JudikaturJustiz24Ds13/23f

24Ds13/23f – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Januar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 15. Jänner 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Grohmann als weitere Richterin sowie die Rechtsanwälte Dr. Rothner und Mag. Stangl als Anwaltsrichter in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, über den Einspruch und die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 11. Oktober 2022, GZ D 6/20 33, in nichtöffentlicher Sitzung (§ 62 Abs 1 OGH Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Einspruch wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien verwiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde  *, Rechtsanwalt in *, der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung (1./ und 2./) und der Verletzung von Ehre oder Ansehen des Standes (2./) nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.

[2] Danach hat er

1./ seit 30. Mai 2019 anwaltliche Dienstleistungen für den im Verfahren AZ * der Staatsanwaltschaft Wien Beschuldigten * H* erbracht, die Rechtsanwaltskammer Wien als örtlich zuständige Berufsaufsicht hievon entgegen § 4 Abs 1 zweiter Satz EIRAG jedoch erst mit Schreiben vom 13. September 2019 in Kenntnis gesetzt;

2./ sich im Zeitraum 1. November 2019 bis 2. Dezember 2020 in mehreren Schreiben an die Staatsanwaltschaft Wien – im Erkenntnis jeweils zitierter – unsachlicher Äußerungen bedient.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen die Durchführung der mündlichen Disziplinarverhandlung in seiner Abwesenheit richtet sich der Einspruch des Disziplinarbeschuldigten; das Erkenntnis bekämpft er mit Berufung wegen der Aussprüche über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS Justiz RS0128656 [T1]) und die Strafe.

[4] Dem Einspruch kann Berechtigung nicht abgesprochen werden.

[5] Gemäß § 35 DSt kann in Abwesenheit des Disziplinarbeschuldigten die Verhandlung durchgeführt und das Disziplinarerkenntnis gefällt werden, wenn er zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme hatte, ihm die Ladung ordnungsgemäß zugestellt wurde und er dennoch ohne ausreichende Entschuldigung nicht teilnimmt.

[6] Abweichend von der Regelung des § 427 Abs 3 StPO, die darauf abstellt, ob der Angeklagte durch ein unabweisbares Hindernis abgehalten wurde, in der Hauptverhandlung zu erscheinen, lässt also § 35 DSt die Durchführung einer Verhandlung in Abwesenheit des Beschuldigten nur dann zu, wenn dieser an der Verhandlung ohne ausreichende Entschuldigung nicht teilnimmt (RIS Justiz RS0057027).

[7] Mit (dem Disziplinarrat per Fax übermitteltem) Schreiben vom 9. Oktober 2022 teilte der in * ansässige Disziplinarbeschuldigte mit, dass er reiseunfähig erkrankt sei und nicht zur (für den 11. Oktober 2022 anberaumten) Disziplinarverhandlung (nach Wien) anreisen könne. Er beantrage, das Verfahren „einstweilen auszusetzen“, bis seine gesundheitliche Situation eine derartige Reise gestatte (Beilage V./-A).

[8] Zur Bescheinigung des Entschuldigungsgrundes legte er ein mit 9. Oktober 2022 datiertes ärztliches Attest eines ihn behandelnden * Arztes vor, demzufolge der Disziplinarbeschuldigte „aufgrund akuter orthopädischer Erkrankung bis auf weiteres nicht reisefähig“ sei.

[9] Ein ärztliches Zeugnis über eine Erkrankung des Disziplinarbeschuldigten stellt eine Entschuldigung für dessen Fernbleiben dar, und zwar selbst dann, wenn der Disziplinarrat den – nicht weiter untersuchten – Verdacht hegt, dass die Behauptung des Disziplinarbeschuldigten, wonach er krank sei, unrichtig ist (RIS Justiz RS0057016 [T1]; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 § 35 DSt Rz 6).

[10] Entgegen den Erwägungen des Disziplinarrats, der ein Vorbringen zu einer fehlenden (hier mit Blick auf die in Rede stehende Unmöglichkeit der Anreise aus * freilich nicht entscheidenden) Verhandlungsfähigkeit und – insoweit dem Inhalt des Schreibens des Disziplinarbeschuldigten zuwider – auch eine „Vertagungsbitte“ vermisst (ES 17 f), lag daher ein durch das beigelegte Attest ausreichend bescheinigter Entschuldigungsgrund vor. Die Disziplinarverhandlung am 11. Oktober 2022 hätte daher – zumindest ohne weitere Erhebungen, die die (ersichtlich gehegten) Zweifel am vorgebrachten Verhinderungsgrund bestätigt hätten – nicht in Abwesenheit des Disziplinarbeschuldigten durchgeführt werden dürfen.

[11] Es war daher in Stattgebung des Einspruchs das Erkenntnis aufzuheben und die Neudurchführung der Verhandlung anzuordnen.

[12] Die mit dem Einspruch verbundene Berufung des Disziplinarbeschuldigten ist damit gegenstandslos (vgl Bauer , WK StPO § 427 Rz 22).

Rechtssätze
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