JudikaturJustiz1Ob667/80

1Ob667/80 – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. März 1981

Kopf

SZ 54/34

Spruch

Stehen dem Gläubiger mehrere Forderungen zu, von denen einzelne vom Schuldner bestritten, andere nicht bestritten werden, und werden sämtliche Forderungen vom Gläubiger, der die Annahme der Zahlung der unbestrittenen Forderungen ablehnte, gerichtlich geltend gemacht, so ist der Schuldner zum schuldbefreienden gerichtlichen Erlag der unbestrittenen Forderungen, auch wenn sie später entstanden, berechtigt

OGH 18. März 1981, 1 Ob 667/80 (LG Salzburg 32 R 211/79; BG Salzburg 11 C 2619/77)

Text

Die klagende Partei begehrte von den beklagten Parteien - der Zweitbeklagte ist persönlich haftender Gesellschafter der erstbeklagten Partei - für die Lieferung von Baumaterialien den Betrag von 73 560.69 S samt Anhang. Mit Schriftsatz vom 15. Feber 1978, vorgetragen in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 5. April 1978, dehnte die klagende Partei das Klagebegehren um den Betrag von 41 765.21 S aus, weil die Bezahlung weiterer Lieferungen fällig geworden sei, und schränkte andererseits das Klagebegehren gleichzeitig um 44 450.69 S auf 70 875.01 S samt Anhang ein. Die erstbeklagte Partei hat den Betrag von 41 765.21 S am 14. Juni 1978 an die klagende Partei überwiesen und am 9. Oktober 1978 wegen Verweigerung der Annahme durch die klagende Partei und ausdrücklichen Hinweis, die während des Rechtsstreites fällig gewordenen Verbindlichkeiten zu erfüllen, zu 3 Nc 723/78 des Bezirksgerichtes Salzburg gemäß § 1425 ABGB erlegt; der Erlag wurde vom Bezirksgericht Salzburg am 10. Oktober 1978 angenommen.

Die beklagten Parteien ließen die von der klagenden Partei behaupteten Lieferungen unbestritten, beantragten jedoch Abweisung des Klagebegehrens, weil zwischen den Streitteilen im Herbst 1976 vereinbart worden sei, daß die klagende Partei einen Werbekostenbeitrag von 50 000 S in Waren leiste.

Der Erstrichter erkannte die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 14 560.49 S samt 12% Zinsen seit 23. Juli 1977 und 8% Umsatzsteuer aus den Zinsen zu bezahlen. Das Mehrbegehren wies er ab. Vom Fakturenbetrag von 73 560.49 S (ursprüngliches Klagebegehren) sei der Betrag von 50 000 S, der aber noch um die Umsatzsteuer von 18% zu erhöhen sei, in Abzug zu bringen, sodaß der klagenden Partei noch eine Restforderung von 14 560.49 S zustehe.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der klagenden Partei nicht Folge; der der beklagten Parteien gab es teilweise Folge und änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß es die Forderung der klagenden Partei mit dem Betrag von 9 857.60 S samt Anhang zu Recht und mit 61 017.41 S als nicht zu Recht bestehend erkannte. Die beklagten Parteien wurden zur ungeteilten Hand schuldig erkannt, der klagenden Partei den Betrag von 9 857.60 S samt Anhang zu bezahlen. Das Mehrbegehren auf Zuspruch von 61 017.41 S samt Anhang wurde abgewiesen.

Dem Erlag des Betrages von 41 765.21 S komme schuldbefreiende Wirkung zu, weil ein selbständiger Teilbetrag vorliege, dessen getrennte Tilgung zulässig sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Zur Frage der schuldbefreienden Wirkung der gerichtlichen Hinterlegung des Betrages von 41 765.21 S wird ausgeführt, daß der klagenden Partei eine Gesamtforderung zustehe und sie nicht verpflichtet sei, die Zahlung von Teillieferungen anzunehmen. Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, daß die Forderung der klagenden Partei aus mehreren selbständigen (Bestellungen und) Lieferungen resultiert, sodaß von einer einheitlichen Forderung nicht gesprochen werden kann. Es liegen vielmehr mehrere Schuldposten im Sinne des § 1415 zweiter Absatz ABGB vor. Der Betrag von 41 765.21 S wurde der klagenden Partei zur Zahlung angeboten, von dieser jedoch mit der Begründung, es handle sich um eine Teilzahlung der noch offenen Forderung, nicht angenommen.

