JudikaturJustiz15Os97/23p

15Os97/23p – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. August 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. August 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Eschenbacher als Schriftführerin in der Strafsache gegen * V* wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 25 Hv 13/23t des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 27. März 2023 erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Ramusch, zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 27. März 2023, GZ 25 Hv 13/23t 19, verletzt im Schuldspruch 2. § 212 Abs 1 Z 1 StGB.

Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im Schuldspruch 2., demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und es wird die Sache in diesem Umfang an das Landesgericht Innsbruck zu neuer Verhandlung und Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit dem im Spruch bezeichneten Urteil wurde * V* der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (1.) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (2.) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er zu nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkten zwischen Mai 2017 und März 2022 in S*

1. außer dem Fall des § 206 StGB in wiederholten Angriffen an seiner am * 2010 geborenen, somit unmündigen Stiefenkeltochter * P* geschlechtliche Handlungen vorgenommen, indem er oberhalb der Kleidung ihre zum Teil bereits entwickelten Brüste streichelte und ihren Vaginalbereich nicht bloß flüchtig berührte;

2. durch die zu 1. beschriebenen Tathandlungen unter Ausnützung des zwischen ihm als Stiefgroßvater gegenüber seiner unmündigen Stiefenkeltochter * P* bestehenden Aufsichtsverhältnisses geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

[3] Dieses Urteil wird vom Angeklagten (ON 21.2) und von der Staatsanwaltschaft (ON 20) jeweils (nur) im Strafausspruch bekämpft. Das Oberlandesgericht Innsbruck hat über die Berufungen noch nicht entschieden (ON 24.3).

Rechtliche Beurteilung

[4] Mit Recht zeigt die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes auf, dass dieses Urteil in seinem Schuldspruch 2. mit dem Gesetz nicht im Einklang steht:

[5] Besteht zwischen Täter und minderjährigem Opfer eines der in § 212 Abs 1 Z 1 StGB genannten besonderen Verhältnisse, wird – anders als beim übrigen für die Täterschaft nach § 212 StGB in Betracht kommenden Personenkreis – der Missbrauch des Autoritätsverhältnisses vom Gesetz als typisch vorausgesetzt und unwiderleglich vermutet ( Philipp in WK² StGB § 212 Rz 1). In diesen Fällen ist die Ausnützung des Autoritätsverhältnisses kein Tatbestandserfordernis, weshalb es dazu auch keiner (über das Vorliegen des besonderen Verhältnisses hinausgehender) Feststellungen bedarf (RIS Justiz RS0095270).

[6] Die Aufzählung dieser besonderen Verhältnisse in § 212 Abs 1 Z 1 StGB ist taxativ.

[7] Im gegenständlichen Fall besteht zwischen dem Angeklagten und dem Opfer keines der in § 212 Abs 1 Z 1 StGB genannten Verhältnisse. Da die Bestimmung nur Stiefkinder, nicht aber Stiefenkelkinder anspricht, ist die vom Erstgericht angestrebte Ausdehnung des Täterkreises über den Gesetzeswortlaut hinaus (US 8: „Wenngleich Stiefgroßeltern vom Gesetzestext des § 212 Abs 1 Z 1 StGB nicht explizit umfasst sind, besteht keine gerechtfertigte Differenzierung zwischen einem Stiefgroßelternteil und den – von der genannten Gesetzesstelle erfassten – leiblichen Großeltern oder den Stiefeltern.“) vom Wortlaut des Gesetzes nicht gedeckt (vgl 13 Os 32/23i; Tipold in Leukauf/Steininger, StGB 4 § 72 Rz 19) und widerspricht dem Analogieverbot (§ 1 StGB; RIS Justiz RS0088809; Höpfel in WK² StGB § 1 Rz 51 f; Stricker i n Leukauf/Steininger, StGB 4 § 1 Rz 7, 10; E. Steininger , SbgK § 1 Rz 48, 52 ff; zu vom Gesetz definierten Täterkreisen unter Aspekten des Analogieverbots vgl RIS Justiz RS0089430).

[8] Da das Urteil in den Entscheidungsgründen (RIS Justiz RS0114639; Ratz , WK StPO § 281 Rz 274, 584) auch keine Feststellungen enthält, die eine Subsumtion des Verhaltens des Angeklagten nach einem anderen Fall des § 212 StGB ermöglichen würden, verletzt der Schuldspruch 2. das Gesetz.

[9] Da sich dies zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, die Feststellung dieser Gesetzesverletzung wie im Spruch ersichtlich mit konkreter Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO).

[10] Einer Beseitigung des Adhäsionserkenntnisses bedurfte es nicht, weil dieses auch im unberührt bleibenden Schuldspruch 1. Deckung findet.

[11] Die Berufungen sind aufgrund der Aufhebung des Strafausspruchs gegenstandslos (15 Os 53/23t [Rz 12]).

Rechtssätze
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