JudikaturJustiz2Ob183/22h

2Ob183/22h – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Oktober 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon. Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Dr. Peter Sellemond ua, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei W*, vertreten durch Achammer Mennel Rechtsanwälte OG in Feldkirch, wegen 23.520,78 EUR sA über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 28. April 2022, GZ 2 R 51/22z 39, mit welchem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 10. Februar 2022, GZ 18 Cg 20/21x 33, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Am 17. 10. 2019 belud ein Mitarbeiter der Beklagten mit einem von dieser gehaltenen Bagger den Schubbodenanhänger eines vom Kläger gehaltenen LKW mit Deponiematerial. Er ließ dieses Material von der Baggerschaufel aus einer Höhe von rund 2,20 Metern in den Anhänger fallen. Im Zug des Beladevorgangs beschädigte das Deponiematerial, das jedenfalls größere, beim Beladevorgang aber nicht erkennbare Steine, allenfalls auch andere feste Gegenstände enthielt, den Anhänger. Die vom Kläger beabsichtigte Reparatur erfordert den eingeklagten Betrag.

[2] Der Kläger begehrt die Zahlung von 23.520,78 EUR sA und stützt sein Begehren – soweit im Revisionsverfahren noch von Relevanz – auf die Haftung der Beklagten nach EKHG. Die Beklagte sei Halterin des Baggers, bei der aus dem Beladevorgang resultierenden Beschädigung habe sich eine typische, von einem Bagger ausgehende Betriebsgefahr verwirklicht.

[3] Die Beklagte bestreitet.

[4] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, wobei es eine Haftung der Beklagten nach dem EKHG bejahte.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Da sich der Schaden nicht durch eine Abweichung vom beabsichtigten Bearbeitungsablauf ergeben habe und somit gar kein unerwünschter Vorgang vorliege, fehle es bereits an einem „Unfall“ iSd § 1 EKHG. Die Befüllung des Anhängers stelle einen außerhalb des Betriebs des Baggers liegenden Arbeitsvorgang dar, der Schaden stehe mit der Gefährlichkeit des Baggers in keinem Zusammenhang.

[6] Die Revision sei zur Klärung der Fragen zulässig, ob ein „Unfall“ beim Beladen begrifflich eine unerwünschte Abweichung vom beabsichtigten Arbeitsablauf voraussetze und ob auch ohne Ortsgebundenheit des beladenden Fahrzeugs die Beladung mit dessen typischen Gefahren in Verbindung stehe.

[7] Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, das Berufungsurteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Die Beklagte beantragt, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt .

[10] 1. Da sich die Revision des Klägers ausschließlich mit Fragen der Haftung nach dem EKHG befasst, unterliegen die (vom Berufungsgericht verneinten) weiteren Anspruchsgrundlagen keiner Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof (RS0043352 [T35]).

[11] 2. Eine Haftung nach dem EKHG setzt nach dessen § 1 – soweit hier von Relevanz – einen Unfall beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs voraus.

[12] 3. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines „Unfalls“ iSd § 1 EKHG verneint. Diese Rechtsansicht wird vom Senat aus folgenden Gründen nicht geteilt:

[13] 3.1. „Unfall“ ist (nur) ein unmittelbar von außen her plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis (RS0058130). Das Ereignis muss allerdings nicht zwingend unfreiwillig sein, unterliegt doch nach der Rechtsprechung auch ein vorsätzlich herbeigeführter Unfall dem EKHG ( Neumayr in Schwimann/Neumayr , ABGB TaKomm 5 § 1 EKHG Rz 6; Schauer in Schwimann/Kodek 4 § 1 EKHG Rz 7). Dass das Ereignis unbeabsichtigt sein müsse, um von einem Unfall sprechen zu können, lehnen Koziol/Apathy/Koch (Haftpflichtrecht III³ Rz A/2/2) mit dem zutreffenden Hinweis ab, dass der Unfallbegriff objektiv zu verstehen sei.

