JudikaturJustiz33R109/23a

33R109/23a – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
27. November 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Marchel und die Kommerzialrätin Oswald in der Rechtssache der klagenden Partei ***** , vertreten durch die Gheneff – Rami – Sommer Rechtsanwälte GmbH Co KG in Wien, wider die beklagte Partei ***** , vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen (zuletzt) EUR 10.000 s.A. über die Berufung der beklagten Partei (Berufungsinteresse EUR 5.000) gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 12.6.2023, 24 Cg 5/23b-13, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 877,39 (darin EUR 146,23 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Entscheidungsgründe

Text

Die Klägerin war von 1.12.2018 bis 17.5.2019 Mitarbeiterin (Moderatorin) bei „o**.TV“, dem Fernsehsender der Tageszeitung „Ö*****“. Ihr formaler Arbeitgeber war die A***** GmbH. Ihr eigentlicher Chef war W*****. Die Beklagte ist Medieninhaberin der periodischen Druckwerke (Tageszeitungen) „Ö*****“ (Kaufausgabe) und „o**“ (Gratis-Ausgabe) und hat ihren Sitz in Wien. Ihr Geschäftsführer und Herausgeber ist W*****.

Die Beklagte veröffentlichte – im Zusammenhang mit einem arbeitsgerichtlichen Verfahren – am 27.5.2021 in ihren Tageszeitungen „Ö*****“ und „o**“ folgenden Artikel:

[Von der Veröffentlichung des Faksimiles im RIS wird abgesehen.]

Die Klägerin brachte unter anderem wegen dieses Artikels medienrechtliche Entschädigungsanträge gemäß §§ 6ff MedienG gerichtlich ein. In diesem Verfahren wurde die Beklagte hierfür rechtskräftig zu einer Entschädigungszahlung von EUR 5.000 je Veröffentlichung, insgesamt daher EUR 10.000 verurteilt. Die dort ebenfalls belangte o** GmbH wurde als Medieninhaberin der Website http://www.o**.at für die Online-Veröffentlichung desselben Artikels am 27.5.2021 zu einer Zahlung von EUR 5.000 verurteilt; artikelbezogen betrug der Entschädigungsbetrag für die Klägerin daher insgesamt EUR 15.000 (Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 31.3.2022, 92 Hv 89/21p, Beilage ./U; Urteil des OLG Wien vom 2.2.2023, 18 Bs 195/22s, Beilage ./1). Im erstinstanzlichen Urteil wird unter anderem ausgeführt:

«Der Medienkonsument versteht [den] Artikel dahingehend, dass die Antragstellerin [= Klägerin] die Vorwürfe, W***** habe sie sexuell belästigt, erfunden und somit Lügengeschichten verbreitet habe und solcherart die MeToo-Bewegung missbrauche. […] Durch diese Vorwürfe der Lügenhaftigkeit wird die Antragstellerin eines verächtlichen und unehrenhaften Verhaltens geziehen, das auch geeignet ist, sie in der Wahrnehmung anderer herabzusetzen. Der objektive Tatbestand der üblen Nachrede gemäß § 6 MedienG ist sohin in objektiver Hinsicht erfüllt.»

Das OLG Wien hob in seinem Urteil die erstinstanzlich zugesprochenen Entschädigungsbeträge auf EUR 5.000 je Veröffentlichung an, dies unter Berücksichtigung der Erhöhung der Entschädigungsgrenzen nach § 8 Abs 1 letzter Satz MedienG durch das Hass-im-Netz-Bekämpfungs-Gesetz (HiNBG, BGBl I 2020/148),

«unter Bedachtnahme auf die in § 8 Abs 1 erster und zweiter Satz MedienG genannten Kriterien […], um dem notorisch hohen Verbreitungsgrad der inkriminierten Druckschriften […], der prominenten Aufmachung der Artikel und den dadurch bedingten Auswirkungen der Veröffentlichungen gerecht zu werden“

sowie in Erwägung des Umstandes,

„dass sich der von der Antragstellerin sexueller Übergriffe am Arbeitsplatz beschuldigte W***** ‚seiner‘ Medien bediente, um diese mit wahrheitswidrigen Unterstellungen in der Öffentlichkeit zu diskreditieren, zumal gerichtsnotorisch ist, dass im Zusammenhang mit solchen Vorwürfen mehrerer ehemaliger Angestellter gegen W***** regelrechte Kampagnen in dessen Medien gefahren wurden» (s. Beilage ./1).

