JudikaturJustiz1Ob178/01k

1Ob178/01k – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Januar 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei eingetragenen Verein J*****, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen EUR 148.125,02 (= S 2,038.244,80) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 22. Februar 2001, GZ 2 R 36/01p-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 17. November 2000, GZ 8 Cg 133/00m-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die in der Abweisung eines Teilbetrags von S 74.396,13 (= EUR 5.406,58) sA durch das Erstgericht als unbekämpft unberührt bleiben, werden im übrigen Umfang dahin abgeändert, dass die erstinstanzliche Entscheidung - unter Einschluss des bereits rechtskräftig erledigten Teilbegehrens -insgesamt wie folgt zu lauten hat:

"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei EUR 153.531,60 (= S 2,112.640,93) samt 4 % Zinsen aus EUR 149.659,63 (= S 2,059.361,49) vom 10. September 1996 bis 27. September 1999, aus EUR 152.445,54 (= S 2,097.696,53) vom 28. September 1999 bis 13. Dezember 1999 und aus EUR 153.531,60 (= S 2,112.640,93) seit 14. Dezember 1999 zu zahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 17.007,59 (= S 234.029,54) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin EUR 10.116,79 [= S 139.210] Barauslagen) binnen 14 Tagen zu zahlen."

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 6. Juni 1996 verstorbene Erblasserin setzte in ihrem Testament vom 23. Jänner 1996 die klagende Partei als Alleinerbin ein. Mit Einantwortungsurkunde vom 27. Juni 2000 wurde der Nachlass aufgrund dieses Testaments der klagenden Partei, die eine unbedingte Erbserklärung abgegeben hatte, eingeantwortet.

Die Erblasserin hatte einem Dritten zwei Sparbücher geschenkt.

Der Dritte hatte überdies weitere - jedenfalls ganz überwiegend durch Losungswort gesicherte - Sparbücher der Erblasserin "entgegen genommen": Sechs Sparbücher bei einer Sparkasse mit einem Gesamteinlagestand von S 1,718.033, ein Sparbuch bei einer Hypobank mit einem Einlagestand von S 160.909, zwei Sparbücher bei einer Sparkasse mit Einlagen von S 91,93 und S 64,88 sowie ein Sparbuch bei einer Raiffeisenbank mit einem Einlagestand von S 10.

Am 10. September 1996 realisierte der Dritte die vorher erwähnten sechs Sparbücher und legte deren Realisat in zwei neuen Sparbüchern bei einer Sparkasse mit einem Einlagestand von je S 859.000 an. Zwei Tage später hob der Dritte vom Sparbuch bei der Hypobank die gesamte Einlage ab und legte noch am selben Tag bei einer Hypobank ein Sparbuch mit einer Einlage von S 130.000 an; dessen Einlagestand belief sich am 7. Oktober 1996 angesichts inzwischen getätigter Abhebungen auf S 99.900. Weiters hatte der Dritte schon am 2. September 1996 bei einer Sparkasse zwei Sparbücher mit Einlagen von je S 102.182 angelegt; deren Einlagestände veränderten sich aufgrund von Abhebungen und betrugen am 9. September 1996 S 52.182 bei dem einen und am 13. September 1996 S 40.182 bei dem anderen Sparbuch.

Aufgrund einer Anzeige der klagenden Partei vom 7. Oktober 1996 leitete die Staatsanwaltschaft gegen den Dritten Vorerhebungen wegen des Verdachts des Verbrechens des schweren Diebstahls bzw des schweren Betrugs ein, weil er verdächtigt werde, dass er nach dem Ableben der Erblasserin zum Nachteil der Verlassenschaft mehrere Sparbücher im Wert von etwa 2 Mio S an sich genommen und realisiert habe, um sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern. Im Verlauf des Strafverfahrens wurden alle vom Beklagten an sich genommenen und neu angelegten Sparbücher beschlagnahmt und bei der Verwahrungsabteilung des Oberlandesgerichts hinterlegt. Die klagende Partei schloss sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligte an und stellte mit Eingabe vom 22. Mai 1997 den Antrag:

"Die beschlagnahmten und verwahrten Sparbücher wollen zur Verlasssache ... beim Bezirksgericht ... zu ... verwahrt werden. In eventu: Für den Fall, dass diesem Antrag nicht stattgegeben wird, wollen nach Aufhebung der Beschlagnahme über diese 17 Sparbücher alle diese 17Sparbücher der Privatbeteiligten ... zu Handen des Vertreters ausgefolgt werden."

