JudikaturJustiz33R77/23w

33R77/23w – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
22. September 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Rechtssache der klagenden Partei [Klägerin] GmbH , vertreten durch MMag. Florian Horn, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei [Beklagte] GmbH , vertreten durch die e/n/w/c Natlacen Walderdorff Cancola Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Nichtigerklärung und Feststellung von Gesellschafterbeschlüssen (Streitwert zuletzt EUR 19.100) über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 14.3.2023, 47 Cg 40/20i-55, in nichtöffentlicher Sitzung

I. durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden sowie die Richter Dr. Schober und Mag. Marchel den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Berufung wegen Nichtigkeit wird verworfen.

II. durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Marchel und den Kommerzialrat Ing. Mitsch zu Recht erkannt:

Im Übrigen wird der Berufung nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 2.220,42 (darin EUR 370,07 USt) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt hinsichtlich der in den außerordentlichen Generalversammlungen vom 17.12.2019, 11.2.2020 und 9.3.2020 gefassten Beschlüsse einerseits sowie hinsichtlich des in der außerordentlichen Generalversammlung vom 21.2.2020 gefassten Beschlusses und der Feststellung auf das Zustandekommen eines Beschlusses in derselben Generalversammlung andererseits jeweils EUR 5.000, nicht jedoch EUR 30.000.

Die Revision ist jeweils zulässig.

Entscheidungsgründe

Text

Mit Gesellschaftsvertrag vom 14.6.2018 gründeten die Klägerin und die [Beklagte] GmbH Co KG (in der Folge: „X KG“) die Beklagte. Daran hält die X KG einen Anteil von 70 %, die Klägerin einen Anteil von 30 %. Zu – jeweils gemeinsam mit einem weiteren Geschäftsführer oder einem Prokuristen vertretungsbefugten – Geschäftsführern der Beklagten wurden NN (damals auch kollektiv vertretungsbefugter Geschäftsführer der X I***** Verwaltungs GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin der X KG) und PP (damals und heute selbstständig vertretungsbefugter Geschäftsführer der Klägerin) bestellt.

Die Klägerin begehrte zuletzt

[1] die Nichtigerklärung des in der außerordentlichen Generalversammlung der Beklagten vom 17.12.2019 gefassten Beschlusses, womit der Geschäftsführer PP mit Ablauf des 31.3.2020 abberufen wurde;

[2] die Nichtigerklärung des in der außerordentlichen Generalversammlung der Beklagten vom 11.2.2020 gefassten Beschlusses, womit der Geschäftsführer PP mit sofortiger Wirkung abberufen wurde;

[3] die Nichtigerklärung des in der außerordentlichen Generalversammlung der Beklagten vom 21.2.2020 gefassten Beschlusses, womit die Klägerin als Prozessvertreterin zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen die X KG abgelehnt wurde;

[4] die Feststellung, dass in der Generalversammlung der Beklagten vom 21.2.2020 der Beschluss zustande gekommen ist, die Klägerin als Prozessvertreterin zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen die X KG zu bestellen; und

[5] die Nichtigerklärung des in der außerordentlichen Generalversammlung der Beklagten vom 9.3.2020 gefassten Beschlusses, womit der Kündigung des zwischen der Beklagten und der Klägerin bestehenden Dienstleistungsvertrags vom 22.11.2018 aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung zugestimmt wurde ( Anm: diese Bezifferung der einzelnen Begehren wird in der Folge beibehalten).

Beim Abschluss des Gesellschaftsvertrags vom 14.6.2018, der Gesellschaftervereinbarung vom 29.6.2018 und des Dienstleistungsvertrags vom 22.11.2018 habe die X KG die Klägerin darüber getäuscht, eine Gesellschaft – die Beklagte – zum gemeinsamen Vertrieb von Food Nutrition-Produkten in Mittel- und Osteuropa betreiben zu wollen. Tatsächlich habe die X KG treuwidrig das eingebrachte Know-How der Klägerin missbraucht, um gesellschaftsfremde Sondervorteile zu ziehen. Beispielsweise habe sie im Geschäftsjahr 2019 vereinbarungswidrig Waren zu einem Preis von ca EUR 987.000 in das geschützte Vertragsgebiet der Beklagten geliefert, was zu einem Gewinnentgang zu Lasten der Beklagten geführt habe. Weiters habe die X KG der Beklagten überhöhte Einkaufspreise verrechnet, dieser zustehende Lieferantenboni selbst vereinnahmt und ihr Gesellschafterdarlehen zu nicht marktüblichen, erhöhten Zinsen gewährt. Entgegen der Gesellschaftervereinbarung und dem Dienstleistungsvertrag habe die X KG die Klägerin an der Erbringung der ihr übertragenen Dienstleistungen gehindert. Mit der Gründung der X C***** GmbH habe der X-Konzern, zu dem die X KG zähle, die Beklagte konkurrenzieren wollen. Durch die angeführten Schädigungshandlungen habe die X KG jedenfalls auf die Übernahme der Beklagten durch sie oder ein anderes Mitglied des X-Konzerns hingearbeitet. NN sei an diesen Schädigungshandlungen beteiligt gewesen. PP und die Klägerin hätten versucht, die einseitige Interessenverfolgung der X KG zu verhindern. Als Folge davon habe die X KG die nunmehr angefochtenen Gesellschafterbeschlüsse zum Nachteil der Beklagten gefasst, teilweise unter Missachtung ihres Stimmverbotes gemäß § 39 Abs 4 GmbHG, teilweise durch treuwidrige Stimmabgabe aufgrund der geschilderten Schädigungshandlungen und/oder aufgrund von Verstößen gegen den Gesellschaftsvertrag, die Gesellschaftervereinbarung und den Dienstleistungsvertrag.

