JudikaturJustiz2Ob12/81

2Ob12/81 – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. März 1981

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Scheiderbauer, Dr. Kralik, Dr. Melber und Dr. Huber als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Vojislav J*****, vertreten durch Dr. Ronald Itzlinger, Rechtsanwalt in Bruck/Leitha, wider die beklagten Parteien 1.) Peter F*****, 2.) L*****, reg. Genossenschaft mbH, *****, 3.) V*****, alle vertreten durch Dr. Heinz Schuster, Rechtsanwalt in Hainburg/Donau, wegen 20.000 S, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 1. Dezember 1980, GZ 42 R 1068/80-34, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Bruck/Leitha vom 14. Oktober 1980, GZ C 41/79-26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat den beklagten Parteien die mit 2.294,11 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 120 S Barauslagen und 161,04 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe :

Der Erstbeklagte lenkte am 18. 5. 1976 den VW-Kombi, Kennzeichen *****, dessen Halter die Zweitbeklagte und dessen Haftpflichtversicherer die Drittbeklagte war, mit einer Geschwindigkeit von mindestens 52 km/h durch die im Ortsgebiet von Bruck an der Leitha befindliche, 5,2 m breite Teichgasse. Am linken Straßenrand stand ein 2,4 m breiter Wagen der Müllabfuhr derart, dass eine Fahrbahnbreite von 2,8 m frei blieb. Der Erstbeklagte sah einen von rechts nach links gehenden Arbeiter, der eine Mülltonne rollte, gab aber kein Warnzeichen und behielt seine Geschwindigkeit bei. In der Folge trat der Kläger hinter dem Müllfahrzeug hervor und rollte eine aufgekantete Mülltonne vor sich her. Er hatte die Absicht, die Fahrbahn in annähernd rechtem Winkel zu überqueren und achtete nicht auf den herankommenden PKW. Der Kläger wurde für den Erstbeklagten auffällig, nachdem er etwa 0,5 m hinter der linken Hinterecke des Müllfahrzeugs hervorgekommen war. Der Erstbeklagte fasste ohne Verzögerung einen Bremsentschluss, konnte aufgrund seiner Geschwindigkeit von 52 km/h aber nicht mehr verhindern, dass er mit etwa 38 km/h die vom Kläger, der noch rund einen Meter zurückgelegt hatte, gerollte Mülltonne stieß. Dadurch wurde der Kläger niedergestoßen und verletzt. Die Beklagten leisteten bisher eine Teilzahlung von 5.000 S. Der Erstbeklagte wurde wegen dieses Unfalls mit Strafverfügung des Bezirksgerichts Bruck an der Leitha vom 1. 10. 1976 des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung des § 88 Abs 1 StGB rechtskräftig schuldig erkannt. Worin das Verschulden des Erstbeklagten bestand, wird in der Strafverfügung nicht angeführt.

Der Kläger begehrte Schmerzengeld in der Höhe von 20.000 S (25.000 S abzüglich der Teilzahlung) und brachte vor, das Alleinverschulden treffe den Erstbeklagten, weil dieser ohne Rücksicht auf die auf der Straße befindlichen Arbeiter am Müllfahrzeug vorbeigefahren sei.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens mit der Begründung, den Kläger, der sorglos und unachtsam auf die Straße getreten sei, treffe ein Mitverschulden von mindestens 75 %. Da das begehrte Schmerzengeld überhöht sei, sei durch die Teilzahlung von 5.000 S der Schaden, den die Beklagten zu ersetzen hätten, abgegolten.

Das Erstgericht erachtete ein Schmerzengeld von 16.600 S als angemessen und sprach dem Kläger diesen Betrag zu. Es vertrat die Ansicht, das weitaus überwiegende Verschulden treffe den Erstbeklagten. Dieser habe die im Ortsgebiet zulässige Geschwindigkeit überschritten und hätte damit rechnen müssen, dass sich Arbeiter im Bereich des Müllfahrzeugs aufhalten. Dazu komme, dass der Kläger nur eine Fahrbahnbreite von 2,8 m zur Verfügung gehabt habe, so dass das Passieren dieser Stelle mit mehr als 50 km/h einen groben Verstoß gegen die Vorschriften der StVO darstelle. Dem stehe nur eine geringe Unaufmerksamkeit des Klägers gegenüber der im Zuge seiner Arbeit nicht auf das rasch herannahende Fahrzeug geachtet habe. Es müsse auf die Besonderheit der Arbeiten der Müllabfuhr Bedacht genommen werden, weil es den Arbeitern kaum möglich sein könne, ständig nur auf den Verkehr zu achten, zumal sich ihre Arbeit fast immer inmitten des Fließverkehrs abspiele. Fahrzeuge des Straßendienstes seien gemäß § 27 StVO gegenüber anderen Fahrzeugen bevorzugt, die Lenker anderer Fahrzeuge seien zu besonderer Vorsicht verpflichtet. Daraus folge, dass auch die bei diesen Fahrzeugen beschäftigten Arbeiter mit einer besonderen Vorsicht der übrigen Verkehrsteilnehmer rechnen können, weshalb kein Mitverschulden des Klägers vorliege.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass das Klagebegehren abgewiesen wurde. Es vertrat die Ansicht, der Kläger könne nicht als bevorzugter Straßenbenützer im Sinne des § 27 StVO betrachtet werden. Dem Erstbeklagten sei anzulasten, dass er eine absolut und relativ überhöhte Geschwindigkeit eingehalten habe. Bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 40 km/h hätte er den Unfall verhindern können. Dem stehe aber die grobe Sorglosigkeit des Klägers gegenüber, der ohne auf den Verkehr zu achten, mit einer Mülltonne hinter dem Müllfahrzeug hervorgetreten sei. Dieser Verstoß wiege weitaus schwerer als der des Erstbeklagten, weshalb eine Verschuldensteilung im Verhältnis 3 : 1 zu Lasten des Klägers angemessen erscheine. Da der Kläger eine Teilzahlung von 5.000 S erhalten habe, sei das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers. Er macht den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, das Urteil des Berufungsgerichts dahin abzuändern, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt werde.

