JudikaturJustiz2Ob298/00p

2Ob298/00p – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. November 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helgard N*****, vertreten durch Dr. Jörg Herzog, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Marktgemeinde W*****, vertreten durch Dr. Helwig Keber, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 180.000 sA und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 8. Juni 2000, GZ 3 R 80/00k 17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 15. März 2000, GZ 16 Cg 202/99g 11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 15.255 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 2.542,50, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei hat vor einigen Jahren in ihrem Gemeindegebiet einen Radweg errichtet, der Teil des sogenannten Murradweges R2 ist. Über Veranlassung der hiezu befugten Organe der beklagten Partei brachten deren Dienstnehmer am 18. 3. 1999 im Bereich der nördlichen Gemeindegrenze in der Mitte der an dieser Stelle 2,5 m breiten Fahrbahn ein 103 cm hohes Vierkantstahlrohr mit einem Querschnitt von 10 x 10 cm an. Diese Stahlsäule weist eine rot weiß rote Lackierung auf und ist an ihrer nördlichen Seite mit zwei roten Rückstrahlern ausgestattet. Der Radweg verläuft an dieser Stelle gerade und übersichtlich.

Am 3. 6. 1999 ereignete sich gegen 11.20 Uhr im Bereich der Stahlsäule ein Fahrradunfall, bei dem die Klägerin schwer verletzt wurde.

Die Klägerin begehrt von der beklagten Partei als Straßenerhalterin dieses Radwegteilstückes ein Schmerzengeld von S 180.000 und die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle künftigen Schäden. Sie brachte vor, die beklagte Partei habe durch Errichtung dieser Stahlsäule ein Hindernis in der Mitte des Radweges geschaffen, mit dem sie nicht rechnen habe müssen. Sie habe den Radweg in einer Gruppe von etwa 30 Personen in südlicher Richtung befahren. Bei Ausflugsfahrten von Radfahrern entspreche es allgemeiner Übung, dass hiebei nebeneinander, gleichsam in einem Pulk, gefahren werde. Eine solche Fahrweise sei grundsätzlich zulässig. Das Fahren in der Gruppe bringe es zwangsläufig mit sich, dass Gruppenmitglieder, die sich nicht an der Spitze des Pulkes befänden, keine freie Sicht auf die unmittelbar vor ihnen gelegenen Bereiche des von ihnen benützten Radweges hätten. Im Zuge der Annäherung an die spätere Unfallstelle habe sie daher das in der Mitte des Radweges von der beklagten Partei aufgestellte Hindernis nicht wahrnehmen können. Unmittelbar vor dem Unfall habe der vor ihr fahrende Radfahrer sein Fahrrad plötzlich und überraschend nach rechts verrissen, da er gleichsam im letzten Moment das Hindernis erkannt habe. Sie habe ihrerseits versucht, dem Hindernis auszuweichen, dies sei aber nicht mehr gelungen. Die beklagte Partei hafte als Halterin des Radweges für das Verschulden ihrer Organe und Repräsentanten, nämlich die grob sorgfaltswidrige Anbringung einer Stahlsäule im Bereich der Fahrbahnmitte des Radweges.

Die beklagte Partei wendete ein, die Stahlsäule sei im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen zur Sicherung des Radfahrverkehrs aufgestellt worden. Der Unfall habe sich aus dem alleinigen Verschulden der Klägerin ereignet, weil sie nicht am rechten Fahrbahnrand, ohne ausreichenden Sicherheitsabstand zum Vordermann und ohne Fahrradhelm gefahren sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Ausgehend von den eingangs wiedergegebenen Feststellungen, die das Erstgericht aufgrund der vorgelegten Fotos traf, führte es in rechtlicher Hinsicht aus, der Straßenerhalter sei gemäß § 98 Abs 3 StVO auch ohne behördlichen Auftrag berechtigt, Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs - mit Ausnahme der in § 44 Abs 1 StVO genannten Straßenverkehrszeichen und Bodenmarkierungen - anzubringen. Die StVO enthalte zwar keine Legaldefinition der Einrichtungen zur "Regelung und Sicherung des Verkehrs", wohl aber eine demonstrative Aufzählung derartiger Einrichtungen in § 31. Weiters nenne § 89 Abs 1 StVO auch "Mautschranken, Absperrungen" udgl.