In der Schlussphase des sich längere Zeit hinziehenden Strafverfahrens sprach der Dritte wiederholt beim Staatsanwalt und beim Untersuchungsrichter wegen rascher Beendigung des Strafverfahrens vor, drängte auf Ausfolgung der beschlagnahmten Sparbücher an ihn und beteuerte dabei stets, die Sparbücher gehörten ihm; er allein sei darüber verfügungsberechtigt.

Am 20. März 1998 erklärte der Staatsanwalt, keinen Grund zur weiteren gerichtlichen Verfolgung des Dritten zu finden (§ 90 StPO). Von der Einstellung des Strafverfahrens wurde die klagende Partei als Privatbeteiligte nicht verständigt. Bei rechtzeitiger Mitteilung von der Zurücklegung der Anzeige hätte die klagende Partei umgehend ihren Rechtsvertreter kontaktiert und ihn ersucht, sich darum zu kümmern, ob "ihr Antrag vom 22. Mai 1997 erledigt wurde".

Mit Beschluss vom 25. März 1998 ordnete der Untersuchungsrichter die Ausfolgung der beschlagnahmten und bei der Verwahrungsabteilung hinterlegten Sparbücher an den Dritten an; diese wurden ihm noch am selben Tag ausgefolgt. Die Ratskammer gab mit Beschluss vom 2. Dezember 1998 der Beschwerde der klagenden Partei gegen diesen Beschluss mit der Maßgabe keine Folge, dass die Verletzung des Gesetzes in den Bestimmungen des § 367 Abs 2 Z 2 und Abs 3 StPO festgestellt wurde. In der Begründung dieser Entscheidung heißt es ua:

"Die Beschwerde, der entgegenzuhalten ist, dass die Privatbeteiligte beim Untersuchungsrichter die gerichtliche Hinterlegung der Sparbücher nicht beantragte, erweist sich jedoch insoweit als berechtigt, als durch die von der Zurücklegung der Anzeige (§ 90 StPO) unterbliebene Entscheidung über die Anträge der Privatbeteiligten vom 21. 5. 1997 ... die gesetzliche Bestimmung des § 367 Abs 2 Z 2 und Abs 3 StPO verletzt worden ist. Als Folge hievon ist es am 25. 3. 1998 zur Ausfolgung der Sparbücher an ... (Dritten) gekommen ... . Im Falle der Nichtstattgabe des Ausfolgungsantrages der Privatbeteiligten wäre (während des anhängigen Verfahrens) gemäß § 367 Abs 3 StPO die Hinterlegung der Sparbücher zu erwägen gewesen. ..."

Der Dritte realisierte noch am Tag der gerichtlichen Ausfolgung die Einlagen von vier Sparbüchern im Gesamtbetrag von S 1,875.955.

In dem am 29. April 1998 anhängig gemachten Rechtsstreit belangte die klagende Partei den Dritten auf Zahlung von S 2,145.520 und beantragte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung dahin, dass es zur Sicherung ihrer Klagsforderung näher bezeichneten Kreditinstituten verboten werde, Verfügungen, insbesondere Auszahlungen aus den näher bezeichneten Sparbüchern, vorzunehmen. Der Sicherungsantrag wurde abgewiesen, weil auf Sparguthaben nicht nur im Exekutionsverfahren, sondern auch bei Erlassung einstweiliger Verfügungen nach § 382 EO nicht durch Drittverbot, sondern nur in der in § 296 EO vorgesehenen Weise gegriffen werden könne. Im Hauptverfahren obsiegte die klagende Partei zufolge des mit berufungsgerichtlichem Urteil vom 28. September 1999 bestätigten Ersturteils vom 23. März 1999 mit einem Teil des Begehrens von S 1,878.942. Dabei nahm das Gericht eine Schenkung der beiden weiter oben erwähnten Sparbücher an den Dritten an. Was hingegen die übrigen Sparbücher anlange, könne nicht festgestellt werden, dass dem Dritten von der Erblasserin zu deren Lebzeiten bereits sieben Sparbücher mit einer Gesamteinlage von S 1,878.942 geschenkt worden seien. In diesem Rechtsstreit und dem folgenden - im Übrigen erfolglosen -Exekutionsverfahren entstanden der klagenden Partei Kosten von S 180.419,49, S 38.335,04 und S 14.944,40.