Die Beklagte wandte zusammengefasst ein, dass die von der Klägerin behaupteten Schädigungshandlungen nicht zuträfen. Die Klägerin mache ausschließlich die X KG und ihre Vertreter für die negative Geschäftsentwicklung der Beklagten verantwortlich und übersehe, dass sie selbst die ihr übertragenen Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt habe. Auch sei sie nicht bereit gewesen, einen Beitrag zur Kompensierung der erheblichen Verluste der Beklagten zu leisten. Selbst wenn die X KG die von der Klägerin behaupteten Verstöße zu verantworten hätte, seien diese für die Frage der Anfechtung der Gesellschafterbeschlüsse rechtlich unerheblich, weil die Klägerin ihre Schadenersatzforderungen außerhalb des gesellschaftsrechtlichen Anfechtungsverfahrens geltend machen könne. Zur Prozessvertreterin gemäß § 35 Abs 1 Z 6 GmbHG könne sie außerdem nur für die Verfolgung von Ansprüchen gegen Mitglieder der Geschäftsführung oder des Aufsichtsrats bestellt werden. Die Klägerin beabsichtige aber nicht Ansprüche gegen NN geltend zu machen; zudem sei die Beklagte am Tag der Beschlussfassung des zu [3] bekämpften Beschlusses durch NN als einzelvertretungsbefugten Geschäftsführer ordnungsgemäß vertreten gewesen. Das Rechtsschutzinteresse an der Beschlussanfechtung zu [5] sei im Übrigen weggefallen, weil die Parteien in einem Parallelverfahren über diesen Streitgegenstand einen Vergleich mit Generalklausel geschlossen hätten.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren zur Gänze ab.

Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus traf es die auf den Seiten 5 bis 8 seines Urteils ersichtlichen Feststellungen, auf die verwiesen wird. Davon wird zusammengefasst hervorgehoben:

Der Gesellschaftsvertrags der Beklagten lautet auszugsweise:

« § 6 Geschäftsführung und Vertretung

1. Die Gesellschaft wird durch einen oder mehrere Geschäftsführer vertreten.

2. Die Gesellschaft wird, wenn nur ein Geschäftsführer bestellt ist, durch diesen vertreten. [...]

3. Die Gesellschafter können eine Geschäftsordnung für die Geschäftsführung erlassen. [...]

§ 7 Generalversammlung

[...]

9. Folgende Beschlüsse bedürfen einer Mehrheit von 75 % [...] der abgegebenen Stimmen:

[...]

d) die Festlegung, Änderung und Aufhebung der Geschäftsordnung für die Geschäftsführer;

e) der Abschluss von Geschäftsführerverträgen [...]»

In ihrer Gesellschaftervereinbarung vom 22./29.6.2018 verpflichteten sich die Klägerin und die X KG zur tatkräftigen Förderung ihrer Zusammenarbeit im Bereich Handel mit Rohstoffen für die Lebensmittel- und Futterindustrie im näher definierten Vertragsgebiet in Österreich sowie Zentral- und Osteuropa. Sie hielten fest, wer welche Sachkunde im Hinblick auf Produkt-, Portfolio-, Sourcing- und Marktkenntnisse einbringen soll. Die Klägerin sollte unter anderem die Bereiche Sourcing, Marketing und Sales übernehmen. Die Finanzierung der Beklagten sollte primär durch den Cashflow erfolgen. Doch verpflichtete sich die X KG zur Anschubfinanzierung über die ersten fünf Jahre im notwendigen Ausmaß und zur Gewährung eines Darlehens von zunächst EUR 1.000.000 zu marktüblichen Zinsen und Konditionen. In der Gesellschaftervereinbarung heißt es weiters:

« 8. Laufzeit, Kündigungsbestimmung

8.1 Diese Gesellschaftervereinbarung läuft auf unbestimmte Zeit. Sie kann mit einer Kündigungsfrist von sechs (6) Monaten jeweils zum Ende eines Kalenderjahres, erstmals jedoch zum 31. Dezember 2021 von jedem Gesellschafter gekündigt werden.

8.2 Das Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund bleibt unberührt.

[...]

10. Vorrang der Gesellschaftervereinbarung

Soweit rechtlich zulässig haben die Regelungen dieser Gesellschaftervereinbarung Vorrang vor den Regelungen sämtlicher sonstiger Vereinbarungen zwischen den Gesellschaftern aus und im Zusammenhang mit dieser Gesellschaftervereinbarung. Dies gilt auch für den Gesellschaftsvertrag der Gesellschaft. [...]»

Mit dem am 22.11.2018 rückwirkend auf 1.8.2018 abgeschlossenen Dienstleistungsvertrag wurden unter anderem folgende Regelungen getroffen:

«1.1. [Beklagte] überträgt [Klägerin] hiermit die Durchführung folgender Dienstleistungen für [Beklagte] nach den Bestimmungen dieses Dienstleistungsvertrages:

a) Sourcing

b) Marketing

c) Sales

d) Geschäftsführung.

