JudikaturJustiz17Ob9/23g

17Ob9/23g – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. April 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon. Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende, die Hofrätinnen Mag. Malesich und Dr. Kodek sowie die Hofräte Dr. Stefula und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, *, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D*, wegen 14.039,65 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Dezember 2022, GZ 3 R 178/22a 15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 23. August 2022, GZ 27 Cg 105/21k 8, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.017,90 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 169,65 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Am 13. März 2020 eröffnete das Erstgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin, einer gemeinnützigen Bauvereinigung (§ 1 WGG), und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter. Die Schuldnerin schloss mit zwei Mietern am 6. Mai 2015 einen dem WGG unterliegenden Nutzungsvertrag über eine Wohnung in Wien ab. Die Mieter leisteten kurz nach Vertragsunterzeichnung einen Finanzierungsbeitrag. Am 25. März 2021 kündigten sie den Vertrag, ihr Anspruch auf Rückzahlung des anteiligen Finanzierungsbeitrags beträgt 14.039,65 EUR. Die Mieter traten der Klägerin ihre Ansprüche zum Inkasso ab.

[2] Die Klägerin begehrt die Zahlung von 14.039,65 EUR sA. Beim Anspruch auf Rückzahlung des Finanzierungsbeitrags nach § 17 Abs 1 WGG idF BGBl I 157/2015 handle es sich um eine Masseforderung.

[3] Der Beklagte bestreitet, weil der eingeklagte Anspruch eine Insolvenzforderung darstelle.

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Den Materialien zu BGBl I 157/2015 sei zwar zu entnehmen, dass der Gesetzgeber eine Besserstellung ausscheidender Mieter beabsichtigt habe, dieser Wille spiegle sich jedoch im Wortlaut der geänderten Bestimmung des § 17 Abs 1 WGG nicht wider. Es sei daher in Fortschreibung der zu § 17 Abs 1 WGG aF ergangenen Judikatur vom Vorliegen einer Insolvenzforderung auszugehen.

[5] Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren über Berufung der Klägerin statt und ließ die ordentliche Revision zu. Die Neufassung des § 17 Abs 1 WGG durch BGBl I 157/2015 mache nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers den Anspruch auf Rückzahlung des Finanzierungsbeitrags entgegen der bis dahin bestehenden Rechtsprechung zu einer Masseforderung. Dies entspreche auch der herrschenden Ansicht in der Literatur.

[6] Die ordentliche Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Einordnung von Rückforderungsansprüchen nach § 17 Abs 1 WGG idF BGBl I 157/2015 fehle.

[7] Dagegen richtet sich die ordentliche Revision des Beklagten mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Die Klägerin beantragt, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[9] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig , aber nicht berechtigt .

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Beklagte argumentiert, dass die Änderung des § 17 Abs 1 WGG durch BGBl I 157/2015 nichts daran geändert habe, dass es sich beim Anspruch auf Rückforderung des Finanzierungsbeitrags im Fall der Vertragsbeendigung nach Insolvenzeröffnung um einen bereits vor Insolvenzeröffnung begründeten und daher aufschiebend bedingt vorhandenen Anspruch handle, der als Insolvenzforderung zu qualifizieren sei. Eine Ausweitung der taxativen Aufzählung der Masseforderungen in § 46 IO habe der Gesetzgeber im Rahmen des BGBl I 157/2015 nicht vorgenommen. Für den Fall der Qualifikation als Masseforderung bestünde ein Wertungswiderspruch im Verhältnis zu anderen Mietzinsvorauszahlungen.

Dazu hat der erkennende Fachsenat erwogen:

[11] 1. Die Streitteile und die Vorinstanzen gehen übereinstimmend davon aus, dass auf den vorliegenden Sachverhalt § 17 Abs 1 WGG idF BGBl I 157/2015 anzuwenden ist. Diese Rechtsansicht trifft trotz des vor Inkrafttreten des BGBl I 157/2015 mit 1. 1. 2016 erfolgten Mietvertragsabschlusses im Hinblick auf die Übergangsbestimmung des Art IV Abs 1q WGG zu (17 Ob 9/22f Rz 11; vgl auch AB 965 BlgNR 25. GP 8: „alle Neuregelungen gelten grundsätzlich auch für Mietverträge, die vor dem Datum des Inkrafttretens abgeschlossen wurden“ ).

[12] 2. Bei Finanzierungsbeiträgen des Mieters, die dieser für die Nutzung einer dem WGG unterliegenden Wohnung vereinbarungsgemäß zu zahlen hat, handelt es sich um Mietzinsvorauszahlungen, die wesensmäßig von den Vertragsteilen einem bestimmten bzw bestimmbaren Zeitraum zugeordnet sind (RS0020422).

