JudikaturJustiz4Ob28/23f

4Ob28/23f – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. März 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz, als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Dr. Martin Brenner, Dr. Martin Klemm, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei H* GmbH *, vertreten durch Bischof Zorn + Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 23.530,69 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 16. November 2022, GZ 39 R 245/22a 16, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 20. Juni 2022, GZ 95 C 86/21f 10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.568,52 EUR (darin 261,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger ist Mieter, die Beklagte ist Vermieterin eines Geschäftslokals. Der Kläger hat dafür den vorgeschriebenen Nettohauptmietzins von monatlich 3.500 EUR bezahlt.

[2] Mit Antrag an die Schlichtungsstelle vom 21. 9. 2015 leitete der Kläger ein Mietzinsüberprüfungsverfahren gem äß § 16 MRG ein. Nach Anrufung des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien wurde das gerichtliche Verfahren bis zum Obersten Gerichtshof geführt, der die außerordentlichen Revisionsrekurse beider Streitteile am 21. 5. 2019 zurückwies (5 Ob 47/19a). Damit steht eine Überschreitung des zulässigen Zinsausmaßes von 2.358 EUR (brutto) fest. Die Beklagte korrigierte die Vorschreibung mit August 2019; die gesamte Mietzinsüberzahlung erstattete sie dem Kläger am 23. 10. 2019 zurück. Zinsen aus dem rückerstatteten Betrag zahlte die Beklagte nicht.

Der Kläger begehrte mit Mahnklage vom 23. 12. 2021 ausschließlich die aus dem Spruch ersichtlichen Zinsen. Gemäß § 27 Abs 3 MRG stünden ihm Zinsen im gesetzlichen Ausmaß von 4 % pa zu. Da der gesamte Rückforderungsanspruch – inklusive Zinsen – während eines Verfahrens über die Höhe des Hauptmietzinses gemäß § 27 Abs 3 letzter Satz MRG gehemmt sei, sei die Rückforderung nicht verjährt.

[3] Die Beklagte anerkannte die zwischen 5. 1. 2019 und 5. 7. 2019 bis jeweils 22. 10. 2019 aufgelaufenen Zinsen; im Übrigen wendete sie Verjährung ein. Zinsenforderungen unterlägen unabhängig von ihrem Rechtsgrund der Verjährungsvorschrift des § 1480 ABGB. Soweit der Kläger sich auf eine Hemmung gemäß § 27 Abs 3 MRG berufe, stelle dies lediglich eine Ablaufhemmung dar, die Klage auf Rückforderung sei aber nicht binnen angemessener Frist eingebracht worden.

[4] Das Erstgericht gab der Klage statt. § 27 Abs 3 MRG regle nicht nur die Mietzinsüberzahlung, sondern auch die daraus entstehenden gesetzlichen Zinsen abschließend. § 27 Abs 3 MRG letzter Satz normiere eine Fortlaufhemmung, weshalb die Verjährung des Rückforderungsanspruchs vom Zeitpunkt der Antragstellung (21. 9. 2015) bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft der Sachentscheidung (19. 9. 2019) gehemmt gewesen sei. Für die nach Antragstellung am 21. 9. 2015 angefallenen Zinsen habe daher die Verjährungsfrist erst am 19. 9. 2019 zu laufen begonnen. Sie seien zum Zeitpunkt der Klagseinbringung am 23. 12. 2021 daher nicht verjährt gewesen. Zinsen, die bereits vor der Antragstellung am 21. 9. 2015 angefallen seien, deren Verjährung aber aufgrund der Antragstellung gehemmt worden sei, seien ab 28. 3. 2015 nicht verjährt, was zur gänzlichen Klagsstattgebung führe.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu fehle, ob § 27 Abs 3 letzter Satz MRG eine Ablaufhemmung oder eine Fortlaufhemmung normiere.

[6] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit dem Antrag auf Abänderung der Urteile der Vorinstanzen im klagsabweisenden Sinn; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[7] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ih r nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

[9] 1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr der Zinsenanspruch des Klägers. Werden lediglich Nebenforderungen im Sinn des § 54 Abs 2 JN (wie etwa Zinsen) geltend gemacht, ist deren Betrag für die Streitwertberechnung maßgebend ( RS0046466 ). Da die vom Berufungsgericht zutreffend als selbständig gewertete Zinsforderung jedenfalls 5.000 EUR übersteigt, ist die Revision nicht nach § 502 Abs 2 ZPO ausgeschlossen.

