JudikaturJustiz15Os63/23p

15Os63/23p – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Juni 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Juni 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Mag. Fürnkranz in Gegenwart der Schriftführerin FI Trsek in der Strafsache gegen * H* und andere wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 12 St 283/22p der Staatsanwaltschaft Graz, über die Grundrechtsbeschwerde des * R* gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 12. Mai 2023, AZ 9 Bs 151/23h, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Aus deren Anlass wird festgestellt, dass * R* durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 12. Mai 2023, AZ 9 Bs 151/23h, im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.

Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.

Text

Gründe:

[1] In dem gegen mehrere Beschuldigte im Zusammenhang mit einem Raubüberfall vom 13. Dezember 2022 geführten Ermittlungsverfahren, AZ 12 St 283/22p der Staatsanwaltschaft Graz, setzte das Landesgericht für Strafsachen Graz mit Beschluss vom 25. April 2023, AZ 22 HR 204/22d (ON 308), die über * R* am 24. Februar 2023 verhängte Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 „Z 2“ und Z 3 lit a, b und c StPO fort. Der dagegen vom Beschuldigten erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 12. Mai 2023, AZ 9 Bs 151/23h, nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b und c StPO fort.

[2] Nach den Sachverhaltsannahmen des Beschwerdegerichts ist der Genannte dringend verdächtig, er habe vor dem 13. Dezember 2022 dadurch, dass er den unmittelbaren Tätern Informationen über die Örtlichkeit, insbesondere über ein im Hasenstall angelegtes Versteck für Gold- und Silbermünzen, erteilte, zur Ausführung der strafbaren Handlung durch * B* , * W* und * Z* beigetragen, die am 13. Dezember 2022 in E*, Gemeinde S*, mit Gewalt gegen eine Person fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen haben, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem sie * J* in ihrem Wohnhaus überwältigten, sie mit einem Klebeband und Kabelbindern an einen Stuhl fesselten und aufforderten, den Code für einen Tresor zu nennen, und schließlich den Tresor, den sie nicht öffnen konnten, samt Inhalt (Bargeld, Schmuck und Münzen), weitere Gold- und Silbermünzen im Gesamtwert von rund 700.000 Euro aus dem Versteck im Hasenstall sowie andere Wertgegenstände an sich nahmen.

[3] In subjektiver Hinsicht besteht nach den Annahmen des Oberlandesgerichts der dringende Verdacht, der Beschwerdeführer habe es ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden, durch die Weitergabe der Informationen die Tatbegehung durch die unmittelbaren Täter zu fördern, wobei sein bedingter Vorsatz auf unrechtmäßige Bereicherung und darauf gerichtet war, dass die unmittelbaren Täter dem Tatopfer fremde bewegliche Sachen in einem 5.000 Euro jedenfalls übersteigenden Wert wegnehmen und den Diebstahl dadurch begehen, dass sie mit einem widerrechtlich erlangten Schlüssel in eine Wohnstätte eindringen und Behältnisse aufbrechen.

[4] Diese Verdachtslage subsumierte das Oberlandesgericht dem Verbrechen des schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 12 dritter Fall, 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 2 Z 1 (iVm Abs 1 Z 1) und Abs 1 Z 2 StGB (BS 2).

Rechtliche Beurteilung

[5] Gegen diesen Beschluss des Beschwerdegerichts richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten R*, der keine Berechtigung zukommt.

[6] Die Begründung des dringenden Tatverdachts kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren hinsichtlich der Sachverhaltsgrundlagen der Haftentscheidung in sinngemäßer Anwendung der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO angefochten werden; eine am Gesetz orientierte Beschwerde hat somit einen Darstellungs oder Begründungsmangel aufzuzeigen oder an Hand deutlicher und bestimmt bezeichneter Aktenbestandteile erhebliche Bedenken gegen die vorläufige Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts zu erwecken (RIS Justiz RS0110146 [T23]).