Mit ihrer Klage vom 8.2.2023 begehrte die Klägerin unter anderem von der Beklagten, es zu unterlassen, Bilder der Klägerin zu veröffentlichen, wenn im dazugehörenden Begleittext die wörtlichen und/oder sinngemäßen falschen Behauptungen verbreitet werden, der Vorwurf der Klägerin, W***** habe sie sexuell belästigt, sei „erfunden“ und/oder die Klägerin würde „Lügengeschichten“ verbreiten und/oder die „MeToo-Bewegung missbrauchen“. Sie bewertete dieses Begehren mit EUR 45.000. Mit Schriftsatz vom 20.3.2023 (ON 6) änderte sie es ab auf:

«Die Beklagte ist schuldig, zu unterlassen, die wörtlichen und/oder sinngemäßen falschen Behauptungen zu verbreiten, der Vorwurf der Klägerin, W***** habe sie sexuell belästigt sei „erfunden“ und/oder die Klägerin würde „Lügengeschichten“ verbreiten und/oder die Klägerin würde die ‚MeToo-Bewegung‘ missbrauchen.»

Darüber schlossen die Parteien in der Tagsatzung vom 24.4.2023 einen Teilvergleich, wobei sie im Hinblick auf diesen die Kostenentscheidung der Endentscheidung vorbehielten. Die Klägerin stellte klar, dass das Unterlassungsbegehren nun auf § 1330 ABGB gestützt und nach der zwingenden Bewertungsvorschrift des § 10 Z 6 lit a RATG mit EUR 21.000 zu bewerten sei.

Am 1.9.2021 wurde in den Printausgaben von „Ö*****“ und „o**“ jeweils ein Artikel mit den Überschriften

«Thema des Tages. Unabhängiges Gutachten bestätigt: Alle Vorwürfe gegen W***** widerlegt. Compliance-Analyse von B***** untersuchte alles: Kein Fehlverhalten von W*****»

veröffentlicht. Der ganze Artikel ist auf Seiten 8 und 9 des erstgerichtlichen Urteils ersichtlich. Darin wird unter anderem beschrieben, dass die von der Beklagten beauftragte Wirtschaftsprüfungskanzlei B***** penibel untersucht habe, ob die Vorwürfe der Klägerin und einer weiteren Beschwerdeführerin, W***** habe sie sexuell belästigt, stimmten und ob andere MitarbeiterInnen der Beklagten ähnliche Beschwerden erhoben hätten. Auf einen entsprechenden Aufruf habe sich aber trotz anonymer Beschwerdemöglichkeit niemand gemeldet. Die Klägerin und die weitere Beschwerdeführerin seien zu einem Interview geladen worden, zum Termin aber nicht erschienen. Weiters heißt es:

«Und die AugenzeugInnen in Sachen [Klägerin] bestätigten einhellig: Es hat bei dem Fotoshooting keine Berührung und auch sonst keine sexuelle Belästigung durch W***** gegeben. […]. Die gesamte Compliance-Analyse von B***** Consulting liefert keinen einzigen Hinweis auf ein Fehlverhalten von W*****. Für die Beobachter stellt sich die ‚Causa‘ nun immer mehr als versuchter Rufmord an W***** dar […].»

In einem Unterartikel auf derselben Doppelseite werden auf Basis „[nunmehr vorliegender] Protokolle der Verhandlungen am Arbeits- und Sozialgericht“ die Aussagen der dort befragten AugenzeugInnen interpretiert. Demnach habe es keine Berührung und keine sexuelle Belästigung durch W***** gegeben. Der Unterartikel endet mit einem Satz aus der Aussage einer Augenzeugin zum Vorwurf der weiteren Beschwerdeführerin: „Die Geschichte ist frei erfunden!“ . In seinem auf derselben Doppelseite abgedruckten Kommentar schreibt W*****, dass das Gerichtsverfahren ergeben habe, für die gegen ihn erhobenen Vorwürfe gebe es

«weder einen Beweis noch Zeugen. […] Der Grund für diese Rufmord-Kampagne ist mittlerweile klar: Man wollte den enormen Erfolg von o**.TV stoppen. […] Gott sei Dank gibt es im Leben – und sogar in dieser Haifisch-Branche – am Ende jeder Verleumdung Gerechtigkeit. Die Compliance-Analyse von B***** hat nicht nur festgestellt, dass alle Vorwürfe falsch waren, sondern vor allem auch, dass kein einziger (!) Mitarbeiter einen Vorwurf oder eine Beschwerde gegen mich erhebt. […].»