[Beklagte] ist berechtigt, den detaillierten Umfang der von [Klägerin] zu erbringenden Dienstleistungen weiter zu konkretisieren.

[...]

6. Dauer und Beendigung des Vertragsverhältnisses

6.1 Das Vertragsverhältnis beginnt am 1.8.2018 und wird für unbestimmte Dauer geschlossen. Jede Partei ist berechtigt, diesen Vertrag mit einer Frist von drei Monaten zum Ende eines Kalendermonates zu kündigen. Das Recht zur fristlosen Kündigung bleibt unberührt.»

Die Parteien vereinbarten eine Abrechnung der nach Maßgabe des Dienstleistungsvertrags erbrachten Leistungen „zu üblichen Sätzen“, ausgehend von nicht mehr als EUR 23.333,33 zzgl USt pro Monat. Zur Erreichung des Unternehmenszwecks der Beklagten bestand keine Absicht der X KG, die Klägerin zu täuschen. Die Klägerin brachte entgegen der Gesellschaftervereinbarung den Geschäftsbereich „Gleitmittel für Skiproduktion“ nicht in die Beklagte ein. Das von der Klägerin als potenzielle Lieferantin vorgeschlagene Unternehmen A***** Ltd war nicht bereit, die Hersteller der ihrerseits vertriebenen Produkte offen zu legen, weshalb das Unternehmen im Standardprozess der X KG zur Freigabe eines Lieferanten durchfiel. Die X KG votierte in der Folge auch gegen eine Beauftragung von A***** Ltd durch die Beklagte. Die Gründung der X C***** GmbH am 18.9.2019 mit dem Geschäftszweig der Distribution von chemischen Rohstoffen erfolgte keinesfalls, um die Beklagte zu konkurrenzieren oder ein Backup für die Beklagte darzustellen. Nachdem es zwischen den beiden Geschäftsführern der Beklagten PP und NN immer mehr Dissonanzen gab und man seitens der X KG auch zum Schluss kam, dass die Geschäftsentwicklung unter dem Erwarteten – nämlich einem deutlichen Ausbau des Geschäftes in Österreich und Osteuropa inklusive neuer Produkte – zurückblieb, entschied sich die X KG dazu, PP zunächst als Geschäftsführer der Beklagten per 31.3.2020 und in weiterer Folge mit sofortiger Wirkung abzuberufen, sowie zur Kündigung des Dienstleistungsvertrags vom 22.11.2018. In den eingangs erwähnten Generalversammlungen wurden die zu [1], [2], [3] und (5) angeführten Beschlüsse mit den Stimmen der X KG gegen die Stimmen der Klägerin gefasst. Die Klägerin gab zu diesen Beschlüssen jeweils ihren Widerspruch zu Protokoll.

Am 7.9.2022 schlossen die Streitteile (mit identen Parteienrollen) zu 10 Cg 13/22z des HG Wien den nachstehenden rechtswirksamen Vergleich:

«1. Die beklagte Partei verpflichtet sich, der klagenden Partei EUR 78.000 brutto binnen vierzehn Tagen ab Rechtswirksamkeit des Vergleiches zu zahlen.

2. Jede Partei trägt ihre Verfahrenskosten selbst.

3. Mit diesem Vergleich sind sämtliche wechselseitigen Ansprüche zwischen den Streitteilen, sofern sie sich aus dem Dienstleistungsvertrag (Beilage ./A [= Dienstleistungsvertrag vom 22.11.2018]) ergeben (Entgelte für Geschäftsführung), bereinigt und verglichen, wobei die im Verfahren erhobene Gegenforderung für Zahlung für August 2018 bis November 2019 als mitverglichen gelten. Ebenfalls mitverglichen sind Ansprüche auf Kostenersatz in den Verfahren vor dem HG Wien zu 39 Cg 159/20f und 22 Cg 50/21b.

4. Nicht umfasst von Punkt 3. sind die im Verfahren von der Beklagten eingewendeten Gegenforderungen im Zusammenhang mit den behaupteten Zinsschaden und dem behaupteten verschuldeten Bilanzverlust sowie allfällige Ansprüche der Klägerin aus dem Gesellschafterverhältnis (Gesellschaftsvertrag und Syndikatsvertrag). [...]»

Nicht festgestellt werden kann, dass die X KG von der Klägerin in die Beklagte eingebrachtes Know-How – in welcher Form auch immer – missbrauchte; die X KG Waren in das geschützte Vertragsgebiet der Beklagten lieferte, wodurch der Beklagten ein Gewinn entging; die X KG der Beklagten überhöhte Einkaufspreise verrechnete; die X KG Lieferantenboni erhielt, welche eigentlich der Beklagten zustehen würden; die X KG der Beklagten Gesellschafterdarlehen zu nicht marktüblichen (erhöhten) Zinsen gewährte.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, es habe kein Sachverhalt festgestellt werden können, der als treuwidrige Stimmabgabe zu qualifizieren sei. Darüber hinaus könne die Klägerin selbst für den Fall, dass die X KG durch ein pflichtwidriges Verhalten schuldhaft einen Schaden verursacht habe, diese direkt auf Schadenersatz in Anspruch nehmen, weshalb die Anfechtungsklage schon mangels Rechtsschutzinteresses nicht zulässig sei. Dieses sei auch betreffend die Beschlussanfechtung zu [5] durch den Vergleichsabschluss der Streitteile am 7.9.2022 im Verfahren des HG Wien zu 10 Cg 13/22z weggefallen.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin wegen Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Tatsachenfeststellungen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil im Sinne einer Klagsstattgabe abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

I. Zur Nichtigkeitsberufung

[...]

