JudikaturJustiz1Ob179/04m

1Ob179/04m – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Oktober 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl. Ing. Dr. Peter F*****, vertreten durch Dr. Gerald Kreuzberger, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Dr. Mark K*****, vertreten durch Stenitzer Stenitzer Rechtsanwälte OEG in Leibnitz, wegen Aufkündigung infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 19. April 2004, GZ 3 R 31/04g 31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 28. November 2003, GZ 42 C 48/03d 25, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und das Ersturteil wiederhergestellt.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.003,78 EUR (darin 307,46 EUR Umsatzsteuer und 159 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu zahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist als Liegenschaftseigentümer Vermieter, der Beklagte seit 1996 als Rechtsnachfolger seiner Großmutter Hauptmieter einer Wohnung in einem Grazer Haus. Der Beklagte absolvierte 1997 im Rahmen seines Medizinstudiums eine Famulatur an der Universität Cambridge. Dabei wurde ihm eröffnet, er könne nach Beendigung seines Medizinstudiums allenfalls an einem dreijährigen Forschungsprojekt dieser Universität mitarbeiten. Das Projekt sollte von einem Professor an der Universität Cambridge und einem Grazer Universitätsprofessor, dem Vorstand der Universitätsklinik für Neurologie des Landeskrankenhauses Graz, betreut werden; zu letzterem unterhielt der Beklagte bereits damals "Kontakte". Dieser Professor sagte ihm zu, er könne an die Grazer Universitätsklinik für Neurologie zurückkehren, wenn er bei jenem Forschungsprojekt mitgearbeitet und "die gesamte dafür vorgesehene dreijährige Ausbildungs /Forschungszeit ... absolviert" haben sollte.

Nach Beendigung seines Medizinstudiums arbeitete der Kläger noch einige Monate in Graz. Danach gewährte ihm die Universität Cambridge ein Stipendium für ein Studienjahr ab Oktober 1999. Dieses Studium schloss der Beklagte mit dem Erwerb des akademischen Titels "Master" ab. Als er im Oktober 1999 von Graz nach Cambridge übersiedelt war, beabsichtigte er, sogleich nach Beendigung des Masters Studiums nach Graz und in das Bestandobjekt als Wohnung zurückzukehren, falls ihm ein Stipendium für zwei weitere Jahre, um am gesamten dreijährigen Forschungsprojekt der Universität Cambridge mitzuarbeiten und dabei auch den akademischen Grad "PHD" zu erwerben, nicht gewährt werden sollte. Im Fall der Zuerkennung eines solchen Stipendiums beabsichtigte er dagegen, erst nach Abschluss dieser weiteren Ausbildung nach Graz und in das Bestandobjekt als Wohnung zurückzukehren. Zur Realisierung seines Ausbildungsplans beantragte er im Frühjahr 2000 ein "Erwin Schrödinger Stipendium". Als Voraussetzung der Gewährung eines solchen Stipendiums an junge österreichische Wissenschaftler zur Ermöglichung deren Mitarbeit an ausländischen Forschungseinrichtungen und Forschungsprogrammen musste die "konkrete Möglichkeit" bestehen, das im Ausland erworbene Wissen künftig in Österreich praktisch zu verwerten. Der Erfüllung dieser Voraussetzung diente die zuvor erwähnte Beschäftigungszusage des Grazer Universitätsprofessors an den Beklagten, der als Geförderter die Verpflichtung gehabt hätte, den nach Abschluss der Ausbildung in Österreich vorgesehenen Arbeitsplatz tatsächlich einzunehmen. Im Juni 2000 wurde der erörterte Antrag des Beklagten zunächst abgelehnt, weil er "damals noch über keine Erstautorenschaft in einem wissenschaftlichen Fachjournal verfügte". Damit war dem Beklagten klar, dass er sein Studium an der Universität Cambridge vorerst nicht fortsetzen könne. Es ergab sich für ihn jedoch die Möglichkeit, "sogenannte Gegenfächer, die er für seine Ausbildung bzw für eine spätere Tätigkeit an der Universitätsklinik für Neurologie benötigte, an dem Krankenhaus 'Charité' und in der Folge an der Freien Universität Berlin zu absolvieren". Diese Gegenfächer hätte der Beklagte an sich auch am Grazer Landeskrankenhaus belegen können. Die zuvor genannten Institutionen galten jedoch als "sehr renommierte Häuser". Da eine Ausbildung dort "für den weiteren beruflichen Werdegang vorteilhaft" war, entschied sich der Beklagte, die Gegenfächer - bei einer auch insoweit aufrechten Zusage des Grazer Universitätsprofessors zur möglichen Rückkehr an die Grazer Klinik - in Berlin zu absolvieren. Er war deshalb vom Oktober 2000 bis März 2002 in Berlin. Währendessen hielt er jedoch an seiner ursprünglichen Absicht einer insgesamt dreijährigen Ausbildungs- und Forschungszeit an der Universität Cambridge fest, um erst nach deren Beendigung nach Graz zurückzukehren und dann dort an der Universitätsklinik für Neurologie zu arbeiten und wieder im Bestandobjekt zu wohnen. Er beantragte daher im Herbst 2001 neuerlich die Gewährung eines "Erwin Schrödinger Stipendiums", da er nunmehr "über die geforderte Erstautorenschaft verfügte". Diesem Ersuchen wurde im Frühjahr 2002 entsprochen. Eine Gewährungsbedingung war die Rückkehr des Beklagten an die Universitätsklinik für Neurologie am Grazer Landeskrankenhaus. Falls gerade keine Planstelle frei gewesen wäre, wäre mit Hilfe eines "Erwin Schrödinger Rückkehr Stipendiums" dort ein Arbeitsplatz für drei Jahre finanziert worden. Zwischen April und September 2002 konsumierte der Beklagte einen mehrmonatigen Urlaub, innerhalb dieses Zeitraums absolvierte er "aber auch ein Praktikum an der Universitätsklinik für Neurochirurgie am LKH in Graz" in der Dauer eines Monats. Dabei nächtigte er "zumeist bei seiner Freundin in Graz". Ab September 2002 - die Arbeitsplatzzusage des Grazer Universitätsprofessors war damals und ist weiterhin aufrecht - setzte der Beklagte seine Ausbildung an der Universität Cambridge fort. Deren Beendigung war für August oder September 2004 - spätestens jedoch drei Monate später - vorgesehen. Die Absicht, in das Bestandobjekt nach Abschluss seiner Ausbildung zurückzukehren, wurde vom Beklagten während seiner Abwesenheit von Graz niemals aufgegeben.

