JudikaturJustiz3Ob14/21m

3Ob14/21m – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. März 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie den Hofrat Hon. Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erich H*****, vertreten durch Dr. Norbert Bergmüller, Rechtsanwalt in Schladming, gegen die beklagten Parteien 1. G*****, 2. M*****, beide vertreten durch Dr. Josef Lagler, Rechtsanwalt in Frauenkirchen, wegen 19.460 EUR sA, über die Revision der beklagten Parteien (Revisionsinteresse 6.750 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. Dezember 2020, GZ 11 R 172/20z 74, womit das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 24. September 2020, GZ 34 Cg 49/19d 68, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 688,92 EUR (hierin enthalten 114,82 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger wollte im Jahr 2018 Rinder kaufen und besichtigte am 3. Dezember 2018 die ihm zum Kauf angebotene Herde der Beklagten, die in einer riesigen Halle untergebracht war. Im Anschluss einigten sich die Parteien auf einen Kaufpreis von 60.000 EUR für die gesamte Herde (Kühe und Jungtiere); eine bestimmte Anzahl von Tieren wurde nicht vereinbart. Auch über einen Stückpreis wurde nicht gesprochen, sondern nur über den Gesamtpreis. Die Tiere wurden bei der Besichtigung auch nicht einzeln besonders untersucht; es wurde nicht jedes Tier gemessen, gewogen oder einzeln betrachtet. Beim Kauf wurde über die weitere Versorgung der Tiere bis zur Lieferung an den Kläger nicht ausdrücklich gesprochen, doch bestand zwischen den Parteien Einigkeit darüber, dass die Tiere bis dahin weiterhin ordnungsgemäß von den Beklagten zu versorgen seien.

[2] Die Parteien kamen überein, dass die Lieferung erst kurz vor Weihnachten erfolgen solle. Sie einigten sich hinsichtlich der Transportkosten dahin, dass der Kläger die eine Hälfte trage und die Beklagten die zweite Hälfte, wobei sich die Beklagten um den Transport kümmern sollten. Wenige Tage vor dem 20. Dezember 2018 wurde der Kläger über die Anlieferung der Tiere an diesem Tag informiert.

[3] Bei der Besichtigung der Tiere am 3. Dezember 2018 waren diese gut genährt und auch sonst in einem guten gesundheitlichen Zustand. Der Wert der gesamten Herde betrug damals 65.443,18 EUR brutto, wovon 19.293,37 EUR auf die Jungtiere und 46.149,81 EUR auf die erwachsenen Kühe entfielen. Zwischen der Besichtigung und der Lieferung der Tiere an den Kläger wurden die Tiere von den Beklagten nur mangelhaft versorgt. Es wurde ihnen nicht ausreichend gutes Futter und Wasser bereitgestellt, was zu einer Abmagerung der Tiere führte. Ihr Ernährungszustand am Tag der Lieferung war schlecht. Die Herde hatte am 20. Dezember 2018 nur noch einen Wert von 58.080,82 EUR, jedes einzelne Tier hatte damals einen um 11,25 % geringeren Wert als am Tag der Besichtigung. Drei der Tiere waren bei der Lieferung in so schlechtem Zustand, dass sie sich nicht mehr selbständig erheben konnten und deshalb mit einer Seilwinde vom Lkw gezogen werden mussten. Sie erholten sich nicht mehr und starben am 28. Dezember 2018. Der Wert dieser Tiere bei der Besichtigung betrug insgesamt 2.025,20 EUR netto. Auch diese Tiere hatten bis zum 20. Dezember 2018 einen Wertverlust von jeweils 11,25 % erlitten. Sie waren schon vor dem Transport in schlechter Verfassung und einem schlechten Ernährungszustand.

[4] Es kann nicht festgestellt werden, dass der Tod von weiteren Tieren aus der gekauften Herde nach Anlieferung an den Kläger in ursächlichem Zusammenhang mit der mangelhaften Versorgung der Tiere durch die Beklagten im Zeitraum zwischen 3. und 20. Dezember 2018 stand. Bei den Tieren lagen keine Krankheiten wie Leukose, Tuberkulose, Finnen, Lungenwurmseuche, Scheidenvorfall oder Zungenschlagen vor.