Die klagende Partei begehrte vom beklagten Rechtsträger aus dem Titel der Amtshaftung die Zahlung von S 2,112.640,93 sA und brachte dazu im Wesentlichen vor, dadurch, dass der Untersuchungsrichter entgegen den zwingenden Bestimmungen des § 367 StPO und in Missachtung eines entsprechenden Antrags der klagenden Partei die Sparbücher gerichtlich zu hinterlegen unterlassen habe, sei ihr ein Schaden in der Höhe des geltend gemachten Begehrens entstanden. Bei rechtmäßigem Alternativverhalten hätte die klagende Partei die Möglichkeit gehabt, auf die Sparbücher zu greifen und sich daraus zu befriedigen.

Die beklagte Partei wendete-soweit bedeutsam-ein, der Dritte habe jene Sparbücher, deren Schenkung nicht nachgewiesen worden sei, bereits vor deren Beschlagnahme realisiert. Es sei daher auszuschließen, dass die klagende Partei gegenüber dem Dritten in einem Erlagsverfahren nach § 1425 ABGB bessere Rechte hätte nachweisen können. Außerdem fehle der Rechtswidrigkeitszusammenhang, weil der von der klagenden Partei behauptete Schaden vom Schutzzweck des § 367 StPO nicht umfasst sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit S 2,038.244,80 statt und wies das Mehrbegehren von S 74.376,13 (richtig: S 74.896,13) ab. Der Schadenersatzanspruch sei dem Grunde nach berechtigt. Der Untersuchungsrichter sei als Organ in Vollziehung der Gesetze tätig geworden. Die Verletzung des Gesetzes in den Bestimmungen des § 367 Abs 2 Z 2 und Abs 3 StPO habe die Ratskammer bindend festgestellt. Die Unterlassung einer Entscheidung über den Ausfolgungsantrag widerspreche der klaren Rechtslage. Der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen den Vorschriften der StPO über die Beschlagnahme und den Interessen eines Geschädigten möge bei der Beschlagnahme zu verneinen sein; das gelte indes nicht für die Vorschriften über die Ausfolgung nach § 367 StPO. Dem Einwand der beklagten Partei, auch bei Hinterlegung der Sparbücher wäre für die klagende Partei nichts gewonnen, sei entgegenzuhalten, dass es der klagenden Partei bei jenen Sparbüchern, deren Einlage aus dem Realisat der Sparbücher der Erblasserin herrühre, auf jeden Fall im Erlagsverfahren gelungen wäre, das bessere Recht nachzuweisen. Die Ausfolgung der weiteren Sparbücher an den Dritten hätte jedenfalls durch eine Exekution zur Sicherstellung nach § 296 EO verhindert werden können, weil die klagende Partei bereits am 29. April 1998 die Klage gegen den Dritten eingebracht habe. Dem Einwand, der klagenden Partei wäre kein Schaden entstanden, hätte sie statt der im Vorverfahren beantragten einstweiligen Verfügung in Form eines Drittverbots Maßnahmen nach § 296 EO beantragt, sei zu entgegnen, dass der beklagten Partei der Beweis, dadurch wären tatsächlich jene Sparbücher, die rechtswidrigerweise an den Dritten ausgefolgt worden seien, für eine exekutionsweise Befriedigung noch zur Verfügung gestanden, nicht gelungen. Der Dritte habe noch am Tag der gerichtlichen Ausfolgung vier Sparbücher im Wert von S 1,875.955 realisiert.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Die Sparbücher mit einem Einlagestand von insgesamt S 1,878.942 bzw die in diesen Sparbüchern verbrieften Forderungen gegenüber den beiden Geldinstituten seien in der genannten Höhe Gegenstand des Nachlasses gewesen. Auch wenn der Dritte diese nicht in seinem Eigentum stehenden Sparbücher realisiert und mit dem Realisat neue Sparbücher eröffnet habe, müsse wohl davon ausgegangen werden, dass die neuen Sparbücher an die Stelle der alten getreten seien, sodass - zumindest was die Zugehörigkeit zur Verlassenschaft betreffe - die Identität zwischen den neuen und den alten Sparbüchern anzunehmen sei. An den Eigentumsverhältnissen der klagenden Partei als Gläubigerin der in den Sparbüchern verbrieften Forderungen habe sich daher nichts geändert.

