JudikaturJustiz3Ob32/60

3Ob32/60 – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Februar 1960

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Ersten Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Heller als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Dinnebier, Dr. Liedermann, Dr. Berger und Dr. Überreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Viktor W*****, Rechtsanwalt in *****, vertreten durch Dr. Erich Primus, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei E*****-Gesellschaft, Filialdirektion G*****, vertreten durch Dr. Leopold Seehofer, Rechtsanwalt in Graz, unter Beitritt der Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei Verlassenschaft nach dem am 9. August 1958 verstorbenen Dieter K*****, vertreten durch die zu 14 A 455/58 des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz erbserklärten Erben Dr. Hermann K***** und Käthe K*****, beide *****, diese vertreten durch Dr. Rudolf Griss, Rechtsanwalt in Graz, wegen 66.666,67 S s. A. infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei und des Rekurses der Nebenintervenientin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgerichtes vom 7. Dezember 1959, GZ 2 R 152, 159, 238/59-40, womit 1.) der Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 26. Oktober 1959, GZ 13 Cg 273/58-35, infolge Rekurses der klagenden Partei bestätigt wurde, 2.) der Beschluss desselben Gerichtes vom 14. April 1959, GZ 13 Cg 273/58-13, infolge Rekurses der Nebenintervenientin abgeändert wurde, 3.) der Beschluss desselben Gerichtes vom 17. Juni 1959, GZ 13 Cg 273/58-21, infolge Rekurses der klagenden Partei abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs des Klägers wird zurückgewiesen. Er hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen. Dem Rekurs der Nebenintervenientin wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss wird im Punkt 3.) aufgehoben; dem Erstgericht wird die Vorlage, dem Oberlandesgericht Graz die sachliche Erledigung der Berufung der Nebenintervenientin aufgetragen.

Die Kosten des Rekurses der Nebenintervenientin sind wie solche des Berufungsverfahrens zu behandeln.

Text

Begründung:

Zu Punkt 1.) der Rekursentscheidung:

Das Rekursgericht hat den Beschluss des Erstgerichtes, mit dem der Name der Nebenintervenientin richtiggestellt wurde, bestätigt, weshalb gemäß § 528 Abs 1 ZPO dagegen ein weiteres Rechtsmittel unstatthaft ist. Die einzelnen Punkte der Rekursentscheidung betreffen die Erledigung von Rechtsmitteln gegen selbständige Beschlüsse, so dass JB 56 auch nicht sinngemäß angewendet werden kann.

Zu Punkt 2.) der Rekursentscheidung:

Das Erstgericht gab dem Antrag des Klägers auf Zurückweisung der Nebenintervention statt, das Rekursgericht ließ sie zu. Der dagegen ergriffene Revisionsrekurs des Klägers ist unzulässig. Gemäß § 18 Abs 4 ZPO kann der Beschluss, durch welchen die Nebeninterveniention zugelassen wird, durch kein abgesondertes Rechtsmittel angefochten werden. Nun hat der Kläger seinen Revisionsrekurs allerdings mit dem gegen Punkt 1.) der Entscheidung des Oberlandesgerichtes verbunden. Voraussetzung der Statthaftigkeit eines im Sinne des § 515 ZPO aufgeschobenen Rekurses ist jedoch, dass das Rechtsmittel, mit dem er verbunden wurde, zulässig ist (ZBl 1928, Nr 105), was aber, wie zu

1.) ausgeführt, hier nicht zutrifft.

Allerdings kann ein Beschluss, wider den ein abgesondertes Rechtsmittel versagt ist, trotzdem mittels Rekurses bekämpft werden, wenn infolge Abschlusses des Verfahrens in der Hauptsache eine weitere anfechtbare Entscheidung nicht ergehen kann (siehe die in der MGA Bd 6 bei § 515 ZPO unter Nr 1 abgedruckten Entscheidungen, Neumann, II, S 1384). Da nun die Beklagte Berufung ergriffen hat und überdies zu Punkt 3.) dem Rekurs der Nebenintervenientin gegen die Zurückweisung ihrer Berufung stattgegeben wird, kann der Kläger den Revisionsrekurs gegen die Zulassung der Nebenintervention durch das Oberlandesgericht mit der Revision gegen eine ihm allenfalls nachteilige Berufungsentscheidung verbinden.

Der Revisionsrekurs ist daher auch zu Punkt 2.) unzulässig. Der Kostenausspruch beruht zu Punkt 1.) und 2.) auf §§ 40, 50 ZPO.