[10] 2.1. Der Oberste Gerichtshof hat sich in der Entscheidung 5 Ob 160/07a im Zusammenhang mit einer gemäß § 27 Abs 1 MRG verbotenen Ablöse mit der Anwendung der in § 27 Abs 3 MRG normierten speziellen Verjährungsfristen auf die Verjährung von Zinsenforderungen beschäftigt. Er führte in diesem Zusammenhang aus, dass § 27 Abs 3 dritter Satz MRG nur die Verjährungsfrist für die „entgegen den Bestimmungen des Abs 1 vereinnahmten Leistungen“ normiere, worunter Zinsenforderungen jedenfalls nicht zu subsumieren seien. Der Bestimmung des § 27 Abs 3 MRG sei daher eine Derogation des § 1480 ABGB nicht zu entnehmen. Mit dem Begriff „gesetzliche Zinsen“ werde auf die Bestimmungen des § 1000 und § 1480 ABGB verwiesen. Unter Ablehnung gegenteiliger Literaturstimmen sprach der 5. Senat aus, dass die „gesetzlichen Zinsen“ deren Rückzahlung § 27 Abs 3 MRG anordne – unbeschadet der für die Rückforderung geltenden Verjährungsbestimmungen von drei bzw zehn Jahren – jedenfalls der Verjährungsfrist des § 1480 ABGB unterlägen. Der Zinsenanspruch beginne mit der jeweiligen Zahlung zu laufen (vgl 5 Ob 160/07a mwN = RS0122424 , dem folgend 5 Ob 161/07y ; 5 Ob 162/07w) .

[11] 2.2. § 27 Abs 3 letzter Satz MRG normiert die Hemmung der Verjährung des Rückforderungsanspruchs, solange bei Gericht (bei der Gemeinde, § 39) ein Verfahren über die Höhe des Mietzinses anhängig ist. Zur Frage der Hemmung der Verjährung der Rückforderung von überhöhten Mietzinszahlungen (samt gesetzlichen Zinsen) trifft die zur Frage der Verjährungs frist für die Rückforderung einer verbotenen Ablöse ergangene Entscheidung des 5. Senats keine Aussage.

[12] 2.3. Zur Verjährungshemmung des § 1495 ABGB hat der Oberste Gerichtshof in 1 Ob 72/17w ausgeführt, der § 1480 ABGB zugrundeliegende Gedanke des Schuldnerschutzes habe in den Fällen des § 1495 Satz 1 ABGB hinter die durch diese Vorschrift geschützten Interessen – den Schutz eines möglichst ungestörten Familienlebens – zurückzutreten und die Anwendung der Verjährungshemmung auch auf vertragliche Verzugszinsen bejaht ( RS0034679 [T7]).

[13] 2.3. Die Hemmungswirkung der Verjährung von Ansprüchen auf Rückforderung unzulässig eingehobener Mietzinse soll es dem Mieter ermöglichen, den Ausgang eines für den Rückforderungsanspruch präjudiziellen Verfahrens abzuwarten. In einem „Verfahren über die Höhe des Mietzinses“ kann nämlich der zulässige Mietzins für den Einhebungszeitraum und darüber hinaus festgestellt werden ( RS0112330 ).

[14] 2.4. Sinn und Zweck der Bestimmung des § 27 Abs 3 letzter Satz MRG ist es, Mietern im Wege des Mietzinsüberprüfungsverfahrens kostengünstig und effizient die Feststellung der zulässigen Mietzinshöhe zu ermöglichen, ohne der Gefahr einer zeitnahen Verjährung (beinahe) aller bezahlter und zum Teil rückforderbarer Mietzinse ausgesetzt zu sein. Gegenständlich spricht daher der Schutzzweck der Norm für eine nach eindeutigen mathematischen Regeln mögliche Berechnung der Verjährungshemmung der einzelnen monatlichen Teilzahlungen und damit für eine Fortlaufshemmung. Das hat im Sinne dieses Schutzzwecks auch für gesetzliche Zinsen zu gelten.