Die klagende Partei habe sich dem gegen den Dritten eingeleiteten Strafverfahren als Privatbeteiligte angeschlossen und mit Schriftsatz vom 22. Mai 1997 beantragt, die beschlagnahmten und verwahrten Sparbücher zur Verlasssache zu verwahren, in eventu nach Aufhebung der Beschlagnahme der Sparbücher diese der Privatbeteiligten auszufolgen. Die klagende Partei habe mit dieser Eingabe deutlich zum Ausdruck gebracht, sie sei zur Verfügung über die Sparbücher sowie, deshalb die Ausfolgung zu begehren, berechtigt gewesen. Der Dritte habe sich im Strafverfahren dahin verantwortet, dass ihm die Sparbücher seinerzeit von der Erblasserin geschenkt worden seien, weshalb er rechtmäßiger Eigentümer dieser Vermögenswerte sei. Der Untersuchungsrichter habe deshalb angesichts der Antragstellung der Privatbeteiligten vom 22. Mai 1997 zwei Anspruchswerber vor sich gehabt, sodass bereits zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine Hinterlegung der Sparbücher nach § 367 Abs 2 Z 2 und Abs 3 StPO vorgelegen seien. Die Aufrechterhaltung der Beschlagnahme zu Beweiszwecken, somit die Verwahrung der Originalsparbücher, sei nicht mehr erforderlich gewesen, weil Kopien für den Fortgang der Vorerhebungen ausgereicht hätten. Auch sei zum damaligen Zeitpunkt das Strafverfahren gegen den Dritten noch anhängig gewesen, sodass die beschlagnahmten Objekte auch den deliktsspezifischen Schädigungsbezug aufgewiesen hätten. Der Untersuchungsrichter hätte daher über den Antrag der klagenden Partei vom 22. Mai 1997 entscheiden und gemäß § 367 Abs 2 Z 2 und Abs 3 StPO die Sparbücher nach Aufhebung der Beschlagnahme gemäß § 1425 ABGB beim Erlagsgericht hinterlegen müssen. Demgegenüber habe er jedoch diesen Antrag nahezu zehn Monate hindurch ignoriert und erst nach Einstellung des gegen den Dritten geführten Strafverfahrens vom 20. März 1998 mit Beschluss vom 25. März 1998 die Aufhebung der Beschlagnahme und die Ausfolgung der Sparbücher an den Dritten verfügt. Möglicherweise sei die Entscheidung des Untersuchungsrichters vom 25. März 1998 (Ausfolgung der verwahrten Sparbücher an den Dritten als zu einem Zeitpunkt, zu dem das Strafverfahren bereits eingestellt gewesen sei, zu Recht erfolgt bzw zumindest vertretbar gewesen. Immerhin gebe es keine ausdrückliche gesetzliche Anordnung darüber, ob beschlagnahmte Sachen bei Freispruch oder Verfahrenseinstellung regelmäßig jener Person zurückzustellen seien, gegen die sich die Beschlagnahme gerichtet habe, oder ob sie nach § 367 Abs 3 StPO zu hinterlegen seien, wenn zwischen einem ehemals Verdächtigen oder Beschuldigten und dem Privatbeteiligten über die Ausfolgung Uneinigkeit bestehe. Das haftungsbegründende Verschulden des Untersuchungsrichters als Organ der beklagten Partei liege daher nicht in der Beschlussfassung vom 25. März 1998 und in der darin verfügten Ausfolgung der Sparbücher an den Dritten, sondern in der nahezu zehn Monate währenden Untätigkeit im Zusammenhang mit dem Antrag der klagenden Partei vom 22. Mai 1997. Erst durch die Nichterledigung dieses Antrags innerhalb angemessener Frist bzw das Zuwarten mit einer Entscheidung über diesen Antrag bis zu Einstellung des gegen den Dritten geführten Strafverfahrens habe der Untersuchungsrichter jene Verfahrenslage geschaffen, die die Ausfolgung der Sparbücher an den Dritten ermöglicht habe. Hätte er innerhalb angemessener Frist über den Antrag vom 22. Mai 1997 entschieden und die Hinterlegung der Sparbücher gemäß § 1425 ABGB verfügt, so hätte dieser Hinterlegungsbeschluss trotz nachfolgender Einstellung des Strafverfahrens nicht mehr nachträglich aufgehoben werden können. In diesem Falle wäre es der klagenden Partei möglich gewesen, im Erlagsverfahren das - gegenüber dem Dritten - bessere Recht an den Sparbüchern nachzuweisen und deren Ausfolgung im Zivilrechtsweg zu erreichen.

