JudikaturJustiz4Ob31/04v

4Ob31/04v – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. März 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß und Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö***** GmbH, *****, und des Nebenintervenienten auf Seiten der Klägerin Ing. Günter G*****, beide vertreten durch Dr. Ernst Gruber, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. Winfried S*****, vertreten durch Sattlegger Dorninger Steiner Partner Anwaltssocietät in Linz, wegen Feststellung (Streitwert 18.894,94 EUR sA), über die Revisionsrekurse des Nebenintervenienten und des Beklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 4. Dezember 2003, GZ 3 R 138/03i 52, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Linz vom 16. Juni 2003, GZ 31 Cg 7/03w 47, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs des Beklagten wird nicht Folge gegeben; dem Revisionsrekurs des Nebenintervenienten wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben und dem Erstgericht wird aufgetragen, das gesetzmäßige Verfahren über die Klage durchzuführen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit der am 5. 1. 2001 eingelangten Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass ihr der Beklagte für im Einzelnen angeführte Zahlungen und weiters für sämtliche weiteren Schäden aus seiner sorgfaltswidrigen Vertretung der nunmehrigen Klägerin als Beklagte im Verfahren 4 Cg 83/94 des Landesgerichts Linz hafte. Gegenstand des Verfahrens 4 Cg 83/94 war ein Schadenersatzanspruch des Nebenintervenienten gegen die Klägerin; in diesem Verfahren hatte der Beklagte die Klägerin vertreten. Vertreter des Nebenintervenienten war der nunmehrige Vertreter der Klägerin.

In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 14. 9. 2001 wandte der Beklagte ein, dass die am 29. 12. 2000 nach § 40 FBG wegen Vermögenslosigkeit amtswegig gelöschte Klägerin wegen Vollbeendigung nicht parteifähig sei. Der Beklagte regte an, dem Klagevertreter die Vorlage einer Vollmacht aufzutragen.

Mit Schriftsatz vom 4. 10. 2001 legte die Klägerin eine Vollmacht vom 24. 6. 1998 vor, die offenbar vom damaligen Geschäftsführer der Klägerin und dessen Mitgesellschafter unter Beisetzung der Firmenstampiglie unterfertigt war. Nach dem Inhalt der Vollmachtsurkunde war dem Klagevertreter neben einer Prozessvollmacht eine Bevollmächtigung für alle Angelegenheiten einschließlich in der Formularvollmacht aufgezählter Spezialangelegenheiten erteilt worden.

Mit Beschluss vom 22. 10. 2001, ON 17, trug das Erstgericht der Klägerin auf, dem Gericht binnen 4 Wochen ihren organschaftlichen Vertreter bekannt zu geben. Mit Schriftsatz vom 31. 10. 2001 wies die Klägerin darauf hin, dass ihr die Prozessführung ohne Verfahrenshilfe nicht möglich wäre; mit Schriftsatz vom 7. 1. 2002 beantragte sie, die Frist für die Bekanntgabe ihres Geschäftsführers um einen Monat zu erstrecken. Die „nötigen Recherchen über die Basis einer Nachtragsliquidation" hätten nicht abschließend durchgeführt werden können; dies sei „doch sehr arbeitsintensiv".

Mit Beschluss vom 9. 1. 2002, ON 21, wies das Erstgericht den Fristerstreckungsantrag und den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ab, wies die Klage mangels Prozessfähigkeit der Klägerin zurück und erklärte das bisherige Verfahren für nichtig. Für die Klägerin sei weder ein Notgeschäftsführer noch ein Notliquidator bestellt.

Das Rekursgericht trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf (ON 34). Eine vom organschaftlichen Vertreter einer juristischen Person vor dem Verlust seiner Funktion in deren Namen ausgestellte Prozessvollmacht decke alle zur Einleitung und Fortführung des Prozesses notwendigen Verfahrenshandlungen. Die Klägerin sei daher prozessual handlungsfähig, auch wenn die Geschäftsführungsbefugnis ihres einzigen Geschäftsführers bereits am 16. 9. 1999 geendet habe.

Dieser Beschluss erwuchs in Rechtskraft.

Mit Schriftsatz vom 7. 10. 2002 verkündete die Klägerin Ing. Günther G***** den Streit; mit Schriftsatz vom selben Tag trat Ing. Günther G***** dem Verfahren als Nebenintervenient auf Seiten der Klägerin bei.

In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 26. 11. 2002 trat der Klagevertreter nur als Vertreter des Nebenintervienten und nicht auch als Vertreter der Klägerin auf. Er erklärte, damit „dem Einwand der Richterin Rechnung getragen" zu haben, „dass keine Doppelvertretung vorliegt". Auf die Frage der Richterin, ob das Vollmachtsverhältnis zur Klägerin noch aufrecht sei, erklärte der Klagevertreter, sich dazu nicht zu äußern. Die Klägerin sei „hier und heute nicht vertreten".

