JudikaturJustiz4Ob88/97p

4Ob88/97p – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. April 1997

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek und Dr. Niederreiter sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Viktor R*****, vertreten durch Dr. Othmar Simma Partner, Rechtsanwälte in Dornbirn, wider die beklagte Partei Evelyne D*****, vertreten durch Dr. Ludwig Draxler, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 10,000.000,--), infolge Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 11. Dezember 1996, GZ 3 R 223/96k-29, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 5. August 1996, GZ 8 Cg 218/95h-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 40.275,-- bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin S 6.712,50 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Vater der Streitteile verstarb am 8.10.1991. Er hinterließ eine Ehefrau und fünf Kinder. Sein Vermögen bestand im wesentlichen in den Anteilen an der R***** OHG. In seinem Testament setzte er den Kläger zu 60 % und seine vier Töchter zu je 10 % als Erben ein:

"Testament

Ich, Oskar R*****, geboren am 11.12.1906, treffe hiemit folgende letztwillige Verfügung und setze alle vorherigen außer Kraft. Mein Sohn Viktor erbt mein gesamtes Vermögen zu 60 % und meine Töchter zu je 10 %. Meine Töchter werden mit den von ihnen geerbten Anteilen an der Firma Franz M. R***** OHG Unterbeteiligte am Hauptgesellschafter Viktor R*****. Von mir gehaltene Unterbeteiligungen übernimmt mein Sohn Viktor. Im Hinblick auf die bereits gemachten Schenkungen an meine Frau habe ich diese testamentarisch nicht bedacht."

Der letzte Satz ist in den im Verlassenschaftsverfahren vorgelegten Testament gestrichen. Wer dies wann getan hat, konnte nicht festgestellt werden.

Der Erblasser war der Auffassung, daß die Schenkungen an seine Gattin es rechtfertigten, ihr nichts zu vererben. An sich sollte daher jedes seiner Kinder 20 % des Nachlasses erhalten. Seine Töchter hatten jedoch bereits Schenkungen erhalten. Auch wollte der Erblasser die Stellung seines Sohnes als Mehrheitsgesellschafter stärken bzw. sichern, so daß er sich entschloß, dem Kläger 60 % des Nachlasses und seinen Töchtern jeweils die Hälfte des ihnen an sich zustehenden Anteiles von 20 % zu vererben, um allfällige Probleme mit Pflichtteilsansprüchen auszuschalten.

Das Erstgericht konnte nicht feststellen, daß der Erblasser seine Töchter von der gesetzlichen Erbfolge ausschließen habe wollen. Ebensowenig konnte festgestellt werden, wie der Erblasser über sein Vermögen verfügt hätte, hätte er bedacht, daß sich eines der Kinder des Erbrechtes entschlagen würde.

Im Verlassenschaftsverfahren 3 A 1299/92d des Bezirksgerichtes Dornbirn entschlugen sich drei der Töchter des Erbrechts. Sie behielten sich vor, Pflichtteilsansprüche geltend zu machen.

Mit Notariatsakt vom 5.5.1993 entschlug sich die Witwe ihres gesetzlichen Erb- und Pflichtteilsrechts und überließ dem Kläger schenkungsweise jene Ansprüche und Vermögenswerte, welche ihr durch Erbsentschlagungen ihrer Kinder bereits angewachsen seien oder noch anwachsen würden. Der Kläger nahm die Schenkung an.

Die Streitteile änderten ihre Erbserklärungen mehrmals; der Kläger gab schließlich unter Berufung auf das Testament und das Gesetz eine unbedingte Erbserklärung zu 90 % des Nachlasses ab; die Beklagte berief sich ebenfalls auf das Testament und das Gesetz und gab eine unbedingte Erbserklärung zu 25 % des Nachlasses ab. Das Verlassenschaftsgericht nahm die Erbserklärungen an. Mit Beschluß vom 22.6.1995 teilte es dem Kläger in bezug auf die strittige Erbrechtsquote von 15 % die Klägerrolle zu.