[14] 3.2. Dass die Gefährdungshaftung nach dem EKHG eine unerwünschte Abweichung vom beabsichtigten Betrieb voraussetzen würde, lässt sich somit weder dem Gesetz noch der Rechtsprechung entnehmen. Die Überlegungen des Berufungsgerichts führten im Übrigen – verallgemeinert – dazu, im Fall eines ganz gewöhnlichen (und damit plangemäßen) Betriebs des Kraftfahrzeugs die Gefährdungshaftung generell abzulehnen, was deren grundsätzlichem Konzept zuwider laufen würde.

[15] 4. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass sich der Sachschaden nicht „beim Betrieb“ des Baggers ereignet hätte. Auch dieser Rechtsansicht vermag sich der Senat nicht anzuschließen:

[16] 4.1. Die Annahme eines Unfalls „beim Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs erfordert einen Gefahrenzusammenhang, weil die Gefährdungshaftung nur dort gerechtfertigt ist, wo sich eine Gefahr verwirklicht, deretwegen diese Haftung angeordnet wurde. Es kommt dabei nicht nur auf jene Gefahr an, die sich aus der Inbetriebnahme des Motors und der damit verbundenen Bewegung des Fahrzeugs ergibt. Relevant ist im Sinn eines „verkehrstechnischen Ansatzes“ auch jene Gefahr, die unabhängig von einer motorbetriebenen Bewegung auf der Teilnahme des Fahrzeugs am Verkehr beruht (zu alldem 2 Ob 188/16k Punkt 1. mwN; vgl 2 Ob 198/18h und 2 Ob 179/19s Rz 14; insoweit etwas unpräzise RS0022592).

[17] In der Entscheidung 2 Ob 316/97b hat der Senat bereits ausgesprochen, dass ein Radlader, mit dem Bretterpakete auf einen LKW verladen werden, bei diesem Vorgang „im Betrieb“ ist. Auch in der Entscheidung 2 Ob 251/08p wies der Senat darauf hin, dass sich ein Unfall beim Verladen eines Holzpakets mit einem Gabelstapler auf einen LKW (auch) „beim Betrieb“ des Staplers ereignete.

[18] In diesem Sinn ist davon auszugehen, dass sich der vorliegende Unfall „beim Betrieb“ des Baggers ereignet hat. Verwirklicht hat sich nämlich letztlich eine spezifische Gefahr des Baggers, der ja gerade dazu dient, (schwere) Güter zu bewegen und zu verladen.

[19] 4.2. Die vom Berufungsgericht zitierte Rechtsprechung zu den Unfällen beim Be und Entladen bezieht sich auf die Frage, ob ein zum Zweck seines Be oder Entladens abgestelltes Kraftfahrzeug „im Betrieb“ ist (vgl RS0124207) und ist damit für die hier zu lösende Frage, ob das die Beladung durchführende Fahrzeug in Betrieb war, nicht einschlägig.

[20] Der vom Berufungsgericht offenkundig aus RS0058248 gezogene Schluss, dass nur im Fall der Be oder Entladung des eigenen Fahrzeugs eine Haftung nach dem EKHG in Betracht kommen könne, trifft in dieser Allgemeinheit ebenfalls nicht zu, befassen sich doch die indizierten Entscheidungen mit Fällen, in denen ein Hebekran oder eine vergleichbare, mit dem Kraftfahrzeug verbundene Einrichtung mit dessen Motorkraft angetrieben wird, und sind damit für die hier zu beurteilende Frage nicht einschlägig.

[21] 4.3. Anhaltspunkte dafür, dass der Bagger als ortsgebundene Arbeitsmaschine verwendet worden und schon aus diesem Grund eine Haftung des Halters nach dem EKHG ausgeschlossen wäre (RS0058229; 9 ObA 298/01s [mit Planierschaufel fixierter Bagger]), lassen sich dem festgestellten Sachverhalt und dem Vorbringen der Streitteile nicht entnehmen.

[22] 4.4. Als Zwischenergebnis ist damit festzuhalten, dass sich der Unfall beim Betrieb des Baggers ereignet hat.