Am 15. 4. 2003 trug das Erstgericht dem Klagevertreter auf, binnen 14 Tagen bekannt zu geben, ob das Vollmachtsverhältnis zur Klägerin noch aufrecht sei, falls nicht, wer sie derzeit vertrete. Äußere sich der Klagevertreter nicht, so werde angesichts der Vorkommnisse in der Tagsatzung vom 26. 11. 2002 von einer Beendigung des Vollmachtsverhältnisses ausgegangen. Es möge auch bekannt gegeben werde, ob noch ein Vollmachtsverhältnis zum Nebenintervenienten gegeben sei.

Der Klagevertreter erstattete die ihm aufgetragene Äußerung nicht.

Mit Beschluss vom 16. 6. 2003, ON 47, wies das Erstgericht die Klage zurück und hob das Verfahren einschließlich der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 26. 11. 2002 als nichtig auf. Schon aus dem Verhalten des Klagevertreters in der Tagsatzung vom 26. 11. 2002 sei die materiellrechtliche Beendigung des Vollmachtsverhältnisses zu erschließen. Eine Nichtvertretung trotz Anwesenheit in der Verhandlung wäre eine derart offenkundige und massive Verletzung von Standespflichten, wie sie einem Rechtsanwalt nicht unterstellt werden könne. Das Schweigen des Klagevertreters sei als Anzeige der Beendigung des Vollmachtsverhältnisses zu werten. Die Klägerin sei daher zumindest seit Beginn der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 26. 11. 2002 ohne jeden Vertreter und somit prozessunfähig. Der mit dem Beschluss vom 15. 4. 2003 unternommene Sanierungsversuch sei erfolglos geblieben.

Das Rekursgericht hob diesen Beschluss auf, sprach aus, dass das Verfahren bis zur Beendigung des Mangels der gesetzlichen Vertretung der Klägerin unterbrochen sei, der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die im Beschluss ON 34 vertretene Auffassung, wonach die Klägerin aufgrund der dem Klagevertreter erteilten Prozessvollmacht prozessfähig sei, könne nicht länger aufrecht erhalten werden. Diese Rechtsauffassung nehme nicht ausreichend darauf Bedacht, dass juristische Personen nicht prozessfähig seien. Der Beschluss sei jedoch bindend. Seit der mündlichen Streitverhandlung vom 26. 11. 2002 liege jedoch das Prozesshindernis der mangelnden gesetzlichen Vertretung der Klägerin vor. Dem sei in sinngemäßer Anwendung des § 158 ZPO Rechnung zu tragen und die Unterbrechung des Verfahrens seit 26. 11. 2002 festzustellen. Die Erteilung der Prozessvollmacht an einen Rechtsanwalt stehe der Unterbrechung nicht entgegen, weil die Klägerin bereits bei Einleitung des Verfahrens keinen gesetzlichen Vertreter gehabt habe und der ausgewiesene Rechtsanwalt aufgrund einer möglicherweise bestehenden Interessenkollision tatsächlich nicht mehr für die Klägerin einschreite.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diesen Beschluss gerichteten Revisionsrekurse des Nebenintervenienten und des Beklagten sind zulässig; der Revisionsrekurs des Nebenintervenienten ist berechtigt; jener des Beklagten ist nicht berechtigt.

1. Zum Revisionsrekurs des Beklagten

Der Beklagte macht geltend, dass die Klägerin weder partei- noch prozessfähig sei. Der Klagevertreter habe weder behaupten noch beweisen können, über einen Auftrag und eine Vollmacht für die Einbringung der Klage und die rechtswirksame Geltendmachung einer Forderung der Klägerin zu verfügen. Durch die Zuerkennung der Parteifähigkeit aufgrund bloßer Behauptung eines früheren Bevollmächtigten werde das Grundrecht des Beklagten auf ein faires Verfahren verletzt. Die Klägerin sei auch nicht prozessfähig, weil sie vom Klagevertreter gar nicht vertreten werde.

Der Beklagte lässt außer Acht, dass er den Beschluss des Rekursgerichts ON 34 unangefochten ließ, so dass eine rechtskräftige Entscheidung besteht, wonach die Klägerin partei- und prozessfähig ist. Diese Entscheidung ist bindend; sie steht einer neuerlichen Prüfung der Partei- und Prozessfähigkeit der Klägerin entgegen (§ 7 Abs 2 ZPO; Fucik in Rechberger, ZPO² § 7 Rz 3).

2. Zum Revisionsrekurs des Nebenintervenienten

Der Nebenintervenient verweist auf die rechtskräftige Entscheidung über die Partei- und Prozessfähigkeit der Klägerin und auf sein Einschreiten für die Klägerin. Dadurch würden Säumnisfolgen ausgeschlossen.