§ 367 Abs 3 StPO sei Schutznorm zugunsten des Privatbeteiligten. Sinn dieser Bestimmung könne es nur sein, ein beschlagnahmtes Objekt durch gerichtliche Hinterlegung dem faktischem Zugriff der Forderungsprätendenten so lange zu entziehen, bis die rechtlichen Verhältnisse an dem Beschlagnahmeobjekt im Zivilrechtsweg endgültig geklärt seien. Würde man der erwähnten Bestimmung diesen Sinn nicht beimessen, wäre sie zur Gänze obsolet, weil dann der beschlagnahmte Gegenstand in jedem Fall und regelmäßig ausschließlich an jenen herauszugeben sei, gegen den sich die Beschlagnahme gerichtet habe. Im Ergebnis habe der Untersuchungsrichter durch die Nichterledigung des Antrags der klagenden Partei und die daraus resultierende Nichtanwendung des § 367 Abs 2 Z 2 und Abs 3 StPO eine Schutznorm verletzt. Angesichts der damit verbundenen Beweislastumkehr obliege der beklagten Partei der Beweis, dass der Schaden (Verlust der Sparbücher und der damit verbundenen Vermögenswerte) auch dann eingetreten wäre, hätte der Untersuchungsrichter die Hinterlegung der Sparbücher beim Erlagsgericht nach § 1425 ABGB verfügt. Diesen Beweis habe die beklagte Partei nicht erbracht, sodass das Erstgericht im Ergebnis zu Recht die Schadenersatzpflicht des beklagten Rechtsträgers bejaht habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist zulässig und auch berechtigt.

Die klagende Partei stützt ihren Amtshaftungsanspruch ausdrücklich (Klageschrift, S. 6) darauf, dass der Untersuchungsrichter die beschlagnahmten Sparbücher, auf denen der Dritte "jenes Geld", das ihr aus der Erbschaft zustehe, anlegte, diesem "gesetzwidrig" ausgefolgt habe; der klagenden Partei sei der Schaden deshalb entstanden, weil der Untersuchungsrichter entgegen den "zwingenden Bestimmungen des § 367 StPO und unter Missachtung eines diesbezüglichen Antrags" der klagenden Partei "die Gelder bzw Sparbücher nicht gerichtlich hinterlegt" habe. Bei "rechtmäßigem Alternativverhalten" hätte die klagende Partei auf die Sparbücher greifen und sich daraus befriedigen können. Der Untersuchungsrichter habe dadurch gegen die Schutznormen des § 367 Abs 2 Z 2 und Abs 3 StPO, deren Zweck die Sicherung privatrechtlicher Ansprüche sei, verstoßen.

