JudikaturJustiz15Os96/18h

15Os96/18h – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. September 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. September 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ertl, LL.M., als Schriftführer in der Medienrechtssache des Antragstellers Peter S***** gegen die Antragsgegnerin B***** GmbH Co KG wegen § 7 Abs 1 MedienG, AZ 5 Hv 49/17y des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über den Antrag der B***** GmbH Co KG auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

In der Medienrechtssache des Antragstellers Peter S***** gegen die Antragsgegnerin B***** GmbH Co KG erkannte das Landesgericht für Strafsachen Graz die Antragsgegnerin mit Urteil vom 16. Jänner 2018, GZ 5 Hv 49/17y 7, nach §§ 7 Abs 1, 7b Abs 1 MedienG schuldig, dem Antragsteller einen bestimmten Entschädigungsbetrag zu zahlen.

Dem Verfahren lag ein ab 1. August 2017 auf der Website www.b*****.de abrufbarer Artikel mit der Überschrift „Judo-Olympiasieger als Kinderschänder verhaftet“, insbesondere ein in diesen eingebettetes Lichtbild zu Grunde.

Nach den Feststellungen des Erstgerichts ist auf diesem mit „ Judo-Olympiasieger als Kinderschänder verhaftet “ übertitelten Bild der Antragsteller zu sehen, und zwar bloß mit einer Unterhose bekleidet auf einem Sofa sitzend, wobei seine beiden Arme durch Handfesseln am Rücken geschlossen waren. Das Gesicht des Antragstellers ist „verpixelt“ und daher nicht erkennbar (US 3). Die dazugehörende Bildunterschrift lautet: „S***** sitzt nach seiner Verhaftung in Unterhose auf dem Sofa“. Dem Artikel ist zu entnehmen, dass Peter S***** wegen gegen ihn erhobener Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen bzw Jugendlichen vom Landesgericht für Strafsachen Wien mit internationalem Haftbefehl gesucht und nunmehr in K***** festgenommen wurde (US 3 f).

Der dagegen gerichteten Berufung der Antragsgegnerin gab das Oberlandesgericht Graz mit Urteil vom 9. Mai 2018, AZ 9 Bs 104/18i (ON 18), (nur) dahin Folge, dass es den Ausspruch nach § 7b Abs 1 MedienG ersatzlos aufhob und dem Antragsteller nach § 7 Abs 1 MedienG einen (geringeren) Entschädigungsbetrag zuerkannte.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese Urteile richtet sich der Erneuerungsantrag gemäß § 363a Abs 1 StPO per analogiam der Antragsgegnerin, die sich durch die genannten Entscheidungen im Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 Abs 1 MRK verletzt erachtet.

Ausgehend von der Rechtsprechungslinie zu RIS Justiz RS0125393 [T1] kritisiert die Erneuerungswerberin die Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung mit dem Einwand, dass ein nackter männlicher Oberkörper „in verschiedenen Situationen“ des Alltags „durchaus üblich und schicklich wahrnehmbar“ sei, tatsächlich sei auf dem inkriminierten Lichtbild „ein durchschnittlicher Männerkörper ohne besondere Auffälligkeiten zu sehen“. Damit gelingt es ihr nicht, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der (vom Berufungsgericht übernommenen) Feststellungen des Erstgerichts zum Bedeutungsinhalt zu erwecken. Soweit der Antrag in diesem Zusammenhang weiters vorbringt, dass das inkriminierte Lichtbild „weder den höchstpersönlichen Lebensbereich verletzte noch zur Bloßstellung geeignet war“, geht sie schon im Ansatz fehl, weil es sich dabei um Rechtsfragen handelt.

In rechtlicher Hinsicht hat das Oberlandesgericht – dem Beschwerdestandpunkt zuwider – zutreffend das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Entschädigung wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs nach § 7 Abs 1 MedienG angenommen, weil durch die Veröffentlichung eines sichtlich im privaten Bereich („auf dem Sofa“) aufgenommenen und den festgenommenen Antragsteller lediglich mit Unterwäsche bekleidet zeigenden Bildes der höchstpersönliche Lebensbereich desselben in einer Weise, die – im wahrsten Sinn des Wortes – geeignet ist, ihn in der Öffentlichkeit bloßzustellen, dargestellt wurde.

Mag auch das Auftreten eines Mannes mit nacktem Oberkörper bei anderen Anlässen durchaus adäquat sein (zB im Schwimmbad), so fällt die Bekleidung nur mit Unterwäsche bzw die Nacktheit einer (festgenommenen) Person in ihrer Wohnung oder sonstigen Unterkunft in den höchstpersönlichen, nämlich in der Regel nur der Familie und engsten Vertrauten zugänglichen Lebensbereich und damit in den Schutzbereich des Privat- und Familienlebens nach Art 8 Abs 1 MRK.