Im September 1999 kontaktierte den Beklagten eine Bekannte, die für eine Familie aus dem Kosovo, die wegen des Krieges "nicht dorthin zurückkehren konnte und über keine Unterkunft verfügte", eine Wohnung suchte. Daraufhin vereinbarte der Beklagte mit den Ehegatten dieser Familie, sie "könnten" sein Bestandobjekt in Graz "benützen". Beide Seiten gingen "im Hinblick einerseits auf die Situation im Kosovo und andererseits ... darauf, dass der Beklagte vorerst nur von einem Jahr an fixem Aufenthalt in Cambridge wusste", von einer Wohnungsnutzung in der Dauer von ein paar Monaten bis zu höchstens einem Jahr aus. Ein schriftlicher Untermietvertrag wurde nicht errichtet, jedoch vereinbart, dass die Untermieter das Bestandobjekt räumen, sobald der Beklagte die Wohnung infolge seiner Rückkehr nach Graz wieder benötigen werde. Während vorübergehender Aufenthalte in Graz sollte der Beklagte in einem Zimmer des Bestandobjekts nächtigen dürfen. Das "Untermietverhältnis" wurde nach dem ersten Jahr "immer wieder verlängert". Die Möbel des Beklagten, sein Klavier und sein Geschirr sowie Kleidungsstücke befinden sich im Bestandobjekt. Seit Herbst 2002 besucht der Beklagte Graz in Abständen von ein bis zwei Monaten für verlängerte Wochenenden. Meist nächtigt er dabei bei seiner Freundin, gelegentlich aber auch im Bestandobjekt. Er beabsichtigt nicht, in die Wohnung seiner Freundin zu ziehen.

Der Kläger kündigte den Bestandvertrag mit dem Beklagten zum 31. 3. 2003 aus den Kündigungsgründen gemäß § 30 Abs 2 Z 4 und 6 MRG auf. Der Beklagte sei nach dem Vertrag nicht berechtigt, das Bestandobjekt gänzlich oder teilweise weiterzugeben. Er benötige es in naher Zukunft auch nicht zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses. Bei dessen Weitergabe sei "keinerlei gesicherte Zukunftsprognose" dahin möglich gewesen, dass der Beklagte das Bestandobjekt in naher Zukunft zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses wieder benötigen werde. Ein solches Wohnbedürfnis sei auch "für Ende 2004 nicht zu erwarten".

