JudikaturJustiz15Os94/15k

15Os94/15k – OGH Entscheidung

Entscheidung
07. Oktober 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. Oktober 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wüstner als Schriftführer in der Strafsache gegen Christian K***** wegen Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 18. März 2015, GZ 630 Hv 8/14m 22, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Christian K***** der Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (I./) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er zwischen Jänner und Juli 2014 in S***** in mehreren Angriffen

1./ Kevin G***** mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er diesen mit beiden Armen umklammerte, festhielt und seinen erigierten Penis an dessen Gesäß drückte sowie einmal auch daran rieb, wobei beide zumindest mit einer Short bekleidet waren;

II./ durch die zu I./ beschriebenen Handlungen mit seinem minderjährigen Stiefsohn Kevin G***** geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a sowie 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

Soweit sich die Verfahrensrüge (Z 4) in Bezug auf die von den Tatrichtern abgelehnte Ergänzung des vorliegenden Sachverständigengutachtens zur Aussagefähigkeit und tüchtigkeit des Opfers (durch Beurteilung auch der Glaubwürdigkeit des Zeugen Kevin G*****) gar nicht auf einen konkret bezeichneten Antrag in der Hauptverhandlung (vgl ON 21 S 8 ff), sondern nur auf die erstgerichtlichen Ausführungen zur Antragsabweisung im Urteil (US 13) bezieht, entfernt sie sich vom Prüfungsmaßstab des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (RIS Justiz RS0121628, RS0116749). Die begehrte Beweisaufnahme unterblieb zudem zu Recht: Mit Blick auf das bereits eingeholte Gutachten zur Aussagefähigkeit und tüchtigkeit (ON 21 S 2 ff iVm ON 17) bestand nämlich kein Anhaltspunkt für das Vorliegen von geistigen oder sonstigen Entwicklungsdefiziten bzw anderen besonderen Umständen, die eine nicht realitätsorientierte Aussage des jugendlichen Zeugen indizierten und somit ausnahmsweise ein Gutachten als Hilfestellung für das Gericht erforderlich gemacht hätten (RIS Justiz RS0097733, RS0120634).

Die in der Beschwerde nachgetragenen Gründe als Versuch einer Fundierung des Antrags sind angesichts der auf Nachprüfung der erstgerichtlichen Vorgangsweise angelegten Konzeption des Nichtigkeitsverfahrens und des damit auch für die Prüfung eines Zwischenerkenntnisses verbundenen Neuerungsverbots unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618). Dass das Erstgericht (nach Einschätzung des Rechtsmittelwerbers) dem Antrag ursprünglich stattgeben wollte, dann aber den Gutachtensauftrag auf die Frage der Aussagefähigkeit und tüchtigkeit beschränkte, ist unter dem Blickwinkel der geltend gemachten Nichtigkeit gleichfalls ohne Belang.

Der Erledigung der Mängelrüge (Z 5) ist voranzustellen, dass mit dieser die Konstatierungen zu entscheidenden Tatsachen und deren Begründung nach Maßgabe der gesetzlichen Anfechtungskategorien bekämpft, nicht aber darüber hinaus die beweiswürdigenden Erwägungen selbst kritisiert werden können.

Soweit die Rüge eine Feststellung des Inhalts vermisst (der Sache nach Z 9 lit a), dass auch das Tatopfer Kevin G***** anlässlich der inkriminierten Vorfälle bekleidet war, ist ihr zu erwidern, dass dem Urteil unzweifelhaft zu entnehmen (US 2 und 8 f) ist, dass das Gericht den darauf bezogenen Schilderungen des Opfers Glauben schenkte und solcherart davon ausging, dass sowohl der Angeklagte als auch Kevin G***** jeweils zumindest mit einer kurzen Hose bekleidet waren.

Dem Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider haben sich die Tatrichter mit den Zeugenaussagen von Mahdi ***** G*****, Nikolaj V*****, Marius D***** und Mag. Veronika V***** zureichend auseinandergesetzt (US 15 ff). Sie mussten aber dem Gebot gedrängter Darstellung der Urteilsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend nicht jeden einzelnen Satz der (vom Nichtigkeitswerber teilweise gar nicht näher spezifizierten) Einlassungen dieser Personen einer besonderen Erörterung unterziehen (RIS-Justiz RS0106295). Anhand einer eigenständigen Würdigung dieser Verfahrensresultate versucht die Beschwerde bloß, andere (für den Nichtigkeitswerber günstigere) Schlussfolgerungen plausibel zu machen.

Inwiefern die Feststellungen, wonach es Mitte Jänner 2014 zum ersten Übergriff und in weiterer Folge zu dessen Wiederholung regelmäßig mehrmals pro Woche bis Juli 2014 kam (US 5 f), undeutlich (Z 5 erster Fall) sein sollten, bleibt offen. Das Beschwerdevorbringen lässt auch (unter dem Aspekt der Z 9 lit a) nicht erkennen, weshalb eine genaue Anzahl der (im angegebenen Zeitraum von Jänner bis Juli 2014 wiederholt erfolgten [US 1 und 4 ff]) Übergriffe subsumtionsrelevant sein sollte.

Die Konstatierung, wonach es „zumindest bei einem Angriff auch dazu kam, dass der Angeklagte seinen erigierten Penis nicht nur gegen den Anus seines Stiefsohns drückte, sondern diesen auch daran rieb“ (US 6), blieb nicht unbegründet (Z 5 vierter Fall), sondern wurde auf die insofern als überzeugend erachteten Schilderungen des Tatopfers gestützt (US 9).