Die Beklagten beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionswerber führen aus, wegen der geringen Fahrbahnbreite hätte der Erstbeklagte die maximale, im Ortsgebiet erlaubte Geschwindigkeit, nicht einhalten dürfen. Außerdem gehöre ein Müllfahrzeug zu den bevorzugten Fahrzeugen. Es sei auch darauf Rücksicht zu nehmen, dass durch das Vorhandensein dieses Fahrzeugs eine noch viel geringere Lücke für den Erstbeklagten zu durchfahren gewesen sei. Schließlich habe der Erstbeklagte bei Annäherung an das Müllfahrzeug gesehen, dass ein Müllarbeiter die Fahrbahn überquert und dass am anderen Fahrbahnrand Mülltonnen bereit stehen. Der Erstbeklagte hätte daher damit rechnen müssen, dass ein anderer Müllarbeiter, der sich auf die Rücksichtnahme und Verantwortlichkeit des Beklagten verlasse, hinter dem Fahrzeug hervortreten werde.

Dem ist entgegenzuhalten, dass Müllfahrzeuge, abgesehen von der Vorschrift des § 27 Abs 3 StVO, nach welcher diese Fahrzeuge durch Nebenfahrbahnen durchfahren dürfen und an Halteverbote nicht gebunden sind, sofern dies der Arbeitseinsatz erfordert und der übrige Verkehr dadurch nicht wesentlich beeinträchtigt wird, keine bevorzugte Stellung im Straßenverkehr genießen. Es besteht daher keine Verpflichtung anderer Verkehrsteilnehmer, bei Annäherung an ein Müllfahrzeug eine besondere, das normale Maß übersteigende Sorgfalt und Aufmerksamkeit anzuwenden (2 Ob 167/72). Die Müllarbeiter dürfen nicht darauf vertrauen, dass im Hinblick auf die Art des Fahrzeugs, bei dem sie beschäftigt sind, andere Verkehrsteilnehmer besondere Vorsicht anwenden werden. Obwohl der Erstbeklagte wahrnahm, dass beim Müllwagen Arbeiter tätig sind, musste er daher nicht damit rechnen, dass ein Arbeiter, der eine aufgekantete Mülltonne vor sich herrollt, unachtsam und ohne Rücksicht auf den Fahrzeugverkehr die Fahrbahn überqueren werde. Er war lediglich verpflichtet, seine Fahrweise darauf einzustellen, dass ein Arbeiter so weit hinter dem Müllfahrzeug hervortreten werde, um sich einen Überblick zu verschaffen. Er durfte daher nicht knapp am Müllfahrzeug vorbeifahren. Dass er dies getan hat, steht trotz der freien Fahrbahnbreite von nur 2,8 m nicht fest, weil er die Möglichkeit hatte, knapp am rechten Fahrbahnrand, an den laut den im Strafakt befindlichen Lichtbildern ein Rasenstreifen anschloss, zu fahren. Überdies ergibt sich aus der Strecke, die der Kläger ab dem Hervortreten hinter dem Müllfahrzeug bis zum Unfall, bei dem nicht er, sondern nur die vor ihm befindliche Mülltonne von dem von rechts kommenden Fahrzeug erfasst wurde, zurücklegte, dass der Erstbeklagte nicht knapp am Müllfahrzeug vorbeigefahren sein kann. Dem Erstbeklagten kann daher nicht der Vorwurf gemacht werden, dass er einen zu geringen Seitenabstand zum Müllfahrzeug einhielt. Die eingehaltene Geschwindigkeit von mindestens 52 km/h war jedoch überhöht. Dies nicht nur deshalb, weil der Erstbeklagte die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit geringfügig überschritt, sondern auch im Hinblick auf die zwischen dem Müllfahrzeug und dem rechten Fahrbahnrand verbleibende, relativ schmale Fahrbahn. Es bestanden daher keine so günstigen Bedingungen, unter denen ein Fahren mit der im Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit gestattet gewesen wäre. Den Erstbeklagten trifft daher ein Verschulden am Unfall.

Diesem Verschulden steht jedoch ein grobes Verschulden des Klägers gegenüber, der, eine aufgekantete Mülltonne vor sich herrollend, die Fahrbahn ohne Rücksicht auf den Verkehr überqueren wollte, obwohl ihm klar sein musste, dass ihn Fahrzeuglenker, die von rechts kommen, nicht sehen können. Dieses Verschulden überwiegt jenes des Erstbeklagten bedeutend, weshalb in der vom Berufungsgericht vorgenommenen Verschuldensteilung im Verhältnis 3 : 1 zum Nachteil des Klägers kein Rechtsirrtum erblickt werden kann.

Aus diesen Gründen war der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.