[5] Der Kläger begehrte nach Klageeinschränkung zuletzt den Betrag von 19.460 EUR sA aus dem Titel der Gewährleistung und des Schadenersatzes. Er brachte dazu, soweit in dritter Instanz noch von Interesse, vor, die Kühe seien ihm in sehr schlechtem Gesundheitszustand geliefert worden; drei Kühe seien bereits wenige Tage nach der Lieferung verendet und weitere vier bis Ende Februar 2019. Auch drei Kälber seien aufgrund ihres mangelhaften Ernährungs und Gesundheitszustands verendet.

[6] Die Beklagten wendeten insbesondere ein, der Gewährleistungsanspruch des Klägers sei verfristet.

[7] Das Erstgericht verpflichtete die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 6.750 EUR sA und wies das Mehrbegehren ab. Der Gewährleistungsanspruch des Klägers sei nicht verfristet, weil im vorliegenden Fall die allgemeine Gewährleistungsfrist von zwei Jahren und nicht die kurze Frist des § 933 Abs 2 ABGB anwendbar sei.

[8] Das Berufungsgericht gab (ua) der Berufung der Beklagten nicht Folge. Die sechswöchige Gewährleistungsfrist des § 933 Abs 2 ABGB bei Viehmängeln gelte – entgegen der älteren Rechtsprechung – nach der jüngeren herrschenden Lehre lediglich für Tierkrankheiten, nicht aber für andere Sachmängel von Tieren. Dieser Auffassung sei zu folgen, weil eine rasche Zustandsveränderung im Krankheitsfall die klare ratio der extrem kurzen Frist sei.

[9] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob die für Viehmängel normierte Frist des § 933 Abs 2 ABGB nur für Tierkrankheiten oder auch für alle sonstigen den übergebenen Tieren anhaftenden Mängel gelte.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision der Beklagten ist zulässig , aber nicht berechtigt .

[11] 1. Gemäß § 933 Abs 2 ABGB beträgt die Gewährleistungsfrist – abweichend von der allgemeinen Regel des Abs 1 leg cit – bei Viehmängeln sechs Wochen, wobei diese Frist bei Mängeln, für die eine Vermutungsfrist (gemäß § 925 ABGB iVm der auf Basis dieser Bestimmung erlassenen Verordnung BGBl 1972/472) besteht, erst nach deren Ablauf beginnt.

[12] 2. Bei den vom Kläger erworbenen Rindern handelt es sich um landwirtschaftlich genutzte Tiere und daher jedenfalls um „Vieh“ iSd § 933 Abs 2 ABGB. Es muss hier daher nicht auf die Frage eingegangen werden, ob auch andere Tiere unter den Begriff „Vieh“ fallen (vgl dazu nur P. Bydlinski in KBB 6 § 933 ABGB Rz 18 mwN).

[13] 3. Die bisherige (ältere) Rechtsprechung zur Frage, was unter einem „Viehmangel“ zu verstehen ist, ist uneinheitlich.

[14] 3.1. Nach der Entscheidung Rv III 68/20 SZ 2/20 (= RIS Justiz RS0025795) soll die kurze Frist des § 933 Abs 2 ABGB auch in jenen Fällen gelten, in denen keine Vermutungsfrist besteht, insbesondere auch dann, wenn bestimmte Eigenschaften des Tiers bedungen oder zugesichert wurden; nur auf rechtliche Mängel, die in Wahrheit nicht Eigenschaften des Tiers, sondern – wie im Anlassfall – die Frage der Verfügungsberechtigung des Vorbesitzers betreffen, sei sie nicht anwendbar.

[15] 3.2. Zu Ob III 37/21 SZ 3/16 (= RS0025830) wurde die sechswöchige Gewährleistungsfrist im Fall des Verkaufs einer Ziege herangezogen, die nicht die vom Verkäufer zugesicherte Eigenschaft (Trächtigkeit) aufwies.