In der Tat stellte die klagende Partei, die sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligte angeschlossen hatte, am 22. Mai 1997 - also etwa sechseinhalb Monate nach der Einleitung der Vorerhebungen durch die Staatsanwaltschaft und etwa zehn Monate vor der Einstellung des Strafverfahrens (gemäß § 90 StPO) und der Ausfolgung der beschlagnahmten Sparbücher an den Beschuldigten (den Dritten) - beim Untersuchungsrichter den Antrag, diese Sparbücher beim Verlassenschaftsgericht (offenbar als Erlagsgericht) zu "verwahren", und hilfsweise, sie nach Aufhebung der Beschlagnahme an die Privatbeteiligte (die klagende Partei) auszufolgen. Es trifft auch zu, dass der Untersuchungsrichter, ohne über diesen Antrag zu entscheiden, nach Einstellung des Strafverfahrens die Ausfolgung der beschlagnahmten Sparbücher an den Dritten anordnete.

Nun kann es nicht zweifelhaft sein, dass der Untersuchungsrichter über den erkennbar auf die Bestimmungen des § 367 StPO gestützten Antrag der klagenden Partei - als Privatbeteiligte - spätestens im Zuge der Einstellung des Strafverfahrens, jedenfalls aber noch vor Ausfolgung der Sparbücher an den Dritten hätte entscheiden müssen. Der Sache nach wendete der beklagte Rechtsträger dagegen ein, der klagenden Partei wären die von ihm beanspruchten Sparbücher auch dann nicht ausgefolgt worden, wenn der Untersuchungsrichter über deren Antrag vom 22. Mai 1997 unter Bedachtnahme auf § 367 StPO abgesprochen hätte: Denn der Antrag wäre abzuweisen gewesen, weil der Staatsanwalt keinen Grund zur weiteren Verfolgung des Dritten gefunden hatte.

Der in das XXI. Hauptstück der Strafprozessordnung ("Von den Erkenntnissen und Verfügungen des Strafgerichts hinsichtlich der privatrechtlichen Ansprüche") eingeordnete § 367 sieht in Abs 2 vor, dass ein in Abs 1 genannter Gegenstand auf Antrag auch schon vor der Hauptverhandlung durch den Untersuchungsrichter nach Anhörung des Anklägers und des Beschuldigten zurückgestellt werden kann, wenn 1. der Gegenstand zur Herstellung des Beweises nicht oder nicht mehr benötigt wird und 2. weder der Beschuldigte oder ein Dritter bestimmte Tatsachen behaupten, aus denen sich ein Recht auf die Sache ergeben könnte, das der Ausfolgung an den Antragsteller entgegensteht, noch sonst Umstände vorliegen, die die Rechte des Antragstellers zweifelhaft erscheinen lassen. Wird dagegen einem Ausfolgungsantrag nach Abs 2 aus dem Grunde der Z 2 nicht stattgegeben, so ist die Beschlagnahme aufzuheben und der Gegenstand nach § 1425 ABGB bei dem für den Sitz des Gerichts zuständigen Bezirksgericht zu hinterlegen (§ 367 Abs 3 StPO).

Wie schon erörtert, leitet die klagende Partei ihren Ersatzanspruch gegen den beklagten Rechtsträger allein daraus ab, dass der Untersuchungsrichter die beschlagnahmten Sparbücher, statt sie zu hinterlegen, dem Dritten ausgefolgt habe. Ziel der Antragstellung der klagenden Partei im Strafverfahren war es ohne Zweifel, die Ausfolgung der Sparbücher an den Dritten zu verhindern und nicht etwa, die unverzüglich oder doch rasche Entscheidung über ihre Anträge herbeizuführen, musste die klagende Partei doch in diesem Fall die Abweisung ihrer Anträge gewärtigen, weil diese Gegenstände als Beweismittel (noch) nicht entbehrt werden könnten (§ 367 Abs 2 Z 1 StPO). Es ist - abgesehen davon, dass die klagende Partei in Wahrheit ihren Ersatzanspruch darauf gar nicht gründete, - nachgerade unerfindlich, aus welchen nicht näher erörterten Gründen das Gericht zweiter Instanz zum Schluss gelangt, die Sparbücher wären für Beweiszwecke im weiteren Verfahren entbehrlich gewesen, vielmehr hätten Kopien von diesen genügt. Die klagende Partei hat im Übrigen im Verfahren erster Instanz auch gar nicht behauptet, dass die Sparbücher schon vor der Einstellung des Strafverfahrens für Beweiszwecke nicht mehr benötigt worden wären.