Der Kläger begehrt festzustellen, daß die von der Beklagten für die über die ihr testamentarisch zugedachten 10 % des Nachlasses hinaus in Anspruch genommenen 15 % des Nachlasses herangezogenen Erbrechtstitel ungültig und unwirksam sind. Eventualiter begehrt der Kläger die Feststellung, daß der Beklagten zum Nachlaß ihres am 8.10.1991 verstorbenen Vaters Kommerzialrat Oskar R***** lediglich ein Erbrecht zu 10 % aufgrund ihrer Erbeinsetzung in der letztwilligen Verfügung vom 6.10.1989 zusteht und daß die Erbrechtstitel, die die Beklagte für die von ihr darüber hinaus in Anspruch genommenen 15 % des Nachlasses heranzieht, ungültig und unwirksam sind.

Die durch die Erbsentschlagungen freigewordenen 30 % seien zunächst auf die Mutter der Streitteile als gesetzliche Erbin übergegangen. Mit Notariatsakt vom 5.5.1993 habe die Mutter die Erbansprüche dem Kläger geschenkt. Nach dem Willen des Erblassers sollten seine Töchter keinesfalls mehr erhalten als die ihnen zugedachte - dem hypothetischen Pflichtteil - entsprechende Erbquote. Sie seien vom Erblasser schon zu dessen Lebzeiten reich beschenkt worden.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen.

Die Klage sei unschlüssig, weil der Kläger sein Begehren ausschließlich auf das Erbrecht der Mutter und nicht - wie in der letzten Erbserklärung - auf Anwachsung stütze. Das Klagebegehren sei unbestimmt, weil die Erbrechtstitel der Beklagten nicht genau bezeichnet seien. Ein gesetzlicher Erbe erhalte auch dann seine Quote, wenn er im Testament auf einen bestimmten Teil eingesetzt sei, sofern die Auslegung des Testaments nichts anderes ergebe. Dem Testament sei nicht zu entnehmen, daß die Kinder nicht auch als gesetzliche Erben erben sollten. Hingegen sollte die Witwe nichts erhalten, weil sie bereits durch Schenkungen unter Lebenden reichlich versorgt sei. Die 30 % fielen daher den Streitteilen je zur Hälfte zu.

Das Erstgericht wies das Haupt- und das Eventualbegehren ab.

Die Klagserzählung sei schlüssig; das Begehren sei bestimmt. Die §§ 560ff ABGB seien Auslegungs- und Zweifelsregeln, die nicht anzuwenden seien, wenn der Wille des Erblassers feststehe. Daß der Erblasser seinen Töchtern nur den Pflichtteil habe zukommen lassen wollen, stehe nicht fest. Wille des Erblassers sei es aber gewesen, daß die Witwe keine Zuwendungen mehr erhalten solle. Sie habe daher über die durch die Erbsentschlagungen frei gewordene Quote nicht verfügen können; der Notariatsakt vom 5.5.1993 sei für die Entscheidung ohne Bedeutung. Der frei gewordene Erbteil falle den Streitteilen je zur Hälfte zu; die Beklagte nehme daher zu Recht 25 % des Nachlasses für sich in Anspruch.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei.

Es könne kein Zweifel daran bestehen, daß der Erblasser seine Ehegattin wegen der bereits zu Lebzeiten zugekommenen Schenkungen nicht testamentarisch bedacht habe und daß das Nachlaßvermögen lediglich den Kindern zukommen sollte. Für einen Sinneswandel des Erblassers nach der Errichtung der letztwilligen Verfügung fehle jeder Anhaltspunkt. Die fünf Kinder seien zu bestimmten Teilen eingesetzt worden; die durch die Erbsentschlagung freigewordenen Erbquoten kämen daher den gesetzlichen Erben zu. Im Zweifel erhalte der gesetzliche Erbe seine Quote auch dann, wenn er auf einen bestimmten Teil eingesetzt sei. Einen davon abweichenden Willen des Erblassers habe der Kläger nicht bewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Der Kläger ist der Auffassung, daß § 562 ABGB dem bestimmt eingesetzten Erben in keinem Fall ein Zuwachsrecht einräume. Selbst wenn dies aber der Fall wäre, könnte der durch die Erbsentschlagungen freigewordene Teil des Nachlasses nicht zu gleichen Teilen auf die Streitteile aufgeteilt werden. Der Pflichtteil der drei Schwestern betrage 20 % des Nachlasses; zu gleichen Teilen aufzuteilen seien daher nur 10 %. Die 20 % des Nachlasses hätten hingegen den Streitteilen entsprechend ihrer Pflichtteilsbelastung zuzukommen.