In der Lehre ist umstritten, ob die Verrechnungsregel des § 1416 ABGB auch dann Platz greift, wenn bestrittene Forderungen mit unbestrittenen zusammentreffen. Unger, Über Obligationenrecht, Grünhuts Zeitschrift XV, 531, vertrat den Standpunkt, daß bestrittene Forderungen bei Anwendung des § 1416 ABGB nicht in Betracht kämen. Ofner hat diese Rechtsmeinung gebilligt (Grünhuts Zeitschrift XVIII, 177) und die gegenteilige, von Hasenöhrl, Das Österreichische Obligationsrecht[1] II, 392, FN 20, vertretene Ansicht abgelehnt. In der zweiten Auflage seines Werkes (398, FN 20) trat Hasenöhrl der Meinung von Unger und Ofner mit dem Bemerken entgegen, es wäre dann dem Schuldner ein leichtes Mittel gegeben, durch mutwilliges Bestreiten die Bestimmung des § 1416 ABGB zu umgehen. Daraus könnte der Schluß gezogen werden, daß immerhin auch Hasenöhrl die Meinung von Unger und Ofner für den Fall annehmbar hielt, daß Forderungen nicht mutwillig bestritten werden. Gschnitzer führt hingegen in Klang[2] VI, 385 aus, es sei "natürlich" unentscheidend, ob eine Forderung bestritten oder unbestritten sei, und beruft sich für diese Auffassung auf Hasenöhrl, der diese Ansicht jedoch, wie erwähnt, nicht so eindeutig vertreten hat. Die Bestimmungen der §§ 1415, 1416 ABGB können wohl auch nicht dahin verstanden werden, daß sie bei einer laufenden Geschäftsverbindung und Strittigkeit einer Schuldpost dem Gläubiger die Möglichkeit einräumen wollten, durch Nichtannahme später fällig gewordener und weder dem Gründe noch der Höhe nach strittiger weiterer Forderungen das Prozeßkostenrisiko in unangemessener Weise auf den Vertragspartner zu überwälzen. Im vorliegenden Fall kann kein Zweifel bestehen, daß die beklagten Parteien die zunächst eingeklagte Forderung nicht mutwillig bestritten, blieben sie doch weitgehend im Recht; es bestand auch Ungewißheit über die Art der Verrechnung. Es kann jedoch eine eingehende Klärung der Frage, ob und inwieweit bestrittene Forderungen bei Anwendung der Verrechnungsregel des § 1416 ABGB außer Betracht zu bleiben haben, dahingestellt bleiben, weil das Klagebegehren mit Schriftsatz vom 15. Feber 1978, vorgetragen in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 5. April 1978, um den Betrag von 41 765.21 S ausgedehnt wurde, sodaß nunmehr sämtliche Forderungen "eingefordert" im Sinne des § 1416 ABGB waren. Dann ist eine Zahlung auf jene Forderungen anzurechnen, die schuldig zu bleiben dem Schuldner am meisten beschwerlich fällt. Die Forderungen der klagenden Partei im Gesamtbetrag von 41 765.21 S waren dem Bestand und der Höhe nach unbestritten, die klagende Partei lehnte die Annahme des am 14. Juni 1978 überwiesenen Betrages nur ab, weil sie darin eine gemäß § 1415 ABGB unzulässige Teilzahlung erblickte. Nach der klagsweisen Geltendmachung konnten die beklagten Parteien aber diese an sich unbestrittenen Schuldposten schon wegen des damit verbundenen Prozeßkostenrisikos als für sich beschwerlicher ansehen, sodaß sie zunächst diese Schuldposten bezahlen und bei Nichtannahme den Betrag erlegen konnten. Die Annahme des Betrages von 41 765.21 S wurde von der klagenden Partei demnach zu Unrecht verweigert, sodaß die erstbeklagte Partei zur gerichtlichen Hinterlegung des Betrages gemäß § 1425 ABGB berechtigt war.