II. Zu den übrigen Berufungsgründen

1. Zur Mängelrüge

1.1 Die Klägerin moniert eine Mangelhaftigkeit der Beweiswürdigung im Hinblick auf die Negativfeststellungen des Erstgerichts, auf die es aber nicht ankommt, wie noch im Rahmen der Behandlung der Rechtsrüge ausgeführt wird. Da es sich somit hier um keine entscheidungswesentlichen (Negativ-)Feststellungen handelt, kann in einer allfälligen mangelhaften Beweiswürdigung zu diesem Punkt auch kein Verfahrensmangel begründet sein (vgl Pochmarski/Tanczos/Kober , Berufung in der ZPO 4 119).

1.2 Soweit sich die Klägerin auf die Nichteinvernahme weiterer Zeugen beruft, übergeht sie, dass deren Einvernahme ausschließlich von der Beklagten beantragt wurde. Ein Zeuge wird gemäß § 345 ZPO erst dann ein „gemeinschaftliches Beweismittel“, wenn er bereits zur Vernehmung erschienen ist (vgl RS0040428). Dies trifft hier nicht zu, weshalb der behauptete Verfahrensmangel nicht vorliegt.

2. Zur Beweisrüge

[...]

3. Zur Rechtsrüge

Allgemeines

3.1. Gemäß § 41 GmbHG kann die Nichtigerklärung eines Beschlusses der Gesellschaft mittels Klage verlangt werden, 1. wenn der Beschluss nach diesem Gesetz oder dem Gesellschaftsvertrag als nicht zustande gekommen anzusehen ist; 2. wenn der Beschluss durch seinen Inhalt zwingende Vorschriften des Gesetzes verletzt oder, ohne dass bei der Beschlussfassung die Vorschriften über die Abänderung des Gesellschaftsvertrags eingehalten worden wären, mit letzterem im Widerspruch steht.

3.2. Allgemein wird unterschieden zwischen nichtigen und nur anfechtbaren Beschlüssen sowie nicht existenten Scheinbeschlüssen. Als anfechtbar gelten Beschlüsse, die durch Klage beseitigt werden können und die ohne eine solche wirksam sind, während als nichtig jene Beschlüsse gelten, die ipso iure unverbindlich sind (vgl Enzinger in Straube , WK GmbHG § 41 Rz 10 ff). Als nichtig angesehen werden etwa Beschlüsse bei Vorliegen von Einberufungsmängeln, bei Nichtbeurkundung oder mit dem Wesen der GmbH unvereinbare Beschlüsse ( Enzinger aaO Rz 15 ff). Anfechtbar ist ein Beschluss hingegen immer dann, wenn kein Nichtigkeitsgrund vorliegt, der Inhalt des Beschlusses oder dessen Zustandekommen gegen das Gesetz oder den Gesellschaftsvertrag verstößt. Anfechtbare Beschlüsse sind vorläufig verbindlich und werden es endgültig, wenn sie nicht zeitgerecht mit Klage gemäß § 41 angefochten werden ( Baumgartner/Mollnhuber/U. Torggler in U. Torggler , GmbHG § 41 Rz 15). Die Mitberücksichtigung von Stimmen nicht stimmberechtigter Gesellschafter entgegen § 39 Abs 4 GmbHG macht den Beschluss beispielsweise nicht nichtig, sondern bloß anfechtbar (vgl Baumgartner/Mollnhuber, U. Torggler aaO Rz 17, RS0059906 [T2]). Auch die treuwidrige oder rechtsmissbräuchliche Stimmabgabe macht einen Beschluss anfechtbar (RS0120599, RS0106227; 6 Ob 100/12t).

3.3. Der Gesellschafter einer GmbH unterliegt der Treuepflicht, und zwar nicht nur der Gesellschaft, sondern auch den Mitgesellschaftern gegenüber. Sie orientiert sich an den Grundsätzen von Treu und Glauben sowie des redlichen Verkehrs und am Gebot der guten Sitten. Die Treuepflicht des Gesellschafters einer GmbH gebietet eine angemessene Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Mitgesellschafter auch bei der Ausübung des Stimmrechts in der Generalversammlung. Ob ein bestimmtes Verhalten eines Gesellschafters gegen seine Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft oder gegenüber Mitgesellschaftern verstößt, hängt stets von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Die gesellschaftliche Treuepflicht gebietet es aber nicht, die Interessen der Gesellschaft stets über jene des Gesellschafters zu stellen. So können sogenannte „eigennützige“ Rechte des Gesellschafters, die primär seinen Interessen dienen, im Einzelfall auch gegen die Interessen der Gesellschaft ausgeübt werden (6 Ob 100/12t mwN, RS0107912).