Im Hinblick auf diesen Artikel (vom 1.9.2021) brachte die Klägerin im Juni 2022 beim Handelsgericht Wien zu 24 Cg 24/22w eine Klage gegen die Beklagte sowie W***** ein. Über das in der Klage enthaltene Unterlassungsbegehren schlossen die Streitteile in der Verhandlung vom 19.9.2022 folgenden Vergleich:

«Die Beklagten sind schuldig, zu unterlassen, Bilder der Klägerin zu veröffentlichen, wenn im dazugehörigen Begleittext die wörtliche und/oder sinngemäße falsche Behauptung verbreitet wird, der Vorwurf der Klägerin, W***** habe sie sexuell belästigt, sei „frei erfunden“ „und/oder eine Rufmordkampagne „und/oder Verleumdung“.»

Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage neben dem oben bereits wiedergegebenen Unterlassungsbegehren – gestützt auf § 87 Abs 2 iVm § 78 UrhG – die Zahlung weiterer EUR 10.000 für den Ersatz immaterieller Schäden. Die Beklagte habe mit dem Artikel vom 27.5.2021 unwahre Tatsachen über die Klägerin verbreitet, die ehrenbeleidigend und kreditschädigend seien; auch habe sie darin ein Bild von ihr veröffentlicht. Dadurch habe sie berechtigte Interessen der Klägerin verletzt. Die Urteile des medienrechtlichen Entschädigungsverfahrens hätten zwar Bindungswirkung für das vorliegende Verfahren, deckten aber nicht den gesamten immateriellen Schaden der Klägerin ab. Bei der Bemessung des urheberrechtlichen Anspruchs seien im Unterschied zum Anspruch nach dem MedienG weitere Faktoren zu berücksichtigen, so das Verschulden des Verletzers, das Fehlen betraglicher Haftungsgrenzen, die Irrelevanz der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Beklagten und der Umstand, dass der Anspruch über die erlittene Kränkung hinaus auch die Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Rufs und des sozialen Ansehens erfasse. Vor diesem Hintergrund sei ein Schadenersatzbetrag von zumindest EUR 20.000 gerechtfertigt, auf den die nach dem MedienG zugesprochene Entschädigung von EUR 10.000 anzurechnen sei.

Kostenrechtlich habe keine Obliegenheit bestanden, die Klage mit jener zu 24 Cg 24/22w zu verbinden. Die Klagebegehren bezögen sich auf verschiedene Artikel und seien daher auch unterschiedlich zu formulieren gewesen. Da der Artikel vom 27.5.2021 – und nicht jener vom 1.9.2021 – Prozessgegenstand eines medienrechtlichen Entschädigungsverfahrens gewesen sei und das dort ergehende Urteil Bindungswirkung für das Zivilverfahren entfalten würde, sei es aus Gründen der Prozessökonomie sachgerecht gewesen, vor Klagseinbringung den Ausgang des Entschädigungsverfahrens abzuwarten. Bei der Änderung des Unterlassungsbegehrens mit Schriftsatz vom 20.3.2023 (ON 6) handle es sich nicht um eine Klagseinschränkung, sondern vielmehr eine Klagsausdehnung, sodass die Klägerin insofern kostenrechtlich nicht unterlegen sei.

Die Beklagte wendete ein, dass durch den Zuspruch von EUR 10.000 im medienrechtlichen Entschädigungsverfahren die ideellen Nachteile der Klägerin bereits ausgeglichen worden seien. Dessen ungeachtet habe die Klägerin kein Rechtsschutzbedürfnis mehr, weil sie zu 24 Cg 24/22w des HG Wien eine nahezu gleichlautende Klage eingebracht und darüber bereits einen rechtswirksamen und vollstreckbaren Unterlassungsvergleich erwirkt habe. Aufgrund dieser nahezu wortgleichen Klage habe die Klägerin gegen die Verbindungspflicht verstoßen, sodass ihr insoweit hier kein Kostenersatz zustehe. Durch die Änderung ihres Unterlassungsbegehrens stütze sich die Klägerin nicht mehr auf eine Verletzung des Bildnisschutzes, sondern auf einen Verstoß gegen § 1330 ABGB. Daraus folge aufgrund des zwingenden Charakters des § 10 Z 6 lit a RATG eine Herabsetzung des Streitwerts auf EUR 21.000, was einer Klagseinschränkung gleichkomme; insoweit sei die Klägerin als unterlegen und kostenersatzpflichtig anzusehen.

Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtete das Erstgericht die Beklagte zur Zahlung von EUR 10.000 samt 4 % Zinsen seit 15.2.2023 und wies das Zinsenmehrbegehren ab. Es stellte den eingangs wiedergegebenen, großteils unstrittigen Sachverhalt fest. Auf die unbekämpften Feststellungen auf den Seiten 6 bis 9 der Urteilsausfertigung wird verwiesen. Rechtlich stützte es sich auf die Bindungswirkung der Verurteilung der Beklagten nach §§ 6 ff MedienG. Es bejahte die Eignung der Berichterstattung, die Klägerin in der öffentlichen Meinung empfindlich herabzusetzen; der Artikel sei ehrenbeleidigend und kreditschädigend iSd § 1330 Abs 1 und 2 ABGB. Seit dem Entstehen der MeToo-Bewegung sei die Öffentlichkeit vermehrt mit Berichten über sexuelle Belästigung und deren Folgen konfrontiert. Dabei handle es sich um ein sehr wichtiges gesellschaftliches Thema. Gerade deshalb wiege es besonders schwer, jemandem zu unterstellen, Vorwürfe sexueller Belästigung zu erfinden und zu konstruieren sowie die MeToo-Bewegung zu missbrauchen. Der Artikel vom 27.5.2021 sei in zwei Tageszeitungen veröffentlicht worden und als „Thema des Tages“ noch besonders hervorgehoben worden. Die Leserschaft sei dadurch angehalten worden, diesem Thema besondere Aufmerksamkeit zu schenken. In Anbetracht der Heftigkeit des Vorwurfs gegen die Klägerin und unter Berücksichtigung der kränkenden Auswirkungen des Artikels sei ein Schadenersatzanspruch von insgesamt EUR 20.000 – vor Anrechnung des Entschädigungsbetrags nach den §§ 6 ff MedienG – angemessen. An der Möglichkeit der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen sowohl nach dem MedienG als auch dem UrhG in verschiedenen Verfahren habe sich im Übrigen auch durch das HiNBG nichts geändert. Kostenrechtlich sei die Klägerin nicht verpflichtet gewesen, das Verfahren mit jenem zu 24 Cg 24/22w zu verbinden. Die gemeinsame Einklagung hätte vielmehr zu einer Verfahrensverzögerung geführt, zumal das Gericht das Verfahren im Hinblick auf den Artikel vom 27.5.2021 und die Bindungswirkung eines Schuldspruchs im medienrechtlichen Entschädigungsverfahren bis zu dessen Beendigung hätte unterbrechen können. Aufgrund dieser Bindungswirkung wäre die Klägerin schon mit ihrem ursprünglichen Unterlassungsbegehren durchgedrungen, sodass ihr trotz der späteren Klagsänderung voller Kostenersatz – im zweiten Abschnitt jedoch auf Basis des auf EUR 31.000 verminderten Streitwerts – zustehe und es zu keiner Kostenteilung komme.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Die Beklagte bekämpft den Zuspruch durch das Erstgericht nur in jenem Umfang, als er EUR 5.000 übersteigt. Sie beantragt, das Urteil im Sinne einer Abweisung des EUR 5.000 übersteigenden Begehrens abzuändern (der Zuspruch im Ausmaß von EUR 5.000 ist daher rechtskräftig). Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Mit dem – als Berufung im Kostenpunkt zu wertenden – „Kostenrekurs“ wird beantragt, die Kostenentscheidung ersatzlos zu beheben, eventualiter sie dahin abzuändern, dass der beklagten Partei ein Kostenersatz von EUR 2.667,82 auferlegt werde. Im Umfang der Abweisung des Zinsenmehrbegehrens ist das erstinstanzliche Urteil ebenfalls rechtskräftig.

