JudikaturJustiz2Ob11/81

2Ob11/81 – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Februar 1981

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Scheiderbauer, Dr. Kralik, Dr. Melber und Dr. Huber als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann H*****, vertreten durch Dr. Johannes Worm, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagten Parteien 1.) Renate V*****, 2.) D*****, Allgemeine Versicherungs-AG, *****, beide vertreten durch Dr. Karl Hatak, Rechtsanwalt in Linz, wegen 9.723 S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 2. Juli 1980, GZ 13 R 304/80-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Linz vom 26. Februar 1980, GZ 6 C 1090/79-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat den Beklagten die mit 1.464,32 S (darin 120 S Barauslagen und 99,52 S USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe :

Am 7. 2. 1979 gegen 14:15 Uhr ereignete sich in Linz auf der Kreuzung Spaunstraße mit einer von rechts einmündenden unbenannten Seitenstraße auf Höhe des Hauses Spaunstraße 68 ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker und Halter eines PKW Marke BMW 316 und die Erstbeklagte als Lenkerin und Halterin eines PKW Audi 80 beteiligt waren. Die Zweitbeklagte ist der Haftpflichtversicherer des Fahrzeugs der Erstbeklagten.

Der Kläger fordert einen der Höhe nach außer Streit gestellten Betrag von 9.723 S sA an Schadenersatz mit der Behauptung, die Erstbeklagte habe den Unfall dadurch allein verschuldet, dass sie aus der unbenannten Verbindungsstraße der Spaunstraße zum Hausleitnerweg, bei der es sich um eine Verkehrsfläche iSd § 19 Abs 6 StVO 1960 handle, ohne auf den Vorrang des Klägers zu achten, in die Spaunstraße eingefahren sei.

Die Beklagten beantragen Klagsabweisung und wendeten ein, den Kläger treffe das Alleinverschulden an dem Unfall, da dieser den der Erstbeklagten gemäß § 19 Abs 1 StVO 1960 zustehenden Vorrang verletzt habe. Sie hielten der Klagsforderung eine der Höhe nach außer Streit gestellte Gegenforderung von 4.752,42 S sA compensando entgegen.

Das Erstgericht sprach dem Kläger, ausgehend vom Alleinverschulden der Erstbeklagten, 9.723 S sA zu.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Urteil des Erstgerichts im Sinne der Klagsabweisung ab.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Revision des Klägers aus dem allerdings nicht ausdrücklich angeführten Anfechtungsgrund nach § 503 Z 4 ZPO mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Im Revisionsverfahren ist nur die Haftungsfrage strittig.

Diesbezüglich hat das Erstgericht im Wesentlichen die im Urteil des Berufungsgerichts auf S 2 bis 6 wiedergegebenen Feststellungen getroffen:

Diesen Sachverhalt beurteilte das Erstgericht rechtlich dahin, dass es sich bei der von der Erstbeklagten benützten Straße um eine Verkehrsfläche iSd § 19 Abs 6 StVO handle, da sie 1.) keine Durchzugsstraße sei, sondern ausschließlich dem beschränkten Anrainerverkehr, vor allem aber als Zufahrt zu den dort befindlichen Garagenboxen diene, 2.) das Fahrverbotszeichen in beiden Fahrtrichtungen „ausgenommen Anliegerverkehr“ aufgestellt und schließlich 3.) diese Zufahrt unbenannt sei. Aus diesen Merkmalen ergebe sich der Vorrang für die Benützer der Spaunstraße. Die Erstbeklagte hätte daher, da sie ihrer Wartepflicht nicht entsprochen habe, sondern, ohne auf den Querverkehr zu achten, in die Spaunstraße eingefahren sei, eine Vorrangverletzung zu verantworten. Dem Kläger könne bei dem festgestellten Sachverhalt kein Mitverschulden angelastet werden.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als unbedenklich, gelangte jedoch zu einer anderen rechtlichen Beurteilung. Im vorliegenden Fall stehe fest, dass die vom Kläger befahrene Spaunstraße eine asphaltierte Fahrbahn von 6 m aufweise und die von der Erstbeklagten befahrene, unbenannte Verbindungsstraße zwischen Hausleitnerweg und Spaunstraße insgesamt 5,4 m breit sei, wovon die Asphaltfahrbahn 4 m betrage, und sich der Einmündungstrichter der Verbindungsstraße im Bereich der rechten Fluchtlinie der Spaunstraße auf 7,30 m vergrößere. Die Vorschriftszeichen „Fahrverbot in beiden Richtungen“ gemäß § 52a Z 1 StVO 1960 mit dem Zusatz „Ausgenommen Anliegerverkehr“ befinde sich etwa 1 m hinter der Fluchtlinie des Holzlattenzaunes der Spaunstraße. Im Zusammenhang mit der Feststellung, dass in der Verbindungsstraße erst aus einer Entfernung von 9 m in eine Tiefe von 1 bis 2 m eingesehen werden könne und dem Lichtbild Beil ./I ergebe sich, dass für die Benützer der Spaunstraße während der Fahrt keine solchen objektiven Umstände erkennbar gewesen seien, die eine Wertung der von rechts einmündenden Straße als Verkehrsfläche gemäß § 19 Abs 6 StVO 1960 zuließen. Dem Kläger könne daher nicht zugebilligt werden, er hätte bei den gegebenen örtlichen Verhältnissen, insbesondere aufgrund des aufgestellten Vorschriftszeichens, darauf vertrauen dürfen, dass aus dieser Straße kein Fahrzeug komme. So wie sich die vom Kläger bzw von der Erstbeklagten benützten Straßen bei Annäherung an die Kreuzung darstellten, habe die Erstbeklagten davon ausgehen können bzw der Kläger davon ausgehen müssen, dass sich die unbenannte Verbindungsstraße von einer normalen Straße durch ihre Anlage nicht so wesentlich abgehoben habe, dass sie als Verkehrsfläche nach § 19 Abs 6 StVO 1960 hätte gewertet werden können. Der Verkehrsbedeutung und Verkehrsfrequenz komme für die Beurteilung der Frage, ob es sich um eine nachrangige Verkehrsfläche iSd § 19 Abs 6 StVO 1960 handle, keine entscheidende Bedeutung zu. Der Umstand, dass die Straße unbenannt sei, sei bei Beurteilung der Straßenanlage in ihrer Gesamtheit ebenso unerheblich, wie die um 2 m schmälere asphaltierte Fahrbahn. Die Tatsache, dass bei der Einmündung der Verbindungsstraße in die Spaunstraße kein Vorschriftszeichen „Vorrang geben“ nach § 52 Z 23 StVO 1960 aufgestellt sei, bilde darüber hinaus einen Hinweis dafür, dass auch der Straßenerhalter der Auffassung gewesen sei, dass es sich bei dieser Verkehrsfläche um eine gleichrangige Straße handle. Die vom Erstgericht herangezogenen Umstände rechtfertigten daher nicht die Wertung der Verkehrsfläche als untergeordnete iSd § 19 Abs 6 StVO 1960.