Hat der Erblasser mehrere Erben eingesetzt und gelangen einzelne von ihnen nicht zur Erbschaft, so entscheidet der Wille des Erblassers, wer ihren Teil erhält. Hat er nichts anderes verfügt, so kommt es unter bestimmten Voraussetzungen zur Anwachsung (Koziol/Welser10 II 357ff).

Die Anwachsung ist in den §§ 560ff ABGB geregelt. Sie beruht auf dem vermuteten Willen des Erblassers. Die gesetzlichen Vorschriften über die Anwachsung sind demnach Auslegungsregeln, die dem wie immer bewiesenen anderen Willen des Testators weichen (Ehrenzweig/Kralik, Erbrecht3, 176ff; Weiß in Klang**2 III 248; JBl 1992, 385 = NZ 1992, 251 mwN).

Nach § 562 ABGB gebührt einem bestimmt eingesetzten Erben in keinem Fall das Zuwachsrecht. Wenn also kein unbestimmt eingesetzter Erbe übrig ist, so fällt ein erledigter Erbteil nicht einem noch übrigen, für einen bestimmten Teil eingesetzten, sondern dem gesetzlichen Erben zu (§ 562 Satz 2 ABGB). Diese Auslegungsregel beruht auf der Annahme, daß der Erblasser einen bestimmt zugewendeten Teil als Höchstanteil versteht (Ehrenzweig, Familien- und Erbrecht**2 II/2, 421; Welser in Rummel, ABGB**2 §§ 560 - 563 Rz 4). Deshalb sollen im Zweifel nur solche Erben anwachsungsberechtigt sein, die ohne Bestimmung von Teilen eingesetzt wurden, während die auf bestimmte Teile eingesetzten Erben nichts dazuerhalten. Sind alle Erben zu bestimmten Teilen eingesetzt, so fällt ein frei werdender Teil an die gesetzlichen Erben (Koziol/Welser aaO 358).

Der Kläger und seine Schwestern wurden zu bestimmten Teilen eingesetzt: der Kläger zu 60 %, jede seiner Schwestern zu 10 %. Damit ist ein Anwachsen der durch die Erbsentschlagung der drei Schwestern frei gewordenen 30 % im Zweifel ausgeschlossen. Dem Kläger ist es nicht gelungen, einen gegenteiligen Willen des Erblassers zu beweisen. Das Erstgericht hat festgehalten, nicht feststellen zu können, was dem Willen des Erblassers entsprochen hätte, wenn bedacht worden wäre, daß sich eines der Kinder des Erbrechtes entschlagen würde.

Die frei gewordenen 30 % haben daher den gesetzlichen Erben zuzufallen. Gesetzliche Erben sind die Witwe und die Kinder. Während die Witwe im Testament nicht bedacht wurde, sind die in Frage kommenden Kinder - der Kläger und die Beklagte - auch Testamentserben.

Wird ein Teil des Nachlasses durch (zB) Erbsentschlagung frei, so erhält der gesetzliche Erbe auch dann seine Quote, wenn er im Testament auf einen bestimmten Teil eingesetzt ist (Welser aaO §§ 560 - 563 Rz 7 mwN). Für diese Auffassung spricht, daß § 562 ABGB nur festhält, wie das Testament auszulegen ist, wenn der Erblasser seinen Erben auf einen bestimmten Erbteil eingesetzt hat. § 562 ABGB betrifft daher die Erbfolge aufgrund des Testamentes. Die Bestimmung sagt aber nichts darüber aus, ob der Erblasser seinem bestimmt eingesetzten Testamentserben auch dann nicht mehr als den von ihm bestimmten Erbteil hinterlassen wollte, wenn dieser auch aufgrund des Gesetzes erbt (s Ehrenzweig/Kralik aaO 178).

