JudikaturJustiz20Ds15/17m

20Ds15/17m – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Dezember 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 12. Dezember 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Rothner und Dr. Hofer als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 8. Mai 2017, AZ D 51/16 (DV 12/17), TZ 30, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, des Kammeranwalts der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer Mag. Kammler und des Beschuldigten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis, das hinsichtlich der Freisprüche in seinem Punkt II. unberührt bleibt, im Schuldspruch Punkt I. und demnach im Strafausspruch sowie im Ausspruch über die Kosten aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

*****, Rechtsanwalt in *****, wird von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe als rechtsfreundlicher Vertreter von H***** R***** im Verfahren AZ ***** des Landesgerichts *****, in welchem ***** S***** am 3. Juni 2016 das Klagebegehren auf einen am 11. März 2016 abgeschlossenen Vergleich stützte und einschränkte, entgegen seiner sich aus § 9 Abs 1 RAO ergebenden Verpflichtung dieses Vorbringen „über ausdrücklichen Wunsch seines Klienten persönlich“ bestritten und Wert auf die Feststellung im Protokoll gelegt, dass er selbst dem in diesem Verfahren Beklagten H***** R*****, sohin seinem Klienten, den Abschluss dieses Vergleichs empfohlen hätte, gemäß §§ 38 Abs 1, 54 Abs 3 DSt

freigesprochen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch unbekämpft in Rechtskraft erwachsene Freisprüche enthaltenden Erkenntnis wurde der Disziplinarbeschuldigte wegen der aus dem Spruch ersichtlichen Disziplinarvergehen der Berufspflichten-verletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldbuße von 3.000 Euro verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a und Z 9 lit b StPO) sowie wegen Strafe.

Inhaltlich des Erkenntnisses führte Rechtsanwalt ***** S***** einen Honorarprozess wegen 60.000 Euro gegen H***** R*****, der vom Beschuldigten vertreten wurde. Bei der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 3. Juni 2016 schränkte der Kläger das Klagebegehren auf 24.000 Euro ein und brachte vor, es sei zwischen den Parteien in Anwesenheit von deren Rechtsvertretern außerhalb des laufenden Verfahrens zu einem Vergleich gekommen, wonach sich der Beklagte verpflichtet hätte, 24.000 Euro in Raten zu bezahlen. Der Beschuldigte bestritt dieses Vorbringen wie folgt: „Der BKV bestreitet, über ausdrücklichen Wunsch des Beklagten persönlich. Der BKV legt Wert auf die Festhaltung im Protokoll, dass er selbst dem Beklagten den Abschluss dieses Vergleiches empfohlen hätte.“

In dem darauf ergangenen Urteil des Landesgerichts vom 27. Juli 2016 wurde der außergerichtliche Vergleich mit entsprechendem Bindungswillen festgestellt. Der dagegen erhobenen Berufung des Beklagten gab das Oberlandesgericht nicht Folge.

Nach den weiteren Konstatierungen im angefochtenen Erkenntnis hat der Beschuldigte seinen Mandanten im Korrespondenzweg darauf hingewiesen, die Angelegenheit sei in seinem Beisein außergerichtlich verglichen worden und eine neue Tagsatzung werde nur dazu dienen, den geschlossenen Vergleich gerichtlich zu protokollieren.

Umstände dahingehend, dass der Abschluss des außergerichtlichen Vergleichs gegen den Wunsch des Mandanten des Beschuldigten erfolgte bzw er diesem widersprochen hätte, konnte der Disziplinarrat nicht feststellen (ES 15).

In der rechtlichen Beurteilung vertrat der Disziplinarrat unter Hinweis auf § 9 RAO die Ansicht, der Beschuldigte hätte sich auf eine bloße Bestreitung des Vorbringens des Klägers beschränken müssen. Der Hinweis, diese Bestreitung erfolge nur über ausdrücklichen Wunsch des Klienten, und die Feststellung zu Protokoll, er selbst hätte dem Beklagten den Abschluss dieses Vergleichs empfohlen, seien nicht nur nicht erforderlich gewesen, sondern „hätte diese Vorgangsweise auch den Verpflichtungen gemäß § 9 RAO“ widersprochen, zumal der Beschuldigte „seinem Klienten damit quasi in den Rücken“ gefallen sei.

