JudikaturJustiz1Ob171/15a

1Ob171/15a – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. September 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr.

Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer Zeni Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ***** E***** R*****, vertreten durch die Kocher Bucher Rechtsanwälte GmbH, Graz, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 127.400,14 EUR sA und Feststellung (Streitwert 8.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 49.291,34 EUR) gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 25. Juni 2015, GZ 5 R 37/15y 27, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 15. Dezember 2014, GZ 11 Cg 58/12s 20, insoweit bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 8 Abs 1 Satz 1 StEG 2005 verjähren in diesem Gesetz begründete Ersatzansprüche in drei Jahren nach Ablauf des Tages, an dem der geschädigten Person die anspruchsbegründenden Voraussetzungen bekannt geworden sind. Die hier zu beurteilenden Ersatzansprüche wegen ungerechtfertigter Haft nach § 2 Abs 1 Z 2 StEG 2005 setzen voraus, dass eine wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung festgenommene oder in Haft gehaltene Person in der Folge durch ein inländisches Strafgericht in Ansehung dieser Handlung freigesprochen oder außer Verfolgung gesetzt wurde. Der Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Verjährungsfrist in diesen Fällen (erst) mit Rechtskraft des freisprechenden Erkenntnisses beginnt, vermag die Revisionswerberin nichts Überzeugendes entgegenzusetzen.

Zutreffend hat das Berufungsgericht dargelegt, dass die Verjährung regelmäßig erst mit jenem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in welchem das Recht zuerst ausgeübt werden hätte können, der Geltendmachung des Anspruchs also keine rechtlichen Hindernisse mehr entgegenstehen. Dies setzt jedenfalls die vollständige Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands voraus, der den jeweiligen Anspruch entstehen lässt. Ob die Haft im Einzelfall ungerechtfertigt war, kann aber stets erst dann beurteilt werden, wenn das Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Solange noch die Möglichkeit besteht, dass es letztlich zu einer Verurteilung kommen kann, kann keine Rede davon sein, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Ersatzanspruch gemäß § 1 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 2 StEG 2005 erfüllt wären. Die gesetzlich angeordnete Tatbestandswirkung tritt regelmäßig (erst) ein, wenn das rechtskräftige Urteil als juristische Tatsache die Grundlage für den geltend gemachten Anspruch bildet (RIS Justiz RS0041431). Auch die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 618 BlgNR 22. GP 7) sprechen ausdrücklich davon, dass der Entschädigungsgrund nach § 2 Abs 1 Z 2 StEG 2005 eine vor der rechtskräftigen Beendigung des Strafverfahrens erlittene Haft erfasst. In diesem Sinne wird auch judiziert, dass eine Haft dann ungerechtfertigt ist, wenn der Straftäter von dem Vorwurf, der Anlass zu seiner Verhaftung gegeben hatte, endgültig „losgelöst“ wurde (1 Ob 169/07w = SZ 2007/164 = RIS Justiz RS0122965), was im Falle eines Freispruchs dessen Rechtskraft erfordert.

Die Revisionswerberin gesteht zwar zu, dass die Verjährungsfrist nach § 8 Abs 1 StEG 2005 erst beginnen kann, wenn dem Geschädigten alle für das Entstehen des Ersatzanspruchs geforderten Umstände bekannt sind, zieht aber daraus den nicht näher begründeten Schluss, dass diese Kenntnis regelmäßig mit Zugang der für die Anspruchsbegründung geforderten gerichtlichen Entscheidung gegeben sei. Auch die weitere Darlegung, § 8 StEG stelle „bewusst“ nicht auf die Rechtskraft des freisprechenden Erkenntnisses ab, ist nicht nachvollziehbar und darüber hinaus wie bereits dargestellt mit den Erwägungen in den Gesetzesmaterialien nicht vereinbar, die ausdrücklich die rechtskräftige Beendigung des Strafverfahrens erwähnen.

Ganz unverständlich ist die Ausführung, dem Kläger wäre bereits ab dem Zeitpunkt der Verkündung des freisprechenden Urteils die Geltendmachung aller seiner Ersatzansprüche möglich gewesen, weil dieses Urteil „gegenüber dem Kläger gegenüber nach Verstreichen der Rechtsmittelfrist ohnehin rechtskräftig geworden war“. Von einer (einseitigen?) Rechtskraft des Urteils kann selbstverständlich keine Rede sein, solange der Anklagebehörde noch die Möglichkeit eines Rechtsmittels zur Verfügung steht, das im vorliegenden Fall auch erhoben wurde und die Rechtskraft des freisprechenden Urteils um fast zwei Jahre hinausgeschoben hat.

Ebenfalls schwer nachvollziehbar ist, worauf die Revisionswerberin mit dem Hinweis auf die zu 1 Ob 204/10x (= SZ 2010/156) ergangene Entscheidung hinaus will, die im Übrigen zu einem Ersatzanspruch nach § 2 Abs 1 Z 3 StEG 2005 (Wiederaufnahme) und nicht zu einem Anspruch wegen ungerechtfertigter Haft ergangen ist. Auch aus dieser Entscheidung ergibt sich im Übrigen, dass für den Beginn der Verjährungsfrist nicht schon das Erkenntnis des EGMR bzw die Aufhebung des ursprünglichen (rechtskräftigen) Urteils durch den Obersten Gerichtshof maßgebend war, auch wenn damit eine Erledigung des Verfahrens durch ein nachfolgendes freisprechendes Erkenntnis oder eine Verfahrenseinstellung nahezu zwingend zu erwarten war, sondern erst die nachfolgende formelle Verfahrensbeendigung durch das innerstaatliche Strafgericht.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).