JudikaturJustiz15Os72/17b

15Os72/17b – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. August 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. August 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Limberger, LL.M., als Schriftführer in der Strafsache gegen Jörg G***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 14. März 2017, GZ 15 Hv 88/16h-46, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last, soweit sie nicht durch das ganz erfolglos gebliebene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft verursacht worden sind.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Jörg G***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (A./I./) sowie des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB idF BGBl 1996/762 (A./II./) schuldig erkannt.

Danach hat er am 26. Oktober 2015 in G***** Melanie G*****

A./I./ mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung genötigt, indem er sie zu Boden brachte, ihr die Kleider vom Leib riss, ihre Beine auseinanderdrückte, gewaltsam zumindest mit mehreren Fingern in ihre Vagina eindrang und sodann mehrere Stoßbewegungen mit der Hand vollzog, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung, nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung, zur Folge hatte;

A./II./ am Körper verletzt, indem er auf sie einschlug und mit dem Fuß eintrat, sie würgte, gegen eine Mauer stieß und gewaltsam in ihre Wohnung zurückzerrte, wodurch die Genannte eine Schädelprellung mit Hämatomen im Bereich der rechten Scheitelregion, eine Abschürfung am Kinn, eine Prellung und Distorsion der Halswirbelsäule, Würgemale am Hals, Rissquetschwunden beider Ohrläppchen, Blutunterlaufungen an den Fingern und am rechten Handrücken, Hämatome am rechten Oberarm und am linken Daumenballen sowie Abschürfungen erlitt.

Nach § 259 Z 3 StPO freigesprochen wurde Jörg G***** von der weiteren Anklage, er habe am 26. Oktober 2015 in G***** Melanie G***** gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er vorgegeben habe, ihr eine Nagelschere oder Nagelfeile in die Brust zu stechen, und dabei sinngemäß gesagt habe, dass er sie umbringen würde (B./).

Zum weiteren Anklagevorwurf (vgl Punkt IV./ der Anklageschrift ON 23 S 2), Jörg G***** habe am 26. Oktober 2015 in G***** Melanie G***** widerrechtlich gefangen gehalten, indem er sie mehrere Stunden daran gehindert habe, ihre Wohnung zu verlassen, und sie gewaltsam in diese zurückzerrte, als sie die Wohnung zu verlassen versuchte, konnte das Schöffengericht nicht feststellen, dass der Angeklagte dem Opfer „über den mit der jeweiligen Tatbegehung notwendigen Zeitraum hinaus die Freiheit entzog“ (US 4), und erachtete daher das Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB als konsumiert (vgl zur Unzulässigkeit eines „Subsumtionsfreispruchs“ bei Idealkonkurrenz RIS Justiz

RS0115553,

RS0091051; Lendl , WK StPO § 259 Rz 1).

Rechtliche Beurteilung

Die gegen den Schuldspruch aus § 281 Abs 1 Z 5a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ebenso ihr Ziel wie die gegen den Freispruch und das Unterbleiben einer Verurteilung (auch) nach § 99 Abs 1 StGB gerichtete, auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Mit Tatsachenrüge (Z 5a) sind nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) bekämpfbar. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Schuldberufung im Einzelrichterverfahren einräumt – wird dadurch nicht eröffnet (RIS Justiz RS0119583, RS0118780).

Diese Erheblichkeitsschwelle überschreitet die Tatsachenrüge nicht, indem sie auf die (leugnende) Verantwortung des Angeklagten, die Angaben der Zeugen Sandra S***** und Erwin D***** und darauf verweist, dass das Opfer in seiner ersten Vernehmung sexuelle Übergriffe nicht geschildert habe. Dasselbe gilt für die Behauptung, die Zeugin Doris Sc***** habe – entgegen den Feststellungen – „vom Einführen der Faust“ gesprochen. Bleibt in diesem Zusammenhang anzumerken, dass das Erstgericht – der Beschwerde (der Sache nach Z 5 zweiter Fall) zuwider – die Wahrnehmungen der Zeugen S***** und D***** zum Aussageverhalten des Opfers ohnehin berücksichtigt hat (US 7 f).

Indem die Beschwerde die Glaubwürdigkeit des Opfers bestreitet und vermeint, dessen Aussagen würden „Ungenauigkeiten und Unschärfen“ aufweisen, es würden „Anhaltspunkte für eine Racheaktion“ und „erhebliche Motive für eine Falschbelastung“ vorliegen, und das Opfer weise keine Verletzungen im Unterleibs- und Beinbereich auf, stellt sie die Urteilsannahmen nach Art einer Schuldberufung in Frage und verlässt damit den Anfechtungsrahmen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Die gegen den Freispruch (B./) gerichtete Beschwerde (Z 5 zweiter Fall) rügt die Begründung der Negativfeststellungen zur subjektiven Tatseite als unvollständig, weil sich das Schöffengericht nicht mit dem „unmittelbaren Eindruck“ der Zeugin Melanie G***** auseinandergesetzt habe, wonach der Angeklagte „mit Sicherheit in der Absicht gehandelt“ habe, sie „einfach in Furcht und Unruhe“ zu versetzen (ON 41 S 7). Da Gegenstand von Zeugenaussagen nur objektive Wahrnehmungen, nicht aber Mutmaßungen über das Wissen und Wollen anderer Personen sein können, war das Schöffengericht nicht verhalten, sich mit der Einschätzung der Zeugin auseinanderzusetzen (RIS Justiz RS0097540 [T2, T18], RS0097545).

