JudikaturJustiz3Ob227/14z

3Ob227/14z – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Februar 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. A. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F*****, vertreten durch Mag. Peter Haslinger, Rechtsanwalt in Leoben, als Verfahrenshelfer, gegen die beklagten Parteien 1. C*****, 2. K*****, beide *****, beide vertreten durch Peissl Partner Rechtsanwälte OG in Köflach, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 26 Cg 95/11f des Landesgerichts Leoben, über den Revisionsrekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 14. Oktober 2014, GZ 4 R 139/14i 15, womit über Rekurs der klagenden Partei der Beschluss des Landesgerichts Leoben vom 25. August 2014, GZ 28 Cg 36/14y 9, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs der beklagten Parteien wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 999,29 EUR (hierin enthalten 166,55 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger wurde am 3. Oktober 2009 vom Diensthund des Erstbeklagten auf der von Letzterem und dessen Familie bewohnten Liegenschaft gebissen. Die vom Kläger gegen den Erstbeklagten und dessen jüngere Tochter, die Zweitbeklagte, wegen dieses Vorfalls erhobene Schadenersatzklage wurde im Verfahren AZ 26 Cg 95/11f des Landesgerichts Leoben rechtskräftig abgewiesen. Dem lag insbesondere die Feststellung zugrunde, dass der Hund der Beklagten nicht aggressiv war, sondern einen gutmütigen und sanften Charakter hatte, und dass nicht feststellbar war, dass er bereits vor dem 3. Oktober 2009 einen Menschen gebissen oder sich gegenüber einem Menschen aggressiv verhalten hätte.

Der Kläger stützte seine Wiederaufnahmsklage darauf, er habe erfahren, dass der im Vorverfahren vernommene Zeuge O***** hinsichtlich der (von ihm bei seiner Einvernahme verneinten) Aggressivität des Hundes falsch ausgesagt habe.

Das Erstgericht übermittelte den Akt der Staatsanwaltschaft Leoben zur Einleitung eines strafgerichtlichen Verfahrens wegen der in der Wiederaufnahmsklage behaupteten strafbaren Handlung des Zeugen und unterbrach das Verfahren über die Wiederaufnahmsklage bis zur rechtskräftigen Erledigung dieses Strafverfahrens. Am 18. Juni 2014 benachrichtigte die Staatsanwaltschaft Leoben das Erstgericht von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Zeugen gemäß § 190 Z 2 StPO, weil aufgrund der vorliegenden Beweisergebnisse ein Schuldbeweis nicht mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit zu erbringen sei.

Das Erstgericht wies daraufhin die Wiederaufnahmsklage gemäß § 539 Abs 2 ZPO als unzulässig zurück. Der Kläger stütze sein Klagebegehren ausschließlich auf den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 2 ZPO. Eine derartige Wiederaufnahmsklage sei nach ständiger Rechtsprechung nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 190 Abs 2 StPO ohne vorherige mündliche Verhandlung zurückzuweisen. Dem stehe auch nicht entgegen, dass noch ein Fortführungsantrag gestellt werden könnte, weil andernfalls immer dann, wenn ein solcher Antrag theoretisch möglich wäre, vor einer Entscheidung der Ablauf der Fristen des § 195 Abs 2 StPO und gegebenenfalls der Ausgang des fortgeführten Verfahrens abgewartet werden müsste.

