JudikaturJustiz1Ob216/67

1Ob216/67 – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Oktober 1967

Kopf

SZ 40/134

Spruch

Eine Partei, die Einwendungen gegen eine Aufkündigung erhoben hat, muß ihre Urlaubsadresse im Geschäft hinterlassen, weil sie mit einer Streitverhandlung und einer gerichtlichen Vorladung zu rechnen hat.

Entscheidung vom 24. Oktober 1967, 1 Ob 216/67.

I. Instanz: Bezirksgericht Döbling; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Johann K. jun., Gastwirt und Weinhändler, hat in seiner Eigenschaft als erbserklärter Erbe in der Verlassenschaftssache nach Johann K. sen. gegen eine von Adolf B. als Vermieter gegen die genannte Verlassenschaft eingebrachte Aufkündigung einer Wohnung fristgerecht Einwendungen erhoben. Das Erstgericht hat ihn daraufhin zu der für den 20. Jänner 1967 anberaumten mündlichen Streitverhandlung mit den ZP-Form. 36 und 44 unter seiner ständigen Anschrift vorgeladen. Diese Ladungen konnten dem Johann K. jun., der sich vom 11. Jänner 1967 bis 28. Jänner 1967 zu Kurzwecken auf dem Semmering befunden hat, nicht persönlich zugestellt werden, sie wurden vielmehr unter der angegebenen Anschrift von "Josef A. als Angestellter für K."

übernommen. K. jun. selbst hat von diesen Ladungen erst am 29. Jänner 1967 Kenntnis erlangt. Bei der in seiner Abwesenheit am 20. Jänner 1967 durchgeführten mündlichen Streitverhandlung wurde die Aufkündigung für rechtswirksam erklärt und diese Entscheidung - mangels Erhebung eines Rechtsmittels - am 10. Februar 1967 rechtskräftig. Das Urteil vom 20. Jänner 1967 hat Johann K. jun. am 27. Jänner 1967 an seinem damaligen Aufenthaltsort am Semmering zugestellt erhalten.

Das Erstgericht wies - ausgehend von diesen Feststellungen - das von der Verlassenschaft nach Johann K. sen., vertreten durch den erbserklärten Erben Johann K. jun., am 6. März 1967 unter Berufung auf § 529 (1) Z. 2 ZPO. erhobene Klagebegehren, die Nichtigkeit der rechtskräftigen Entscheidung des Erstgerichtes vom 20. Jänner 1967 im Kündigungsstreit auszusprechen, ab. In rechtlicher Hinsicht vertrat es die Auffassung, daß in der Zustellung der Ladungen an einen Angestellten des erbserklärten Erben kein gesetzwidriger Vorgang zu erblicken, die vorgenommene Ersatzzustellung vielmehr zulässig gewesen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte.

Ortsabwesenheit - so führte das Berufungsgericht aus - hindere zwar grundsätzlich eine wirksame Ersatzzustellung, doch gelte das nur für solche Zustellvorgänge, mit denen die Einleitung eines Verfahrens (Zustellung der Klage, der Aufkündigung, des Wechselzahlungsauftrages) bewirkt werden soll. Anders verhalte es sich mit den während eines streitanhängig gewordenen Verfahrens vorzunehmenden Zustellungen. Mit diesen habe die Partei zu rechnen und es obliege ihr, dafür vorzusorgen, daß sie im Fall einer vorübergehenden Ortsabwesenheit von allfälligen Zustellungen Kenntnis erhalte. Verletze sie diese Sorgfaltspflicht, könne ihre vorübergehende Ortsabwesenheit, wie sich aus der von der Wohnungsänderung einer Partei handelnden Bestimmung des § 111 ZPO. ableiten lasse, eine wirksame Ersatzzustellung nicht hindern. Aber selbst dann, wenn der Zustellvorgang den Vorschriften der Zivilprozeßordnung nicht entsprochen hätte, ließe sich für den Standpunkt der klagenden Partei deshalb nichts gewinnen, weil sie es versäumt habe, das im Hauptprozeß (Kündigungsstreit) ergangene Urteil mit Berufung wegen Nichtigkeit (§ 477 (1) Z. 4 ZPO.) zu bekämpfen, und sich nur darauf beschränkt habe, Nichtigkeitsklage zu erheben. Bei einer Mehrheit von Rechtsbehelfen müsse die rechtsuchende Partei, sofern ihr vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder schlüssig eine Wahlbefugnis eingeräumt sei, das jeweils nächstliegende und zielführendste Rechtsmittel nutzen. Diesfalls sei die Nichtigkeitsklage gleichsam die letzte Möglichkeit gewesen. Da es die klagende Partei unterlassen habe, den einfacheren Weg zur Bekämpfung der im Kündigungsverfahren ergangenen Entscheidung zu beschreiten, könne ihr ein Rechtsschutzinteresse nicht zugebilligt werden.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes, in dem die Revision für zulässig erklärt wurde (§§ 500 (3), 502 (4) ZPO.) wendete sich die Revision der klagenden Partei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Wenngleich das Rechtsmittel der Nichtigkeitsklage - entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung - durch die Unterlassung einer Berufung gegen die als nichtig angefochtene Entscheidung nicht verwirkt wird (SZ. III 53) läßt sich damit, wie den folgenden Ausführungen zu entnehmen sein wird, für die klagende Partei nichts gewinnen.