Der Beklage wendete ein, er halte sich zwar seit 1999 zur weiteren Berufsausbildung im Ausland auf, er habe jedoch seine Absicht, nach deren Beendigung in das Bestandobjekt zurückzukehren, niemals aufgegeben. Er werde auf das Bestandobjekt ab Herbst 2004 zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses angewiesen sein. Er müsse als Stipendiat entsprechend einer Förderungsbedingung nach Österreich zurückkehren, um das im Ausland erworbene Wissen hier zu verwerten. Er verfüge auch über die aufrechte Zusage eines künftigen Arbeitsplatzes an der Universitätsklinik für Neurologie in Graz nach Abschluss seiner Berufsausbildung im Ausland. Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG sei wegen seiner Abwesenheit zur Berufsausbildung nicht verwirklicht. Die Untermieter zahlten weniger, als der Hauptmietzins betrage. Der Hauptmietvertrag enthalte kein Verbot der teilweisen Weitergabe des Bestandobjekts. Ein Zimmer des Mietgegenstands werde von ihm während seiner Aufenthalte in Graz regelmäßig benützt.

Das Erstgericht hob seine Aufkündigung vom 31. 1. 2003 auf und wies das Räumungsbegehren ab. Nach seiner Ansicht ist die Frage nach der Rechtswirksamkeit der Kündigung nur nach § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG zu beurteilen. Diese Bestimmung sei bei Weitergabe des Bestandobjekts als lex specialis anzuwenden. Ausschlaggebend sei somit, ob der Beklagte das Bestandobjekt nach den Verhältnissen im Zeitpunkt seiner Weitergabe offenbar in naher Zeit für sich selbst dringend benötigen werde. Dabei komme "es insoweit nicht so sehr auf den Zeitraum als auf die konkrete und gesicherte Zukunftsprognose" an. Nicht maßgebend seien Ereignisse, die für den Mieter im Zeitpunkt der Weitergabe des Bestandobjekts nicht vorhersehbar gewesen und erst später eingetreten seien. Abgesehen davon könne aber auch eine Rückkehr in das Bestandobjekt erst nach mehreren Jahren noch als "'in naher Zukunft'" angesehen werden. Im Zeitpunkt der Wohnungsweitergabe sei lediglich der Zeitraum der Abwesenheit des Beklagten - je nach der Zeitspanne seiner bereits damals geplanten Mitarbeit an einem Forschungsprojekt einer englischen Universität - ungewiss gewesen. Der zukünftige Bedarf am Bestandobjekt sei konkret jedoch immer gegeben gewesen, müsse doch der Beklagte als Stipendiat nach von ihm zu erfüllenden Förderungsbedingungen nach Österreich zurückkehren und eine Berufstätigkeit an einer Grazer Universitätsklinik aufnehmen. Deshalb sei das Zeitelement des einschlägigen Kündigungstatbestands nach einem "für den Mieter großzügigen Maßstab" auszulegen, nähmen doch Ausbildungs- und Forschungstätigkeiten "im medizinischen Bereich" erfahrungsgemäß auch längere Zeiträume in Anspruch. Unsicherheiten in der Prognose über den Zeitpunkt der Gewährung eines Stipendiums dürften nicht zu Lasten des Beklagten gehen. Dieser habe daher bereits bei Weitergabe der Wohnung konkreten Bedarf am Bestandobjekt "in naher Zeit" gehabt. Demzufolge sei der Kündigungsgrund gemäß § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall nicht verwirklicht. Daran ändere die gänzliche Untervermietung der Wohnung nichts. Es sei daher auch nicht von Bedeutung, wie oft der Beklagte in der Vergangenheit fallweise im Bestandobjekt genächtigt habe.