Gemäß § 57 Abs 1 StVO könnten derartige Einrichtungen zur Sicherung und Ordnung des Verkehrs auch auf der Fahrbahn angebracht werden, sie seien allerdings so auszustatten, dass sie deutlich erkennbar seien. Die von der beklagten Partei bzw ihren Dienstnehmern aufgestellte Stahlsäule habe zur Sicherheit der Radfahrer mehrspurige Fahrzeuge am Befahren des Radweges hindern sollen, sie sei daher als eine Einrichtung zur Sicherung des Verkehrs anzusehen. Die Säule sei rot weiß rot gestreift lackiert und überdies auf einer Seite durch Rückstrahler gekennzeichnet gewesen. Da der Radweg im Bereich der Säule gerade und übersichtlich verlaufe, sei davon auszugehen, dass diese von den Radfahrern rechtzeitig wahrgenommen werden könne. Der beklagten Partei sei daher kein Sorgfaltsverstoß anzulasten.

Demgegenüber sei der Klägerin vorzuwerfen, dass sie - nach ihrem eigenen Vorbringen gegen § 7 Abs 1 und § 18 Abs 1 StVO verstoßen habe, indem sie in der Mitte der Fahrbahn und derart knapp hinter dem vor ihr Fahrenden gefahren sei, dass sie nicht in der Lage gewesen sei, ein auf der Fahrbahn auftauchendes Hindernis rechtzeitig wahrzunehmen und entsprechend zu reagieren. § 68 Abs 2 StVO gestattet zwar auf Radwegen das Nebeneinanderfahren, doch müsse auch in einem solchen Fall das Rechtsfahrgebot durch mehrere Radfahrer als Gruppe beachtet werden. Auch mehrere nebeneinanderfahrende Radfahrer dürften andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährden und hätten daher ihre Fahrweise entsprechend anzupassen.

Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig.

Das Berufungsgericht schloss sich der Rechtsansicht des Erstgerichtes an, es habe sich bei der von der beklagten Partei errichteten Stahlsäule um eine Einrichtung im Sinne des § 57 Abs 1 StVO gehandelt. Eine solche Säule müsse wenn sie - wie hier - entsprechend rechtzeitig wahrgenommen werden könne, nicht durch entsprechende Hinweise am Fahrbahnrand angekündigt werden. Mit derartigen Einrichtungen müsse ein Radfahrer rechnen. Die in der Entscheidung 2 Ob 338/98 aufgestellten Grundsätze über das "Windschattenfahren" und den "Trainingskonsens" seien hier deshalb nicht anwendbar, weil sie mit der Haftung eines Straßenerhalters gegenüber den die Fahrbahn benützenden Verkehrsteilnehmern nichts zu tun hätten.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht mangels einer Rechtsprechung über die Qualifikation einer solchen Säule auf einem Radweg für zulässig.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der Klägerin nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit wurde geprüft, er ist nicht gegeben (§ 510 Abs 3 ZPO).

Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung macht die Klägerin geltend, es bestehe eine eingeschränkte Regelungsautonomie, die den Vorrang von speziellen Sportausübungsregeln gegenüber allgemeinen Normen (einschließlich der StVO) begründe. Der Sport werde als Faktor der Persönlichkeitsbildung anerkannt und werde dessen Erholungswert betont. Als gruppentypisches Verhalten einer Gruppe von Radausflüglern sei es anzusehen, dass "im Pulk", also nebeneinander, und mit verhältnismäßig kurzen Abständen hintereinander gefahren werde. § 68 Abs 2 StVO lasse ein Nebeneinanderfahren von Radfahrern auf Radwegen auch ausdrücklich zu. Die Untergerichte hätten der Klägerin daher zu Unrecht einen Verstoß gegen § 7 StVO vorgeworfen, weil mangels Gegenverkehrs und zufolge § 68 Abs 2 StVO ein Nebeneinanderfahren zulässig gewesen sei.

