JudikaturJustiz23Ds7/23s

23Ds7/23s – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Februar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 28. Februar 2024 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Musger als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Dr. Mitterlehner und Mag. Dorn als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Drach in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt (vormals in *, nunmehr) in *, wegen des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer * vom 2. Dezember 2021, GZ D 163/20-22, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Gföller, des Kammeranwalts Mag. Meyenburg und des Beschuldigten zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Berufung gegen den Ausspruch über die Schuld wird das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen unberührt bleibt, im schuldig sprechenden Teil, demgemäß auch im Strafausspruch und im Ausspruch der Verpflichtung zum anteiligen Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens aufgehoben und in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:

* wird von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe dadurch, dass er am 27. Mai 2020 in einer E-Mail an das Präsidium des Landesgerichts * (Vizepräsidentin *) mit teilte , bei einer Berufung auf die Hausordnung gehe er von Willkür aus , solange kein Gutachten vorliege, das die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Masken bei einer COVID-19-Pandemie entsprechend dartue, gegen § 10 Abs 2 RAO verstoßen, gemäß § 38 Abs 1 erster Fall iVm § 54 Abs 3 DSt freigesprochen.

Mit seiner gegen den Ausspruch über die Strafe gerichteten Berufung wird der Beschuldigte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer * (vgl dazu § 20 Abs 1 DSt), das auch einen rechtskräftigen Freispruch enthält, wurde Rechtsanwalt * des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt (iVm § 10 Abs 2 RAO) schuldig erkannt und hiefür zur Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises und zum anteiligen Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt.

[2] Danach hat er am 27. Mai 2020 in einer E Mail an das Präsidium des Landesgerichts * (Vizepräsidentin *) mitgeteilt, bei einer Berufung auf die Hausordnung gehe er von Willkür aus, solange kein Gutachten vorliege, das die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Masken bei einer COVID-19-Pandemie entsprechend dartue.

[3] Nach den wesentlichen Feststellungen des Disziplinarrats sah die Hausordnung des Landesgerichts * im Tatzeitraum, konkret seit 10. April 2020, für alle Parteien die Verpflichtung vor, innerhalb des Gerichtsgebäudes „eine Maske (zumindest Mund-/Nasenschutz)“ zu tragen.

[4] Der Beschuldigte leidet seit vielen Jahren an massiven bronchialen Problemen und schwerem Asthma und steht diesbezüglich auch unter ständiger Kontrolle und medikamentöser Behandlung.

[5] Am 18. Mai 2020 passierte er unter Vorlage seines Rechtsanwaltsausweises die Zugangskontrolle des Gerichtsgebäudes. Einer Aufforderung des Sicherheitspersonals, einen Mund-Nasen-Schutz aufzusetzen, kam er dabei unter deutlichem Hinweis auf seinen Gesundheitszustand, der ihm das Tragen einer Maske unmöglich mache, nicht nach und setzte seinen Weg ins Gebäude ohne Mund-Nasen-Schutz fort.

[6] Mit Schreiben vom 26. Mai 2020 forderte die Vizepräsidentin des Landesgerichts * den Beschuldigten zur Stellungnahme zu diesem Vorfall auf. In seiner am 27. Mai 2020 per E-Mail übermittelten Antwort führte er – soweit hier relevant – aus:

„Sollten sie sich weiter auf diese Regelung (Hausordnung) berufen, erwarte ich, dass Sie mir ein entsprechendes Gutachten übermitteln, welches die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von solchen Masken entsprechend dartut. Ansonsten gehe ich von Willkür aus“ (ES 4 f).

[7] Zum – in freier Beweiswürdigung als Tatfrage zu lösenden (RIS-Justiz RS0092437 [insb T4]) – Bedeutungsinhalt dieser Äußerung stellte der Disziplinarrat (lediglich) disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung fest, der Beschuldigte habe gegenüber der Vizepräsidentin des Landesgerichts * den „Vorwurf der Willkür“ erhoben. In rechtlicher Hinsicht qualifizierte er diesen „ohne sachlichen Anhaltspunkt vorgenommenen“ Vorwurf als eindeutige Überschreitung des sich aus § 10 Abs 2 RAO ergebenden Gebots der Höflichkeit und Sachlichkeit (ES 6).

Rechtliche Beurteilung

[8] Dagegen richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe. Ersterer kommt Berechtigung zu.

[9] § 10 Abs 2 RAO verpflichtet den Rechtsanwalt allgemein, durch Redlichkeit und Ehrenhaftigkeit in seinem Benehmen die Ehre und Würde des Ansehens des Standes zu wahren.

