JudikaturJustiz3Ob147/23y

3Ob147/23y – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. September 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin L* S*, geboren am * 2002, *, vertreten durch Mag. Ulrich Berger und Mag. Christof Pusswald, Rechtsanwälte in Bruck an der Mur, gegen den Antragsgegner M* G*, geboren am * 1976, *, vertreten durch Dr. Gerda Schildberger, Rechtsanwältin in Bruck an der Mur, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 31. Mai 2023, GZ 23 R 225/23w 160, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Tulln vom 19. April 2023, GZ 6 Fam 5/22z 154, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Antragsgegner ist schuldig, der Antragstellerin die mit 602,54 EUR (darin enthalten 100,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekurs-beantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Am 18. 8. 2020 begehrte die Antragstellerin gegenüber ihrem Vater die Erhöhung der monatlichen Unterhaltsbeiträge ab 1. 9. 2020. Nach Abschluss ihrer Lehre zur Bürokauffrau besuche sie seit 1. 9. 2020 die Gesundheits-und Krankenpflegeschule in Tulln, weshalb sie nicht selbsterhaltungsfähig sei. Die begehrten Beträge entsprächen der Leistungsfähigkeit des Vaters.

[2] Der Antragsgegner sprach sich gegen jede Unterhaltserhöhung aus. Seit Ende April 2019 sei die Antragstellerin selbsterhaltungsfähig.

[3] Das Erstgericht erhöhte (im zweiten Rechtsgang) die monatlichen Unterhaltsbeiträge des Vaters von bisher 130 EUR für die Zeit vom 1. 9. 2020 bis 31. 12. 2020 auf 460 EUR, vom 1. 1. 2021 bis 30. 6. 2021 auf 415 EUR, vom 1. 7. 2021 bis 31. 12. 2021 auf 430 EUR, vom 1. 1. 2022 bis 30. 6. 2022 auf 450 EUR und ab 1. 7. 2022 auf 460 EUR. Soweit für das Revisionsrekursverfahren von Bedeutung führte es aus, dass die Antragstellerin seit September 2022 die NÖ Pflegeausbildungsprämie in Höhe von monatlich 600 EUR (12 x jährlich) beziehe, die aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 3 Abs 2 PAusbZG jedoch nicht als Eigeneinkommen zu werten sei.

[4] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Gemäß § 3 Abs 2 PAusbZG gelte der in Rede stehende Pflegeausbildungszuschuss nicht als Einkommen nach bundesgesetzlichen Bestimmungen; zudem hätten die Länder dafür Sorge zu tragen, dass ein derartiger Zuschuss auch nicht als Einkommen im Sinn landesgesetzlicher Bestimmungen gelte. Mit der Gewährung dieses Zuschusses wolle der Gesetzgeber die Pflegeausbildung attraktiver gestalten, zumal es sich beim Pflegeberuf um einen Mangelberuf handle. Diese Zielsetzung spreche dafür, den Zuschuss auch im Rahmen der Unterhaltsbemessung nicht als Einkommen des Kindes zu betrachten. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil es zu § 3 Abs 2 PAusbZG noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gebe.

[5] Gegen dieser Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Antragsgegners, der darauf abzielt, das Begehren auf Unterhaltserhöhung ab Bezug des Pflegeausbildungszuschusses (ab 1. 9. 2022) abzuweisen.

[6] Mit ihrer Revisionsrekursbeantwortung beantragt die Antragstellerin, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

[8] 1. Im Revisionsrekursverfahren stellt sich die Frage, ob der Pflegeausbildungszuschuss gemäß § 3 Abs 1 PAusbZG bei der Unterhaltsbemessung als Eigeneinkommen des unterhaltsberechtigten Kindes zu berücksichtigen ist oder nicht.

[9] Die Vorinstanzen verneinten dies wegen der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 3 Abs 2 PAusbZG und der gesetzlichen Zweckbestimmung der Zuschussgewährung. Der Antragsgegner steht demgegenüber auf dem Standpunkt, dass die Anordnung in § 3 Abs 2 PAusbZG nur bedeute, dass der Pflegeausbildungszuschuss von der Einkommensteuer- und der Sozialversicherungspflicht ausgenommen sei. Die Intention des Gesetzgebers bestehe darin, jene Auszubildende mit einer finanziellen Grundversorgung abzusichern, die noch keinen Anspruch auf öffentlich-rechtliche Leistungen nach dem AlVG oder dem AMSG hätten.