In Wahrheit wäre daher eine stattgebende Erledigung der Anträge vom 22. Mai 1997 - wenn überhaupt - erst nach Beendigung des Strafverfahrens in Frage gekommen; aber auch zu diesem Zeitpunkt wären diese Anträge bei pflichtgemäßer Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch den Untersuchungsrichter abzuweisen und die Sparbücher angesichts des Verfahrensausgangs dem Dritten auszufolgen gewesen:

Maleczky (Das Schicksal beschlagnahmter Gegenstände im Strafprozess, in ÖJZ 1997, 456 [458]) vertritt dazu die Auffassung, werde ein Strafverfahren eingestellt oder der Beschuldigte freigesprochen, so entfalle die Rechtfertigung für den Grundrechtseingriff der Beschlagnahme. Unbeschadet der Möglichkeit eines Bedenklichkeitsverfahrens (§§ 375 ff StPO) sei die Beschlagnahme daher aufzuheben. Es gebe allerdings keine ausdrückliche Anordnung, dass die Sache jedenfalls der Person, gegen die sich die Beschlagnahme richtet, zurückzustellen oder dass sie nach § 367 Abs 3 StPO zu hinterlegen sei, wenn der Beschuldigte und der Privatbeteiligte über die Ausfolgung uneinig seien. Gegen letztere Lösung spreche, dass eine Person, gegen die-letztlich-gar kein Strafverfahren geführt wird oder die vom Vorwurf strafbaren Verhaltens freigesprochen wurde, nicht durch staatliche Grundrechtseingriffe, die auch in der Hinterlegung zu erblicken seien, belastet werden solle. Insofern wäre in diesen Fällen der ursprüngliche Zustand wieder herzustellen. Gegen eine Anwendung des § 367 Abs 2 und 3 StPO in den Fällen der Einstellung des Verfahrens spreche zudem die diesen Bestimmungen offenbar unterstellte Voraussetzung, dass das Strafverfahren bis zum Ende (dh bis zum Urteilsspruch) geführt werde. Maleczky gelangte deshalb zum Schluss, werde das Strafverfahren eingestellt oder der Beschuldigte freigesprochen, so sei der Gegenstand jener Person zurückzugeben, gegen die sich die Beschlagnahme richtet, sofern kein Bedenklichkeitsverfahren eingeleitet ist.

Dieser Auffassung ist beizutreten (vgl dazu auch die Entscheidung EvBl 1996/70, der diese Auffassung offenbar zugrunde gelegt ist). Soweit Maleczky beim Vergleich mit jenen Fällen, in denen Gegenstände zunächst völlig zu Recht nach § 367 Abs 3 StPO hinterlegt wurden, das Strafverfahren aber in weiterer Folge eingestellt wird, insofern Bedenken äußert, als eine nachträgliche Aufhebung des Hinterlegungsbeschlusses durch das Strafgericht jedenfalls nicht zulässig zu sein scheine, übersieht er, dass der Gegenstand von der vollzogenen Hinterlegung an ausschließlich das rechtliche Schicksal nach § 1425 ABGB hinterlegter Sachen teilt und nun allein vom Erlags- und nicht vom Strafgericht im Streitfall jenem Erlagsgegner auszufolgen ist, der das bessere Recht für sich in Anspruch nehmen kann (vgl die Nachweise bei Harrer/Heidinger in Schwimann, ABGB 2 § 1425 Rz 38). Da auch kein Bedenklichkeitsverfahren - für das angesichts des Ausgangs des Strafverfahrens auch kein Anlass zu finden ist - eingeleitet war, hätte der Untersuchungsrichter auch bei pflichtgemäßen Überlegungen in Beachtung der Bestimmungen des § 367 Abs 2 Z 2 und Abs 3 StPO und unter Abweisung der Anträge der klagenden Partei vom 22. Mai 1997 die Ausfolgung der Sparbücher an den Dritten verfügen müssen. Die unterlassene Erledigung des Antrags durch den Untersuchungsrichter war daher für den von der klagenden Partei geltend gemachten Schaden bei richtiger Würdigung nicht kausal: Es wäre vielmehr deren Sache gewesen, der Ausfolgung der Sparbücher an den Dritten durch einen - vor Beendigung des Strafverfahrens zu stellenden -Sicherungsantrag gemäß § 379 Abs 2 Z 1 und Abs 3 Z 3 EO entgegenzutreten; nur bei Erlassung einer solchen einstweiligen Verfügung wäre es dem Untersuchungsrichter ungeachtet der Einstellung des Verfahrens verwehrt geblieben, die Sparbücher dem Dritten auszufolgen.

