen ist.

Rechtssätze
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