Die Klägerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

1. In der Hauptsache richtet sich die Berufung ausschließlich gegen die Höhe des zugesprochenen Schadenersatzbetrags. Durch das HiNBG habe der Gesetzgeber unter anderem den Begriff der „Kränkung“ in §§ 6 ff MedienG durch den Begriff der „persönlichen Beeinträchtigung“ ersetzt und damit beabsichtigt, das MedienG an die zivilrechtliche Terminologie des Schadenersatzrechts anzupassen. Die Regelungsziele der §§ 6 ff MedienG und des § 87 Abs 2 UrhG seien nunmehr identisch. Doppelentschädigungen sollten aber nach Tunlichkeit vermieden werden, sodass es einer über EUR 5.000 hinausgehenden Erhöhung des nach §§ 6 ff MedienG zugesprochenen Entschädigungsbetrags nicht bedürfe.

2.1 Zunächst kann iSd § 500a ZPO auf die zutreffenden rechtlichen Ausführungen des Erstgerichts verwiesen werden. Der Gesetzgeber hat in den Erläuterungen zum HiNBG klargestellt, dass die Änderung des Begriffs der „Kränkung“ auf „persönliche Beeinträchtigung“ in §§ 6 ff MedienG zwar zum Zwecke der Anpassung an die zivilrechtliche Terminologie im Schadenersatzrecht erfolgte, damit aber keine Bedeutungsänderung verbunden ist. Wie bisher judiziert, sollen die medienrechtlichen Entschädigungsansprüche lediglich immaterielle Schäden ersetzen (ErlRV 481 BlgNR 27. GP 17).

2.2 Damit derogieren die §§ 6 ff MedienG idF BGBl I 2020/148 weiterhin nicht dem § 87 Abs 2 UrhG. Diese Bestimmungen gewähren zwar jeweils Ersatz für immaterielle Schäden; es bestehen aber Unterschiede in den Anspruchsgrundlagen, sodass die Ansprüche voneinander unabhängig bei den hierfür zuständigen Gerichten geltend gemacht werden können. Während der Anspruch nach den §§ 6 ff MedienG betraglich begrenzt ist, besteht der Anspruch nach § 87 Abs 2 UrhG nur bei Verschulden; die Haftung ist betraglich nicht begrenzt, und bei der Bemessung ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beklagten nicht zu berücksichtigen. Der Anspruch geht über die erlittene Kränkung hinaus und erfasst insbesondere auch (äußere) Persönlichkeitsschäden wie die Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Rufs und des sozialen Ansehens. Die Tatbestände der §§ 6 ff MedienG können beispielsweise auch ohne Lichtbildveröffentlichung erfüllt sein; mangels gesetzlicher Anordnung ist nicht sichergestellt, dass das Strafgericht den besonderen Unwert und die spezifischen Folgen einer auch nach § 78 UrhG unzulässigen Lichtbildveröffentlichung angemessen berücksichtigt. In medienrechtlichen Verfahren zugesprochene Entschädigungsbeträge sind aber wegen der insofern jedenfalls bestehenden Anspruchskonkurrenz auf den Anspruch nach § 87 Abs 2 UrhG anzurechnen (vgl 4 Ob 153/11w; Guggenbichler in Kucsko / Handig , urheber.recht 2 § 87 UrhG Rz 24; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Koukal , Mediengesetz Praxiskommentar 4 Vorbemerkungen §§ 6-8a Rz 54).

2.3 Die Bemessung des Schadenersatzes nach § 87 Abs 2 iVm § 78 UrhG erfolgt grundsätzlich eigenständig und unabhängig von Vorentscheidungen der Strafgerichte. Die Höhe des immateriellen Schadenersatzes ist nach § 273 ZPO unter Berücksichtigung sämtlicher Verfahrensergebnisse auszumitteln. Sie sollte für den Verletzten zumindest fühlbar sein und der Allgemeinheit verdeutlichen, dass sich Rechtsverletzungen dieser Art nicht lohnen. In die Bemessung fließen der Grad des Verschuldens sowie die Intensität und Dauer der Verletzung ein. Die Art der Veröffentlichung, ihre Reichweite und die Anzahl der Veröffentlichungen sind ebenso miteinzubeziehen wie die Bekanntheit der abgebildeten Person, der Inhalt des Beitrags, die Abweichung des Begleittexts vom wahren Sachverhalt sowie ein dem Abgebildeten zu Unrecht unterstelltes, sozial verwerfliches Motiv ( Guggenbichler aaO Rz 22 f; Nageler-Petritz , Zur Höhe des immateriellen Schadenersatzes bei [ungerechtfertigter] Bildveröffentlichung in Medien, MR 2021, 279 f).