Das Berufungsgericht erklärte die Aufkündigung für "wirksam" und gab dem Räumungsbegehren statt. Es sprach ferner aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass die Frage nach der Berechtigung der Aufkündigung lediglich nach dem Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG zu prüfen sei. Es treffe auch zu, dass es bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "'offenbar in naher Zeit'" nicht so sehr auf den Zeitraum, als auf eine gesicherte Zukunftsprognose über den zukünftigen Bedarf des Bestandnehmers ankomme. Die insoweit herrschende Ansicht beschränke sich jedoch auf die Aussage, "dass der prognostizierte Abwesenheitszeitraum 'auch ein Jahr übersteigen'" könne. Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 7 Ob 654/92 (= MietSlg 45.386), auf die sich das Erstgericht als Stütze für seine Lösung berufen habe, sei ein "'in naher Zukunft'" wieder eintretender Bedarf des Mieters am Bestandobjekt trotz dessen mehrjährigen Abwesenheit aus besonderen Gründen "gerade noch" bejaht worden. Eine Änderung der Umstände nach Weitergabe des Bestandobjekts, die die Rückkehr des Mieters betreffe, dürfe nicht zu Lasten des Vermieters gehen. Es müsse vielmehr bereits im Zeitpunkt der Weitergabe "eine feste und 'gesicherte' Rückkehrabsicht in naher Zeit" bestehen. Die "konkrete Notwendigkeit des Wiedereinzuges" des Mieters in das Bestandobjekt müsse daher vorhersehbar gewesen sein. Der Beklagte habe zunächst eine Abwesenheit von drei Jahren geplant, diese habe sich dann aber wegen einer Verzögerung in der Gewährung eines Stipendiums um zwei weitere Jahre verlängert. Im Anlassfall sei "schon im Zeitpunkt der Weitergabe (im September 1999) die - überdies nicht gesicherte - Zukunftsprognose auf einen zu langen Zeitraum (3 Jahre) angelegt" gewesen, "sodass der Beklagte den Mietgegenstand von vornherein nicht 'offenbar in naher Zeit' dringend für sich" benötigt habe. Dazu komme noch, "dass sich die - von vornherein ungewisse - Zukunftsprognose als falsch" herausgestellt habe "und die Rückkehr in Wahrheit erst für Herbst 2004 geplant" sei. Damit sei aber der Kündigungsgrund gemäß § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG erfüllt. Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO seien nicht zu lösen gewesen, weshalb für die Zulassung der ordentlichen Revision kein Anlass bestanden habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergeben wird, wegen einer zur Entwicklung der Rechtsprechung gebotenen Klarstellung zulässig; sie ist auch berechtigt.

1. Kündigungsgrund § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG

1. 1. Rechtsprechung

Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG setzt nach dem Gesetzeswortlaut voraus, dass der Mieter den gänzlich weitergegebenen Mietgegenstand offenbar in naher Zukunft weder für sich noch für eintrittsberechtigte Personen nach § 14 Abs 3 MRG dringend benötigen wird. Nach einer Leitlinie der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist bei der Prognose, ob der Mieter den Mietgegenstand offenbar auch in naher Zukunft nicht für sich oder eine eintrittsberechtigte Person dringend benötigen wird, nicht auf den Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung, sondern auf jenen der Weitergabe des Mietgegenstands abzustellen (8 Ob 349/99b; 7 Ob 654/92 = MietSlg 45.386; 8 Ob 591/92; 6 Ob 661/87 = MietSlg 39.435/49; 1 Ob 603/85 = MietSlg 37.421). Bei dieser Beurteilung sind Ereignisse unbeachtlich, die für den Mieter unvorhersehbar erst nach Weitergabe des Mietgegenstands oder gar erst nach Zustellung der Aufkündigung eingetreten sind. Unter dem Begriff "offenbar in naher Zeit" wird nur ein konkreter zukünftiger Bedarf verstanden; dabei kommt es "nicht so sehr auf den Zeitraum", sondern "auf die gesicherte Zukunftsprognose" an (8 Ob 349/99b; ebenso idS 8 Ob 591/92; 1 Ob 603/85 = MietSlg 37.421). Vor diesem Hintergrund ist in der - im Schrifttum gebilligten ( Würth/Zingher/Kovanyi , Miet- und Wohnrecht21 § 30 MRG Rz 34; Würth in Rummel , ABGB³ § 30 MRG Rz 26) - Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs immer wieder die Rede davon, der erörterte Zeitraum könne durchaus "ein Jahr übersteigen" (8 Ob 349/99b; 6 Ob 2124/96p; 8 Ob 591/92; 1 Ob 603/85 = MietSlg 37.421); sie erschöpft sich jedoch - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - nicht in dieser Aussage. Das Tatbestandsmerkmal "offenbar in naher Zeit" kann vielmehr auch durch Zeiträume, die ein Jahr erheblich übersteigen, verwirklicht sein:

So sollte etwa nach dem Sachverhalt der Entscheidung 7 Ob 654/92 (= MietSlg 45.386) ein ab 1. 10. 1989 begründetes Untermietverhältnis - auf Grund der im Zeitpunkt der Weitergabe getroffenen Absprachen - jedenfalls im Frühjahr 1992 enden. Tatsächlich zogen die Untermieter bereits Ende Juni 1991 aus. Angesichts der Vereinbarung über die Beendigung des Untermietverhältnisses im Frühjahr 1992 und des weiteren entscheidungswesentlichen Sachverhalts hielt der Oberste Gerichtshof fest, dass es unter den "ganz besonderen Umständen" des Einzelfalls "noch vertretbar" sei, "bei einer Weitergabe im Oktober 1989 ein spätestens im Frühjahr 1992 wieder eintretendes Wohnbedürfnis noch als 'in naher Zukunft' zu werten", weil die Gekündigte in der Wohnung ihres Lebensgefährten lediglich eine Schlafstätte gehabt habe und deren Aufenthalt dort "hauptsächlich auf ihre berufliche Tätigkeit (nächtliche Betreuung der Altersheimbewohner) zurückzuführen war".

Noch weiter geht die Entscheidung 6 Ob 661/87 (= MietSlg 39.435/49). Betroffen war der Fall einer teilweisen Weitergabe des Bestandobjekts durch Untervermietung. Insoweit ist wesentlich, dass die teilweise Weitergabe nach einem weiteren Tatbestand des § 30 Abs 2 Z 4 MRG dann der gänzlichen Weitergabe gleichsteht, wenn "die nicht weiter gegebenen Teile der Wohnung nicht zur Befriedigung des Wohnbedürfnisses des Mieters oder der eintrittsberechtigten Personen regelmäßig verwendet werden". In diesem Kontext betonte der Oberste Gerichtshof ausdrücklich, es sei bei der gebotenen Zukunftsprognose auch zu berücksichtigen, dass "eine berufs- oder studienbedingte Abwesenheit der Beklagten bzw ihrer Kinder nur insoferne eine Ausnahme vom Kündigungsgrund" bilden könne, "als es sich dabei um eine vorübergehende Nichtbenützung der Wohnung" handle. Es könnte aber "auch eine jahrelange Abwesenheit aus diesen Gründen" die Aufkündigung nur dann rechtfertigen, wenn kein konkreter Rückkehrtermin feststehe, wobei bloß auf ungewisse, in der Zukunft liegende Ereignisse nicht Bedacht zu nehmen sei (wohl deshalb betont etwa Schuster in Schwimann , ABGB² § 30 MRG Rz 26, lediglich das Erfordernis einer "gesicherten Zukunftsprognose"). Als Stütze für dieses Ergebnis wurde u. a. die noch zu § 19 Abs 2 Z 13 MG ergangene Entscheidung 8 Ob 539/81 (= MietSlg 34.470) ins Treffen geführt. Dieser Tatbestand entsprach fast wörtlich jenem des § 30 Abs 2 Z 6 MRG. Der Mieter musste lediglich aus "zwingenden" beruflichen Gründen abwesend sein.

Die Begründung, dass eine "jahrelange Abwesenheit" des Mieters aus beruflichen Gründen einer rechtswirksamen Aufkündigung entgegenstehen kann, ist, wie sich näher aus den Erwägungen zu 1. 2. ergeben wird, deshalb von Bedeutung, weil die herrschende Ansicht den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 MRG gegenüber jenem des § 30 Abs 2 Z 6 MRG als lex specialis ansieht und die Konkurrenz dieser Tatbestände dahin beurteilt, dass alle Fälle der Wohnungsweitergabe lediglich dem § 30 Abs 2 Z 4 MRG, nicht dagegen auch dem § 30 Abs 2 Z 6 MRG zu unterstellen seien; Zweck der letzteren Bestimmung sei es, der Hortung mehrerer Wohnungen durch denselben Mieter entgegenzuwirken (1 Ob 218/97h = MietSlg 50.412/5; 3 Ob 558/95 = MietSlg 47.365/28; Schuster aaO § 30 MRG Rz 22; Würth/Zingher/Kovanyi aaO § 30 MRG Rz 34; Würth aaO § 30 MRG Rz 21). Für die weiteren Erwägungen ist es überdies noch relevant, dass unter Wohnungsweitergabe im Sinne des § 30 Abs 2 Z 4 MRG jede entgeltliche oder unentgeltliche Gebrauchsüberlassung verstanden wird (1 Ob 603/85; siehe überdies RIS Justiz RS0070718).