Lehre und Rechtsprechung stimmen dar überein, daß die Ortsabwesenheit des Empfängers eine Zustellung durch Hinterlegung (Niederlegung) unzulässig macht (Fasching, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, II S. 590, SZ. XIX 193, SZ. XXIV 51 u. a.). Die Anwendbarkeit der Bestimmung des § 104 ZPO. ist zwar nicht ausdrücklich an die Forderung der Ortsanwesenheit des Empfängers geknüpft, aus dem Zweck der vorgesehenen schriftlichen Anzeige der erfolgten Hinterlegung, die ihn auf die Notwendigkeit, das hinterlegte Schriftstück zu beheben, hinweisen soll, ist aber zu schließen, daß für den Empfänger die Möglichkeit bestehen muß, diesem Hinweis auch zu entsprechen. Dazu ist aber Ortsanwesenheit des Empfängers unabdingbare Voraussetzung.

Ähnliche Erwägungen haben bei der Lösung der Frage der Wirksamkeit einer Ersatzzustellung nach dem § 103 ZPO. (Übergabe des zuzustellenden Schriftstückes an eine im Geschäft oder im Gewerbebetrieb des Empfängers bedienstete Person) zu gelten. Wenn das Gesetz eine derartige Ersatzzustellung zuläßt, dann geschieht dies in der Annahme und Erwartung, daß es dem Bediensteten (Angestellten) möglich ist, das Schriftstück dem Empfänger zu übergeben oder wenigstens so rechtzeitig zuzusenden, daß dieser keinen prozessualen Nachteil erleiden kann.

Die beschriebene Möglichkeit war diesfalls - posttechnisch gesehen - für Josef A., der am 12. Jänner 1967 in seiner Eigenschaft als Angestellter des erbserklärten Erben die Vorladungen zur Streitverhandlung vom 20. Jänner 1967 übernahm, durchaus gegeben. Daß Josef A. die Urlaubsanschrift seines Dienstgebers nicht gekannt habe, behauptet der Revisionswerber selbst nicht, aus der Nachsendung der Entscheidung und deren Zustellung an den erbserklärten Erben auf dem Semmering läßt sich überdies auch ableiten, daß der Vertreter der klagenden Partei seine Anschrift im Geschäft zurückgelassen hat. Zu einer solchen Maßnahme war er schon deshalb verbunden, weil er nach der Erhebung von Einwendungen gegen die Aufkündigung mit einer Streitverhandlung und einer gerichtlichen Vorladung rechnen mußte (EvBl. 1966 Nr. 35). Der Umstand aber, daß Josef A. das übernommene Schriftstück nicht unverzüglich weitergeleitet und durch diese Nachlässigkeit bewirkt hat, daß Johann K. jun. erst nach Vornahme der Streitverhandlung vom 20. Jänner 1967 von seiner Vorladung Kenntnis erlangte, vermag an der Wirksamkeit der Ersatzzustellung nach § 103 ZPO. nichts zu ändern.

Die Vorinstanzen haben daher ohne Rechtsirrtum das Vorliegen der Voraussetzungen einer Nichtigkeitsklage nach § 529 (1) Z. 2 ZPO. verneint, sodaß der Revision ein Erfolg versagt bleiben muß.