Der kritisch psychologische Vorgang, der zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen führt, ist als solcher der Anfechtung entzogen ( RIS Justiz RS0106588) . Die insofern vorgebrachten Einwände kritisieren nur, dass die Tatrichter aus den Verfahrensresultaten nämlich aus der als nicht überzeugend erachteten Einlassung des Angeklagten, den Angaben des Tatopfers Kevin G***** und seines Vaters Mahdi ***** G*****, der Zeugen Nikolaj V*****, Marius D***** und Mag. Veronika V***** nicht den (vom Nichtigkeitswerber gewünschten) Schluss des Vorliegens einer Falschbezichtigung gezogen haben.

Die gegen Formulierungen in der tatrichterlichen Beweiswürdigung („offenbar“, „offensichtlich“) erhobene Kritik der Scheinbegründung (Z 5 vierter Fall) verfehlt den aus Z 5 maßgeblichen, allein im Ausspruch über entscheidende Tatsachen gelegenen Bezugspunkt. Dass die Argumentation des Erstgerichts insgesamt nicht überzeugt und aus seiner Sicht andere, für ihn günstigere Schlüsse plausibler gewesen wären, stellt kein Begründungsdefizit dar (RIS-Justiz RS0098400) .

Die unter dem Gesichtspunkt der Z 5 zweiter und vierter Fall vermisste Erörterung von Körpergröße und Körperkraft sowohl des Angeklagten als auch des minderjährigen Kevin G***** betrifft keine (iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO) essentielle Tatsache und lässt auch jede Bezeichnung angeblich nicht erörterter Verfahrensergebnisse vermissen (RIS Justiz RS0118316 [T4]).

Eine in Aussicht genommene Konvertierung des Kevin G***** zum islamischen Glauben, bestehende Konflikte zwischen Mahdi ***** G***** und dem Ehepaar K***** und Divergenzen in Erziehungsfragen beziehen sich ebenso wenig auf einen entscheidenden Umstand. Das darauf bezogene Vorbringen versucht nur erneut, die vom Tatopfer geschilderte und vom Schöffensenat als uneingeschränkt überzeugend erachtete (US 7 ff) Geschehensversion in Frage zu stellen.

Die gegen die rechtliche Beurteilung des vom Schuldspruch I./ erfassten Verhaltens als Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 StGB gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit a) erklärt nicht, weshalb der Begriff der „geschlechtlichen Handlung“ in jedem Fall einen direkten Hautkontakt zwischen Täter und Opfer voraussetzen und die hier erfolgte ihrem Erscheinungsbild nach durchaus sexualbezogene Handlung, anlässlich derer der nur mit einer Boxershort bekleidete Angeklagte seinen erigierten Penis an das Gesäß des nur mit einer Unterhose sowie einem T Shirt bekleideten Kevin G***** drückte und „zumindest bei einem Angriff (...) diesen auch daran rieb“ (US 6), nicht dem Begriff der „geschlechtlichen Handlung“ iSd § 202 Abs 1 StGB bzw § 212 Abs 1 Z 1 StGB entsprechen und solcherart nach Bedeutung und Intensität der Handlung keine unzumutbare, sozialstörende Rechtsgutbeeinträchtigung im Intimbereich darstellen sollte (vgl RIS Justiz RS0078135). Aus den vom Nichtigkeitswerber zur Untermauerung seiner Darlegungen angegebenen Entscheidungen (11 Os 47/90, 15 Os 62/92, 12 Os 131/07t) ist auch insofern nichts zu gewinnen (vgl RIS Justiz RS0111357), als die Beschwerde urteilsfremd nur von einer „Zudringlichkeit flüchtigen Charakters“ bzw einer „bloß flüchtigen Kontaktierung“ ausgeht.

Weshalb nur unmündige Minderjährige dem Begriff des „minderjährigen Stiefkindes“ unterfallen sollten und solcherart ein mündiger Minderjähriger wie fallaktuell der 14 jährige Kevin G***** keine von § 212 Abs 1 Z 1 StGB geschützte Person sein sollte, bleibt die zu II./ erhobene Rechtsrüge darzustellen schuldig (vgl hiezu Philipp in WK 2 § 212 Rz 1, 7).

Auch der Einwand (Z 9 lit a und Z 10), es lägen keine Feststellungen dazu vor, dass der Angeklagte sein Autoritätsverhältnis ausgenützt hätte (II./), schlägt fehl: Weshalb die bei Erziehungs , Ausbildungs und Aufsichtspersonen geforderte konkrete Ausnützung eines Autoritätsverhältnisses ( Philipp in WK 2 § 212 Rz 9 mwN) auch bei den in § 212 Abs 1 Z 1 StGB gesondert genannten, per se eine Autoritätsstellung einnehmenden nahen Angehörigen (wozu auch der Stiefvater zählt) tatbestandsrelevant sein sollte, wird nämlich nicht argumentativ aus dem Gesetz entwickelt.

Mit der Behauptung des Vorliegens von Scheinkonkurrenz („Subsidiarität oder Konsumtion“) wendet sich der Beschwerdeführer (Z 10) gegen die zusätzlich zum Schuldspruch nach § 202 Abs 1 StGB (I./) erfolgte Subsumtion des Verhaltens auch nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (II./). Er verabsäumt es dabei aber zu erklären, weshalb die Verurteilung wegen § 202 Abs 1 StGB (I./) den gesamten Unwert des Verhaltens abdecken sollte (vgl zum Begriff: Ratz in WK 2 StGB Vor §§ 28 bis 31 Rz 26 und 81). Die insofern herangezogene Kommentarstelle (WK 2 StGB „Rz 15 zu § 212 StGB“) besagt dies im Übrigen nicht (vgl insbesondere auch: Philipp in WK 2 StGB § 202 Rz 20).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen ergibt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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