JudikaturJustiz15Os9/17p

15Os9/17p – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. April 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. April 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtswärterin Mag. Adamowitsch als Schriftführerin in der Strafsache gegen Alen R***** wegen Verbrechen des Mordes nach §§ 75, 15 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufungen mehrerer Privatbeteiligter gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 29. September 2016, GZ 172 Hv 20/16k 456, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Die Strafsache wird hinsichtlich des weiteren Rechtsmittelverfahrens an das Oberlandesgericht Wien delegiert.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Alen R***** der Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB (A./) und nach §§ 15, 75 StGB (B./ und C./) schuldig erkannt, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er am 20. Juni 2015 in G*****

A./ Adis D*****, Michaela S***** und Valentin Ra***** (vorsätzlich) getötet, indem er mit dem von ihm gelenkten PKW der Marke D***** mit hoher Geschwindigkeit und gezielt auf sie zufuhr, sie mit dem Fahrzeug erfasste und ihnen tödliche Verletzungen zufügte;

B./ Ghorban Ali K***** und Maryam K***** (vorsätzlich) zu töten versucht, indem er mit dem unter A./ genannten Fahrzeug gezielt auf sie zufuhr, sie damit erfasste und niederstieß, in weiterer Folge das Fahrzeug anhielt, ausstieg und ihnen mit einem mitgeführten Messer mit 63 Millimeter Klingenlänge Stich und Schnittverletzungen zufügte, wobei die Vollendung der Taten nur durch das Eingreifen von Tatzeugen sowie die medizinische Versorgung der Opfer unterblieb;

C./ weitere 108 im Urteil namentlich genannte Personen (vorsätzlich) zu töten versucht, indem er mit dem unter A./ genannten Fahrzeug mit teils hoher Geschwindigkeit und gezielt auf die Genannten zufuhr, sie damit erfasste bzw zu erfassen versuchte, wodurch diese teils schwere und lebensgefährliche Verletzungen am Körper erlitten, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil die Opfer teils rechtzeitig medizinisch behandelt wurden, teils durch eine Ausweichbewegung einen Kontakt mit dem Fahrzeug vermeiden konnten.

Die Geschworenen hatten die nach den Verbrechen des Mordes (§§ 75, 15 StGB) gestellten Hauptfragen (I.–III.) bejaht und die jeweils dazu gestellten Zusatzfragen nach Straflosigkeit wegen Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) verneint.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Schuldspruch wendet sich die auf Z 8 und 10a des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Sie verfehlt ihr Ziel.

Die Instruktionsrüge (Z 8) kritisiert unter Bezugnahme auf die von den Geschworenen verneinte Zurechnungsunfähigkeit, dass sich „weder im allgemeinen noch im besonderen Teil der Rechtsbelehrung“ Hinweise auf den Zweifelsgrundsatz (§ 14 StPO: „in dubio pro reo“) befunden hätten.

Dabei legt die Rüge aber weder aus dem Gesetz abgeleitet dar, aus welchem Grund die den Geschworenen zuteil gewordene Rechtsbelehrung (§ 321 StPO) eine Information über den Zweifelsgrundsatz (§ 14 StPO) hätte enthalten müssen (vgl § 323 Abs 2 StPO; RIS Justiz RS0098508), noch macht sie klar, inwiefern dieser Grundsatz das „Verhältnis der Fragen zueinander“ (§ 321 Abs 2 StPO) betreffen sollte (zum Gegenstand der Rechtsbelehrung vgl RIS-Justiz RS0125434).

Dass sich in den „Ausführungen zum Antrag auf Einweisung gemäß § 21 Abs 1 und Abs 2 StGB“ (S 98 ff der Rechtsbelehrung) sehr wohl ein Hinweis zum Zweifelsgrundsatz findet, gesteht die Rüge ohnehin zu.