3.4. Unstrittig ist, dass die von der Klägerin behaupteten Beschlussmängel nicht zu (absolut) nichtigen, sondern nur anfechtbaren Beschlüssen geführt hätten. Diese Mängel liegen aber aus folgenden Gründen nicht vor:

Punkte [1], [2] und [5] des Klagebegehrens

4.1. Die Klägerin behauptet – zunächst betreffend die Beschlussanfechtungen zu [1] und [2] des Klagebegehrens – Verstöße der X KG gegen den Gesellschaftsvertrag, die Gesellschaftervereinbarung und den Dienstleistungsvertrag vom 22.11.2018. Daraus resultierten besondere Treuepflichten, die die X KG aber durch Abberufung des Geschäftsführers PP und Kündigung des Dienstleistungsvertrags ausschließlich mit ihren Stimmen verletzt habe. Damit seien der Klägerin die ihr mit diesen Vereinbarungen übertragenen Geschäftsführungsaufgaben entzogen worden. Außerdem lege der Gesellschaftsvertrag für eine wirksame Beschlussfassung in Geschäftsführerangelegenheiten eine 75 %ige Mehrheit der abgegebenen Stimmen fest, die bei den angefochtenen Beschlussfassungen aber nicht erreicht worden sei.

4.2. Aus § 16 Abs 1 GmbHG resultiert der Grundsatz der freien Abberufbarkeit des Geschäftsführers einer GmbH. Es ist aber heute allgemein anerkannt, dass zumindest eine rechtsmissbräuchliche Abberufung unzulässig ist. Gesellschafter können auch im Gesellschaftervertrag zu Geschäftsführern bestellt werden. Die Abberufung eines im Gesellschaftsvertrag bestellten Geschäftsführers bedeutet aber keine Änderung des Gesellschaftsvertrags, da eine solche Bestimmung bloß als formeller Satzungsbestandteil qualifiziert werden kann. Es bedarf somit auch keiner qualifizierten Mehrheit und keiner Zustimmung des abberufenen Geschäftsführers ( Ratka in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG § 16 Rz 12 ff). § 16 Abs 3 GmbHG ermöglicht die Statuierung einer Ausnahme vom Grundsatz der freien Abberufbarkeit: Gesellschafter-Geschäftsführer können bei ihrer Bestellung in der Satzung gleichzeitig auch ihre Abberufung auf das Vorliegen wichtiger Gründe beschränken ( Ratka aaO Rz 15). Gesellschafter-Geschäftsführer können ihre Abberufung erschweren, indem sie im Gesellschaftsvertrag ein Sonderrecht auf Geschäftsführung vereinbaren. Ein solches ist als materieller Satzungsbestandteil zu qualifizieren. Ein Sonderrecht liegt aber nicht bereits dann vor, wenn ein Gesellschafter in der Satzung zum Geschäftsführer bestellt (und allenfalls seine Abberufung auf wichtige Gründe eingeschränkt) wurde; es ist vielmehr unmissverständlich zu formulieren, sodass es in objektiver Auslegung ermittelt werden kann ( Ratka aaO Rz 22; vgl auch 6 Ob 99/11v).

4.3.1. Auf ein derartiges Sonderrecht beruft sich die Klägerin hier zwar nicht, erhebt aber aufgrund der weiteren Vertragsgrundlagen einen „gesicherten Anspruch auf Geschäftsführung“. Dem Gesellschaftsvertrag zufolge bezieht sich das Erfordernis einer 75-prozentigen Mehrheit – entgegen der Auffassung der Klägerin – aber nur auf die Festlegung, Änderung und Aufhebung der Geschäftsordnung für die Geschäftsführer und den Abschluss von Geschäftsführerverträgen (§ 7 Z 9 lit d und e des Gesellschaftsvertrags) und nicht auf Geschäftsführungsangelegenheiten generell. Die Abberufung eines Geschäftsführers, der hier nicht mit dem Gesellschaftsvertrag bestellt wurde, richtet sich daher mangels einer gesonderten Regelung nach den allgemeinen Vorschriften des § 16 GmbHG und erfordert keine qualifizierte Mehrheit. Ebenso wenig regelt die Gesellschaftervereinbarung, dass sich die Klägerin gegenüber der X KG zur Übernahme von Geschäftsführerangelegenheiten verpflichtet hätte, und geht insoweit nicht dem Gesellschaftsvertrag vor; die Kündigungsbestimmung zu Punkt 8. der Gesellschaftervereinbarung ist daher auch nicht von Relevanz. Erwähnung findet die Geschäftsführung durch die Klägerin (in bestimmten Angelegenheiten) erst im Dienstleistungsvertrag der Streitteile, wobei es sich aber nur um Angelegenheiten der faktischen Geschäftsführung handeln kann, weil – unstrittig – PP und NN schon zuvor zu organschaftlichen Geschäftsführern der Beklagten bestellt worden waren.

4.3.2. Syndikatsverträge, deren Vertragsgegenstand die Ausübung des Stimmrechts in der Gesellschaft ist, sind eine zulässige Ergänzung des Gesellschaftsvertrags, die jedoch nicht unmittelbar in die gesellschaftliche Organisation eingreifen. Bindungswidrig abgegebene Stimmen binden daher nur die Gesellschafter, nicht aber die GmbH selbst. Auf solche Art zustande gekommene Beschlüsse können prinzipiell nicht angefochten werden, sofern die Stimmbindungsvereinbarung sich nicht darauf beschränkte, die – auch ohne Syndikatsvertrag gegebene – Treuepflicht zu konkretisieren (2 Ob 46/97x; 4 Ob 588/95; RS0049389).