2.4.1 Dem Erstgericht ist beizupflichten, dass die Verbreitung der unwahren Tatsachenbehauptung, die Klägerin habe Vorwürfe sexueller Belästigung erfunden, angesichts der Sensibilität des Themas spürbar zu ahnden ist. Wie die Strafgerichte ausführten und bei der Bemessung der Entschädigungsbeträge von letztlich insgesamt EUR 10.000 bereits berücksichtigten, war der Artikel vom 27.5.2021 für die Klägerin ehrverletzend und rufschädigend, auch vor dem Hintergrund, dass er in zwei Tageszeitungen mit hohem Verbreitungsgrad – eine davon ist gratis erhältlich – veröffentlicht und dort als „Thema des Tages“ besonders hervorgehoben wurde. Darauf, dass W***** dabei als ehemaliger Vorgesetzter der Klägerin und Inhaber der diesen Artikel publizierenden Medien gegenüber der Klägerin in einer gewissen Machtposition agierte, ging das OLG Wien in seinem Urteil ebenfalls ein. Das Berufungsgericht schließt sich diesen Ausführungen – auch betreffend die Höhe der Entschädigung – an und verkennt dabei nicht, dass es den Schadenersatzbetrag nach § 87 Abs 2 UrhG grundsätzlich eigenständig auszumitteln hat. Soweit es aber bei den Bemessungskriterien zu den aus den medienrechtlichen Urteilen zitierten Überschneidungen kommt, sind diese auch hier von Relevanz; wie erwähnt, etwa im Hinblick auf Art und Reichweite der Veröffentlichung oder darauf, dass sich W***** „seiner“ Medien bediente, um die Klägerin in der Öffentlichkeit zu diskreditieren, was beispielsweise für die Bemessung des Schadenersatzes im Zivilverfahren die Annahme eines höheren Verschuldensgrades rechtfertigt.

2.4.2 Zusätzlich sind hier gegenüber dem medienrechtlichen Entschädigungsverfahren aber noch der mit der Lichtbildveröffentlichung einhergehende besondere Unwert und die speziell damit verbundene erhebliche Kränkung der Klägerin zu berücksichtigen. Schließlich wird dieser durch die unwahren Behauptungen im Begleittext, sie habe die Anschuldigungen sexueller Belästigung konstruiert, ein mögliches strafbares Verhalten unterstellt.

2.4.3 Der fälschliche Vorwurf strafrechtlich relevanten Verhaltens gegen öffentlich bekannte Personen und damit einhergehende Lichtbildveröffentlichungen waren schon mehrmals Gegenstand zivilrechtlicher, wegen Ansprüchen nach § 87 Abs 2 iVm § 78 Abs UrhG geführter Verfahren. In der schon vom Erstgericht zitierten Entscheidung 4 Ob 224/08g wurde die Herausgeberin einer Zeitung wegen der – zusammen mit einem Lichtbild auf der Titelseite abgedruckten – falschen Behauptung, „Milliardär als Schwarzfahrer. Bau-Tycoon […] wurde in der U-Bahn ertappt“ zu einer Schadenersatzzahlung von EUR 6.000 verurteilt. Zu 4 R 58/20h betrug der Schadenersatz für den mehrfachen wahrheitswidrigen Vorwurf der Beteiligung an schweren strafbaren Handlungen (Amtsmissbrauch, Geschenkannahme) vor Anrechnung der medienrechtlichen Entschädigung EUR 5.000 je Lichtbildveröffentlichung, insgesamt daher EUR 10.000. Einen Betrag von EUR 7.000 hielt das Oberlandesgericht im Fall der in einer Veröffentlichung erfolgten Bezichtigung, „Mitarbeiter eines höchst kriminell agierenden Unternehmens“ (der Firma der Produzenten des „Ibiza-Videos“) zu sein, für angemessen (1 R 164/20z; ähnlich auch 30 R 10/21t, wo für einen solchen Artikel EUR 7.500 zugesprochen wurden; beide Beträge jeweils vor Anrechnung der medienrechtlichen Entschädigung). Zu 1 R 59/22m wurde dem Kläger, dem Mitherausgeber einer großen österreichischen Tageszeitung, für den in den beiden Printausgaben der Beklagten veröffentlichten falschen Vorwurf, er finanziere der Klägerin und einer weiteren ehemaligen Mitarbeiterin Klagsführungen gegen W***** auf Grundlage von Anschuldigungen sexueller Belästigung und betreibe damit eine Rufmordkampagne gegen ihn, um dem Erfolg seiner Medien zu schaden, ein Schadenersatzbetrag von insgesamt EUR 7.500 zugesprochen. Für denselben, auf www.o**.at veröffentlichten Artikel wurde die o** GmbH als Betreiberin dieser Website zur Zahlung von insgesamt EUR 6.000 an den Kläger verpflichtet (2 R 79/22k; beide Beträge wiederum jeweils vor Anrechnung der medienrechtlichen Entschädigung).