Das Rekursgericht hob infolge Rekurses des Klägers diesen Beschluss auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens über die Wiederaufnahmsklage auf. Zur Rechtslage vor dem Strafprozessreformgesetz BGBl I Nr 19/2004 habe der Oberste Gerichtshof die Rechtsauffassung vertreten, dass nach Zurücklegung der Anzeige gemäß § 90 Abs 1 StPO aF eine sofortige Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage gemäß § 539 Abs 2 ZPO nur dann (noch) nicht zu erfolgen habe, sondern erst die abschlägige Entscheidung über den Subsidiarantrag abgewartet werden müsse, wenn der Wiederaufnahmskläger einen Antrag iSd § 48 Abs 1 Z 1 StPO aF tatsächlich bereits gestellt habe, nicht hingegen auch in jedem Fall, in dem bloß die theoretische Möglichkeit eines Subsidiarantrags bestehe, über die gesamte Zeit der strafrechtlichen Verjährung mit der Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage zugewartet werden müsse. Während das Subsidiaranklagerecht gemäß § 48 Abs 1 Z 1 StPO aF unbefristet gewesen sei und folglich ein Subsidiarantrag gestellt werden habe können, solange die Tat noch nicht verjährt gewesen sei, sei nunmehr ein Antrag auf Fortführung iSd § 195 Abs 1 StPO binnen 14 Tagen nach Verständigung von der Einstellung (§ 194 StPO) oder im Fall eines fristgerecht gestellten Verlangens nach Zustellung der Einstellungsbegründung gemäß § 194 Abs 2 StPO, mangels Verständigung des Opfers von der Einstellung aber innerhalb von drei Monaten ab der Einstellung des Verfahrens bei der Staatsanwaltschaft einzubringen. Das Zivilgericht müsse demnach nur eine Frist von höchstens drei Monaten nach der Einstellung des Ermittlungsverfahrens abwarten, um Klarheit darüber zu erlangen, ob der Wiederaufnahmskläger einen Fortführungsantrag eingebracht habe oder nicht. Dies sei im Gegensatz zur früheren Gesetzeslage unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie zur Vermeidung einer weiteren Wiederaufnahmsklage im Fall der Anordnung der Fortführung des Ermittlungsverfahrens zu verlangen. Erst mit fruchtlosem Ablauf der Fristen des § 195 Abs 2 StPO oder mit der Zurück- oder Abweisung eines Fortführungsantrags gemäß § 196 StPO seien demnach die Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage nach § 539 Abs 2 ZPO erfüllt, weil sich erst dann die Sperrwirkung einer Einstellung nach § 190 StPO im Sinn des Prinzips „ne bis in idem“ (§ 17 Abs 1 StPO) endgültig entfalte, also eine neue bzw weitere Verfolgung des Beschuldigten wegen derselben Tat nicht mehr zulässig sei und von einem rechtskräftigen Abschluss des strafgerichtlichen Verfahrens iSd § 539 Abs 2 ZPO ausgegangen werden könne. Die verfrühte Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage sei daher aufzuheben, weil der Kläger infolge Stellung eines Fortführungsantrags, aufgrund dessen die Staatsanwaltschaft auch weitere Ermittlungen angeordnet habe, weiterhin durch die Zurückweisung der Klage beschwert sei; dem Erstgericht sei die Fortsetzung des Verfahrens durch Aufrechterhaltung der Unterbrechung bis zur rechtskräftigen Erledigung des Strafverfahrens aufzutragen. Dem Kläger sei „wohl“ auch darin zu folgen, dass er sich mit seinem Klagevorbringen inhaltlich erkennbar auch auf den Wiederaufnahmegrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützt habe.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs gemäß § 528 Abs 1 ZPO zu, weil höchstgerichtliche Judikatur zur Frage fehle, ob das Gericht nach einer Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 190 Abs 2 StPO vor der Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage gemäß § 539 Abs 2 ZPO die Fristen des § 195 Abs 2 StPO abwarten müsse.

Der Revisionsrekurs ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO) Ausspruchs des Rekursgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Eine zwar nicht wissentlich falsche, jedoch objektiv unrichtige Zeugenaussage erfüllt nach der Rechtsprechung nicht den Wiederaufnahmegrund des § 530 Abs 1 Z 2 ZPO, kann aber grundsätzlich unter dem Gesichtspunkt des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO verwertet werden (RIS Justiz RS0044577 [T3]). Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, der Kläger habe sich mit seinem Klagevorbringen, wonach der Zeuge im Vorverfahren eine falsche Zeugenaussage abgegeben habe, erkennbar auch auf den Tatbestand des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützt, hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung.