[23] 5. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts kann dessen die Klage abweisende Entscheidung daher nicht tragen.

[24] 6. Ob eine Gefährdungshaftung der Beklagten nach dem EKHG zu bejahen ist, lässt sich auf Basis der vorliegenden Feststellungen noch nicht abschließend beurteilen:

[25] 6.1. Vorweg ist zu betonen, dass der sich auf eine Haftung nach EKHG stützende Kläger die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des EKHG zu behaupten und zu beweisen hat (2 Ob 3/09v). Er muss daher nachweisen, dass ein Schaden durch einen Unfall beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs iSd § 1 EKHG verursacht wurde (2 Ob 237/12k).

[26] 6.2. Der Begriff des Kraftfahrzeugs ist nach § 2 Abs 2 Satz 1 EKHG im Sinn des KFG 1967 auszulegen. Nach § 2 Abs 2 Satz 2 EKHG ist dieses auf Kraftfahrzeuge, bei denen nach ihrer Bauart und ihrer Ausrüstung dauernd gewährleistet ist, dass mit ihnen auf gerader, waagrechter Fahrbahn bei Windstille eine Geschwindigkeit von 10 km in der Stunde nicht überschritten werden kann, nicht anzuwenden (vgl auch die Parallelbestimmung des § 1 Abs 2 lit a KFG). Die Kraftfahrzeugeigenschaft ist von den Gerichten als Vorfrage selbständig zu beurteilen (RS0114032).

[27] 6.3. Ob ein Kraftfahrzeug iSd §§ 1, 2 Abs 2 EKHG vorliegt, ist damit vom Gericht letztlich nach der Bestimmung des § 2 Abs 1 Z 1 KFG zu prüfen (8 Ob 22/85 [8 Ob 23/85]; Apathy , EKHG [1992] § 2 Rz 5). Nach § 2 Abs 1 Z 1 KFG ist ein Kraftfahrzeug ein zur Verwendung auf Straßen (vgl § 2 Abs 1 Z 1 StVO, Anm) bestimmtes oder auf Straßen verwendetes Fahrzeug, das durch technisch freigemachte Energie angetrieben wird und nicht an Gleise gebunden ist, auch wenn seine Antriebsenergie Oberleitungen entnommen wird. Es werden damit nur „Straßenfahrzeuge“ als Kraftfahrzeuge angesehen ( Apathy , EKHG § 2 Rz 11 mwN aus RSpr des OGH und VwGH).

[28] Vor diesem Hintergrund hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass allein der Umstand, dass ein Bagger auf einer Baustelle aus eigener Motorkraft fährt und zur Fortbewegung mit Ketten (Raupen) ausgerüstet ist, nicht ausreicht, um ihn als Kraftfahrzeug ansehen zu können (RS0058082; vgl auch 8 Ob 22/85 [8 Ob 23/85]).

[29] 6.4. Im Anlassfall fehlen Feststellungen zu den für die Qualifizierung als Kraftfahrzeug relevanten Eigenschaften des von der Beklagten gehaltenen Baggers, insbesondere auch dessen Bauartgeschwindigkeit. Da dieser Umstand sowie die in Punkt 6.1. dargestellte Beweislast im bisherigen Verfahren nicht beachtet wurden und die Kraftfahrzeugeigenschaft gerade bei einem Bagger keineswegs offenkundig ist, sind die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Vermeidung einer unzulässigen Überraschungsentscheidung aufzuheben.

[30] 6.5. Anzumerken bleibt, dass es der Anwendbarkeit des EKHG nicht entgegensteht, dass sich der Unfall (allenfalls) nicht auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr ereignet hat (RS0058090).

[31] 7. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht die Sachverhaltsgrundlage zur Frage der Kraftfahrzeugeigenschaft zu verbreitern und anschließend erneut über das nur mehr auf die Bestimmungen des EKHG gestützte Klagebegehren zu entscheiden haben.

[32] 8. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.