JudikaturJustiz1Ob324/50

1Ob324/50 – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Juni 1950

Kopf

SZ 23/199

Spruch

Wurde die Verweigerung der Aussage durch einen Zeugen ohne Erörterung und Beschlußfassung nach § 324 ZPO. zur Kenntnis genommen und hat eine Partei diesen Vorgang nicht gemäß § 196 ZPO. gerügt, so kann sie gemäß § 530 Abs. 2 ZPO. nicht als Wiederaufnahmsgrund geltend machen, daß der Zeuge nunmehr aussagen will.

Entscheidung vom 14. Juni 1950, 1 Ob 324/50.

I. Instanz: Bezirksgericht Salzburg; II. Instanz: Landesgericht Salzburg.

Text

Dr. Peter H. begehrt als Eigentümer eines Hauses Räumung der von der Beklagten, der Schwester seiner geschiedenen Frau, in diesem Hause ohne jede Rechtsgrundlage innegehabten zwei Ordinationsräume.

Zur Erhärtung seines Rechtsstandpunktes hatte sich der Kläger auch auf den Rechtsanwalt Dr. Emmerich S. als Zeugen berufen, welches Beweismittel vom Prozeßgericht auch zugelassen wurde.

Bei der darauffolgenden Streitverhandlung erklärte Dr. Emmerich S. nach Vorhalt des § 321 ZPO., er habe im Jahre 1945 nach außen Frau Dr. Gabriele H., die Gattin des Klägers, allein, im internen Verhältnis jedoch auch ihren Gatten Dr. Peter H. und somit beide Ehegatten vertreten; seine Aussage betreffe Ereignisse, die in die Rechtssphäre der Gabriele H. eingreifen; diese habe ihn seiner Verschwiegenheitspflicht als Rechtsanwalt nicht entbunden; er mache deshalb von seinem Rechte auf Verweigerung der Zeugenaussage nach § 321 Abs. 1 Z. 4 ZPO. Gebrauch.

Eine Äußerung der Parteien und eine Beschlußfassung des Prozeßgerichtes erfolgte laut Protokoll hierüber nicht und hat das Prozeßgericht nach Durchführung der übrigen zugelassenen Beweise das Klagebegehren abgewiesen.

Gegen das Urteil hat der Kläger eine auf die Berufungsgrunde der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Berufung eingebracht und darin die Wiederholung aller Beweisaufnahmen, so insbesondere auch Aufnahme des Zeugenbeweises durch Dr. Emmerich S., der nunmehr aussagen werde, beantragt. Über die Berufung wurde noch nicht entschieden.

Am 22. Dezember 1948 hat der Kläger bei dem Bezirksgericht Salzburg die gegenständliche, auf den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO. gestützte Wiederaufnahmsklage eingebracht. In ihr wird ausgeführt am 22. November 1948 sei das abweisliche Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 11. November 1948 seinem Vertreter Dr. D. zugestellt worden, der es ihm zur Durchsicht übergeben habe; er habe es des Interesses halber wenige Tage nach dem 22. November 1948 auch dem Dr. Emmerich S. gezeigt. Dieser habe ihm nach Durchsicht des Urteils plötzlich zu seiner Überraschung erklärt, er ersehe aus dem Urteil, daß sich das vom Kläger angestrebte Klagsverfahren ja gar nicht gegen dessen geschiedene Gattin Gabriele H. richte, wie er insbesondere bei seiner Zeugeneinvernahme angenommen habe, sondern gegen Grete Sch. allein; wenn er sich bei seiner Zeugeneinvernahme dieses Sachverhaltes bewußt gewesen wäre, hätte er sich seiner Aussage keinesfalls entschlagen, da er ja 1945 nur Gabriele H. und den Kläger, nicht aber Grete Sch. vertreten habe. Erst durch den Urteilsvorweis an Dr. Emmerich S. und durch dessen anschließende Erklärung, bringt der Kläger vor, sei er in den Stand gesetzt worden, ein Beweismittel zu benützen, nämlich die Zeugenaussage Dr. Emmerich S. zur Sache (ohne Entschlagung), welche Zeugenaussage eine ihm günstigere Entscheidung im Vorprozeß herbeigeführt haben würde.

Das Erstgericht hat nach durchgeführtem Verfahren die Wiederaufnahme bewilligt und in weiterer Folge das im Vorprozeß erflossene Urteil vom 11. November 1948 dahin abgeändert, daß dem Klagebegehren stattgegeben wurde.

Infolge Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß das Klagebegehren auf Wiederaufnahme des Prozeßverfahrens 7 C 444/48 abgewiesen werde, im Wesen mit der Begründung, daß Doktor Emmerich S. sich nicht in Bausch und Bogen hätte entschlagen dürfen, daß der Kläger diese generelle Zeugenentschlagung des Dr. Emmerich S. hätte rügen und auf diese Weise seinen Irrtum hätte aufklären müssen. Den Kläger treffe also am Verluste des Beweismittels im Vorprozesse ein Verschulden, welches die Verfahrenswiederaufnahme gemäß § 530 Abs. 2 ZPO. ausschließe.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Wegen der in Z. 6 und 7 des § 530 Abs. 1 ZPO. angegebenen Umstände ist nach Absatz 2 dieser Gesetzesstelle die Wiederaufnahme nur dann zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, das Beweismittel vor Schluß der mündlichen Verhandlung, auf welche das Urteil erster Instanz ergangen ist, geltend zu machen.

Gemäß § 321 Abs. 1 Z. 4 ZPO. darf die Aussage von einem Zeugen in Ansehung desjenigen verweigert werden, was dem Zeugen in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt von seiner Partei anvertraut wird. Es ist somit dem Zeugen das Recht eingeräumt, die Beantwortung von "Fragen" zu verweigern, welche einen Konflikt bei ihm mit anderen rechtlichen oder ethischen Pflichten erzeugen könnten. In diesem Belange steht es dem Zeugen frei, Gründe für die Ablehnung ihrer Beantwortung vorzubringen, über deren Rechtmäßigkeit jedoch der Richter gemäß § 324 ZPO. zu entscheiden hat, wobei er vor der Entscheidung die Parteien hören kann.

Im gegenständlichen Falle wurde laut Protokoll der Streitverhandlung vom 26. Oktober 1948 die Entschlagung zur Kenntnis genommen, ohne zum Gegenstand einer Erörterung und Beschlußfassung im Sinne des § 324 ZPO. gemacht worden zu sein, und die klägerische Partei hat diesen Vorgang hingenommen, ohne ihn zu rügen, obwohl ihr hiezu die Bestimmung des § 196 ZPO. die Möglichkeit geboten hätte. Bei dieser Sachlage stellt die von der klägerischen Partei eingenommene Haltung, wie das Berufungsgericht mit Recht annimmt, ein Verschulden dar, welches ihr die Möglichkeit benimmt, nunmehr im Wege des außerordentlichen Rechtsmittels der Wiederaufnahme diese von ihr begangene Unterlassung zu sanieren.

Dies entspricht der gebotenen Formenstrenge des Prozeßrechtes und insbesondere dem Wesen des außerordentlichen Rechtsmittels, welches die Möglichkeit einer Abwehr nur dort zu schaffen hat, wo gegen eine Entscheidung ein Rechtsmittel keine Abhilfe gewähren kann.

Es war daher der Revision ein Erfolg zu versagen.