[7] Dem wird die Grundrechtsbeschwerde nicht gerecht, soweit sie die Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht als willkürlich bezeichnet und ausführt, die Begründung des Beschwerdegerichts, der Beschuldigte hätte Telefongespräche mit dem flüchtigen B* erst über ausdrücklichen Vorhalt der Ergebnisse der Rufdatenrückerfassung zugestanden, lasse nicht mit der erforderlichen höheren Wahrscheinlichkeit auf die angenommene dringende Verdachtslage schließen. Sie nimmt nämlich nicht – wie aber geboten (vgl RIS Justiz RS0119370) – Maß an der Gesamtheit der Begründung der angefochtenen Entscheidung. Der Beschwerdeführer lässt zur Gänze außer Acht, dass das Oberlandesgericht bei der Begründung der Feststellungen zum dringenden Tatverdacht auch auf seinen Vorbeschluss vom 27. März 2023, AZ 9 Bs 97/23t, verwies (BS 2).

[8] Inwiefern die Begründung des angefochtenen Beschlusses undeutlich im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 erster Fall StPO sein sollte, macht der Beschuldigte nicht klar.

[9] Im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens überprüft der Oberste Gerichtshof die rechtliche Annahme von Haftgründen nur dahin, ob sie aus den im angefochtenen Beschluss angeführten bestimmten Tatsachen (vgl § 174 Abs 3 Z 4 StPO) abgeleitet werden durften, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich, demnach als nicht oder als offenbar unzureichend begründet angesehen werden müsste (RIS Justiz RS0117806, RS0118185).

[10] Vorliegend bejahte das Oberlandesgericht den Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b und c StPO und verwies auf drei einschlägige Verurteilungen des Beschwerdeführers sowie auf den Umstand, dass er sich in den Jahren 2016 und 2018 bereits jeweils mehrere Monate lang in Haft befunden hatte und schon einmal bedingt entlassen wurde, wobei er nach der angenommenen dringenden Verdachtslage nunmehr während einer Probezeit nach Gewährung einer bedingten Strafnachsicht nach § 40 Abs 1 SMG neuerlich delinquierte. Daraus folge, dass die bisherigen Verurteilungen keine abschreckende Wirkung auf ihn hatten. Hinzu komme, dass der Beschuldigte offenbar an Geldmangel leide, zumal er seit Dezember 2020 nahezu durchgehend beschäftigungslos gewesen sei. Somit bestehe die konkrete Gefahr, er werde – auf freiem Fuß belassen – ungeachtet des gegen ihn geführten Verfahrens neuerlich gegen das Rechtsgut des fremden Vermögens gerichtete strafbare Handlungen wie etwa Einbruchsdiebstähle begehen (BS 4).

[11] Der Beschwerdeführer argumentiert, einschlägige Vorstrafen allein wären nicht ausreichend für die Annahme des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr und die Begründung der angefochtenen Entscheidung wäre undeutlich geblieben, weil das Beschwerdegericht den Begriff „offenbar“ verwendete. Damit hätte das Beschwerdegericht die bestimmten Tatsachen, welche eine Tatbegehung in greifbare Nähe rücken ließen, nicht mit der notwendigen Deutlichkeit und Bestimmtheit angegeben (vgl dazu RIS Justiz RS0118185 [T3]).

[12] Insgesamt beschränkt sich das Beschwerdevorbringen jedoch darauf, den Erwägungen des Oberlandesgerichts eigene Einschätzungen entgegenzusetzen, ohne eine willkürliche Annahme des Haftgrundes darzutun (vgl RIS Justiz RS0117806 [T11]).

[13] Die Grundrechtsbeschwerde, die keine Verletzung des verfassungsmäßig geschützten Rechts auf persönliche Freiheit aufzeigt, war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

[14] Aus Anlass der Grundrechtsbeschwerde war jedoch der in der Beschwerde nicht gerügte Umstand aufzugreifen, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts keine Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht enthält, die eine rechtliche Beurteilung ermöglichen, ob durch die als sehr wahrscheinlich angenommenen Tatsachen die im Beschluss genannte strafbare Handlung begründet wurde (§ 10 GRBG iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat der Fortsetzungsbeschluss des Oberlandesgerichts die erstinstanzliche Entscheidung nicht bloß zu beurteilen, sondern zu ersetzen und solcherart eine neue – reformatorische – Entscheidung darzustellen (RIS Justiz RS0116421). Nach § 174 Abs 3 Z 4 StPO iVm § 174 Abs 4 zweiter Satz StPO hat jede solche Entscheidung „die bestimmten Tatsachen, aus denen sich der dringende Tatverdacht“ für das Oberlandesgericht ergibt, zu enthalten.

