JudikaturJustiz4Ob91/17m

4Ob91/17m – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Juni 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Land Oberösterreich, *****, vertreten durch Dr. Franz Haunschmidt und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei D***** GmbH, ***** vertreten durch Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 17.892,43 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 6.637,80 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 1. März 2017, GZ 4 R 12/17p 13, womit das Urteil des Landesgerichts Wels vom 30. November 2016, GZ 5 Cg 80/16p 8, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 626,52 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 104,42 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das klagende Bundesland enteignete mit Bescheid vom 23. April 2004 der Beklagten gehörende Grundflächen und setzte die Höhe des Entschädigungsbetrags mit 83.426,59 EUR fest. Gegen die Höhe dieses Entschädigungsbetrags riefen beide Parteien das Gericht an.

Bereits 2001 hatte das Land 47.530,94 EUR zugunsten der Beklagten bei Gericht erlegt, im Jahr 2004 erhöhte es den Erlag auf insgesamt 83.427,59 EUR. Die erlegten Beträge legte die Verwahrungsabteilung auf einem Sparbuch fruchtbringend an.

Erst mit Beschluss vom 25. März 2014 erkannte das zuständige Bezirksgericht das Land schuldig, der Beklagten 65.535,16 EUR zuzüglich 4 % Zinsen seit 23. August 2007 zu zahlen. Der Begründung dieses Beschlusses ist zu entnehmen, dass die zugesprochenen Zinsen die Enteignungsentschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer aufwerten sollen. Das gegen diesen Beschluss von der Beklagten angerufene Rekursgericht bestätigte die erstgerichtliche Festsetzung des Entschädigungsbetrags samt Zinsen und sah darin gleichfalls eine Abgeltung der Geldentwertung während der langen Verfahrensdauer. Diese Beschlüsse erwuchsen in Rechtskraft (Zurückweisung des von der Beklagten erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurses am 21. April 2015, 3 Ob 219/14y).

Über Antrag der Beklagten folgte ihr das zuständige Bezirksgericht den erlegten Betrag samt Zinsen der fruchtbringenden Anlegung aus (92.584,02 EUR).

Das klagende Land begehrte von der Beklagten die Rückzahlung von 17.892,43 EUR, weil ihr im Hinblick auf die bereits im Jahr 2004 erfolgte gerichtliche Hinterlegung des Kapitalbetrags keine Zinsen zustünden. Im gerichtlichen Enteignungsentschädigungsverfahren habe die Beklagte ohnehin 4 % Zinsen aus dem festgesetzten Entschädigungsbetrag seit 23. August 2007 zugesprochen erhalten.

Die Beklagte wendete ein, dass die vom Entschädigungsbetrag zugesprochenen Zinsen keine Verzugszinsen seien, sondern eine Aufwertung der Enteignungsentschädigung und damit deren Bestandteil. Die Zinsen der fruchtbringenden Anlegung stünden der Beklagten als Erlagsgegnerin anstelle von Verzugszinsen zu, auf die sie bei Schuldnerverzug Anspruch habe.

Das Erstgericht sprach dem klagenden Land 6.637,80 EUR an Fruktifikatszinsen zu, weil der Anspruch der Beklagten auf Entschädigung erst mit Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses des Obersten Gerichtshofs am 4. Juni 2015 fällig geworden sei. Eine Hinterlegung beende gemäß § 1425 ABGB einen möglichen Schuldnerverzug, zugleich damit hörten Verzugszinsen zu laufen auf. Da das klagende Land den Entschädigungsbetrag bereits vor rechtskräftiger Neufestsetzung bei Gericht hinterlegt gehabt habe, habe es sich nie in Schuldnerverzug befunden. Der während der gerichtlichen Hinterlegung erzielte und nach Abzug von Gebühren tatsächlich ausbezahlte Veranlagungsertrag gebühre dem Erleger. Das Mehrbegehren wies es (rechtskräftig) ab.