Die gemeinsamen Radausflüge größerer Gruppen dienten der Förderung des Sozialkontaktes der Gruppenmitglieder. Ein der StVO entsprechendes Verhalten wäre nicht nur dem Sport als gesellschaftliches Ereignis abträglich, "sondern würde auch die motivierende Interaktion zwischen den Fahrern unmöglich machen". Ein Verschulden der Klägerin könne nur dann angenommen werden, wenn sie sich anders verhalten hätte, als dies den üblichen Erscheinungsformen derartiger Ausfahrten entspreche, was aber nicht der Fall sei.

Anderseits habe die beklagte Partei dafür zu sorgen, dass der Radweg gefahrlos benützt werden könne und nicht mit einer ungewöhnlichen, unerwarteten und unangekündigten Einrichtung versehen sei. Eine Säule, die rund 1 m hoch sei, werde wohl von den an der Spitze der Gruppe fahrenden Personen wahrgenommen, die nachfolgenden Personen könnten sie aber nicht mehr wahrnehmen. Dieser Tatsache sei der gegenständliche Unfall zuzuschreiben.

Die beklagte Partei könne sich auch nicht darauf berufen, dass es sich bei dieser Säule um eine Verkehrsleiteinrichtung im Sinne des § 57 Abs 1 StVO gehandelt hätte. Solche Einrichtungen kämen nur für eine Straße, nicht aber für einen Radweg in Betracht. Sie seien auch nur zulässig zur besseren Kenntlichmachung des Straßenverlaufes. Ein Radweg sei weder eine Straße noch eine Fahrbahn. Stahlpflöcke, die in der Mitte eines solchen aufgestellt würden, seien überdies keine der in § 57 StVO erwähnten Einrichtungen. Wenn schon riskiert werde, derartige Hindernisse in der Mitte eines ohnehin schmalen Radweges aufzustellen, müsse hierauf wenigstens durch ein entsprechendes Warnschild hingewiesen werden. Überdies sei die Säule der ihr von er beklagten Partei zugedachten Leitfunktion nicht gerecht geworden. Sie habe weder unbefugte Benützer daran gehindert, den Radweg mit mehrspurigen Fahrzeugen zu befahren, sie sei auch nicht geeignet, den Verkehrsfluss in beiden Richtungen zu kanalisieren. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung sei die Säule als eminente Gefahr für die Benützung des Radweges zu sehen und die Haftung der beklagten Partei zu bejahen.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

Unstrittig ist, dass die beklagte Partei Halter des Radweges, auf dem es zum Unfall der Klägerin kam, ist. Gemäß § 1319a ABGB haftet der Straßenhalter für Schäden, die durch den mangelhaften Zustand eines Weges entstehen, sofern er oder einer seiner Leute den Mangel vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet hat. Nach ständiger Rechtsprechung ist grobe Fahrlässigkeit eine auffallende Sorglosigkeit, bei welcher die gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falles in ungewöhnlichem Maße verletzt wird und der Eintritt des Schadens nicht nur möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen ist (Harrer in Schwimanný, ABGB, Rz 22 zu § 1319a mwM).

Gemäß § 57 Abs 1 StVO können zur besseren Kenntlichmachung des Verlaufes einer Straße neben der Fahrbahn Leitpflöcke, Leitplanken, Leitbaken, Leitmale, Schneestangen udgl angebracht werden. Überdies können, wenn es die Anlageverhältnisse der Straße erfordern, zur Sicherung des Straßenverkehrs Sicherheitsleitschienen, Lauflichtanlagen, andere Anlagen zur Abgabe von blinkendem Licht oder ähliche Einrichtungen verwendet werden. Solche Einrichtungen sowie Fahrstreifenbegrenzer, straßenbauliche Einrichtungen udgl können zur Ordnung und Sicherung des Verkehrs, insbesondere zur Teilung der Verkehrseinrichtungen auch auf der Fahrbahn vorgesehen werden.