2.5 Unter Berücksichtigung der aufgezählten Bemessungskriterien ist ein gegenüber der medienrechtlichen Entschädigung erhöhter Betrag jedenfalls gerechtfertigt.

Die Beklagte setzt sich mit den Argumenten des Erstgerichts über die Höhe des Entschädigungsbetrags nicht inhaltlich auseinander, sondern erklärt auf Seite 4 der Berufung (Punkt 3.) nur, dass der vom Strafgericht nach dem Mediengesetz zugesprochene Betrag von EUR 10.000 so bemessen sei, dass eine Erhöhung nach § 87 Abs 2 UrhG nicht nötig sei. Sodann wird auf eine Untersuchung von Nageler-Petritz in MR 2021, 279, verwiesen, wonach ein EUR 5.000 übersteigender Schadenersatzbetrag nach § 87 Abs 2 UrhG nur dann zustehe, wenn jemandem tatsachenwidrig eine gerichtlich strafbare Handlung unterstellt werde.

Aus dieser empirischen Untersuchung iVm der oben erörterten Judikatur lässt sich nicht ableiten, dass nicht spezielle – bisher allenfalls nicht behandelte – Konstellationen einen höheren Entschädigungsbetrag rechtfertigen.

Das Berufungsgericht billigt die Überlegungen des Erstgerichts nach § 500a ZPO und hält die knapp gehaltenen Überlegungen der Beklagten dagegen nicht für stichhältig. Wie auch das Erstgericht bereits erwähnt hat, liegt die Besonderheit des vorliegenden Falls nicht nur in der Prangerwirkung, die mit der Veröffentlichung eines Lichtbilds stets verbunden ist, sondern auch darin, dass die Beklagte mit den Veröffentlichungen offenkundig in erster Linie nur die Interessen des Medienherausgebers befördern will, der in einem strittigen Gerichtsverfahren der Klägerin gegenüberstand, in dem ihm ein in der breiten Öffentlichkeit als gravierend empfundenes Fehlverhalten vorgeworfen wurde. Journalistische Motive im Sinne einer Information der Öffentlichkeit über bedeutsame Ereignisse sind bei dieser Vorgangsweise nicht zu erkennen. Vielmehr fällt das Verhalten unter die Taktik des „victim blaming“, mit der auf Vorwürfe, mit denen jemand konfrontiert ist, systematisch damit reagiert wird, den Urheber oder die Urheberin der Vorwürfe des behaupteten Fehlverhaltens, der oder die sich somit als Opfer fühlt, in die Rolle eines Täters oder einer Täterin zu versetzen, um sich selbst als das „wahre Opfer“ darzustellen.

In der erwähnten Untersuchung kommen solche Konstellationen nicht vor, sodass der dort wiedergegebene Rahmen der Entschädigungsbeträge keine argumentative Wirkung auf den vorliegenden Fall entfaltet.

Die dargestellten offenkundigen Motive für die inkriminierten Veröffentlichungen bewirken, dass die ausführlich begründete Entscheidung des Erstgerichts keiner Korrektur bedarf.

3. Zur Berufung im Kostenpunkt:

3.1 Entgegen den Ausführungen der Beklagten traf die Klägerin dem Grunde nach trotz der Erscheinungsdaten beider Artikel im Jahr 2021 nicht die Pflicht, ihr Verfahren mit jenem zu 24 Cg 24/22w des HG Wien zu verbinden. Zunächst kann im Sinne der Ausführungen des Erstgerichts die getrennte Einklagung aus prozessökonomischen Gründen gerechtfertigt sein, wie hier angesichts des in Bezug auf den Artikel vom 27.5.2021 anhängigen medienrechtlichen Verfahrens und der Bindungswirkung eines Schuldspruchs für das Zivilverfahren (vgl Obermaier , Kostenhandbuch 3 Rz 1.250 zur möglichen getrennten Einklagung verschiedener Schadenersatzansprüche aus dem gleichen schädigenden Ereignis, wenn der mit ihrer Durchsetzung verbundene Aufwand verschieden hoch sein kann). Anders als in der von der Beklagten zitierten Entscheidung zu 4 R 90/22t hat die Klägerin hier nachvollziehbar begründet, warum sie ihre Unterlassungsansprüche nicht in einem Verfahren konzentriert hat; den maßgeblichen Unterlassungsbegehren im zitierten Fall lagen außerdem tatsächlich idente Äußerungen zugrunde.

