JudikaturJustiz3Ob105/15k

3Ob105/15k – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Juni 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. A. Kodek als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei T. D***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Hans Peter Pflügl und Mag. Stefan Hutecek, Rechtsanwälte in Herzogenburg, gegen die verpflichtete Partei H*****, wegen 20.156 EUR sA, über den Revisionsrekurs der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 12. März 2015, GZ 7 R 23/15k-74, womit infolge Rekurses der Gemeinde S***** der Beschluss des Bezirksgerichts Tulln vom 13. Jänner 2015, GZ 9 E 52/11b 71, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des

Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Gemeinde S***** ist schuldig, der betreibenden Partei die mit 1.189,44 EUR (hierin enthalten 198,24 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Nach Bewilligung der Wiederversteigerung infolge Verzugs des ursprünglichen Erstehers mit dem Erlag des Meistbots wurde die in Zwangsversteigerung gezogene Liegenschaft des Verpflichteten mit Beschluss des Erstgerichts vom 19. 11. 2013 dem Meistbietenden zugeschlagen. (Erst) vor der Wiederversteigerung meldete die Gemeinde S***** (im Folgenden: Gemeinde) ihre Forderung auf Begleichung einer bezüglich der Liegenschaft vorgeschriebenen Aufschließungsabgabe in Höhe von 20.156 EUR laut Rückstandsausweis vom 18. 3. 2013 zur vorzugsweisen Befriedigung aus dem Meistbot an.

Das Erstgericht ging bei der Meistbotsverteilung davon aus, dass der von der Gemeinde angemeldeten Forderung kein Vorzugspfandrecht zukomme, weshalb sie infolge Erschöpfung des Meistbots auch nicht teilweise zu befriedigen sei. Der Betreibenden wurde deshalb an Kapital der nach Zuweisung einerseits eines Vorzugspostens an den Gemeindeverband für Umweltschutz und Abgabeneinhebung und andererseits der pfandrechtlich sichergestellten Forderung an eine Buchberechtigte verbleibende Meistbotsrest von 22.721,19 EUR zugewiesen.

Das Rekursgericht änderte den Meistbotsverteilungsbeschluss des Erstgerichts über Rekurs der Gemeinde dahin ab, dass es dieser die von ihr angemeldete Forderung als Vorzugsposten zuwies, wodurch sich das der betreibenden Partei zugewiesene Kapital auf 2.565,19 EUR reduzierte. Die Aufschließungsabgabe sei von der Liegenschaft zu entrichten. Der Sachverhalt, der die Abgabenpflicht ausgelöst habe, liege innerhalb der letzten drei Jahre vor dem Tag der Zuschlagserteilung, und die Gemeinde habe ihre Forderung vor Beginn der (Wieder-)Versteigerung und damit rechtzeitig angemeldet. Auch die letzte Voraussetzung für die Zuteilung in der Rangklasse des § 216 Abs 1 Z 2 EO, nämlich dass für die angemeldete Forderung in einem Gesetz ein Pfand- oder Vorzugsrecht ausdrücklich vorgesehen sei, sei im Hinblick auf die Entscheidung 3 Ob 96/85 als erfüllt anzusehen. Der Oberste Gerichtshof habe sich in dieser Entscheidung zwar nicht abschließend mit dieser Rechtsfrage auseinandersetzen müssen, weil die dort angemeldete Forderung bereits länger als drei Jahre vor der Zuschlagserteilung rückständig gewesen sei. Dennoch habe er ausgeführt, dass die Textierung des § 173 Abs 2 NÖ Abgabenordnung 1977 den Schluss zulasse, dass damit eine Geltendmachung im Rahmen der Bestimmungen des § 172 Abs 1 Z 1 [jetzt: § 170a Z 3] und des § 216 Abs 1 Z 2 EO gemeint sein könne, wie dies auch aus zwei Entscheidungen des „Verwaltungsgerichtshofs“ [zitiert werden jedoch eine Entscheidung des Verfassungs- und eine des Verwaltungsgerichtshofs] „irgendwie anklinge“. Das Rekursgericht schließe sich diesen Erwägungen an.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs gegen seine Entscheidung zu, weil bisher keine höchstgerichtliche Entscheidung zur Qualifikation der Aufschließungsabgabe nach § 38 der nunmehr geltenden NÖ BauO 1996 vorliege und der Oberste Gerichtshof auch in der (die BauO 1976 betreffenden) Entscheidung 3 Ob 96/85 zu dieser Frage nicht abschließend habe Stellung nehmen müssen. Darüber hinaus fehle auch höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob die Rechtskraft der Anordnung der Wiederversteigerung auch bewirke, dass ein nach der ersten Versteigerung, jedoch vor der Wiederversteigerung angemeldeter Vorzugsposten rechtzeitig angemeldet sei.

In ihrem Revisionsrekurs macht die betreibende Partei zusammengefasst geltend, § 173 Abs 2 NÖ Abgabenordnung 1977 normiere lediglich, dass in Abgabenvorschriften vorgesehene sachliche Haftungen unbeweglicher Sachen nach den Bestimmungen der EO geltend zu machen seien. Daraus ergebe sich jedoch nicht, dass für solche Forderungen auch ein Vorzugsrecht iSd § 216 Abs 1 Z 2 EO bestehen solle; müsste ein solches doch nach der zuletzt genannten Bestimmung ausdrücklich gesetzlich eingeräumt sein. Im Übrigen sei die Forderungsanmeldung der Gemeinde jedenfalls verspätet, weil die Anordnung der Wiederversteigerung nicht die Wirkung habe, dass für einen zunächst säumigen Gläubiger die Anmeldefrist wieder offen sei.

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig ; er ist auch berechtigt .