Richtig ist, dass der Nebenintervenient nach § 19 Abs 1 ZPO Prozesshandlungen für die Hauptpartei vornehmen und daher durch sein Erscheinen Säumnisfolgen für die Hauptpartei verhindern kann ( Fucik aaO § 19 Rz 1 mwN). Im vorliegenden Fall geht es aber nicht darum, ob die Klägerin durch das Untätigbleiben des Klagevertreters säumig geworden ist, sondern ist zu klären, ob dies dazu führt, dass der Klägerin - wie das Rekursgericht meint - im Sinne des § 158 ZPO ein „gesetzlicher Vertreter" fehlt.

Nach § 158 Abs 1 ZPO wird das Verfahren unterbrochen, wenn eine Partei die Prozessfähigkeit verliert, oder wenn der gesetzliche Vertreter einer Partei stirbt, oder dessen Vertretungsbefugnis aufhört, ohne dass die Partei prozessfähig geworden ist, dies allerdings nur dann, wenn die von diesen Veränderungen betroffene Partei weder durch einen Rechtsanwalt noch durch eine andere mit Prozessvollmacht ausgestattete Person vertreten ist. Die durch Widerruf oder Kündigung herbeigeführte Aufhebung der Prozessvollmacht wird Gericht und Gegner gegenüber im Anwaltsprozess erst wirksam, wenn die Partei die Bestellung eines anderen Rechtsanwalts anzeigt (§ 36 Abs 1 ZPO; Fucik aaO § 36 Rz 1 mwN).

Im vorliegenden Fall hat der Klagevertreter in einer Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung erklärt, für die Klägerin nicht einzuschreiten; er hat die ihm für die Äußerung, ob er die Klägerin noch vertritt oder wer sonst die Klägerin vertritt, gesetzte Frist ungenützt verstreichen lassen. Ob sein Verhalten den von den Vorinstanzen gezogenen Schluss rechtfertigt, dass er die Klägerin nicht mehr vertrete, kann offen bleiben, weil im vorliegenden Anwaltsprozess eine allfällige Beendigung des Vollmachtsverhältnisses dem Gericht und auch dem Prozessgegner gegenüber jedenfalls nicht wirksam geworden ist. Dazu hätte es der Mitteilung bedurft, dass die Klägerin einen anderen Rechtsanwalt bestellt habe.

Das damit für Gericht und Prozessgegner noch aufrechte Vollmachtsverhältnis hindert eine Unterbrechung des Verfahrens unabhängig davon, ob die Beendigung des Vollmachtsverhältnisses durch Kündigung oder Widerruf dem Tod des gesetzlichen Vertreters einer prozessunfähigen Partei gleich gehalten werden könnte. Diese Frage kann sich im Anwaltsprozess im Übrigen gar nicht stellen, weil das Vollmachtsverhältnis in diesen Fällen immer nur mit der Anzeige der Bestellung eines neuen Rechtsanwalts enden könnte, dessen Bestellung wiederum einerseits die Handlungsfähigkeit der Partei voraussetzte, andererseits dazu führte, dass der Verlust der Prozessfähigkeit oder der Tod des gesetzlichen Vertreters keinen Unterbrechungsgrund bildete. Ist daher eine Partei, deren Partei- und Prozessfähigkeit rechtskräftig feststeht, durch einen Rechtsanwalt vertreten, so scheidet eine Unterbrechung des Verfahrens nach § 158 ZPO im Anwaltsprozess auch dann aus, wenn der Rechtsanwalt das Vollmachtsverhältnis beendet, weil die Beendigung Gericht und Prozessgegner gegenüber bis zur Bestellung eines anderen Rechtsanwalts wirkungslos bleibt. Das Fehlen eines „gesetzlichen" (richtig: organschaftlichen) Vertreters bereits bei Einleitung des Rechtsstreits kann entgegen der Auffassung des Rekursgerichts zu keiner anderen Beurteilung führen, weil die Prozessfähigkeit der Klägerin angesichts des auch den Obersten Gerichtshof bindenden Beschlusses über die Partei- und Prozessfähigkeit der Klägerin nicht überprüft werden kann.

Zu keiner anderen Beurteilung führt auch die Tatsache, dass der Klagevertreter mit der Vertretung von Klägerin und Nebenintervenienten die Prozessgegner des vorangegangenen Verfahrens vertritt, wobei er den Nebenintervenienten auch im vorangegangenen Verfahren vertreten hat. Eine im Prozess ungültige, weil mit dem kontradiktorischen Charakter des Zivilprozesses unvereinbare Vertretung liegt nur vor, wenn der Vertreter beide Parteien vertritt oder wenn die Partei gleichzeitig als Vertreter ihres Gegners handelt. Ob ein Verstoß gegen das disziplinäre Verbot der Doppelvertretung (§ 10 Abs 1 RAO), das weit darüber hinausgeht ( Zib in Fasching² § 26 ZPO Rz 66ff mwN), vorliegt, braucht hier nicht untersucht zu werden.

Dem Revisionsrekurs des Nebenintervenienten war Folge zu geben; der Revisionsrekurs des Beklagten musste erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.