[10] 2. Zu den „eigenen Einkünften“ nach § 231 Abs 3 ABGB zählen nach der Rechtsprechung alle tatsächlichen Natural- und Geldleistungen, welcher Art auch immer, die dem nicht selbsterhaltungsfähigen Kind aufgrund eines Anspruchs zukommen (9 Ob 31/14w). Ausgenommen von der Berücksichtigung als Eigeneinkommen sind aber Sozialleistungen, die der Deckung eines bestimmten Sonderbedarfs dienen, weiters Einkünfte, die gesetzlich ausdrücklich als nicht anrechenbar bezeichnet werden (vgl RS0121610), und Einkünfte die – ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung – deshalb nicht anrechenbar sind, weil nach dem Gesetzeszweck eine Doppelversorgung beabsichtigt ist (vgl 4 Ob 7/17h). Anhaltspunkte für die Absicht des Gesetzgebers bieten neben der gesetzlichen Regelung selbst vor allem die Gesetzesmaterialien. Nicht zu den eigenen Einkünften nach § 231 Abs 3 ABGB zählen nach der Rechtsprechung auch freiwillige Zuwendungen Dritter, wenn sie ohne Absicht geleistet werden, den Unterhaltsschuldner zu entlasten (9 Ob 31/14w).

[11] 3.1 Das Pflegeausbildungs-Zweckzuschussgesetz (PAusbZG, BGBl I 2022/105 idF BGBl I 2022/185) lautet auszugsweise wie folgt:

„Ziele der Zweckzuschüsse

§ 1. Die Zweckzuschüsse an die Länder dienen der Unterstützung im Bereich von Ausbildungen zu den Gesundheits- und Krankenpflegeberufen nach dem Gesundheits- und Krankenpflegegesetz – GuKG, BGBl I Nr 108/1997, sowie den Sozialbetreuungsberufen nach Art 1 Abs 2 Z 1 und 2 der Vereinbarung gemäß Art 15a B VG zwischen dem Bund und den Ländern über Sozialbetreuungsberufe, BGBl I Nr 55/2005, mit dem Ziel, strukturelle und finanzielle Anreize zu setzen, um diese Ausbildungen attraktiver zu gestalten.

...

Mittelverwendung und Widmung der Zweckzuschüsse

§ 3. (1) Die Zweckzuschüsse gemäß § 2 sind, sofern nicht bereits eine Leistung der materiellen Existenzsicherung nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz – AlVG, BGBl Nr 609/1977, oder dem Arbeitsmarktservicegesetz – AMSG, BGBl Nr 313/1994, bezogen wird, zu verwenden:

1. für einen monatlichen Ausbildungsbeitrag in Höhe von 600 Euro für die Ausbildungsdauer an Auszubildende zu Berufen nach dem GuKG sowie nach Art 1 Abs 2 Z 1 und 2 der Vereinbarung gemäß Art 15a B VG zwischen dem Bund und den Ländern über Sozialbetreuungsberufe, BGBl I Nr 55/2005,

2. für einen monatlichen Ausbildungsbeitrag für die Dauer der zu absolvierenden Pflichtpraktika in Höhe von 600 Euro an Schülerinnen bzw Schüler im Rahmen des berufsbildenden Schulwesens zu Berufen nach dem GuKG.

(2) Der Ausbildungsbeitrag gemäß Abs 1 ist von allen bundesgesetzlichen Abgaben und Sozialversicherungsbeiträgen nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz – ASVG, BGBl Nr 189/1955, befreit und gilt nicht als Einkommen nach bundesgesetzlichen Bestimmungen. Dies gilt auch für vergleichbare Leistungen der Länder für Auszubildende zu Berufen nach der Vereinbarung gemäß Art 15a B VG zwischen dem Bund und den Ländern über Sozialbetreuungsberufe, sofern diese nicht bereits nach Abs 1 erfasst sind. Die Länder haben dafür Sorge zu tragen, dass ein derartiger Ausbildungsbeitrag nicht als Einkommen im Sinne landesgesetzlicher Bestimmungen gilt.“

[12] 3.2 Das Gesetz ordnet in § 3 Abs 2 PAusbZG somit ausdrücklich an, dass der Pflegeausbildungszuschuss allgemein nicht als Einkommen nach bundesgesetzlichen Bestimmungen gilt und dies auch für landesgesetzliche Bestimmungen vorzusehen ist.

[13] Nach § 231 Abs 3 ABGB mindert sich der Anspruch auf Unterhalt insoweit, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist. Der Begriff „Einkünfte“ in dieser Bestimmung ist ein Synonym für „Einkommen“. Die in Rede stehende gesetzliche Anordnung im PAusbZG erfasst damit auch die bundesgesetzliche Vorschrift des § 231 Abs 3 ABGB. Damit liegt eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung vor, nach der der Pflegeausbildungszuschuss an eine unterhaltsberechtigte Person nicht als Eigeneinkommen zu berücksichtigen ist.

[14] Dafür, dass der Gesetzgeber die unterhaltsrechtliche Regelung nicht erfasst wissen wollte, bestehen keine Anhaltspunkte. Vielmehr lässt sich den Gesetzesmaterialien zum PAusbZG entnehmen, dass die Pflegeausbildungszuschüsse zur Attraktivierung der Ausbildung zu Pflegeberufen ungeschmälert zur Verfügung stehen sollen (IA 2654/A BlgNR XXVII. GP 6).

