JudikaturJustiz1Ob364/60

1Ob364/60 – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Oktober 1960

Kopf

SZ 33/109

Spruch

Gegen einen Wechselzahlungsauftrag kann keine Wiederaufnahmsklage erhoben werden.

Entscheidung vom 12. Oktober 1960, 1 Ob 364/60.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Kläger brachte vor, er sei mit rechtskräftigem Wechselzahlungsauftrag des Handelsgerichtes Wien vom 18. Mai 1960, 16 Cg 224/60, als Akzeptant eines Wechsels vom 11. Jänner 1960 zusammen mit Herbert M. und der Firma B. zur Zahlung eines Betrages von 50.000 S s. A. verurteilt worden. Er beantragt nunmehr die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 530 Abs. 1 Z. 1 ZPO. mit folgender Begründung: er habe im Spätherbst 1959 verschiedene Wechsel akzeptiert, habe aber erst vor kurzer Zeit Verdacht geschöpft, daß seine Unterschrift auf dem eingeklagten Wechsel gefälscht sei, und sich durch Einsicht in den Originalwechsel in der Kanzlei des Klagevertreters im Wechselverfahren nunmehr davon überzeugt. Er habe deshalb auch eine Strafanzeige gegen Herbert M. erstattet.

Das Erstgericht wies die Klage als zur Anberaumung einer Tagsatzung ungeeignet zurück, da eine Wiederaufnahmsklage nur zulässig sei, wenn das wiederaufzunehmende Verfahren mit Urteil beendet worden sei. Dies sei bei einem Wechselzahlungsauftrag nicht der Fall.

Das Rekursgericht hob den erstgerichtlichen Beschluß unter Vorbehalt der Rechtskraft auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung, allenfalls die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens auf. Es führte im wesentlichen aus:

In der Entscheidung GlUNF. 3800 werde ausgesprochen, daß gegen einen Wechselzahlungsauftrag, gegen den keine Einwendungen erhoben wurden, die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht stattfinde. Allerdings sei der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt von dem gegenständlichen verschieden.

Die Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur ZPO., auf die sich die Entscheidung berufe, sagten folgendes: "Auch das ist noch hervorzuheben, daß zwar nicht die Nichtigkeitsklage, wohl aber die Wiederaufnahmsklage auf die Anfechtung von Urteilen beschränkt ist. Entscheidungen, welche einem Urteil funktionell in Beziehung auf die Streitsache etwa gleichgeachtet werden können, die jedoch nach den Bestimmungen des Entwurfes nicht in Urteilsform ergehen, können nun im Besitzstörungsverfahren (Endbeschluß) oder etwa im Mandats- und Wechselverfahren (Zahlungsauftrag) vorkommen. Beiden gegenüber wäre die Zulassung der Wiederaufnahmsklage nicht zu rechtfertigen. Der Endbeschluß im Besitzstörungsverfahren ist nur zu provisorischer Wirksamkeit berufen, die unterlegene Partei erleidet dadurch keinen unwiderruflichen Schaden ... Bei Zahlungsaufträgen, wider welche der Beklagte keine Einwendungen erhoben hat - denn andernfalls ergehen Urteile, und die Wiederaufnahmsklage ist nach § 552 ZPO. zulässig -, liegt aber in Wahrheit eine eigentliche Entscheidung, die sich auf die richterliche Überzeugung vom Bestand der Schuld grundet, nicht vor. Hier fehlt es an der Voraussetzung einer Wiederaufnahmsklage, nämlich an einem Prozeß, der wiederaufgenommen werden könnte; es hat ein solcher Rechtsstreit überhaupt noch nicht stattgefunden. Es kann hier daher insbesondere auch nicht von Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der Urteilsgrundlage die Rede sein. Die Gewährung der Wiederaufnahme gegen solche Zahlungsaufträge würde sich mit der Idee des gesamten Wiederaufnahmsinstitutes in Widerspruch setzen; sie könnte sich insbesondere auch nicht auf das heutige Recht berufen."