[10] Von einem Rechtsanwalt ist demgemäß schon wegen seiner hohen Bildung und seiner Tätigkeit im Rahmen der Rechtspflege zu verlangen, sich – auch in eigener Sache – gegenüber einer Behörde eines sachlichen und korrekten Tones zu bedienen und auf vermeintliches Fehlverhalten einer Behörde mit sachlichen und juristischen Formulierungen zu reagieren. Ausfälle, unnötige Angriffe und eine beleidigende Schreibweise sind dabei jedenfalls zu unterlassen (vgl RIS Justiz RS0055208, RS0056183 sowie Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 § 9 RAO Rz 16). Wenn er sich mit seiner Kritik im Rahmen des Gesetzes hält und sie sachlich, ohne beleidigendes Beiwerk vorträgt, steht dem Rechtsanwalt jedoch wie jedem anderen Staatsbürger das Recht auf freie Meinungsäußerung zu (Art 10 Abs 1 MRK; vgl RIS Justiz RS0073088, RS0055003). Dieses Recht umfasst nach der ständigen Rechtsprechung sowohl des Obersten Gerichtshofs als auch des EGMR auch jene Ideen auszusprechen, die verletzen, schockieren oder beunruhigen; dies verlangen Pluralismus, Toleranz und Weitsichtigkeit, ohne die es keine demokratische Gemeinschaft geben kann, und erfordert solcherart besondere Zurückhaltung bei der Beurteilung einer Äußerung eines Rechtsanwalts als strafbares Disziplinarvergehen ( Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 , § 1 DSt Rz 61 mwN).

[11] Der Begriff „Willkür“ wird im juristischen Sprachgebrauch (auch von Höchstgerichten bei der Überprüfung von Entscheidungen) im Sinne einer denkunmöglichen Schlussfolgerung, einer Ermessensüberschreitung oder einer begründungslosen Vorgangsweise verstanden (vgl zur Rsp des OGH RIS Justiz RS0110146 [StPO], RS0129981 [EMRK]; zur Rsp des VfGH VfSlg 20.299/2018 mwN). Entsprechendes Tatsachensubstrat vorausgesetzt ist mit einem solchen Vorwurf per se weder pauschalierende Polemik noch gar die Unterstellung strafrechtlicher Verfehlungen verbunden (28 Os 3/14x; zum Ganzen auch Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 , § 1 DSt Rz 62 mwN).

[12] Nach dem festgestellten Bedeutungsinhalt kritisierte der Beschuldigte mit dem gegenständlichen Schreiben die Berufung auf die Hausordnung des Landesgerichts * durch dessen Vizepräsidentin als willkürlich. Diese – ausdrücklich seine subjektive Einschätzung zum Ausdruck bringende („gehe ich von Willkür aus“) – Aussage schränkte er gleichzeitig insoweit ein, als er die sachliche Rechtfertigung der Maskenpflicht nicht schlechthin, sondern (bloß) ohne Vorliegen eines Gutachtens in Frage stellte. Damit forderte er ersichtlich eine wissenschaftliche Begründung für die – damals durchaus umstrittene – Maskenpflicht ein. Darüber hinaus enthielt die inkriminierte Textpassage keine beleidigenden, verhöhnenden oder diffamierenden Angriffe gegen die Genannte, das Gericht oder das Justizsystem im Allgemeinen.

[13] Zwar entbehrt der gegen die – in pflichtgemäßer Erfüllung ihrer Justizverwaltungsaufgaben agierende – Adressatin des Schreibens erhobene Vorwurf inhaltlich jeder Grundlage, zumal für diese auch keine Veranlassung oder gar Verpflichtung bestand, gegenüber dem Beschuldigten „sachliche Nachweise“ für die „Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit“ von Regelungen der Hausordnung zu erbringen (zur dogmatischen Einordnung der Hausordnung nach § 16 GOG als Verordnung vgl im Übrigen Fellner/Nogratnig , RStDG, GOG und StAG II 5.02 § 16 GOG Rz 2 mwN). Die Hausordnung entsprach der damals geltenden Rechtslage, die beim Betreten öffentlicher Orte in geschlossenen Räumen das Tragen eines Mund Nasen Schutzes vorsah (§ 1 Abs 2 COVID 19 Maßnahmenverordnung idF BGBl II 2020/ 197 ; daran ändert nichts, dass der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Oktober 2020, V 463–467/2020, nachträglich die Gesetzwidrigkeit dieser Verordnungsbestimmung feststellte).

[14] Im vorliegenden Fall ist die im Tatzeitraum gegebene allgemeine gesellschaftliche Verunsicherung im Zusammenhang mit der damals gerade erst seit etwas mehr als zwei Monaten anhaltenden COVID-19-Pandemie und die ersichtlich daraus resultierende subjektive Überzeugung des – wenngleich in eigener Sache agierenden – Beschuldigten ins Kalkül zu ziehen (vgl dazu Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek , RAO 11 , § 9 RAO Rz 17 mwN).

[15] Davon ausgehend ist die inkriminierte Äußerung auf Basis der oben dargestellten Grundsätze als – im Wortüberschwang erfolgte (vgl VfSlg 13.122/1992, VfSlg 19.117/2010) – zwar überzogene, jedoch (gerade noch) von Art 10 MRK gedeckte Kritik zu beurteilen, womit ein Verstoß gegen § 10 Abs 2 RAO nicht vorliegt.

[16] Das angefochtene Erkenntnis war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – in seinem schuldig sprechenden Teil, demgemäß auch im Strafausspruch und im Ausspruch der Verpflichtung zum anteiligen Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens aufzuheben und in der Sache selbst mit Freispruch vorzugehen.

[17] Mit seiner gegen den Ausspruch über die Strafe gerichteten Berufung war der Beschuldigte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Rechtssätze
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