[15] 3.1. Der Gesetzgeber kennt eine Fortlaufhemmung (etwa: § 1495 ABGB; § 12 Abs 2 VersVG), die den Beginn oder Weiterlauf der Frist hindert, wobei nach Wegfall des Hindernisses die ganze Frist oder ihr verbliebener Rest ablaufen muss, und eine Ablaufhemmung (etwa: § 1494 Satz 2 ABGB alt [ nunmehr: Abs 3, Satz 2 ] – 1 Ob 53/07m ; § 6 Abs 1 AHG [vgl RS0050345]), die eine Frist ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt ihres Beginns erst mit Wegfall des Hindernisses oder Ablauf eines gesetzlich bestimmten Zeitraums danach enden lässt. Im Zweifel ist der Zweck einer Hemmungsanordnung maßgeblich (3 Ob 187/11p 5.6.7.7 mwN).

[16] 3.2. Die zweitinstanzliche Judikatur (etwa: LGZ Wien 41 R 8/09v = MietSlg 61.349 mwN und LG St. Pölten 7 R 51/21m) geht von einer in § 27 Abs 3 letzter Satz MRG normierten Fortlaufhemmung aus. Demgegenüber gehen Pesek (in Hausmann/Vonkilch , MRG 4 § 27 Rz 56) unter Berufung auf Ostermayer (in Verbotene Ablösen Rz 182) und H. Böhm und Prader (in GeKo Wohnrecht I § 27 MRG Rz 115) nicht von einer Fort-, sondern von einer (wie auch sonst nur zwischen den Streitparteien wirkenden) Ablaufhemmung aus, sodass im Falle eines Verfahrens zur Rückforderung einer entgegen den §§ 15 bis 26 MRG geleisteten Zahlung dann, wenn kein Rückforderungstitel nach § 37 Abs 4 MRG geschaffen wird, die Klage auf Rückforderung der unzulässigen Beträge in sinngemäßer Anwendung des § 1497 ABGB binnen angemessener Frist nach rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens nach § 37 MRG einzubringen ist.

4. Dazu hat der Senat erwogen:

[17] 4.1. Der Wortlaut des § 27 MRG stellt nicht auf das Erfordernis der gehörigen Klagsfortsetzung ab, sondern lediglich auf die Dauer des anhängigen Verfahrens („ solange bei Gericht bzw bei der Gemeinde ein Verfahren über die Höhe des Mietzinses anhängig ist“). Für die Verjährungshemmung in § 933b Abs 3 ABGB wird aufgrund des Wortlauts („für die Dauer des Rechtsstreits gehemmt“) von einer Fortlaufhemmung ausgegangen ( Reischauer in Rummel/Lukas , ABGB 4 § 933b Rz 141 mwN). Gleiches gilt für die Bestimmung des § 1495 ABGB ( RS0117534 ), wonach die Verjährung der Ansprüche eines Ehegatten oder eines eingetragenen Partners auf Abgeltung der Mitwirkung im Erwerb des anderen so lange gehemmt ist, „als ein gerichtliches Verfahren zur Entscheidung über einen Anspruch auf Abgeltung anhängig ist und gehörig fortgesetzt wird“.

[18] 4.2. Die Annahme einer Ablaufhemmung, wie sie im österreichischen Recht bei Führung von Vergleichsgesprächen angenommen wird, ist für Fristen, die primär nicht diesem Zweck dienen, nicht überzeugend (vgl 1 Ob 558/87 mwN, dort zu Art 32 Abs 2 CMR). Sinn und Zweck der Hemmungsanordnung in § 27 Abs 3 letzter Satz MRG ist die Entscheidung über eine Vorfrage und nicht die Führung von Vergleichsgesprächen, weshalb diese Überlegung auch hier zutrifft.

[19] 4.3. Bei Anordnung einer Ablaufshemmung, die an das Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung anknüpft – wie etwa § 6 Abs 1 AHG – hat der Gesetzgeber in der Regel eine ausdrückliche Nachfristanordnung vorgesehen („Ersatzansprüche nach § 1 Abs 1 AHG verjähren keinesfalls vor einem Jahr nach Rechtskraft einer rechtsverletzenden Entscheidung oder Verfügung“); damit lassen sich Unsicherheiten vermeiden.

[20] 5. Die Berechnung des Klagsanspruchs unter Zugrundelegung einer Fortlaufshemmung stellt die Beklagte in ihrer Revision nicht in Frage.

[21] Der Revision war damit im Ergebnis keine Folge zu geben.

[22] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.