4.3.3. Zwar ist es in einigen Fällen sachgerecht, Gesellschafterbeschlüsse, die unter Verletzung von Stimmbindungsvereinbarungen, die von sämtlichen Gesellschaftern eingegangen wurden, zustande kamen, als anfechtbar zu betrachten und derartige Regelungen daher – ohne dass sie Bestandteil der Satzung wären – als solche der Gesellschaft selbst zu behandeln. Ein derartiger „Durchgriff“ lässt sich jedoch nur rechtfertigen, wenn er in der ausgeprägten personalistischen Struktur der Gesellschaft begründet ist (2 Ob 46/97x). Gibt es beispielsweise nur zwei Gesellschafter und regeln diese ihre wechselseitigen Rechte und Pflichten auch noch im Rahmen einer schuldrechtlichen Nebenvereinbarung (Syndikatsvertrag), so ist davon auszugehen, dass die Rücksichtnahme, Pflichten und somit auch die Treuepflichten – insbesondere im Verhältnis Gesellschafter zu Gesellschafter – noch stärker ausgeprägt sind (6 Ob 155/20t).

4.3.4. Mag die Struktur der Beklagten hier durch das Vorhandensein von bloß zwei Gesellschaftern auch eher personalistisch gestaltet sein, lässt sich jedoch weder aus der Gesellschaftervereinbarung noch aus dem zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Dienstleistungsvertrag ableiten, dass der Grundsatz der freien Abberufbarkeit eines (organschaftlichen) Geschäftsführers auf wichtige Gründe beschränkt wäre. Der Dienstleistungsvertrag regelt zwar die Übernahme von Geschäftsführungsangelegenheiten durch die Klägerin; diese kann aber als juristische Person iSd § 15 Abs 1 Satz 2 GmbHG gar nicht zur (Gesellschafter-)Geschäftsführerin bestellt werden; ihre Bestellung würde gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstoßen. Obgleich die Klägerin nur durch ihren Geschäftsführer nach außen wirksam vertreten wird und dieser infolge seiner Abberufung die Beklagte nicht mehr wirksam vertreten kann, enthalten die erwähnten vertraglichen Grundlagen – anders als in den Sachverhalten zu 2 Ob 46/97x und 6 Ob 155/20t – keine Bestimmungen darüber, dass im Sinne einer Stimmbindung ein Einvernehmen für eine bestimmte Person als (organschaftliche) Geschäftsführerin hergestellt werden möge oder der bestellte Geschäftsführer gegen seinen Willen (nicht) abberufbar sei. Es findet sich darin keine Absicherung der Geschäftsführerbefugnis von PP oder einer anderen Person. Damit geht die – im Übrigen nur gegenüber der Gesellschaft und nicht der X KG wirksame – Regelung der Übertragung (bestimmter) Geschäftsführungsangelegenheiten an die Klägerin hier nicht so weit, dass durch sie bereits der Grundsatz der freien Abberufbarkeit eines Geschäftsführers ausgeschaltet wird und eine Abberufung durch den Mehrheitsgesellschafter schon allgemeine Treuepflichten verletzen würde, die es im Übrigen nicht gebieten, die Interessen der Gesellschaft stets über jene des Gesellschafters zu stellen.

4.4. Die behaupteten Beschlussmängel zu [1] und [2] des Klagebegehrens liegen folglich nicht vor. Allfällige, die Stimmabgabe treuwidrig machende Schädigungshandlungen der X KG zu Lasten der Beklagten, zu denen das Erstgericht nur Negativfeststellungen getroffen hat, greift die Klägerin unter diesem Punkt nicht auf. Sie bleiben daher außer Betracht, weil das Berufungsgericht bei Vorliegen mehrerer selbstständig zu beurteilender Rechtsfragen an eine Beschränkung der Berufungsgründe gebunden ist (vgl RS0043352 [T23, T26, T31]; RS0043317).

4.5.1. Soweit die Klägerin kritisiert, die X KG habe durch die Kündigung des Dienstleistungsvertrags vom 22.11.2018 (Beschlussanfechtung zu [5] des Klagebegehrens) allein mit ihren Stimmen auch gegen die Gesellschaftervereinbarung verstoßen, ist ihr wiederum entgegenzuhalten, dass diese zwar eine entgeltliche Dienstleistungserbringung durch die Klägerin, jedoch im Verhältnis zu ihrer Mitgesellschafterin nicht die Übernahme der Geschäftsführung vorsieht, in puncto Geschäftsführerangelegenheiten daher kein Syndikatsvertrag vorliegt. Ein – eine Treuwidrigkeit begründender – Verstoß gegen die Gesellschaftervereinbarung liegt damit nicht vor.