[15] Der vorliegende Beschluss ist jedoch in Betreff der Sachverhaltsgrundlagen für die Haftvoraussetzung des dringenden Tatverdachts in einer das Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzenden Weise unklar geblieben (RIS Justiz RS0120817, RS0119859).

[16] Nach § 13 StGB ist jeder an einer Tat Beteiligte nach seiner Schuld zu bestrafen. D amit können mehrere an einer Tat – gleich in welcher Täterschaftsform des § 12 StGB – Mitwirkende verschiedene strafbare Handlungen verantworten ( Fabrizy in WK 2 StGB § 13 Rz 4; Öner/Schütz in Leukauf/Steininger , StGB 4 § 13 Rz 1 f; Fabrizy/Michel Kwapinski/Oshidari , StGB 14 § 13 Rz 1).

[17] S oweit also der unmittelbare Täter mehr an Unrecht (quantitativer Exzess) oder aber anderes Unrecht (qualitativer Exzess) verwirklicht, als der Beitragstäter in seinen Vorsatz aufgenommen hat, scheidet eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Beitragstäters nach der vom unmittelbaren verwirklichten strafbaren Handlung aus ( Fabrizy in WK 2 StGB § 13 Rz 6; Öner/Schütz in Leukauf/Steininger , StGB 4 § 13 Rz 7; Fabrizy/Michel Kwapinski/Oshidari , StGB 14 § 13 Rz 2; RIS Justiz RS0089637).

[18] Bleibt die Tatausführung des unmittelbaren Täters hinter der Erwartung des nach § 12 dritter Fall StGB Beteiligten zurück, so ist zu beachten, dass der Versuch eines sonstigen Tatbeitrags straflos ist (§ 15 Abs 2 StGB; Fuchs/Zerbes , Strafrecht – Allgemeiner Teil 11 33/80; Triffterer , Österreichisches Strafrecht – Allgemeiner Teil 2 Kap 16 Rz 104). Strafbarkeit eines sonstigen Tatbeitrags setzt voraus, dass die Tat des unmittelbaren Täters wenigstens das Versuchsstadium erreicht.

[19] Der vorliegende Beschluss des Oberlandesgerichts enthält keine Feststellungen dazu, wie die unmittelbaren Täter in das Wohnhaus gelangt sind, in dem sie dann den – vom Vorsatz des Beschwerdeführers nicht umfassten – Raub begangen haben, und ob sie den Tresor noch am Tatort aufzubrechen oder mit einem der in § 129 Abs 1 Z 1 StGB genannten Mittel zu öffnen versuchten (RIS Justiz RS0094099). Somit vermögen die Sachverhaltsannahmen die vorgenommene rechtliche Beurteilung in Richtung des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 12 dritter Fall, 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 2 Z 1 (iVm Abs 1 Z 1) und Abs 1 Z 2 StGB nicht zu tragen. Es kann nämlich nicht beurteilt werden, ob die unmittelbaren Täter wenigstens ins Versuchsstadium eines Einbruchs gelangt sind; diesfalls läge strafbarer Beitrag zum Versuch des genannten Verbrechens vor.

[20] Die Feststellungen des Oberlandesgerichts ermöglichen vielmehr lediglich eine Beurteilung als Vergehen des schweren Diebstahls nach §§ 12 dritter Fall, 127, 128 Abs 1 Z 5 StGB: D ie Verwirklichung des Raubes durch die unmittelbaren Täter ist gegenüber dem vom Beschwerdeführer in seinen Vorsatz aufgenommen Kausalverlauf ein aliud und der von seinem Vorsatz (im Beitragszeitpunkt) getragene Einbruch wurde von den unmittelbaren Tätern nicht ausgeführt oder zumindest versucht.

[21] Das aufgezeigte Defizit der Sachverhaltsannahmen erfordert die unverzügliche Klärung der Haftvoraussetzungen im Rahmen einer Haftverhandlung, nicht aber die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses (§ 7 Abs 1 GRBG; RIS Justiz RS0119858).