Zu Punkt 3.) der Rekursentscheidung:

Am 9. 8. 1958 fand Dieter K***** bei einem Verkehrsunfall als Insasse eines dem Kläger gehörigen Kraftwagens den Tod. Der Kläger hatte hinsichtlich dieses Fahrzeuges mit der Beklagten eine Insassenversicherung abgeschlossen, derzufolge auf Dieter K***** ein Betrag von 66.666,67 S entfällt, und der mit der vorliegenden Klage geltend gemacht wird. Die Beklagte bestreitet den Anspruch nicht, wendet jedoch ein, er stehe nicht dem Kläger, sondern der Nebenintervenientin zu. Das Erstgericht gab der Klage mit Urteil vom 14. 4. 1959 statt und wies gleichzeitig die Nebenintervention zurück. Laut Zustellungsverfügung S 80 wurde den Vertretern des Klägers und der Beklagten je eine Ausfertigung zugestellt, nicht aber dem der Nebenintervenientin, obwohl der Zurückweisungsbeschluss in die Urteilsausfertigung aufgenommen worden war. Er erhielt sie erst später auf sein Verlangen. Nun brachte er zwar innerhalb von 14 Tagen seit Erhalt der Ausfertigung, aber nach Ablauf der der Beklagten offen gestandenen Frist, die Berufung gegen das stattgebende Urteil ein, worauf der Kläger nun einen Schriftsatz erstattete, in welchem er beantragte, diese Berufung zurückzuweisen.

Das Erstgericht wies dieses Begehren ab, das Rekursgericht aber gab ihm statt und wies die Berufung als verspätet zurück. Es handle sich hier um keine streitgenössische Nebenintervention; in einem solchen Fall habe der Nebenintervenient kein Recht auf Urteilszustellung und könne daher ein Rechtsmittel nur innerhalb der Frist, die der Hauptpartei zur Verfügung stehe, einbringen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich das als Rekurs bezeichnete Rechtsmittel der Nebenintervenientin mit dem Antrag, ihn dahin abzuändern, dass die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist begründet.

Zunächst sei bemerkt, dass das Verfahren vor den Untergerichten dem Gesetz nicht entspricht. gemäß § 468 Abs 1 ZPO hat das Erstgericht eine verspätete Berufung zurückzuweisen. Das Gesetz sieht aber nicht vor, dass das Erstgericht einen Beschluss in der Richtung fasse, dass die Berufung als rechtzeitig erkannt werde, vielmehr hat das Erstgericht gemäß § 469 ZPO rechtzeitige Berufungen, nachdem die Berufungsmitteilung erstattet oder die Frist hiezu abgelaufen ist, der zweiten Instanz vorzulegen. Diese hat über einen allfälligen, in der Berufungsmitteilung enthaltenen Antrag, das Rechtsmittel als verspätet zurückzuweisen, zu entscheiden, wenn sich das Erstgericht hiezu nicht bestimmt gefunden hat. Letztlich kann ihm dessen im § 471 Z 2 ZPO eingeräumte Befugnis, eine verspätete Berufung zurückzuweisen, nicht durch einen solchen im Gesetz nicht vorgesehenen Beschluss entziehen. Daraus folgt aber, dass einem Beschluss des Erstgerichtes, mit welchem der Antrag auf Zurückweisung der Berufung abgewiesen wird, jede rechtliche Bedeutung fehlt, so dass er unzulässig ist.