Das Berufungsgericht wies (auch) das auf Rückerstattung der Fruktifikatszinsen gerichtete Klagebegehren ab und sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob dem Erlagsgegner, der eine Ausfolgung des hinterlegten Entschädigungsbetrags vor rechtskräftiger gerichtlicher Neufestsetzung begehre, die während der Zeit des Gerichtserlags durch fruchtbringende Veranlagung erzielten Erträge gebührten. Im Fall der Ausfolgung an den Erlagsgegner gebührten diesem auch die bis dahin angelaufenen Ertragszinsen. Der Vollzug des rechtskräftigen Enteignungsbescheids werde nicht gehindert, sobald die von der Behörde ermittelte Entschädigung oder eine entsprechende Sicherheit an den Enteigneten ausbezahlt oder gerichtlich erlegt sei. Dieser nach dem Gesetz festgelegte Erlagsgrund liege ausschließlich im Interesse des Enteigners und ermögliche ihm den Vollzug noch vor rechtskräftiger Festsetzung des endgültigen Entschädigungsbetrags. Der Enteignete könne im Fall eines sofortigen Ausfolgungsbegehrens bis zur rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über die Höhe des Entschädigungsanspruchs frei über den Entschädigungsbetrag verfügen. Entstehe in der Folge ein Rückforderungsanspruch des Enteigners, weil die Entschädigung vom Gericht niedriger als im Enteignungserkenntnis festgesetzt werde, so entstehe ein solcher Anspruch auf Rückzahlung erst nach rechtskräftiger gerichtlicher Festsetzung der Entschädigung. Auch in einem solchen Fall könne der Enteigner vom rückzahlungsverpflichteten Enteigneten nicht allenfalls zwischenzeitig erzielte Veranlagungserträge verlangen. Die während der gerichtlichen Verwahrung durch fruchtbringende Veranlagung angelaufenen Zinsen wüchsen der Erlagsmasse zu und seien mit dieser auszufolgen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin, mit der sie ihren Anspruch auf Rückerstattung der Fruktifikatszinsen weiter verfolgt, ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

Im Revisionsverfahren ist nur mehr strittig, ob die während der Hinterlegung des Entschädigungsbetrags durch fruchtbringende Veranlagung aufgelaufenen Zinsen dem klagenden Land als Erleger des Enteignungsentschädigungsbetrags oder der beklagten Erlagsgegnerin als Enteignete zustehen.

Zu 1 Ob 639/57 sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass bei einem gemäß § 390 Abs 2 EO in Form eines Sparbuchs sicherungsweise erlegten Betrag die auflaufenden Zinsen der Erlagsmasse zuwachsen; dieser Zinsgewinn ist mit dem Geldbetrag auszufolgen. Auch zu 1 Ob 695/83 billigte der Oberste Gerichtshof die Auffassung der Vorinstanz, dass die Zinsen gemeinsam mit der hinterlegten Summe auszufolgen sind. Gemäß § 912 ABGB teilen nämlich die Zinsen – ganz unabhängig von der Frage, wann das Eigentum bei Hinterlegung bereits auf den Erlagsgegner übergeht – das rechtliche Schicksal der Hauptsache; insofern gebühren bei Hinterlegung auch die Erlagszinsen dem Erlagsgegner und nicht dem Hinterleger.

Zu 2 Ob 286/74 = SZ 48/18 (vgl auch LG Innsbruck zu 4 R 181/81 = AnwBl 1982/1556) wurde ausgesprochen, dass das Eigentum erst mit endgültiger Ausfolgung des Gerichtserlags an den Erlagsgegner übergeht. Zu 4 R 181/81 folgerte das Landesgericht Innsbruck, dass die am Sparbuch angefallenen Zinsen bis zur körperlichen Ausfolgung noch dem Erleger zustünden.

Demgegenüber wird im Schrifttum im Anschluss an Reischauer (in Rummel 3 § 1425 Rz 32; diesem folgend Koziol in KBB 5 § 1425 Rz 13; Stabentheiner in Kletečka/Schauer , ABGB ON § 1425 Rz 39 mwN) aus einem Analogieschluss aus § 429 zweiter Halbsatz ABGB (idF vor den VRUG BGBl I 2014/33) vertreten, dass das Eigentum an der hinterlegten Sache bereits mit der rechtmäßigen Hinterlegung auf den (wahren) Gläubiger übergehe.