1. 2. Wertung

Die bisherige Rechtsprechung belegt, dass bei der Auslegung des Kündigungsgrunds nach § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG die Dauer der Nichtbewohnung des Bestandobjekts durch den Hauptmieter nicht ausschlaggebend ist, wenn dessen vorübergehende Abwesenheit auf berufliche Gründe oder die Absolvierung eines Studiums zurückzuführen ist, solange nur der Hauptmieter - auf dem Boden einer gesicherten Zukunftsprognose - bereits im Zeitpunkt der Weitergabe des Bestandobjekts einen konkreten zukünftigen Bedarf an der späteren Wiederbenützung der Wohnung hat. Diese Ansicht beruht offenkundig unausgesprochen auf dem Gedanken, dass die eine rechtswirksame Kündigung ausschließende, bei Anwendbarkeit der Generalklausel des § 30 Abs 2 Z 6 MRG zeitlich nicht limitierte Abwesenheit des Hauptmieters "zu Kur- oder Unterrichtszwecken oder aus beruflichen Gründen" auch für die Auslegung des Kündigungsgrunds nach § 30 Abs 2 Z 4 MRG als lex specialis mitbestimmend ist, soweit dessen erster Fall eingreift, demnach das Bestandobjekt - wegen eines zukünftigen dringenden Bedarfs des Hauptmieters - nicht der Hortung mehrerer Wohnungen dient, es der Hauptmieter entweder unentgeltlich oder zumindest nicht gegen eine im Vergleich zu dem von ihm zu entrichtenden Mietzins unverhältnismäßig hohe Gegenleistung befristet weitergab und im Zeitpunkt der Weitergabe das zukünftige dringende Wohnbedürfnis des Hauptmieters, das in dem von der Kündigung betroffenen Bestandobjekt befriedigt werden soll, - nach einer gesicherten Zukunftsprognose - konkret feststeht. Es ist in der Tat nicht zu erkennen, weshalb im Fall der vorübergehenden Abwesenheit des Hauptmieters aus Studiengründen die unentgeltliche, die zwar entgeltliche, aber ertraglose oder die bloß einen nicht ins Gewicht fallenden Gewinn bringende befristete Weitergabe des Bestandobjekts bei Beurteilung der Verwirklichung der erörterten Kündigungsgründe eine grundlegend andere Wertung als das Leerstehen der Wohnung des Hauptmieters bis zur Beendigung seiner Studien erfordern soll. Die bisherigen Erwägungen sind daher - in Orientierung an dem im Anlassfall maßgebenden Sachverhalt - wie folgt zusammenzufassen:

Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG ist nicht verwirklicht, sofern das Bestandobjekt - wegen eines zukünftigen dringenden Bedarfs des Hauptmieters - nicht der Hortung mehrerer Wohnungen dienen soll, es der Hauptmieter bis zum Abschluss seiner Berufsausbildung durch weiterführende Studien für die nach den Studienplänen vorgesehene und nach praktischen Erfahrungen gewöhnlich erforderliche Zeit entweder unentgeltlich oder jedenfalls nicht gegen eine im Vergleich zu dem von ihm zu entrichtenden Mietzins unverhältnismäßig hohe Gegenleistung befristet weitergab und dessen zukünftiges dringendes Wohnbedürfnis, das in dem von der Kündigung betroffenen Bestandobjekt befriedigt werden soll, - nach einer gesicherten Zukunftsprognose im zuvor erörterten Sinn und daher bloß insoweit "in naher Zeit" - im Zeitpunkt der Weitergabe bereits konkret feststeht.