Da die klagende Partei einen solchen Sicherungsantrag nicht gestellt hatte, sondern erst nach Ausfolgung der Sparbücher mit der gegen den Dritten auf Zahlung des Gegenwerts des Realisats aus den Sparbüchern, die zum Nachlass gehörten, gericheten Klage-erfolglos-den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung durch Drittverbot (an genannte Kreditinstitute) verband, hat der Untersuchungsrichter - wie weiter oben ausgeführt - zu Recht die Sparbücher dem Dritten ausfolgen lassen; schon gar nicht aber wäre dieses Verhalten angesichts der dargestellten Rechtslage unvertretbar gewesen.

Gegen dieses Ergebnis kann auch die Entscheidung der Ratskammer als Beschwerdeinstanz im Strafverfahren vom 2. Dezember 1998 nicht mit Erfolg ins Treffen geführt werden. Zur Frage nach der Bindung der Amtshaftungsgerichte an diese Entscheidung (vgl dazu SZ 67/55; SZ 68/133 ua) muss nicht Stellung genommen werden: Die Ratskammer erkannte den Gesetzesverstoß in der Nichterledigung der Anträge der klagenden Partei vom 22.Mai1997; dieser Schluss liegt der Entscheidung des erkennenden Senats ohnehin zugrunde, doch war der Verstoß - wie schon erörtert - für den Schaden nicht ursächlich. Soweit die Ratskammer in der Begründung ihrer Entscheidung indes den Fall erörtert, dass den Anträgen der klagenden Partei nicht stattgegeben worden wäre, ergeht sie sich in Mutmaßungen ("... wäre zu erwägen gewesen..."), die geradezu selbstverständlich eine Bindungswirkung für die Amtshaftungsgerichte nicht zu entfalten imstande sind; im Übrigen hat der erkennende Senat die gebotenen Erwägungen ohnehin angestellt.

Auf die Frage, ob die beschlagnahmten Sparbücher jenen für die in § 367 Abs 2 Z 2 und Abs 3 StPO verankerte strafgerichtliche Fürsorgepflicht durch Hinterlegung nach § 1425 ABGB unerlässlichen deliktsspezifischen Schädigungsbezug aufweisen (vgl EvBl 1996/70 mwN), was wohl an sich zu bejahen sein dürfte (vgl die Wertung des Gesetzgebers in § 165 Abs 4 StGB; vgl auch Bertel/Venier, Grundriss des österreichischen Strafprozessrechts 6 Rz 260), muss deshalb nicht abschließend geklärt werden.

Da nach diesen Ausführungen die gewiss rechtswidrigerweise unterbliebene Erledigung der Anträge der klagenden Partei vom 22. Mai 1997 im Strafverfahren für deren vermögensrechtliche Nachteile nicht ursächlich war und die schließlich vom Untersuchungsrichter im Zuge der Einstellung des Verfahrens verfügte Ausfolgung der Sparbücher an den Dritten nicht rechtswidrig, jedenfalls aber vertretbar war, ist das Klagebegehren in Stattgebung der Revision abzuweisen.

Der Ausspruch über die Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen fußt auf den §§ 41, 50 ZPO.