In seiner Revision versucht der Kläger darzulegen, dass es sich bei der von der Erstbeklagten benützten Verkehrsfläche um eine solche nach § 19 Abs 6 StVO 1960 gehandelt habe, weil sie nur der Zufahrt zu 6 Garagenboxen, nicht aber dem Durchzugsverkehr gedient habe.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, die Frage, ob eine Verkehrsfläche den im § 19 Abs 6 StVO 1960 angeführten Verkehrsflächen gleichzuhalten ist, nach objektiven Kriterien zu beurteilen. Es kommt vor allem darauf an, ob sich die Verkehrsfläche in ihrer Gesamtanlage deutlich von sonstigen öffentlichen Straßen unterscheidet, auf die Verkehrsbedeutung und Frequenz kommt es dabei nicht an. Demzufolge wurden auch Sackgassen, die sich in ihrer Anlage von anderen öffentlichen Straßen nicht deutlich unterschieden, nicht als iSd § 19 Abs 6 StVO 1960 nachrangige Verkehrsflächen behandelt. Was für Sackgassen gilt, gilt aber grundsätzlich auch für Straßen, für die ein eingeschränktes Fahrverbot angeordnet ist. Es kann sich kein Verkehrsteilnehmer darauf verlassen, dass auf solchen Verkehrsflächen innerhalb der durch die Einschränkung des Fahrverbots gezogenen Grenzen kein Fahrzeugverkehr stattfindet. An Kreuzungen mit solchen Verkehrsflächen gilt daher nicht die Regel des § 19 Abs 6 StVO 1960, sondern, sofern keine andere Regelung besteht, der Rechtsvorrang nach § 19 Abs 1 StVO 1960 (vgl ZVR 1977/284 ua).

Da sich im vorliegenden Fall die von der Erstbeklagten befahrene unbenannte Verbindungsstraße, im Ortsgebiet von Linz liegend, in ihrer gesamten Anlage nicht deutlich von sonstigen öffentlichen Verkehrsflächen unterschied, hat das Berufungsgericht diese Straße mit Recht nicht als Verkehrsfläche iSd § 19 Abs 6 StVO 1960 beurteilt. Entgegen der Auffassung der Revision kam daher der auf dieser Straße fahrenden Erstbeklagten gegenüber dem Kläger der Rechtsvorrang iSd § 19 Abs 1 StVO 1960 zu. Mit zutreffender Begründung, auf die verwiesen werden kann, hat daher das Berufungsgericht dem Kläger, der den Vorrang der Erstbeklagten missachtete, das Alleinverschulden an dem Verkehrsunfall angelastet. Mit Rücksicht auf die schwerwiegende, dem Kläger zur Last fallende Vorrangverletzung, kommt auch eine Heranziehung der Beklagten zum Schadensausgleich iSd § 11 EKHG nicht in Betracht.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.