Im Fall konfligierender Grundrechte, hier des Rechts des Antragstellers auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art 8 Abs 1 MRK einerseits und des Rechts der Antragsgegnerin auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 Abs 1 MRK andererseits, ist – unter Berücksichtigung der vom EGMR dazu entwickelten Kriterien (vgl EGMR 7. 2. 2012, Bsw 39954/08, Axel Springer AG/Deutschland ) – eine Interessenabwägung vorzunehmen. Bei der Veröffentlichung von Fotos kommt dem Schutz des guten Rufes und der Rechte anderer besondere Bedeutung zu, weil Bilder sehr persönliche und sogar intime Informationen über eine Person enthalten können (vgl EGMR 24. 6. 2004, Bsw 59320/00, Von Hannover/Deutschland ; RIS-Justiz RS0125177). Wesentlich dabei ist, ob die Veröffentlichung nur dem Zweck diente, die Neugier eines bestimmten Publikums im Hinblick auf Einzelheiten aus dem Leben einer bekannten Person zu befriedigen, oder ob sie als Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse angesehen werden kann (RIS-Justiz RS0123987, RS0125177).

Unter Zugrundelegung dieser Abwägungskriterien muss der Antragsteller aufgrund seiner internationalen Bekanntheit als Judo-Olympiasieger („public figure“) und zunehmend öffentlich werdender Fälle sexuellen Missbrauchs durch Trainer und Betreuer im Bereich des (Leistungs )Sports zwar eine (auch) identifizierende Berichterstattung über das gegen ihn als Trainer wegen sexuellen Missbrauchs in Österreich geführte Strafverfahren und seine deswegen in K***** erfolgte Verhaftung hinnehmen, weil in diesem Umfang das die Antragsgegnerin legitimierende öffentliche Interesse an der Verbreitung dieser Nachricht überwiegt.

Eine lediglich voyeuristische Bildbericht-erstattung, bei der die Aufmerksamkeit des Lesers durch die Bildunterschrift und den einleitenden Text gezielt auf den Umstand gelenkt wird, dass „der stämmige Mann“ „in Unterhose“ auf dem Sofa sitzt, der zudem keine wesentliche (Zusatz )Information zu entnehmen ist (vgl US 5 des Ersturteils) und die somit auch keinen Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse leistet, muss er jedoch nicht dulden (vgl zu § 7 Abs 2 Z 2 MedienG Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll , MedienG 3 § 7 Rz 27). Dass die Veröffentlichung in einem „betont sachlich gehaltenen Artikel“ – wie der Erneuerungsantrag meint – erfolgte, fällt bei dieser, allein auf die Neugier des Publikums abzielenden und die Menschenwürde eines Festgenommenen missachtenden Art der Präsentation nicht ins Gewicht.

An diesem Abwägungsergebnis ändert auch der Umstand nichts, dass sich der Antragsteller dem Strafverfahren in Österreich durch Flucht ins Ausland entzogen hat und die – keineswegs eine „Fahndungsmaßnahme“ darstellende – Veröffentlichung des gegenständlichen Lichtbilds zunächst durch die ukrainische Polizei erfolgte (US 3 f des Ersturteils).

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist der vorliegende Fall mit der Entscheidung Rothe / Österreich (EGMR 4. 12. 2012, Bsw 6490/07) nicht zu vergleichen; diesem Fall lagen im Priesterseminar S***** aufgenommene Lichtbilder zugrunde, die dem Sexualleben zuzuordnende Handlungen des Regens mit Priesterseminaristen zeigten und deren Veröffentlichung einen wesentlichen Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse leistete, weil sie ein Verhalten, das im Widerspruch zu den von der katholischen Kirche vertretenen Werten stand, dokumentierten. Aus dieser somit vollkommen anders gelagerten Entscheidung ist für die Antragsgegnerin daher nichts zu gewinnen.

Schließlich lässt auch die Höhe der vom Oberlandesgericht aufgetragenen Entschädigungszahlung mit Blick auf die Verbreitung der online-Ausgabe Deutschlands auflagenstärkster Tageszeitung keine – einen „chilling effect“ (somit eine abschreckende Wirkung) befürchten lassende – Unverhältnismäßigkeit erkennen.

Der Erneuerungsantrag war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits in nichtöffentlicher Sitzung – soweit er sich gegen die Entscheidung des Landesgerichts wendet schon wegen Unzulässigkeit (vgl RIS-Justiz RS0124739 [T2, T4]) – zurückzuweisen.

Rechtssätze
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