[16] 3.3. In mehreren Entscheidungen bejahte der Oberste Gerichtshof auch einen Viehmangel iSd § 933 Abs 2 ABGB (und damit die Anwendbarkeit der sechswöchigen Gewährleistungsfrist), wenn eine verkaufte Kuh entgegen der Zusage des Verkäufers nicht trächtig war (Ob II 497/21 SZ 3/77; 1 Ob 429/35 SZ 17/89; RS0024172), oder wenn die zugesagte Milchergiebigkeit einer Kuh nicht zutraf (1 Ob 429/35 SZ 17/89; vgl auch 1 Ob 86/53 SZ 26/128 [zu § 49 Abs 2 Z 8 JN]).

[17] 3.4. Abweichend davon wurde allerdings zu Ob I 1153/27 SZ 9/291 judiziert, dass nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch unter Viehmängeln nur der Mangel jener Eigenschaften verstanden werden könne, die der Natur der Sache nach bei einem Vieh vorausgesetzt werden („Mängel im engeren Sinn“), weshalb das Fehlen der ausdrücklich zugesagten Trächtigkeit einer Kuh keinen Viehmangel iSd § 933 Abs 2 ABGB darstelle.

[18] 4. Zu den in der Lehre vertretenen Meinungen:

[19] 4.1. Gschnitzer (in Klang/Gschnitzer , ABGB 2 [1968] IV/1, 552) vertritt die Auffassung, das Wort „Mangel“ sei ohne Einschränkung zu gebrauchen, also nicht etwa nur für jene in der auf Basis des § 925 ABGB erlassenen Verordnung genannten Krankheiten. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 933 zweiter Satz ABGB, wo von „solchen“ Viehmängeln die Rede sei, woraus abzuleiten sei, dass der Gesetzgeber auch an andere denke. Die Sechswochenfrist gelte daher auch für fehlende zugesicherte Eigenschaften, nicht aber für Rechtsmängel.

[20] Auch Ehrenzweig (System 2 [1928] II/1 228) lehrt, dass die Sechswochenfrist für Viehmängel jeder Art gelte.

[21] 4.2. Die herrschende (jüngere) Lehre steht demgegenüber auf dem Standpunkt, dass die kurze Gewährleistungsfrist des § 933 Abs 2 ABGB nur für Tierkrankheiten gelte.

[22] 4.2.1. Überwiegend wird damit argumentiert, die besonders kurze Frist erkläre sich aus dem Umstand, dass der auf den Übergabezeitpunkt bezogene Krankheits- und Mängelnachweis bei Lebewesen besonders schwierig zu erbringen sei; aus dieser ratio folge, dass die kurze Frist auf Krankheitsfälle beschränkt sei (vgl Ofner in Schwimann/Kodek 4 § 933 ABGB Rz 20 f mwN; Affenzeller , Tierseuchen und Probleme des Rechtsverkehrs [2008] 25).

[23] 4.2.2. Reischauer (in Rummel/Lukas 4 § 933 Rz 18 f) kommt zum selben Ergebnis, leitet es aber aus § 377 Abs 5 UGB (vormals § 382 HGB) ab. Danach gelte nämlich die Rügeobliegenheit nicht für einen Viehmangel, für den eine Vermutungsfrist nach § 925 ABGB bestehe; ein Gegenschluss ergebe, dass die Obliegenheit bei anderen Viehmängeln bestehe. Dies leuchte aber nur dann ein, wenn die Gewährleistungsfrist für diese Mängel wesentlich länger sei als sechs Wochen. Es wäre nämlich nicht einsichtig, dass bei der längeren Frist der Mängel gemäß § 925 ABGB (Vermutungsfrist zuzüglich sechs Wochen) eine Rüge zur Rechtswahrung nicht erforderlich sein solle, bei der kürzeren Sechswochenfrist für sonstige Viehmängel jedoch schon. Bei einer derart kurzen Frist würde sich die Rügeobliegenheit erst recht erübrigen. Gehe man davon aus, dass für diese von § 925 ABGB nicht erfassten Mängel die allgemeine Gewährleistungsfrist für bewegliche Sachen greife, erhalte die e contrario aus § 377 Abs 5 UGB ableitbare Rügeobliegenheit einen Sinn.

