JudikaturJustiz2Ob229/03w

2Ob229/03w – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Oktober 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gertrude S*****, vertreten durch Dr. Gerolf Haßlinger und andere Rechtsanwälte in Deutschlandsberg, gegen die beklagten Parteien 1.) Abderrahim B*****, 2.) W***** AG, *****, beide vertreten durch Dr. Willibald Rath und andere Rechtsanwälte in Graz, wegen EUR 14.354,04 sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 7. Juli 2003, GZ 2 R 87/03m 52, womit das Urteil des Landesgerichtes Graz vom 16. April 2003, GZ 39 Cg 44/01x 48, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 805,94 (darin EUR 134,32 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Das Berufungsgericht hat die ordentliche Revision mit folgender Begründung für zulässig erklärt: Auch wenn an sich reichhaltige Judikatur des Obersten Gerichtshofes zum Problemkreis Linksabbieger/Überholer zur Verfügung stehe, könne doch dieser Fall Anlass geben, die Judikatur durch Erwägungen fortzubilden, denen über den Einzelfall hinaus Bedeutung zukomme. Denn die hier bedeutsame Frage, die auch andere Personen und vergleichbare Fälle berühren könnte, nämlich ob auch dann, wenn man beim Linksabbiegen beim neuerlichen Blick in den Rückspiegel erkenne, dass sich ein Überholender gerade hinten einreihe, dieser jedoch die weitere Sicht auf mögliche weitere Überholende verdecke, ein weiterer Blick in den Rückspiegel (oder gar ein Anhalten vor dem Abbiegen) notwendig sei, sei noch nicht beantwortet worden.

Ausgehend von den Bestimmungen der §§ 11 und 12 StVO hat die Rechtsprechung den Grundsatz entwickelt, dass der Lenker eines Kraftfahrzeuges, der seine Absicht nach links abzubiegen, rechtzeitig angezeigt (§ 11 Abs 2 StVO) und, nachdem er sich davon überzeugt hat, dass niemand zum Überholen ansetzt, sein Fahrzeug ordnungsgemäß eingeordnet hat (§ 12 Abs 1 StVO), nicht verpflichtet ist, unmittelbar vor dem Abbiegen nach links noch einmal den Nachfolgeverkehr zu beobachten. Dieser Grundsatz gilt allerdings nur mit der Einschränkung, dass nicht besondere Gründe den Linksabbieger eine Gefahr erkennen lassen und damit besondere Vorsicht erforderlich machen. Ob somit die Unterlassung eines weiteren Rückblickes unmittelbar vor dem Linksabbiegen ein Verschulden begründet, hängt letztlich von den besonderen Umständen des Einzelfalles ab (ZVR 1985/24, 1989/195; RIS Justiz RS0079255; Dittrich/Stolzlechner § 12 StVO Rz 18 mwN).

Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht die Ansicht vertreten, auch der Umstand, dass sich bereits mehrere Fahrzeuge hinter dem Fahrzeug der Klägerin befunden hätten und die Klägerin das abgebrochene Überholmanöver eines (nicht unfallsbeteiligten) Lenkers wahrgenommen habe, habe sie nicht zu einem abermaligen Blick in den Rückspiegel verpflichtet. Natürlich sei nicht auszuschließen gewesen, dass noch ein Fahrzeug sich in Überholposition befunden habe. Wenn man aber sehe, dass ohnehin ein Überholmanöver abgebrochen werde, weil offenbar die Linksabbiegeabsicht erkannt worden sei, bestehe im Hinblick auf den Vertrauensgrundsatz keine Verpflichtung, sogleich nochmals in den Rückspiegel zu blicken; dies wäre eine nicht praxisgerechte Überspannung der Sorgfaltsanforderung.

Diese Beurteilung des Einzelfalles hält sich im Rahmen der zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Die Verneinung der Notwendigkeit eines dritten Blickes in den Rückspiegel stellt unter den festgestellten Umständen keine Verkennung der Rechtslage dar, die der Oberste Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufgreifen müsste. Auch zu einer Änderung oder Ergänzung der Rechtsprechung besteht kein Anlass.

Auch in der Revision wird keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt. Dies gilt insbesondere auch für die Rechtsmittelausführungen zum Einordnen der Klägerin zur Fahrbahnmitte hin. Die Auffassung des Berufungsgerichtes, ein Einordnen ca 30 cm rechts der Leitlinie sei im Hinblick auf die Beachtung des linken Außenspiegels und des Gegenverkehrs ausreichend, ist im vorliegenden Fall durchaus vertretbar (vgl ZVR 1982/303, 1983/328; Dittrich/Stolzlechner § 12 StVO Rz 10, 11 mwN). Von der Verkehrssituation im Einzelfall hängt auch ab, wann das Einordnen zu geschehen hat (ZVR 1984/5; Dittrich/Stolzlechner § 12 StVO Rz 12 mwN). Schließlich kann unter den gegebenen Umständen keine Rede davon sein, die Klägerin hätte durch das "extrem lange" Blinken über eine Wegstrecke von 200 m auf einer Freilandstraße eine unklare Verkehrssituation geschaffen. Selbst wenn man aber der Klägerin ein geringes Mitverschulden anlasten wollte, wäre dieses gegenüber dem grob fahrlässigen Verhalten des Erstbeklagten zu vernachlässigen.

Da es somit der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht bedurfte, war die Revision - ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichtes - als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.