2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist eine auf § 530 Abs 1 Z 2 (oder Z 3) ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage (erst) nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 190 StPO (früher: Zurücklegung der Anzeige gemäß § 90 Abs 1 StPO aF) und Abweisung eines allenfalls (zu ergänzen: vor der erstinstanzlichen Entscheidung) gestellten Antrags auf Fortführung des Verfahrens gemäß § 195 StPO (früher: eines Subsidiarantrags gemäß § 48 Abs 1 Z 1 StPO aF) gemäß § 539 Abs 2 ZPO ohne vorgängige mündliche Verhandlung als unzulässig zurückzuweisen (SZ 26/226; 9 ObA 38/90; 10 Ob 15/09t; 10 ObS 34/14v; RIS Justiz RS0044634, RS0044636).

2.2. Die von den Beklagten zitierte Entscheidung 1 Ob 46/04b steht dem nicht entgegen, weil sie auf dem hier gerade nicht vorliegenden Sachverhalt beruhte, dass der (dortige) Wiederaufnahmskläger zum Zeitpunkt der Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage noch keinen Subsidiarantrag eingebracht hatte.

3. Der Kläger hat hier, wie das Rekursgericht zutreffend aufgezeigt hat, einen Fortführungsantrag erhoben, und zwar noch vor der Entscheidung des Erstgerichts, wenngleich dies damals aus dem ADV Register noch nicht zu ersehen war. Wie sich aus dem elektronischen Register ergibt, wurde ihm auf sein fristgerecht gestelltes Verlangen (§ 194 Abs 2 StPO) am 1. August 2014 eine umfassendere Einstellungsbegründung zugestellt. Die 14 tägige Frist des § 195 Abs 2 StPO für die Stellung eines Fortführungsantrags endete demnach (wegen des Feiertags am Freitag, dem 15. August 2014) am Montag, dem 18. August 2014. Da die Staatsanwaltschaft in weiterer Folge am 4. September 2014 aufgrund des Antrags des Klägers die Fortführung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 193 Abs 2 StPO anordnete, hat der Kläger seinen Antrag offenkundig fristgerecht und damit zumindest eine Woche vor der Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage durch das Erstgericht gestellt.

4. Die vom Rekursgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage, ob nach der aktuellen Rechtslage die Zurückweisung einer auf § 530 Abs 1 Z 2 ZPO gestützten Wiederaufnahmsklage auch dann, wenn (noch) kein Subsidiarantrag gestellt wurde, jedenfalls erst nach fruchtlosem Ablauf der Fristen des § 195 Abs 2 StPO zulässig ist, stellt sich hier deshalb gar nicht. Dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichts die Dreimonatsfrist des § 195 Abs 2 StPO noch nicht abgelaufen war, ist ohne Bedeutung, weil diese absolute Frist infolge nachweislicher Verständigung des Klägers von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens im konkreten Fall von vornherein nicht zum Tragen kommen konnte.

5. Dem Einwand der Beklagten, das aufgrund des Fortführungsantrags des Klägers von der Staatsanwaltschaft wieder aufgenommene Ermittlungsverfahren sei in weiterer Folge (am 27. Oktober 2014) neuerlich eingestellt worden, ist zu erwidern, dass im (Revisions )Rekursverfahren grundsätzlich von der Sachlage zum Zeitpunkt der

Erlassung des angefochtenen Beschlusses auszugehen ist ( Zechner in Fasching/Konecny 2 IV/1 § 526 ZPO Rz 17 mwN). Im Übrigen hat der Kläger am 21. Jänner 2015 einen weiteren Fortführungsantrag eingebracht, über den noch nicht entschieden wurde. Es steht deshalb nach wie vor nicht endgültig fest, dass der Wiederaufnahmegrund des § 530 Abs 1 Z 2 ZPO nicht vorliegt.

Der Revisionsrekurs war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen (RIS Justiz RS0112296, RS0124565).