[24] 4.2.3. P. Bydlinski (Grundfragen der Gewährleistung für Viehmängel, JBl 1982, 225 [230 f]) stellt in seiner Argumentation ebenfalls auf den Umstand ab, dass es sich bei Tieren um lebende Wesen handle , die ihre Eigenschaften jederzeit ändern könnten und bei denen auch wesentlich schneller als bei einer unbelebten Sache Mängel auftreten könnten; dabei gehe es um solche Mängel, die bei den übrigen Sachen nicht vorkommen (könnten), nämlich Krankheiten. Da ein und dieselbe Krankheit bei jedem Tier einen anderen Verlauf nehmen könne, insbesondere die Widerstandsfähigkeit (Regenerationsfähigkeit) des einzelnen Tiers verschieden groß sein könne, sei nach längerer Zeit nicht oder nur mit aufwendigsten Mitteln feststellbar, wann der Mangel entstanden sei. Die Beweisprobleme würden also im Laufe der Zeit immer größer. Da es bei Erkrankungen typischerweise immer schwer festzustellen sei, wann das Tier tatsächlich erkrankt sei, eine solche Feststellung nach kurzer Zeit aber noch leichter möglich erscheine, sei mit der Abkürzung der Gewährleistungsfrist auf sechs Wochen auch keine übermäßig krasse Beeinträchtigung der Stellung des Erwerbers verbunden; nach längerer Frist könne prinzipiell davon ausgegangen werden, dass dem Erwerber der Beweis, dass der Mangel schon im Zeitpunkt der Übergabe vorhanden gewesen sei, nicht gelingen werde, zumal auch die Inkubationsfristen bei ein und derselben Krankheit von Fall zu Fall stark voneinander abwichen. Es seien also nur bei bestimmten Mängeln, nämlich bei Krankheiten, Gründe gegeben, die die Abkürzung der allgemeinen Gewährleistungsfrist rechtfertigten. Bei dieser einschränkenden Auslegung des Begriffs „Viehmangel“ sei auch eine ungerechtfertigte Benachteiligung des Erwerbers eines Tiers im Verhältnis zu Käufern sonstiger beweglicher Sachen so weit wie möglich ausgeschlossen (in diesem Sinn auch P. Bydlinski in KBB 6 § 933 ABGB Rz 19 mwN).

[25] 5. Der Senat schließt sich dem Standpunkt der herrschenden Lehre und insbesondere den überzeugenden Argumenten von P. Bydlinski an, wonach die kurze Gewährleistungsfrist von sechs Wochen nach der ratio der Bestimmung nur für Krankheiten (wegen der damit verbundenen besonderen Beweisschwierigkeiten) gilt und ihre Anwendung auch auf andere Sachmängel nicht gerechtfertigt ist. Die Richtigkeit dieses Standpunkts zeigt sich gerade ausgehend vom hier zu beurteilenden Sachverhalt: Würde ein Verkäufer Lebensmittel, die tiefgekühlt sind oder gekühlt gelagert werden müssen, bis zur Lieferung an den Käufer bei zu hohen Temperaturen aufbewahren oder die von ihm verkauften (Topf )Pflanzen bis zur (erst Wochen später erfolgenden) Lieferung nicht mehr gießen, stünde dem Käufer eine Gewährleistungsfrist von zwei Jahren zur Verfügung. Es wäre aber ein nicht zu begründender Wertungswiderspruch, den Kläger im hier zu beurteilenden Fall nur deshalb auf die sechswöchige Gewährleistungsfrist des § 933 Abs 2 ABGB zu verweisen, weil er nicht Lebensmittel oder Pflanzen, sondern lebende Tiere (Vieh) gekauft hat.

[26] 6. Die Revision muss daher erfolglos bleiben.

[27] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.