In der Literatur wende sich Pollak (System des österreichischen Zivilprozeßrechts, 2. Aufl. S. 622 f.) gegen die Beschränkung der Wiederaufnahmsklage auf ein durch Urteil geschlossenes Verfahren, während er ihre Nichtzulassung gegen Endbeschlüsse, Aufkündigungen im Bestandverfahren und gerichtlichen Vergleich bejahe. Er führe aus: "Sie (die Wiederaufnahmsklage) ist nicht gegen jede Entscheidung zulässig, wie es die Nichtigkeitsklage ist. Vielmehr soll jene nur Erkenntnisse über Rechtsschutzansprüche bekämpfen, Prozeßentscheidungen nicht angreifen dürfen. Das will § 530 ZPO. durch die Einschränkung auf Urteile bewirken; die Klage darf also nach diesem Wortlaut nicht gegen Beschlüsse, Zahlungsaufträge, Sicherstellungsaufträge und Zahlungsbefehle erhoben werden. Das war denn auch die Absicht des Gesetzesverfassers. Sie beruht auf einer Anknüpfung an die deutsche ZPO., die die Zahlungsaufträge und Zahlungsbefehle des österreichischen Zivilprozeßrechtes nicht kennt. Anders ist die Beschränkung des § 530 ZPO. gerade auf Urteile nicht leicht zu erklären; zu billigen ist sie nicht, da sie den Gesetzesgedanken ungenau verkörpert. Denn die Anknüpfung an die Urteilsform bedeutet einerseits, daß die Wiederaufnahmsklage nicht nur gegen Entscheidungen über Rechtsschutzansprüche (Zwischenurteile), andererseits, daß sie nicht gegen jede solche zusteht (Zahlungsauftrag). Wäre die Wiederaufnahmsklage ein häufiger Rechtsbehelf, so würden diese Mängel übel empfunden werden; ob seiner Seltenheit tauchen sie zwar bisweilen, aber nicht oft auf. Immerhin muß berichtigende Auslegung Platz greifen." Dieser Gedanke wird an anderer Stelle (S. 623) wiederholt.

Die Gründe der Materialien hielten nach Ansicht des Rekursgerichtes einer Überprüfung nicht stand. Es sei unrichtig, daß beim Wechselzahlungsauftrag eine eigentliche Entscheidung, die sich auf die richterliche Überzeugung vom Bestehen der Schuld grunde, nicht vorliege. Der Richter müsse zunächst prüfen, ob ein gültiger Wechsel vorliege; dabei prüfe er auch, ob eine gültige Wechselunterschrift des Beklagten vorhanden sei. Sei dies der Fall und seien die übrigen notwendigen Wechselbestandteile vorhanden, so schließe der Richter, daß der Beklagte die Wechselsumme schuldig sei. Daß er infolge der abstrakten Natur der Wechselverpflichtung das Grundgeschäft außer acht lasse, sei bedeutungslos. Es könne also auch in diesem Verfahren die Entscheidungsgrundlage unrichtig sein. Es könne auch nicht gesagt werden, daß sich die Gewährung der Wiederaufnahmsklage gegen Zahlungsaufträge mit der Idee des ganzen Wiederaufnahmeinstitutes in Widerspruch setzen würde. Zweck der Wiederaufnahmsklage sei nach Sperl, Lehrbuch der bürgerlichen Rechtspflege, S. 709, die Erreichung der inhaltlichen Gerechtigkeit. Diese könne bei Zahlungsaufträgen ebenso wie bei Urteilen verfehlt sein.

Aus dem Umstand, daß § 530 ZPO. von einem durch Urteil geschlossenen Verfahren spreche, könne allein nicht die Zulässigkeit der Wiederaufnahmsklage gegen Wechselzahlungsaufträge verneint werden. Der Zweck des Prozesses, auf Grund des richtig ermittelten Sachverhaltes eine rechtsrichtige Entscheidung zu treffen, rechtfertige die berichtigende Auslegung dahin, daß die Wiederaufnahmsklage nicht nur gegen Urteile, sondern auch gegen einen Wechselzahlungsauftrag zulässig sei.

Da die Klage keine ausreichenden Angaben über die Umstände enthalte, aus denen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist des § 536 ZPO. ergebe, sei die Ergänzung der Klage und Beweiserhebung erforderlich.

Der Oberste Gerichtshof stellte den erstgerichtlichen Beschluß wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Es ist zuzugeben, daß die Gründe des angefochtenen Beschlusses, die das in Rede stehende Problem ausführlich behandeln, unter dem Gesichtspunkt einer allfälligen künftigen Gesetzesänderung beachtlich sein könnten. Der Oberste Gerichtshof ist jedoch der Ansicht, daß nach der gegenwärtigen Gesetzeslage die Ausführungen nicht stichhältig sind. Wie sich aus der Wiedergabe der erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur ZPO., vor allem aber aus der Gegenüberstellung des § 580 Abs. 1 ZPO. und des § 529 Abs. 1 ZPO. ergibt, deckt sich nämlich der Wortlaut des Gesetzes mit der Absicht des Gesetzgebers vollkommen. Dies wird auch von Pollak anerkannt. Der Gesetzgeber hat also bewußt die Wiederaufnahmsklage gegen einen Wechselzahlungsauftrag ausgeschlossen. Ob die Erwägungen, die ihn zur Ablehnung der Wiederaufnahmsklage veranlaßten, richtig sind oder nicht, ist nicht von entscheidender Bedeutung. Wenn der Wortlaut des Gesetzes mit der Absicht des Gesetzgebers übereinstimmt, ist der Wortlaut allein maßgebend (vgl. § 6 ABGB.). Es erübrigt sich daher, sich mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses im einzelnen auseinanderzusetzen.