4.5.2. Ob die X KG den Dienstleistungsvertrag vom 22.11.2018 an sich durch treuwidrige Stimmabgabe gekündigt hat, kann dahingestellt bleiben, weil die Streitteile hierüber in einem Parallelverfahren einen rechtswirksamen Vergleich geschlossen haben. Da nach der Rechtsprechung mittlerweile auch Beschlussmängelstreitigkeiten nach §§ 41 ff GmbHG Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein können und dafür wiederum vorausgesetzt wird, dass über sie auch Vergleiche geschlossen werden können (vgl RS0045318 [T5]; Frauenberger-Pfeiler in Straube/Ratka/Rauter , WK GmbHG § 102 Rz 32), bleibt die Beschlussanfechtung in diesem Punkt schon mangels Rechtsschutzinteresses erfolglos (vgl RS0037242).

4.5.3. Die Klägerin behauptet in der Berufung, bei einer Nichtigerklärung des zu [5] angefochtenen Beschlusses würde der Dienstleistungsvertrag wieder aufleben; Entgeltansprüche für die Zeit nach dem Vergleichsabschluss würden entstehen. Dies widerspricht aber der Generalklausel zu Punkt 3. des Prozessvergleichs, die angesichts der behaupteten Nichteinhaltung von Kündigungsfristen (gemäß Punkt 6.1 des Dienstleistungsvertrags, der Klägerin zufolge auch gemäß Punkt 8.1 der Gesellschaftervereinbarung) gerade in Bezug auf dadurch noch offene Geschäftsführungsentgelte eine bereinigende Wirkung haben sollte. Daraus sowie aus dem Umstand, dass laut Punkt 4. des Prozessvergleichs allfällige Ansprüche der Klägerin aus dem Gesellschafter- Verhältnis – somit aus dem Verhältnis zur X KG – nicht von der Generalklausel zu Punkt 3. umfasst sind, ist im Umkehrschluss abzuleiten, dass Ansprüche zwischen der Klägerin und der Beklagten als Gesellschaft, wie sie im Dienstleistungsvertrag geregelt sind, „generalbereinigend“ verglichen wurden – und damit auch allfällige „Ansprüche“ auf Beschlussanfechtung nach § 41 GmbHG, die nur gegen die Beklagte gerichtet werden können.

Punkte [3] und [4] des Klagebegehrens

5.1. Die Klägerin stützt die Beschlussanfechtung zu [3] zunächst darauf, dass die X KG aufgrund des gegen sie angestrebten Prozesses bei der Abstimmung über die Frage der Prozessvertretung durch die Klägerin gemäß § 39 Abs 4 GmbHG einem Stimmverbot unterlegen sei. Der Beschluss sei daher schon aus diesem Grund nichtig; sein wirksames Zustandekommen hätte aber alleine mit den Stimmen der Klägerin festgestellt werden können. Zwischen der X KG und der Beklagten bestehe ein Interessenskonflikt; die ordnungsgemäße Vertretung der Beklagten sei nicht gesichert, weshalb die Klägerin zu ihrer Prozessvertreterin zu bestellen sei. Werde kein grundsätzliches Stimmverbot angenommen, sei zumindest ein hinreichender Verdacht für ein Fehlverhalten der X KG zu Lasten der Beklagten festzustellen, aus dem die Treuwidrigkeit ihrer Stimmabgabe resultiere, weil die X KG dadurch eine Prozessführung gegen sich habe verhindern wollen.

5.2. Gemäß § 35 Abs 1 Z 6 GmbHG obliegt der Beschlussfassung der Gesellschafter die Geltendmachung der Ersatzansprüche, die der Gesellschaft aus der Errichtung oder Geschäftsführung gegen die Geschäftsführer, deren Stellvertreter oder den Aufsichtsrat zustehen, sowie die Bestellung eines Vertreters zur Prozessführung, wenn die Gesellschaft weder durch die Geschäftsführer, noch durch den Aufsichtsrat vertreten werden kann.

5.2.1. In der Lehre wird teilweise die Ansicht vertreten, dass die Tatbestände des § 35 Abs 1 Z 6 GmbHG entgegen dem Wortlaut auch dann greifen, wenn Ersatzansprüche nicht gegen Organe der GmbH, sondern gegen Gesellschafter geltend gemacht werden. Koppensteiner/Rüffler (in GmbHG³ § 35 Rz 32, 39 f, § 61 Rz 15) zufolge lasse sich der § 35 Abs 1 Z 6 zugrundeliegende Normzweck, nämlich die Überwindung einer vorliegenden Befangenheit der Geschäftsführer, nicht überzeugungskräftig bloß auf die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen die Geschäftsführung oder den Aufsichtsrat beschränken. Aus dem selben Grund sei auch die Bestellung eines Prozessvertreters möglich, wenn die Gesellschaft ansonsten nicht organschaftlich vertreten werden könnte (vgl auch Harrer in Gruber/Harrer , GmbHG² § 35 Rz 56, aA zB Baumgartner/Mollnhuber/U. Torggler in U. Torggler , GmbHG § 35 Rz 25, 29). Dem folgend argumentiert Fantur (in FS Koppensteiner zum 80. Geburtstag [2016], 93 f), dass eine analoge Anwendung auf Prozesse gegen Gesellschafter, die nicht Geschäftsführer sind, geboten sei, wenn eine gemeinsame Pflichtverletzung des Geschäftsführers und eines Gesellschafters vorliege und der Geschäftsführer aus diesem Grund gehindert sei, die Gesellschaft im Prozess zu vertreten.