Der Berufung kommt bereits insofern Berechtigung zu, als sie in ihrer Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) unter Hinweis auf RIS Justiz RS0036733 geltend macht, die in § 9 Abs 1 RAO auferlegte Pflicht lasse es nicht zu, dass der Rechtsanwalt wissentlich unrichtige Behauptungen aufstellt, um sich oder seinem Klienten Vorteile zu verschaffen. Zutreffend weist die Generalprokuratur darauf hin, dem vom Disziplinarrat betonten Handlungsgebot, übernommene Vertretungen gesetzgemäß und mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu führen (§ 9 Abs 1 erster Satz RAO), stehe das Handlungsverbot, wissentlich unwahre Behauptungen aufzustellen, gegenüber. So gilt die in § 178 ZPO angeordnete Wahrheitspflicht nicht nur für den Klienten, sondern auch für dessen Rechtsvertreter ( Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 , § 9 RAO Rz 8). Ein Klientenauftrag zu einem wissentlich unrichtigen Vorbringen vermag den Rechtsanwalt keinesfalls zu entlasten ( Scheuba in Csoklich/Scheuba , Standesrecht der Rechtsanwälte 2 , 62). Wahrheitswidriges Prozessvorbringen verstößt auf jeden Fall gegen Berufspflichten. Ein Rechtsanwalt darf sich in einer Klage nicht auf eine Behauptung stützen, von der er weiß, dass sie falsch ist ( Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 , § 1 DSt S 868). Vorsätzlich falsche Angaben gegenüber dem Gericht zur Erlangung vermögensrechtlicher Leistungen sind als Täuschung über Tatsachen im Sinne des § 146 StGB zu beurteilen (vgl RIS Justiz RS0115362, RS0094148; Kirchbacher in WK 2 StGB § 146 Rz 41 f; Brenn in Fasching/Konecny 3 II/3 § 178 ZPO Rz 10).

Die (uneingeschränkte) Bestreitung des auf den in seiner Gegenwart geschlossenen Vergleich gestützten bzw eingeschränkten Klagebegehrens durch den Beschuldigten wäre fallbezogen wider besseres Wissen erfolgt (vgl dazu auch die Konstatierung des Disziplinarrats, wonach nicht festgestellt werden konnte, dass H***** R***** dem Abschluss des Vergleichs widersprochen hätte [ES 15] und die im Rahmen der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen dazu, dass es bei H***** R***** „offenkundig erst im Nachhinein Bedenken“ gegen den abgeschlossenen Vergleich gab [ES 17]) und damit allenfalls sogar tatbestandsmäßig im Sinne der §§ 15, 146, 147 Abs 2 StGB gewesen. Bei der vom Beschuldigten schließlich gewählten Formulierung handelt es sich um eine – sowohl zur Vermeidung eigener strafrechtlicher Verantwortlichkeit als auch zur Erfüllung des vorliegendenfalls höherwertigen Handlungsverbots – erforderliche Distanzierung vom Vorbringen des im Anwaltsprozess selbst nicht postulationsfähigen (vgl Zib in Fasching/Konecny 3 II/1 § 34 ZPO Rz 10) Mandanten.

Das angefochtene Erkenntnis war daher in Stattgebung der Berufung wegen Nichtigkeit im Schuldspruch (I./) und demgemäß auch im Straf und Kostenausspruch (III./) aufzuheben und auf Freispruch zu erkennen.

Rechtssätze
3
  • RS0094148OGH Rechtssatz

    19. Oktober 2022·3 Entscheidungen

    Vorsätzliche Falschangaben von Parteien gegenüber der Behörde zur Erlangung vermögenswerter Leistungen von dem durch sie vertretenen Rechtsträger ("Behörden-Betrug" im engeren Sinn) können selbst dann, wenn erstere zur Überprüfung verpflichtet ist und keine falschen Beweismittel oder Bescheinigungsmittel aufgeboten werden, mangels Sozialadäquanz nicht teleologisch aus der Wortbedeutung des Begriffs "Täuschung" im Sinne § 146 StGB ausgeklammert werden. Demgemäß bedarf es zur Tatbestandsverwirklichung in subjektiver Hinsicht folgerichtig auch in Ansehung des Täuschungs-Erfolges keines über den allgemeinen Täuschungsvorsatz (§ 5 Abs 1 und 3 StGB) hinausgehenden besonderen Wissens (§ 5 Abs 3 StGB) des Täters davon, dass die Behörde ein allenfalls vorgesehenes Prüfungsverfahren gerade in seinem Fall tatsächlich nicht durchführen werde; handelt doch der Täter - dessen Vorgehen ja ansonsten kaum verständlich wäre - auch dann, wenn er zwar mit einer behördlichen Überprüfung rechnet, aber nichtsdestoweniger darauf hofft, dass sie nicht stattfinden oder die Unrichtigkeit seiner Behauptungen nicht aufdecken, also der entsprechende Täuschungs-Erfolg eintreten werde, mit (zumindest) bedingtem Täuschungsvorsatz: Über die Zulässigkeit einer teleologischen Reduktion des "Täuschungs" - Begriffs beim "Prozess" - Betrug und bei der "Behörden-Täuschung" sowie über die Möglichkeit einer Rechtfertigung bei allen Varianten unwahrer Parteibehauptungen gegenüber Behörden bei der Geltendmachung von in ihren faktischen Voraussetzungen zweifelhaften Ansprüchen (auch gegen die öffentliche Hand) ist damit nichts gesagt.