JudikaturJustiz1Ob167/02v

1Ob167/02v – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. August 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am ***** verstorbenen, zuletzt in ***** wohnhaft gewesenen Anna K***** infolge Revisionsrekurses der Monika K*****, Barbara K*****, Sabine S***** und des Ing. Stefan F. K*****, sämtliche ***** vertreten durch Dr. Romana Zeh Gindl, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 10. April 2002, GZ 45 R 186/02i 69, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 29. Jänner 2002, GZ 2 A 227/99y 60, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben; die Entscheidungen der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben.

Text

Begründung:

Im vorliegenden Verlassenschaftsverfahren ist die Errichtung eines Inventars erforderlich. Da die Erblasserin zuletzt ihren Wohnsitz im Sprengel des Erstgerichts hatte, ist dieses gemäß § 105 JN zur Verlassenschaftsabhandlung berufen.

Das Erstgericht trug dem in seinem Sprengel ansässigen Gerichtskommissär auf, den Wert von zwei im Sprengel des Bezirksgerichts Floridsdorf gelegenen Liegenschaften der Erblasserin und deren Geschäfts bzw Kommanditanteil an zwei Gesellschaften, deren Geschäftsanschrift sich ebenfalls auf einen Ort im Sprengel des Bezirksgerichts Floridsdorf bezieht, durch Beiziehung geeigneter Sachverständiger schätzen zu lassen. Für eine Schätzung und Inventierung dieser Vermögenswerte im Rechtshilfeweg bestehe kein sachlicher Grund.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige, und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig. § 33 JN biete dem Erstgericht die Möglichkeit, zur Vornahme von Amtshandlungen die Sprengelgrenzen zu überschreiten, sofern das Verfahren dadurch rascher und sparsamer durchgeführt werden könne. Es bestünden daher keine Bedenken gegen den vom Erstgericht erteilten Auftrag.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Gemäß § 33 JN darf ein Gericht zur Vornahme der Amtshandlung die Grenzen seines Sprengels überschreiten, wenn

a) Gefahr im Verzug ist,

b) eine Amtshandlung an der Grenze des Gerichtssprengels stattfinden soll oder

c) dies zur Sicherung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme unter Bedachtnahme auf die Raschheit und die Sparsamkeit der Verfahrensführung geboten ist.

Jedem Gericht ist ein ausschließlicher örtlicher Tätigkeitsbereich zugewiesen, den es nur im Rahmen des § 33 JN überschreiten darf. Es darf über seinen örtlichen Sprengel hinaus normalerweise keine Amtshandlungen vornehmen, sondern muss hiefür das örtlich zuständige Gericht im Wege der Rechtshilfe in Anspruch nehmen (Ballon in Fasching I2 Rz 1 zu § 33 JN). Die im Sprengel des Bezirksgerichts Floridsdorf vorzunehmenden Schätzungen durfte das Erstgericht daher nur bei Vorliegen der im § 33 JN normierten Voraussetzungen unmittelbar selbst vornehmen. Diese sind aber nicht gegeben:

Dass Gefahr im Verzug wäre, wird weder behauptet, noch liegt dafür ein Anhaltspunkt vor. Die Schätzungen sollen auch nicht "an der Grenze" des Sprengels des Erstgerichts stattfinden, sodass lediglich der dritte Ausnahmetatbestand des § 33 JN in Frage käme, wenn also die Vornahme der Amtshandlung durch das Erstgericht selbst zur Sicherung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme geboten wäre. Ob die in einem solchen Fall zusätzlich geforderten Kriterien der Förderung der Raschheit und der Sparsamkeit der Verfahrensführung vorlägen (siehe Ballon aaO Rz 9 zu § 33 JN), muss gar nicht weiter geprüft werden, weil es schon am ersteren Erfordernis gebricht, dass die Vornahme der Schätzungen durch das Erstgericht zur Sicherung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme geboten wäre. Es mag sein, dass in vielen Fällen die Durchführung etwa eines Lokalaugenscheins durch den erkennenden statt durch den ersuchten Richter in einem anderen Gerichtssprengel die Unmittelbarkeit und damit die Verlässlichkeit des Verfahrens fördert (so auch die Materialien in 669 BlgNR 15. GP 30), doch kann hievon im vorliegenden Fall nicht die Rede sein, ist doch gar nicht beabsichtigt, dass der erkennende statt des ersuchten Richters die Schätzung vornimmt: Vielmehr wurde die Schätzung durch Beiziehung "geeigneter Sachverständiger" angeordnet. Dass diese Amtshandlungen durch das Erstgericht erfolgen müssten, um die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme zu sichern (Ballon aaO), ist nicht nachvollziehbar.

Der Umstand, dass der Akt bereits dem Gerichtskommissär zur weiteren Abhandlungspflege, "insbesondere zur Errichtung eines Nachlassinventars mit Schätzung des Wertes des erbl. Firmenvermögens", übermittelt worden war (ON 27), kann die Zuständigkeit des Erstgerichts zur Vornahme der Amtshandlungen außerhalb seines Sprengels nicht bewirken. Eben dieser Gerichtskommissär hat nämlich ersucht, die Schätzung und Inventierung im Rechtshilfeweg durch das Bezirksgericht Floridsdorf zu veranlassen (ON 58), weil ihm die Vornahme dieser Amtshandlungen mangels entsprechender Einigung der am Verlassenschaftsverfahren Beteiligten nur im Rechtshilfeweg möglich schien (siehe auch das Schreiben des Gerichtskommissärs vom 30. 11. 2001, AS 239). Durch die Übermittlung des Aktes an den Gerichtskommissär wurde keinesfalls die Überschreitung der Sprengelgrenzen entgegen § 33 JN legitimiert, vielmehr war der Gerichtskommissär, dem der Auftrag zur Errichtung des Inventars und zur Schätzung erteilt worden war, verpflichtet, all diese Amtshandlungen auf dem gesetzlich vorgesehenen Wege hier durch Rechtshilfe herbeizuführen.

Dem Revisionsrekurs ist Folge zu geben; die Entscheidungen der Vorinstanzen sind ersatzlos aufzuheben.