[15] 4.1 Der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung zur Frage der nicht vorzunehmenden Anrechnung als Eigeneinkommen entspricht im gegebenen Zusammenhang auch die ausdrücklich formulierte gesetzliche Zweckbestimmung der Schaffung eines Anreizes zur Berufswahl:

[16] 4.2 In den Gesetzesmaterialien zum PAusbZG wird wiederholt festgehalten, dass in den kommenden Jahren ein vermehrter Bedarf an Pflegeleistungen besteht (bis 2030 fehlen etwa 76.000 Pflege- und Betreuungspersonen), daher die Ausbildung zu Pflegeberufen insbesondere für Berufseinsteiger attraktiv gestaltet werden müsse, um mehr Menschen für Pflegeberufe zu gewinnen und der bestehenden Personalproblematik entgegen zu wirken und den steigenden Bedarf abzudecken (IA 2654/A BlgNR XXVII. GP 4 ff; RV 1744 BlgNR XXVII. GP 9 f).

[17] In der Förderrichtlinie zur NÖ Pflegeausbildungsprämie heißt es dazu, dass gerade jetzt zusätzliche Vorkehrungen zu treffen sind, um die Wahl für eine Pflegeausbildung attraktiver zu machen, damit es gelingt, den errechneten Mehrbedarf im Pflegebereich bis zum Jahr 2030 abdecken und auch eine qualitätsvolle Pflege sicherstellen zu können. Ziel der NÖ Pflegeausbildungsprämie ist die nachhaltige Abdeckung des qualitativen und quantitativen Arbeitskräftebedarfs im Gesundheits- und Sozialbereich im Land Niederösterreich und damit die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung, Pflege und Betreuung der niederösterreichischen Bevölkerung. In der in Rede stehenden Förderrichtlinie ist zudem vorgesehen, dass auf die Gewährung der NÖ Pflegeausbildungsprämie kein Rechtsanspruch besteht.

[18] 4.3 Aus § 1 PAusbZG sowie den Ausführungen in den Gesetzesmaterialien und den Bestimmungen der NÖ Förderrichtlinie folgt ohne jeden Zweifel, dass der Pflegeausbildungszuschuss ein besonderer finanzieller Anreiz sein soll, einen Pflegeberuf zu wählen und sich darin ausbilden zu lassen. Nach der gesetzlichen Zweckbestimmung ist damit eine ungeschmälerte Doppelversorgung beabsichtigt und der Pflegeausbildungszuschuss jedenfalls nicht dazu gedacht, den Unterhaltsschuldner zu entlasten.

[19] 4.4 Die Ansicht des Antragsgegners, dass die gesetzliche Anordnung über die Nichtberücksichtigung als Einkommen nur eine Ausnahme von der Einkommensteuer- und der Sozialversicherungspflicht bedeute, ist nicht zu teilen, weil nach § 3 Abs 2 PAusbZG zusätzlich zu dieser Regelung, also kumulativ, angeordnet wird, dass der Zuschuss nicht als Einkommen nach bundesgesetzlichen Bestimmungen gilt und dies auch in den landesgesetzlichen Bestimmungen vorzusehen ist. Auch das weitere Argument des Antragsgegners, wonach die Intention des Gesetzgebers darin bestehe, jenen Auszubildenden eine Leistung zukommen zu lassen, die noch keinen Anspruch auf öffentlich-rechtliche Leistungen nach dem AlVG oder dem AMSG haben, und mit dem er offenbar den Zweck des Zuschusses als Ersatzleistung zur Existenzsicherung ansprechen will, ist nicht tragfähig. Nach den Gesetzesmaterialien soll mit dem Hinweis auf den Nichtbezug einer Leistung nach dem AlVG oder dem AMSG in § 3 Abs 1 Z 1 PAusbZG nur sichergestellt werden, dass der Zuschuss insbesondere Berufseinsteigern zukommt (IA 2654/A BlgNR XXVII. GP 6). Im Übrigen schließen Leistungen des AMS oder der Arbeitsmarktförderung den Erhalt des Pflegeausbildungszuschusses nicht aus, sondern führen nur dazu, dass dieser Zuschuss geringer ausfällt.

[20] 5. Aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung sowie der gesetzlichen Zweckbestimmung des Pflegeausbildungszuschusses hat dieser dem Unterhaltsberechtigten als Anreiz für die Berufswahl zur Verfügung zu stehen und soll nicht den Unterhaltsschuldner entlasten. Dieser Zuschuss ist daher im Rahmen der Unterhaltsbemessung nicht als Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten zu berücksichtigen.

[21] Die zugrunde liegende Beurteilung der Vorinstanzen erweist sich damit als zutreffend, weshalb dem Revisionsrekurs der Erfolg zu versagen war.

[22] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 Abs 2 AußStrG.