Rechtliche Beurteilung

1. Bei der Verteilung des Meistbots sind gemäß § 216 Abs 1 Z 2 EO vor den auf der Liegenschaft pfandrechtlich sichergestellten Forderungen unter anderem rechtzeitig angemeldete, aus den letzten drei Jahren vor dem Tag der Zuschlagserteilung rückständige, von der Liegenschaft zu entrichtende öffentliche Abgaben zu berichtigen, die nach den bestehenden Vorschriften ein gesetzliches Pfand- oder Vorzugsrecht genießen.

Diese vorzugsweise Berücksichtigung setzt nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats voraus, dass für die öffentliche Abgabe ein gesetzliches Pfand- oder Vorzugsrecht ausdrücklich eingeräumt ist; dass die Abgabe von der Liegenschaft zu entrichten ist, genügt hingegen nicht (3 Ob 172/99m; 3 Ob 5/91; 3 Ob 39/87; 3 Ob 17/83 = RIS Justiz RS0003335; so auch Angst in Angst 2 , § 216 EO Rz 7; ggt Lecher in Burgstaller/Deixler-Hübner , § 216 EO Rz 23, wonach auch eine der ausdrücklichen Einräumung eines gesetzlichen Pfand- oder Vorzugsrechts „vergleichbare“ Regelung ausreiche).

2. Für die hier maßgebende Aufschließungsabgabe nach § 38 NÖ BauO 1996 besteht keine etwa § 11 GrStG für Grundsteuerschulden vergleichbare - ausdrückliche Regelung über ein gesetzliches Pfand oder Vorzugsrecht iSd § 216 Abs 1 Z 2 EO. Die Bestimmung des § 9 NÖ BauO 1996, wonach allen Bescheiden nach diesem Gesetz grundsätzlich (von einer hier nicht in Betracht kommenden Ausnahme abgesehen) insofern eine dingliche Wirkung zukommt, als daraus erwachsende Rechte oder Pflichten auch vom Rechtsnachfolger geltend gemacht werden dürfen oder zu erfüllen sind, bedeutet nämlich nur, dass es sich (auch) bei der Aufschließungsabgabe um eine „von der Liegenschaft“ zu entrichtende Abgabe iSd § 216 Abs 1 Z 2 EO handelt (3 Ob 96/85; in diesem Sinne auch 3 Ob 16/86 zur inhaltlich vergleichbaren Bestimmung des § 129b Abs 1 der BO für Wien in der Fassung der Novelle 1976).

Nur der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass nicht einmal § 9 der mit 1. 2. 2015 in Kraft getretenen NÖ BauO 2014 (LGBl Nr 1/2015) ein gesetzliches Vorzugspfandrecht für die Aufschließungsabgabe normiert; bezieht sich Abs 3 dieser Bestimmung doch ausdrücklich nur auf alle Kosten, die dem Rechtsträger der Behörde für eine im Wege der Ersatzvornahme (§ 4 VVG) in Vollziehung eines baupolizeilichen Auftrags erbrachte Leistung erwachsen ist.

Auch die Gemeinde hat in ihrem Rekurs keine konkrete Rechtsgrundlage für das behauptete Vorzugsrecht angeführt, sondern lediglich damit argumentiert, dass in Niederösterreich ein gesetzliches Vorzugspfandrecht für die Grundsteuer und die Bodenwertabgabe bestehe und ein solches aufgrund der NÖ BauO „wohl auch für die Aufschließungsabgabe“ bestehe.

Die vom Rekursgericht ins Treffen geführte Entscheidung 3 Ob 96/85 kann die von der Gemeinde und vom Rekursgericht vertretene Rechtsansicht auch im Ergebnis nicht stützen: Abgesehen davon, dass sich diese Entscheidung naturgemäß nicht auf die NÖ BauO 1996 beziehen konnte, sondern den Aufschließungsbeitrag nach § 14 Abs 8 NÖ BauO 1976 betraf, hat der Oberste Gerichtshof darin ausdrücklich festgehalten, dass der zitierten Bestimmung nicht zwingend zu entnehmen ist, dass diese Abgabe ein gesetzliches Pfand- und Vorzugsrecht genießt, wenngleich er obiter ausführte, dass in je einer (näher bezeichneten) Entscheidung des Verfassungs- und des Verwaltungsgerichtshofs „irgendwie anklingt“, dass ein solches gesetzliches Pfand- oder Vorzugsrecht aus der Vorschrift des § 173 Abs 2 NÖ Abgabenordnung 1977 ableitbar sei.

Ein näheres Eingehen auf die letztgenannte Vorschrift erübrigt sich allerdings schon deshalb, weil die NÖ Abgabenordnung 1977 zufolge § 12 Abs 2 NÖ Abgabenbehördenorganisationsgesetz 2009 mit dessen Inkrafttreten am 1. 1. 2010 also lange vor Erlassung des Rückstandsausweises (und auch des diesem zugrunde liegenden Abgabenbescheids vom 29. 9. 2011) außer Kraft trat. Ein Vorzugsrecht für die Aufschließungsabgabe ergibt sich auch nicht aus der nunmehr anzuwendenden BAO (§ 1 Abs 1 iVm § 323a BAO).

3. Da die vorzugsweise Zuweisung an die Gemeinde also schon am fehlenden gesetzlichen Vorzugsrecht scheitert, muss die Rechtzeitigkeit der Forderungsanmeldung nicht mehr geprüft werden.

4. Da die Gemeinde den unrichtigen Zuspruch der zweiten Instanz durch ihren unberechtigten Rekurs ausgelöst hat und somit ein von ihr veranlasster Zwischenstreit vorliegt, hat sie der betreibenden Partei gemäß § 78 EO iVm §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO die Kosten des Revisionsrekurses zu ersetzen (RIS Justiz RS0107415 [T4 und T5]).