[13] 3. § 17 Abs 1 WGG idF bis BGBl I 157/2015 (in der Folge: aF) lautete:

„Im Falle der Auflösung eines Miet- oder sonstigen Nutzungsvertrages hat der ausscheidende Mieter oder sonstige Nutzungsberechtigte einen Anspruch auf Rückzahlung der von ihm zur Finanzierung des Bauvorhabens neben dem Entgelt geleisteten Beträge, vermindert um die ordnungsmäßige Absetzung für Abschreibung im gemäß Abs. 4 festgesetzten Ausmaß.“

[14] Die Rechtsprechung ging auf Basis dieser Gesetzeslage davon aus, dass der Rückforderungsanspruch nach § 17 WGG aF bereits vor Insolvenzeröffnung begründet wird und daher als Insolvenzforderung anzusehen ist (RS0122690). In der diesem Rechtssatz zu Grunde liegenden Entscheidung 8 Ob 166/06d verwies der Oberste Gerichtshof darauf, dass der Finanzierungsbeitrag eine aufschiebend – nämlich durch die spätere Auflösung des Mietvertrags – bedingte Forderung ist (§§ 16, 51 IO).

[15] 4. Seit BGBl I 157/2015 lautet § 17 Abs 1 WGG wie folgt:

„Bei Auflösung eines Miet- oder sonstigen Nutzungsvertrages entsteht dem ausscheidenden Mieter oder sonstigen Nutzungsberechtigten ein Anspruch auf Rückzahlung der von ihm zur Finanzierung des Bauvorhabens neben dem Entgelt geleisteten Beträge, vermindert um die ordnungsmäßige Absetzung für Abschreibung im gemäß Abs. 4 festgesetzten Ausmaß.“

[16] 4.1. Während die Regierungsvorlage noch keine Änderung des § 17 WGG vorgesehen hatte, fügte der Bautenausschuss eine solche in den Gesetzesentwurf ein und begründete dies wie folgt (AB 965 BlgNR 25. GP 6):

„Derzeit besteht die unbefriedigende Situation, dass die Rückzahlung des Finanzierungsbeitrages (aber auch einer 'normalen' Mietzinsvorauszahlungen und – strittig – einer entgegen § 16b MRG nicht insolvenzfest angelegten Kaution) als 'vor Auflösung des Bestandvertrages bedingte Konkursforderung' behandelt wird (8 Ob 166/06d, wobl 2008/41 (Engelhart); 8 Ob 74/09d MietSlg 62.904). Aus diesem Grund würde der ausscheidende Nutzungsberechtigte, der seinen Mietvertrag uU Jahrzehnte vor Insolvenzeröffnung abgeschlossen hat, nur die Konkurs- oder Ausgleichsquote seines vorab geleisteten Betrages erhält, auch wenn er das Mietverhältnis nach Insolvenzeröffnung beendet.

In der E 1 Ob 53/12v war etwa die Rückzahlung eines Finanzierungsbeitrages nach § 69 WWFSG 1989 (dieser ist § 17 WGG nachgebildet) strittig; der ehemalige Mieter erhielt von der Vermieterin lediglich 20% (Zwangsausgleichsquote) des geleisteten, auf die Wohnung entfallenden Finanzierungsbeitrages zurückerstattet, obwohl die Vermieterin vom nachfolgenden Mieter 100% des Finanzierungsbeitrages vereinnahmen konnte.

Die vorgesehene Änderung soll den Mieter oder sonstigen Nutzungsberechtigten dahingehend schützen, als dass nunmehr klargestellt ist, dass der Anspruch erst mit Auflösung des Bestandvertrages entsteht. Damit wird bewirkt, dass es sich – bei Auflösung des Bestandvertrages nach Konkurseröffnung – bei den zurückzuzahlenden Beträgen gem. § 17 eindeutig um eine Masseforderung und nicht um eine Konkursforderung handelt, dementsprechend auch der volle Betrag und nicht die Quote auszubezahlen ist.“