Weshalb die Rechtsbelehrung einen Hinweis dahingehend enthalten sollte, dass die Geschworenen bei einander „widersprechenden Sachverständigengutachten“ darzulegen hätten, „wieso sie dem anderen Gutachten nicht gefolgt sind“, macht die – die Anordnungen des § 321 Abs 2 StPO über den gesetzlichen Inhalt der Rechtsbelehrung vernachlässigende – Beschwerde gleichfalls nicht klar. Mit dem Vorbringen, „die Unterlassung dieses Erfordernisses könnte bei einem Schöffenurteil Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 5 StPO begründen“, verkennt die Beschwerde die grundsätzlich unterschiedliche Konzeption von schöffen- und geschworenengerichtlichem Verfahren (vgl RIS-Justiz RS0053697; Fabrizy , StPO 12 § 342 Rz 1) .

Schließlich wird auch mit Spekulationen darüber, was in der mündlichen Rechtsbelehrung geschehen sein könnte, sowie mit Erwägungen zu den Notwendigkeiten eines „modernen Geschworenenverfahrens“ der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nicht prozessordnungsgemäß zur Darstellung gebracht. Im Übrigen ist auch die Dauer der Beratung und Abstimmung der Geschworenen („in relativ kurzer Zeit ...“) für die Frage der Richtigkeit der Rechtsbelehrung ohne Bedeutung (RIS-Justiz RS0100732).

Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass sich der Oberste Gerichtshof auch unter Berücksichtigung der Einführung des § 14 StPO durch das Strafprozessreformgesetz (BGBl I 2004/19) weiterhin nicht veranlasst sieht, von seiner bisherigen Judikatur abzugehen, zumal die Darlegung von Beweisgrundsätzen ihren Platz in der mündlichen Besprechung gemäß § 323 Abs 2 StPO hat (vgl neuerlich RIS Justiz RS0098508; zuletzt 15 Os 122/16d; Philipp , WK StPO § 321 Rz 15).

Z 10a des § 345 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS Justiz RS0118780).

Indem der Beschwerdeführer – ohne Bezugnahme auf konkrete Beweismittel (vgl aber RIS-Justiz RS0117446) – die Fachkompetenz jenes Gutachters, der die für den Beschwerdeführer „günstigeren“ Schlussfolgerungen (im Sinn einer im Tatzeitpunkt vorgelegenen Zurechnungsunfähigkeit) gezogen hat, herausstreicht und durch eine Liste seiner wissenschaftlichen Publikationen zu untermauern trachtet, und meint, es sei nicht nachvollziehbar, dass die Geschworenen nicht dessen Ansichten gefolgt seien, gelingt es ihm nicht, jene erheblichen Bedenken zu erwecken, auf die der Nichtigkeitsgrund abstellt. Gleiches gilt für die von der Rüge vorgenommene eigenständige Bewertung der Aussagen anderer vernommener Ärzte und die spekulativen Rückschlüsse, die sie aus der Niederschrift der Geschworenen zieht.

Soweit der Beschwerdeführer abschließend eine Verletzung der amtswegigen Aufklärungspflicht durch das Erstgericht moniert (Z 10a), weil dieses für die Geschworenen eine „eindeutige Diagnose mit dem in § 127 Abs 3 StPO vorgesehenen procedere erarbeiten und vorlegen“ hätte müssen, legt sie nicht dar, wodurch der anwaltlich vertretene Angeklagte an der Ausübung seines Rechts auf sachgerechte Antragstellung gehindert gewesen wäre (RIS Justiz RS0115823). Weshalb es angesichts der „Schwierigkeit der Materie“ keiner „weiteren Antragstellung seitens des Angeklagten“ bedurft hätte, bleibt gleichfalls unerfindlich.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285 Abs 1, 344 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen ergibt (§§ 285, 344 StPO).

Dabei war die Strafsache aus den bereits zu 1 Präs 2690 3149/15x (ON 178 der Hv Akten) genannten Gründen von Amts wegen hinsichtlich des weiteren Rechtsmittelverfahrens an das Oberlandesgericht Wien zu delegieren (§ 39 Abs 1 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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