Das Gesetz schließt es demnach nicht aus, daß ein durch Erbsentschlagung frei gewordener Teil den bestimmt eingesetzten Testamentserben, die zugleich gesetzliche Erben sind, zufällt. Daß der Erblasser dies nicht gewollt hätte, ist im Verfahren nicht hervorgekommen.

Das Verfahren hat aber ergeben, daß der Erblasser seiner Ehegattin nichts vererben wollte, weil er sie bereits zu seinen Lebzeiten beschenkt hatte. Der Erblasser hat seine Ehegattin im Testament nicht nur übergangen, sondern er hat ausdrücklich festgehalten, warum er sie nicht bedacht hat. Wenn dieser Satz in der im Verlassenschaftsverfahren vorgelegten Ausfertigung des Testaments auch gestrichen ist, so bleibt die darin ausgedrückte und vom Erstgericht auch festgestellte Absicht des Erblassers davon doch unberührt. Hat der Erblasser selbst den Satz gestrichen (was gar nicht feststeht), so ist sein Wille, seiner Ehegattin nichts zu vererben, offenbar dennoch gleich geblieben, hat er doch seine sonstigen letztwilligen Verfügungen unverändert gelassen, in denen er seine Ehegattin nicht bedacht hat.

Nach dem festgestellten Sachverhalt wollte der Erblasser demnach sein Vermögen seinen Kindern zukommen lassen. Es steht aber nicht fest, welche Verfügungen der Erblasser getroffen hätte, hätte er gewußt, daß sich drei seiner Töchter ihres Erbteiles entschlagen würden. Die vom Kläger für diesen Fall angestellten Vermutungen können daher nicht berücksichtigt werden.

Das gilt auch für die Überlegungen und Berechnungen, die der Kläger anstellt, um zu erreichen, daß die allfälligen Pflichtteilsansprüche seiner drei Schwestern aus dem ihnen zugedachten Erbteil gedeckt werden. Nach dem Gesetz erben der Kläger und die Beklagte als Kinder des Erblassers zu gleichen Teilen. Die durch die Erbsentschlagung freigewordenen Anteile könnten ihnen nur dann in einem anderen als dem vom Gesetz vorgesehenen Verhältnis zugewiesen werden, wenn das Testament Anhaltspunkte dafür böte, daß der Erblasser eine solche andere Verteilung gewollt hat. Daß der Erblasser seinen vier Töchtern jeweils 10 % seines Vermögens in Form einer Unterbeteiligung an der Gesellschaftsbeteiligung des Klägers hinterlassen hat, um "allfällige Probleme eines Pflichtteilsanspruches auszuschalten", reicht dafür nicht aus. Diese Bestimmung ist offenkundig darauf ausgerichtet, von der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen abzuhalten, wird den Töchtern damit doch selbst ohne Anrechnung etwaiger Vorempfänge mehr hinterlassen, als ihnen aufgrund ihres Pflichtteilsanspruches aus dem Nachlaß (dh ohne Berücksichtigung eines allfälligen Schenkungspflichtteils) zustünde.

Dem Kläger ist es demnach nicht gelungen zu beweisen, daß und welche andere Verteilung der Erblasser verfügt hätte, hätte er die künftigen Entwicklungen vorausgesehen. Das Erstgericht hat vielmehr, wie bereits erwähnt, festgehalten, nicht feststellen zu können, was dem Willen des Erblassers entsprochen hätte, wenn bedacht worden wäre, daß sich eines (oder mehrere) der Kinder des Erbrechts entschlagen würde(n).

Die Vorinstanzen sind daher zu Recht zum Schluß gekommen, daß die durch die Erbsentschlagung frei gewordenen Erbteile der drei Schwestern den Streitteilen aufgrund des Gesetzes zu gleichen Teilen zufallen.

Die Revision mußte erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.