2. Lösung des Anlassfalls

2. 1. Nach den getroffenen Feststellungen strebte der Beklagte im Zeitpunkt der Weitergabe des Bestandobjekts die Realisierung eines bestimmten Ausbildungsplans durch die Absolvierung weiterführender Studien im Ausland an. Bereits damals war konkret vorhersehbar, dass dessen weiterführende Ausbildung entweder insgesamt ein Jahr, drei Jahre oder einen noch längeren Zeitraum in Anspruch nehmen wird. Da der Beklagte offenkundig der Zuerkennung eines Stipendiums bedurfte, um seine berufliche Qualifikation durch weiterführende Studien zu erhöhen, Stipendien jedoch erfahrungsgemäß nicht ohne weiteres, sondern nur nach Erfüllung der nach den jeweiligen Förderungsbestimmungen geregelten Voraussetzungen gewährt werden, war im Zeitpunkt der Weitergabe des Bestandobjekts auch bereits konkret vorhersehbar, dass sich die Gewährung des angestrebten Stipendiums mangels "Erstautorenschaft" des Beklagten verzögern sich und daher auch der zunächst in Aussicht genommene Zeitraum der Abwesenheit vom Bestandobjekt verlängern kann. Im Zeitpunkt der Weitergabe des Bestandobjekts war überdies unter der Annahme einer zielstrebig vorangetriebenen Berufsausbildung auch schon konkret vorhersehbar, dass der Beklagte - entsprechend seinem bisherigen Ausbildungsgang - in der Zeit bis zur Gewährung eines Stipendiums - sei es in Graz, sei es anderswo - die notwendige Praxis in sogenannten "Gegenfächern" erwerben wird, um seine Berufsausbildung möglichst ohne Zeitverlust abzuschließen.

2. 2. Der Kläger verficht die Ansicht, er müsse "als Vermieter mehr oder weniger weitere, sich dem Mieter in Zukunft bietende Ausbildungsmöglichkeiten bzw Weiterbildungsmöglichkeiten - mietrechtlich betrachtet - nicht hinnehmen", andernfalls wäre ein Vermieter sich sukzessive erweiternden Ausbildungsplänen des Mieters "'auf Gedeih und Verderb' ausgeliefert ..., was - bei derart langen Zeiträumen - gleichsam schon beinahe einer 'Enteignung'" entspreche. Es dürfe nicht im Belieben des Mieters stehen, nach Abschluss eines Studiums im Voraus "in keinster Weise" vorhersehbare weitere Lehrgänge zu belegen, könnte der Mieter doch sonst die Verwirklichung des geltend gemachten Kündigungsgrunds "auf Dauer" verhindern. Diese Argumentation ist feststellungsfremd, war doch bereits bei Weitergabe des Bestandobjekts prognostisch klar, dass der Beklagte an einem Forschungsprojekt an der Universität Cambridge in der Dauer von insgesamt drei Jahren mitarbeiten wird, sobald ihm das dafür nach seiner wirtschaftlichen Lage erforderliche Stipendium gewährt worden sein sollte. Dass der Beklagte als Akademiker, der sein Studium gerade abschloss, noch nicht über die als Gewährungsvoraussetzung erforderliche "Erstautorenschaft" verfügte, war ebenso klar. Prognostisch erwartbar war jedoch, dass er eine entsprechende Publikation - nach Ablehnung des ersten Förderungsansuchens wegen des Mangels einer "Erstautorenschaft" - anstreben wird. Der Beklagte hat den Abschluss seiner weiterführenden Berufsausbildung nach einem im Voraus bekannten Ausbildungsplan insgesamt zielstrebig verfolgt, sodass - im Licht der unter 1. 2. erläuterten Rechtslage - entgegen der Ansicht des Klägers nicht zu erkennen ist, dass der Mieter die Verwirklichung des geltend gemachten Kündigungsgrunds durch immer weitere Ausbildungslehrgänge "auf Dauer" verhindern könnte. Die Situation des Klägers als Vermieter ist auch nicht der eines "Enteigneten" gleichzuhalten, erhält er doch den Mietzins als Gegenleistung für den Gebrauch des Bestandobjekts.

Als Ergebnis aller bisherigen Erwägungen ist somit der Ansicht des Erstgerichts beizutreten, dass der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG hier nicht verwirklicht ist. Somit ist das Ersturteil wiederherzustellen. Anzumerken bleibt, dass die Kündigung nicht auf eine befristete Weitergabe des Bestandobjekts gegen eine im Vergleich zu dem vom Beklagten zu entrichtenden Mietzins unverhältnismäßig hohe Gegenleistung gestützt wurde.

3. Kosten

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
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