3.2 Damit ist auch die Beurteilung der Frage verbunden, ob das ursprüngliche Unterlassungsbegehren der Klägerin bereits vom zu 24 Cg 24/22w des HG Wien geschlossenen Unterlassungsvergleich abgedeckt ist und – bejahendenfalls – die Klagsänderung mit Schriftsatz vom 20.3.2023 kostenrechtlich daher zu ihren Lasten gehen würde. Da die Streitteile ihrem Teilvergleich einen Kostenvorbehalt beisetzten, ist schließlich – analog zu § 50 Abs 2 ZPO – zu prüfen, inwieweit die Klage berechtigt gewesen wäre (vgl Obermaier , aaO Rz 1.390).

Es ist iSd Argumentation der Beklagten zwar zutreffend, dass das Rechtsschutzbedürfnis eines Klägers zu verneinen ist, wenn bereits ein Exekutionstitel vorhanden ist. Zu fragen ist aber immer, ob das im ersten Verfahren bereits erwirkte Gebot einen tauglichen Exekutionstitel zur Abstellung des gesamten im zweiten Verfahren behaupteten Verhaltens bildet (vgl RS0079417 [T5, T6]). Dies ist hier zu verneinen. Der zu 24 Cg 24/22w des HG Wien erwirkte Unterlassungstitel bezog sich zunächst auf einen anderen Artikel. Im Vordergrund stand dort, dass eine Wirtschaftsprüfungskanzlei eine Compliance-Prüfung im Unternehmen der Beklagten durchgeführt und die Vorwürfe der Klägerin und einer weiteren Beschwerdeführerin gegen W***** widerlegt habe. Die daraus unter anderem gegen die Klägerin ableitbaren Vorwürfe einer „Rufmord-Kampagne“, der „Verleumdung“ und des „freien Erfindens“ sind enger formuliert als die ersten beiden Tatbestände im vorliegenden Unterlassungsbegehren. Zwischen „frei erfundenen“ und bloß „erfundenen“ Vorwürfen besteht ein gradueller Unterschied; die Verbreitung einer „Lügengeschichte“ kann (muss aber nicht) als „Rufmordkampagne“ oder gar „Verleumdung“ (im strafrechtlichen Sinn) qualifiziert werden. Zudem enthält das Unterlassungsbegehren hier den Vorwurf des Missbrauchs der MeToo-Debatte. Damit ist das hier zu unterlassende Verhalten weitergehend formuliert, teilweise sogar ein anderes; es könnte durch den bereits vorhandenen Unterlassungstitel gar nicht zur Gänze abgedeckt werden.

3.3 Folglich ist das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin auch am gesamten ursprünglichen Unterlassungsbegehren zu bejahen; sie hätte damit schon aufgrund der Bindungswirkung der medienrechtlichen Verurteilung obsiegt. Kostenmäßig schadet es ihr daher nicht, dass sie für den Teilvergleich ihr Unterlassungsbegehren abänderte, dieses „nur“ auf § 1330 ABGB stützte und zwingend geringer – mit EUR 21.000 – bewerten musste. Für den ersten Verfahrensabschnitt gebührt ihr folglich weiterhin Vertretungskosten- und Pauschalgebührenersatz auf Basis einer Bemessungsgrundlage von EUR 55.000; die durch die Klagsänderung und den Teilvergleich bewirkten Streitwertänderungen hat das Erstgericht ebenfalls bei seiner Kostenentscheidung richtig berücksichtigt. Der Berufung ist daher auch im Kostenpunkt der Erfolg zu versagen.

4. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Eine gesonderte Honorierung der mit der Berufungsbeantwortung verbundenen Beantwortung der Kostenrüge ist nicht vorgesehen (vgl RS0119892 [T3, T5]; Obermaier aaO Rz 1.102).

5. Die Revision ist gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand im Berufungsverfahren EUR 5.000 nicht übersteigt.