[17] 4.2. Die Literatur geht seit der WGG Novelle 2016 – soweit überblickbar – ganz überwiegend davon aus, dass die Neuformulierung des § 17 Abs 1 WGG dazu geführt hat, dass der (nunmehr) erst mit der Auflösung des Bestandvertrags entstehende Anspruch (vgl 17 Ob 9/22f Rz 11) auf Rückzahlung des Finanzierungsbeitrags bei Auflösung des Mietvertrags nach Insolvenzeröffnung als Masseforderung anzusehen ist ( Rudnigger in Illedits/Reich Rohrwig , Wohnrecht-TaKomm 4 § 17 WGG Rz 11; Prader , WGG 4.12 § 17 Anm 1 [Stand 1. 1. 2023]; Würth/Zingher/Kovanyi/Etzersdorfer , Miet- und Wohnrecht 23 WGG § 17 Rz 3). Lediglich Katzmayr (in KLS² § 51 Rz 68) geht unter Zitierung der in Punkt 3. dargestellten Rechtsprechung (weiterhin) vom Vorliegen einer Insolvenzforderung aus, ohne allerdings auf die seit 1. 1. 2016 geänderte Gesetzeslage näher einzugehen.

[18] Etzersdorfer (Neuerungen bei der Rückzahlung des Finanzierungsbeitrages [§ 17 WGG] und Anwendbarkeit des § 16b MRG durch die WGG Novelle 2016, wobl 2016, 287) betont, dass die Forderung auf Rückzahlung des Finanzierungsbeitrags nach dem Wortlaut des § 17 Abs 1 WGG erst mit der Auflösung des Bestandvertrags entsteht und damit als „künftige Forderung“ anzusehen ist.

[19] 5. Der erkennende Fachsenat schließt sich den überwiegenden Literaturstimmen an. Der Gesetzgeber hat sein mit der Novellierung des § 17 Abs 1 WGG verfolgtes Ziel in den Materialien eindeutig zum Ausdruck gebracht; diese Absicht hat auch im geänderten Wortlaut der Bestimmung ihren Niederschlag gefunden, indem nunmehr das Entstehen des Anspruchs an die Auflösung des Bestandvertrags angeknüpft wird. Damit wird der Rechtsprechung zu § 17 Abs 1 WGG aF, die auf der Annahme einer bereits vor Insolvenzeröffnung entstandenen, aber aufschiebend bedingten Forderung beruht, die Grundlage entzogen.

[20] 5.1. Es kommt entgegen den Revisionsausführungen dadurch nicht zu einer unzulässigen Ausweitung der in § 46 IO nach herrschender Ansicht (vgl nur RS0077987) taxativ aufgezählten Masseforderungen. Etzersdorfer (wobl 2016, 287) betont in diesem Kontext nämlich zutreffend, dass die explizite Ausweitung des Kreises der Masseforderungen in § 46 IO nicht die einzige Möglichkeit des Gesetzgebers darstellt, in die Abgrenzung zwischen Insolvenz- und Masseforderungen einzugreifen. Vielmehr kann sein solcher Eingriff auch durch Änderung anderer Bestimmungen – hier des § 17 WGG – erfolgen.

[21] Masseforderungen zeichnen sich im Allgemeinen dadurch aus, dass sie – wie nunmehr die Forderung nach § 17 Abs 1 WGG idgF – nach Insolvenzeröffnung entstehen (vgl Engelhart in Konecny , Insolvenzgesetze § 46 IO Rz 17 [Stand 1. 11. 2012]).

[22] Insolvenzforderungen sind hingegen vermögensrechtliche, wenn auch bedingte oder betagte Ansprüche, die einem persönlichen Gläubiger gegen den Schuldner zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung zustehen (RS0063809; vgl § 51 Abs 1 IO).

[23] Da der Anspruch nach § 17 Abs 1 WGG erst durch die hier nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte Auflösung des Bestandvertrags entstanden ist, ist das Berufungsgericht zutreffend vom Vorliegen einer Masseforderung ausgegangen.

[24] 5.2. Der in der Revision behauptete Wertungswiderspruch zu anderen Mietzinsvorauszahlungen mag vorliegen (vgl Musger in KLS² § 16 IO Rz 2 FN 14), beruht aber auf einer vom Gesetzgeber bewusst vorgenommenen (Wertungs )Entscheidung.

[25] 6. Insgesamt war der Revision damit nicht Folge zu geben. Die tragenden Gründe der Entscheidung lassen sich wie folgt zusammenfassen:

[26] Seit der WGG Novelle 2016 (BGBl I 157/2015) entsteht der Anspruch auf Rückzahlung des Finanzierungsbeitrags nach § 17 Abs 1 WGG erst mit der Auflösung des Bestandvertrags. Erfolgt die Auflösung des Vertrags nach Insolvenzeröffnung, ist der Anspruch daher als Masseforderung anzusehen.

[27] Die Rechtsprechung zu § 17 Abs 1 WGG aF (RS0122690) ist damit überholt.

[28] 7. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 41 iVm § 50 ZPO.