Das Rekursgericht hätte daher als solches keine Entscheidung über die Rechtzeitigkeit der Berufung treffen dürfen. Trotzdem ist Punkt 3.) des angefochtenen Beschlusses nicht ohne weiteres unwirksam. Denn ob sich das Oberlandesgericht Graz als Rekurs- oder als Berufungsgericht bezeichnet, ist für die Gültigkeit seiner Entscheidung ohne Belang, da es hiefür zuständig und gehörig besetzt war. Es hatte die Befugnis als Berufungsgericht einzuschreiten und gemäß § 471 Z 2 ZPO eine ihm verspätetet erscheinende Berufung zurückzuweisen. Gegen einen solchen Beschluss ist gemäß § 519 Z 1 ZPO ein Rechtsmittel zulässig, das demnach die Nebenintervenientin zutreffend als Rekurs und nicht als Revisionsrekurs bezeichnet hat. Es ist also auf die Frage einzugehen, ob Punkt 3.) des angefochtenen Beschlusses sachlich richtig ist. Es handelt sich hier, entgegen der Annahme des Oberlandesgerichtes um eine streitgenössische Nebenintervention, weil das Urteil kraft der Beschaffenheit des streitigen Rechtsverhältnisses in Bezug auf das Verhältnis der Nebenintervenientin zum Kläger rechtlich wirksam ist (§ 20 ZPO). Hiezu ist es nicht erforderlich, dass sich seine materielle Rechtskraft darauf erstreckt, wie etwa die des Urteiles gegen Hauptmieter auf den Untermieter, vielmehr genügt hiezu die bloße Tatbestandswirkung (Pollak I S 129). Die Richtigkeit dieser Ansicht ergibt eine Vergleichung des § 20 ZPO mit der Bestimmung des § 66 der DZPO. v. Jahre 1877 (jetzt § 69), der das österreichische Gesetz offenbar nachgebildet ist, von der es aber in einem wesentlichen Punkt abweicht. Die deutsche ZPO verlangt nämlich, dass die Rechtskraft der Entscheidung auf das Verhältnis des Nebenintervenienten zum Gegner rechtlich wirksam sei, wogegen es nach § 20 ÖZPO genügt, dass das Urteil sonst für das Verhältnis rechtlich wirksam sei. Wie die erl. Bemerkungen zur Regierungsvorlage (Materialien, I, S 203) erklären, muss das Urteil nur für das Rechtsverhältnis des Nebenintervenienten zum Gegner maßgebend sein. Gerade das trifft aber hier zu. Der ganze Prozess geht nur darum, ob die Nebenintervenientin oder ob der Kläger forderungberechtigt ist. Sie hat gegen ihn zu 9 Cg 462/58 des Landesgerichtes für ZRS Graz eine Klage eingebracht, in der sie beantragt, ihn zu verurteilen, in die Auszahlung der Versicherungssumme an sie einzuwilligen. Ihrem Begehren wurde rechtskräftig stattgegeben, doch war zur Zeit der Erlassung des Urteiles im vorliegenden Rechtsstreit und auch des angefochtenen Beschlusses die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zu 9 Cg 462/58 noch nicht ergangen. Würde im vorliegenden Prozess das Klagebegehren abgewiesen, so wäre damit auch das Verhältnis zwischen dem Kläger und der Nebenintervenientin geregelt. Denn da in diesem Fall der Kläger gegen die Beklagte keine Forderung hätte, würde der Anspruch auf Zustimmung zur Auszahlung der Versicherungssumme an die Nebenintervenientin wegfallen, da diese Erklärung für die Rechte der Nebenintervenientin nicht mehr notwendig und auch rechtlich bedeutungslos sein würde. Ein rechtskräftiges Unterliegen der Hauptpartei wäre ebenfalls auf das Verhältnis zwischen Nebenintervenientin und Kläger entscheidend wirksam, da gerade dies eine wesentliche Voraussetzung für ihren Anspruch auf Überlassung der Versicherungssumme schafft. Der Umstand, dass nach Erklärung des Beitrittes und Zulassung der Nebeninterveniention durch das Rekursgericht das Urteil im anderen Prozess rechtskräftig wurde und der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 15. 12. 1959, 3 Ob 509/59, vor Rechtskraft des Urteiles im Vorprozess angenommen hat, dass gegenüber dem Versicherer nur der Versicherungsnehmer Gläubiger sei, hat für die Frage der Natur der Nebenintervention keine Bedeutung (SprR 215).

Die Rechtsmittelfrist läuft gegen den streitgenössischen Nebenintervenienten von dem Zeitpunkt an, zu welchem ihm die Entscheidung wirksam zugestellt worden ist (Sperl S 835, 836, Neumann, I, S 468, Entsch. AnwZtg 1932, S 84, RSpr. 1935, Nr 291, für das in diesem Punkt gleiche deutsche Recht RGZ, 34, S 363, Stein-Jonas, bei § 69 II, 2 u. a.). Die gegenteiligen Meinungen (Pollak, I, S 130, Entsch. ZBl 1931, Nr 211) lassen zum Teil den Grund für ihre Ansicht nicht erkennen, zum Teil berufen sie sich auf § 98 ZPO, nach welcher Bestimmung die Hauptpartei als Zustellungsbevollmächtigte des streitgenössischen Nebenintervenienten gilt, solange nihct einander gemeinsamer Zustellungsbevollmächtigter namhaft gemacht wird. Gerade aus dieser Bestimmung geht aber hervor, dass der streitgenössische Nebenintervenient ein Recht auf Zustellung hat und dass erst von da ab die Rechtsmittelfrist gegen ihn läuft. Dies ist allerdings schon dann der Fall, wenn die Hauptpartei das für ihn bestimmte Stück erhalten hat. Damit das wirksam geschehen kann, ist es gemäß § 94 Abs 2 ZPO erforderlich, dass sie nebst dem für sie bestimmte Stück ein weiteres für den streitgenössischen Nebenintervenienten erhält (Entsch. AnwZtg 1932, S 84). Der in der Entsch. Rspr 1935, S 291, vertretenen Meinung, die Hauptpartei müsse das Stück verlangen, kann nicht beigetreten werden, weil Zustellungen gemäß § 87 ZPO in der Regel von Amts wegen vorzunehmen sind und das Gericht dafür zu sorgen hat, dass sie ordnungsgemäß erfolgen. Da nun der Vertreter der Beklagten nur das für ihn bestimmte Stück des angefochtenen Urteiles erhalten hat, läuft die Berufungsfrist erst von dem Zeitpunkt an, zu welchem es dem Vertreter der Nebenintervenientin zugestellt worden ist.

Die Berufung wurde daher rechtzeitig eingebracht, so dass dem Rekurs der Nebenintervenientin Folge zu geben und dem Oberlandesgericht die Erledigung des Rechtsmittels aufzutragen war.

Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 50, 52 ZPO.