Gemäß § 2 Abs 1 Z 1 StVO ist eine Straße eine für den Fußgänger- oder Fahrzeugverkehr bestimmte Landfläche samt den in ihrem Zuge befindlichen und diesem Verkehr dienenden baulichen Anlagen. Der von der Klägerin benützte Radweg ist eine Straße im Sinne dieser Bestimmung, weil gemäß § 2 Abs 1 Z 22 StVO auch ein Fahrrad ein Fahrzeug ist. Entgegen der von der Klägerin vertretenen Ansicht können daher Einrichtungen im Sinne des § 57 Abs 1 StVO auch auf Radwegen angebracht werden, gemäß dem Satz 3 dieser Bestimmung ist die Anbringung auch auf der Fahrbahn zulässig. Die von der beklagten Partei aufgestellte Stahlsäule diente der Sicherung des Verkehrs, weil sie die Benützer des Radweges davor schützen sollte, dass mehrspurige Fahrzeuge diesen benutzen. Dass dies nicht immer verhindert werden konnte, vermag daran nichts zu ändern. Da die Einrichtungen zur Sicherung des Straßenverkehrs im Sinne des § 57 Abs 1 StVO in dieser Bestimmung nur beispielsweise aufgezählt sind, fällt auch die von den Leuten der beklagten Partei aufgestellte Stahlsäule, durch die die Klägerin zum Sturz kam, darunter.

§ 98 Abs 3 StVO ermächtigt den Straßenerhalter zur selbständigen Anbringung von Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs. Dieses Recht bezieht sich allerdings nicht auf die in § 44 Abs 1 genannten Straßenverkehrszeichen. Der Straßenerhalter darf daher nur jene Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs ohne behördlichen Auftrag anbringen, für die es keiner Verordnung gemäß § 43 StVO bedarf (Dittrich/Stolzlechner, Österr. Straßenverkehrsrecht3, Rz 13 zu § 98 StVO mwN).

Wie die Einrichtungen zur Sicherung des Straßenverkehrs im Sinne des § 57 Abs 1 StVO zu ihrer Erkennbarkeit auszustatten sind, ist in § 57 Abs 2 StVO geregelt. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine Spezialbestimmung über die Kenntlichmachung von Einrichtungen zur Sicherung des Straßenverkehrs, weshalb § 89 Abs 1 StVO über die Kennzeichnung von Verkehrshindernissen nicht anzuwenden ist. Die in der Entscheidung ZVR 1980/342 vertretene gegenteilige Ansicht kann nicht aufrecht erhalten werden.

Der Kennzeichnungspflicht nach § 57 Abs 2 StVO hat aber die beklagte Partei entsprochen, weshalb sie kein Verschulden am Unfall der Klägerin trifft.

In deren Revision wird zwar zutreffend dargelegt, dass der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung ZVR 2000/6 ausgeführt hat, dass demjenigen, der sich einer ihm bekannten oder erkennbaren Gefahr aussetze, eine Selbstsicherung zugemutet werde. In den Fällen echten Handelns auf eigene Gefahr sei die Rechtswidrigkeit des Verhaltens aufgrund einer umfangreichen Interessenabwägung zu beurteilen und sei stets zu prüfen, wie weit durch das echte Handeln auf eigene Gefahr die Sorgfaltspflichten anderer aufgehoben werden. Bei dem Sport nebeneinander dürfe kein Teilnehmer gefährdet oder geschädigt oder mehr als vermeidbar behindert werden. Der Konsens der Teilnehmer habe Einfluss auf die untereinander gebotene Sorgfalt. Die Teilnehmer könnten insoweit untereinander gewisse Verhaltenskriterien verändern wie zB die Abstandsregeln untereinander außer Kraft zu setzen. Diese Gedanken können aber keine Haftung der beklagten Partei begründen, sondern allenfalls die Haftung der Teilnehmer an der Radfahrt untereinander aufheben.

Der unberechtigten Revision der Klägerin war deshalb keine Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.