5.2.2. Derselbe (aaO, 85 f) empfiehlt Minderheitsgesellschaftern, die von Mehrheitsgesellschaftern in Bezug auf Ersatzansprüche, die gegen diese(n) Mehrheitsgesellschafter geltend gemacht werden sollen, unter Missachtung des Stimmverbots des § 39 Abs 4 GmbHG überstimmt wurden, aber auch, in diesem Zusammenhang Beschlussanfechtungs- oder Feststellungsklagen zu vermeiden. Solche Klagen richteten sich nicht gegen die betreffenden Geschäftsführer oder Gesellschafter, sondern gegen die Gesellschaft, auch wenn in Wahrheit die Minderheit mit ihren Mitgesellschaftern streite. Der Geschäftsführer oder Gesellschafter, der letztlich in Anspruch genommen werden soll, habe selbst keinen Prozessaufwand, weil diesen die Gesellschaft trage und damit sogar die klagenden Minderheitsgesellschafter wirtschaftlich im Verhältnis ihrer Beteiligung. Eine effektive Anspruchsverfolgung sei nur mittels Minderheitenklage nach § 48 GmbHG möglich.

5.2.3. Diese Argumentation spricht aber hier dafür, die Anwendbarkeit des § 35 Abs 1 Z 6 zweiter Fall GmbHG zu verneinen. Die Klägerin behauptet Schädigungshandlungen der X KG zu Lasten der Beklagten und damit indirekt zu ihren Lasten; die X KG bestreitet diese. Der Rechtsstreit spielt sich in Wahrheit zwischen der Klägerin (als Minderheitsgesellschafterin) und der X KG (als Mehrheitsgesellschafterin) ab; bei Zulassung der Prozessvertretung iSv § 35 Abs 1 Z 6 zweiter Fall GmbHG würde das Kostenrisiko allerdings die Beklagte und nicht die X KG tragen. Hinzu kommt, dass einer Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft durch die Klägerin als Minderheitsgesellschafterin iSd § 48 Abs 1 GmbHG, der im Unterschied zu § 35 Abs 1 Z 6 GmbHG explizit auch Ansprüche der Gesellschaft gegen die Gesellschafter erwähnt, nichts mehr im Wege gestanden wäre. Schließlich ist ein Beschluss über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen die X KG in der außerordentlichen Generalversammlung vom 21.2.2020 mit den Stimmen der Klägerin bereits zustande gekommen, nachdem die X KG aufgrund des von der Vorsitzenden festgestellten Stimmverbots nicht mitgestimmt hatte (feststellbar [vgl RS0040321] aus dem Protokoll dieser Generalversammlung, Beilage ./E, Seite 5). Zwar ist eine formale Voraussetzung für die Klagsführung nach § 48 Abs 1 GmbHG die Ablehnung der Rechtsverfolgung durch Gesellschafterbeschluss. Im Falle einer positiven Beschlussfassung ist aber die Klagsvoraussetzung auch dann erfüllt, wenn – wie hier mangels Anwendbarkeit – gar kein Prozessvertreter nach § 35 Abs 1 Z 6 GmbHG bestellt werden kann (vgl Enzinger in Straube , WK-GmbHG § 48 Rz 10 f; Koppensteiner/Rüffler , GmbHG³ § 48 Rz 6). Eine Beschlussanfechtung wird nicht vorausgesetzt (vgl Koppensteiner/Rüffler aaO Rz 7) und würde hier eben gar nicht offenstehen.

5.3. Da eine Beschlussanfechtung bereits aus diesen Gründen scheitert, kommt es auf die Feststellung eines allfälligen Fehlverhaltens der X KG zum Nachteil der Beklagten unter diesem Punkt nicht an.

Der Berufung war daher der Erfolg zu versagen.

6. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

7. Die Bewertung erfolgte nach Maßgabe der tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhänge (vgl 6 Ob 199/09x, 1 R 91/22t, 5 R 176/22x). Die Beschlussanfechtungen zu [1], [2] und [5] des Klagebegehrens hängen insoweit zusammen, als sie auf behauptete Verstöße gegen den Gesellschaftsvertrag, die Gesellschaftervereinbarung und den Dienstleistungsvertrag in Bezug auf Geschäftsführerangelegenheiten gestützt werden. Zu [3] und [4] des Klagebegehrens ergibt sich ein Zusammenhang dadurch, dass das Begehren auf Nichtigerklärung des Beschlusses über die Ablehnung der Prozessvertretung durch die Klägerin das Begehren auf Feststellung eines gegenteiligen positiven Beschlusses bedingt (vgl Enzinger in Straube , WK GmbHG § 42 Rz 26).

8. Die Revision war jeweils zuzulassen, einerseits zur Frage, inwieweit das Fehlen eines Rechtsschutzinteresses – hier durch den Abschluss eines Prozessvergleichs – die Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen verhindert; andererseits zur Frage, ob § 35 Abs 1 Z 6 GmbHG sich auch auf Gesellschafterbeschlüsse bezieht, mit denen Ersatzansprüche nicht gegen Organe, sondern Gesellschafter selbst geltend gemacht werden und in diesem Zusammenhang ein Prozessvertreter bestellt oder seine Bestellung begehrt wird (diese Frage offenlassend, weil der beklagte Gesellschafter ohnedies gleichzeitig Gesellschafter-Geschäftsführer war: 2 Ob 328/01a; s auch 6 Ob 130/05v).