Unabhängig davon, ob dieses Argument im Anlassfall zutrifft (hier wurde ein Geldbetrag erlegt und auf einem Sparbuch angelegt, sodass es nicht um die Ausfolgung eines hinterlegten körperlichen Gegenstands geht, an dem Eigentum übertragen werden soll, sondern um eine in einem Wertpapier verbriefte Forderung), teilen Zinsen als Nebengebühren im Sinn des § 912 ABGB regelmäßig das Schicksal der Hauptschuld. Jedenfalls kann die Zinsschuld nicht ohne die Kapitalschuld entstehen (vgl Schubert in Rummel , ABGB 3 § 999 Rz 2; vgl auch zum rechtlichen Schicksal der Zinsenforderung § 216 Abs 2 EO).

Darüber hinaus spricht aber auch Folgendes dafür, den während der Hinterlegungsphase auflaufenden Zinsgewinn dem Erlagsgegner zukommen zu lassen:

Nach § 36 Abs 6 Oö Straßengesetz (inhaltsgleich § 20 Abs 4 BStrG) kann der Vollzug des rechtskräftigen Enteignungsbescheids nicht gehindert werden, sobald die von der Behörde ermittelte Entschädigung oder Sicherheit für die erst nach Vollzug der Enteignung zu leistende Entschädigung an den Enteigneten ausbezahlt oder gerichtlich hinterlegt wurde. Diese Regelung dient im Kern dem Interesse der Erlegerin, die die Enteignung bereits vor Ende des Enteignungsentschädigungsverfahrens vollziehen kann (so bereits 6 Ob 2327/96s zu § 20 Abs 4 BStrG). Dass der Enteigner zum Schutz seines Interesses an einem raschen Vollzug einen eigenen gesetzlichen Erlagsgrund nach § 1425 ABGB hat, soll sich nicht zum Nachteil des Enteigneten (= Erlagsgegner) auswirken. Der Enteignete kann nach § 36 Abs 6 Oö Straßengesetz vielmehr bereits vor Ende des gerichtlichen Festsetzungsverfahrens die Ausfolgung der Entschädigungssumme begehren. Er trägt dabei die Gefahr einer etwaigen späteren Rückzahlungspflicht an den Enteigner; er kann aber in der Zwischenzeit über den hinterlegten Geldbetrag verfügen und ihn etwa auch nach seinen Vorstellungen anlegen. Es wäre bei dieser Sachlage schwer nachzuvollziehen, dass die enteignete Partei im Fall eines entsprechenden Antrags zwar bereits selbst zu ihrem eigenen Vorteil eine Veranlagung des Geldbetrags vornehmen könnte, ihr aber umgekehrt die Zinserträge einer vom Gericht vorgenommenen Veranlagung nicht zukommen sollten. Es sollte keinen Unterschied machen, ob die gerichtliche Verwahrung zu einem Zinsertrag führt oder der Enteignete selbst für einen solchen sorgt.

Auch der Rechtsgedanke der „Vermögensaufopferung“ im Zusammenhang mit der letztlichen Schuldbefreiung spricht aus systematischen Gründen dafür, den während der Hinterlegungsphase aufgelaufenen Zinsgewinn dem Erlagsgegner zukommen zu lassen.

Dass die Beklagte hier bereits als Ergebnis des Enteignungsentschädigungsfestsetzungsverfahrens 4 % Zinsen aus dem ermittelten Entschädigungsbetrag lukriert hat, steht der Ausfolgung auch der Fruktifikatszinsen nicht entgegen: Der Zinsenzuspruch im Verfahren zur Bestimmung der Höhe der Enteignungsentschädigung sollte der Aufwertung des Entschädigungsbetrags wegen überlanger Verfahrensdauer dienen und ist als solcher Teil des letztlich zu leistenden Entschädigungsbetrags, hat aber nichts mit den Fruktifikatszinsen als Ergebnis der Veranlagung des Erlags zu tun.

Da die Zinsen der fruchtbringenden Anlegung somit der enteigneten Beklagten (Erlagsgegnerin) gebühren, ist die berufungsgerichtliche Abweisung des Rückzahlungsbegehrens des erlegenden Landes zu bestätigen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41 und 50 ZPO.