Mit Blick auf die erfolglose Bekämpfung der einer Verurteilung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB entgegenstehenden Konstatierungen zur subjektiven Tatseite erübrigt sich das Eingehen auf die ebenfalls gegen den Freispruch gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit a).

Der – eine Verurteilung nach § 99 Abs 1 StGB anstrebenden – Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider blieb die Annahme, es könne nicht festgestellt werden, „dass der Angeklagte Melanie G***** über den mit der jeweiligen Tatbegehung notwendigen Zeitraum hinaus die Freiheit entzog“ (US 4), nicht unbegründet, sondern stützte das Erstgericht (auch) diese Konstatierung auf die (schon) bei den für diesen Lebenssachverhalt als erwiesen angenommenen Tatsachen genannten Beweismittel, auf welche die Beweiswürdigung ausdrücklich Bezug nimmt (arg „stützen sich die Feststellungen auf die jeweils bezogenen Beweismittel“; US 6 iVm US 4).

Dem Einwand von Unvollständigkeit (

Z 5 zweiter Fall) zuwider waren die Tatrichter nicht verhalten, sich mit den in der Beschwerde relevierten Aussagen der Zeugin G*****, sie habe den Angeklagten mehrmals gebeten, die Wohnung zu verlassen, und er habe sich nach Abschluss der Tätlichkeiten noch mindestens eine Stunde lang bei ihr aufgehalten (ON 41 S 6 und ON 19 S 19) , auseinanderzusetzen. Denn diese Angaben betreffen keine

erheblichen Verfahrensergebnisse zu entscheidenden Tatsachen (RIS Justiz RS0118316), sagen doch die Anwesenheit des Angeklagten in der Wohnung und die Aufforderung des Opfers zum Verlassen dieser noch nichts darüber aus, ob es Letzterem nicht selbst möglich gewesen wäre, die Wohnung zu verlassen.

Dass der Angeklagte das Opfer in die Wohnung zurückzerrte, ihm die Kleider vom Leib riss und ihm während der zu A./I./ und II./ geschilderten Taten die persönliche Freiheit entzog, hat das Erstgericht ohnehin angenommen (US 3 f) und auf die Angaben der Zeugin G***** gestützt (US 6 f) . Da die von der Beschwerdeführerin als übergangen reklamierten weiteren Aussagen der Zeugin, sie habe den Angeklagten einige Male zum Gehen aufgefordert und hinauszudrängen versucht, dieser habe aber darauf nicht reagiert, und sie habe die Wohnung nicht „jederzeit“ verlassen können (ON 9 S 21), offen lassen, auf welche Zeiträume innerhalb des Tatgeschehens sie sich beziehen, bedurften sie im gegebenen Zusammenhang keiner gesonderten Erörterung.

Aufgrund der erfolglosen Bekämpfung der – einer Verurteilung nach § 99 Abs 1 StGB entgegenstehenden – Konstatierungen zur objektiven Tatseite erübrigt sich die Behandlung der weiteren, einen Feststellungsmangel in Bezug auf die subjektive Tatseite behauptenden Beschwerde.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Bleibt anzumerken, dass das Schöffengericht die zu A./II./ bezeichnete Tat zu Unrecht § 83 Abs 1 StGB idF BGBl 1996/762 unterstellt hat, ist doch das (seit 1. Jänner 2016 geltende) Urteilszeitrecht mit Blick auf die unverändert gebliebene Mindest und Höchststrafe sowie die durch Anhebung der Obergrenze der (zur Freiheitsstrafe alternativ angedrohten) Geldstrafe von 360 auf 720 Tagessätze sogar erweiterte Möglichkeit, von dieser anstelle der schwereren Sanktion Gebrauch zu machen, im Vergleich zum Tatzeitrecht nicht ungünstiger iSd § 61 StGB (RIS Justiz RS0131471). Da die verfehlte Subsumtion (Z 10) auf den

Strafrahmen keinen Einfluss hatte und sich daher in concreto nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat, bestand kein Anlass für ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO ( Ratz , WK StPO § 290 Rz 22 f). Eine Bindung des Berufungsgerichts an die fehlerhafte Subsumtion besteht aufgrund der hier getroffenen Klarstellung nicht (vgl RIS Justiz RS0129614, RS0118870).

Im Rahmen der Entscheidungen über die gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche gerichteten Berufung des Angeklagten kann auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass bei allfälligen Zusprüchen an Privatbeteiligte (§ 366 Abs 2 StPO) eine Leistungsfrist zu setzen ist (RIS Justiz RS0126774).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO (vgl Lendl , WK-StPO § 390a Rz 8; RIS-Justiz RS0108345 [T2]).