JudikaturJustiz15Os52/90

15Os52/90 – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Juni 1990

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12.Juni 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Dr. Ungerank als Schriftführer, in der Strafsache gegen Josef K*** und andere wegen des Finanzvergehens nach den §§ 35 Abs 1, 38 Abs 1 lit a und b FinStrG und anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 5.März 1990, AZ 26 Bs 23/90, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Bassler, und des Verteidigers und Vertreters des Beteiligten Dr. P*** Dr. Weiss, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten Peter T*** (und des Beteiligten Dr. P***) zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

I. Im Verfahren zum AZ 6 a Vr 3434/82 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurden für Peter T*** mit Bezug auf einen Geleitbrief des Bundesministeriums für Justiz (S 25/LII) zwei Überbringer-Sparbücher mit einem Einlagenstand von zusammen 1 Mio S als Sicherheitsleistung erlegt. In der Einlieferungs-Anzeige der Verwahrungsabteilung beim Oberlandesgericht Wien (ON 548) scheint als "Erleger" Rechtsanwalt Dr. Otto P*** mit dem Beisatz "für Peter T*** Kfm. Flötzersteig 224 1140 Wien" auf, der damals als Verteidiger des Genannten ausgewiesen war (ON 3 in ON 556) und diesen Beleg auch als "Erleger" unterfertigte; als "Gegenstand" des Erlages sind die beiden Sparbücher mit der Erläuterung "Als Sicherheitsleistung für freies Geleit: für Peter T***" vermerkt. Bei seiner folgenden Vernehmung durch den Schöffengerichts-Vorsitzenden gab T*** an, er habe entsprechend dem Geleitbrief die Sicherheitsleistung erlegt (ON 549); auch nach der Entscheidung in erster Instanz beantragte er, "vertreten durch" Dr. P***, mit dem Hinweis darauf, daß er die ihm Geleitbrief gestellten Bedingungen erfüllt habe, den Erlag ihm "wieder auszuhändigen" (ON 618). Dementgegen begehrte er, abermals vertreten durch Dr. Pfoser, mit seiner späteren Beschwerde gegen die - auf die nunmehrige Haftung der Kaution für die (mittlerweile rechtskräftig) über ihn verhängten Geldstrafen gestützte - Abweisung (ON 653) jenes Antrags die Zurückzahlung der erlegten Sicherheitsleistung an den genannten Verteidiger, wobei er sich unter anderem darauf berief, daß "der Betrag durch seinen ausgewiesenen Vertreter erlegt" worden sei (ON 679).

Noch vor der Zurückweisung dieser Beschwerde als verspätet (ON 741) wurde vom Wiener Finanzamt für den 12., 13., 14. und 23. Bezirk wegen einer Abgabenschuld des Peter T*** "die dem Abgabenschuldner aus hinterlegter Kaution" gegen das Landesgericht für Strafsachen Wien angeblich zustehende "Forderung von mehr od. weniger 1,010.027 S" gepfändet und der Republik Österreich ohne Beeinträchtigung früher erworbener Rechte dritter Personen bis zur angeführten Höhe zur Einziehung überwiesen (ON 732). Hierauf stellte Dr. P***, nunmehr seinerseits vertreten durch den (zugleich mit einer "Strafvollmacht", welche die betreffende Antragstellung in Wahrheit gar nicht abdeckte, als Machthaber ausgewiesenen) Rechtsanwalt Dr. Weiss, unter Hinweis darauf, daß die Probezeit nach einer dem Verurteilten T*** inzwischen gnadenweise gewährten Nachsicht des Restes der über ihn verhängten Geld- und Wertersatz-Strafe (ON 711) bereits verstrichen sei, und mit der Begründung, daß seinerzeit er (der "Einschreiter") die Sicherheitsleistung für jenen erlegt habe, dem "an diesem Betrag" kein Recht zustehe, auch selbst den Antrag, die beiden Sparbücher samt ihrem Zinsenertrag an den "Erleger" - gemeint: an ihn - auszufolgen (ON 792).

Im Hinblick auf den zuvor relevierten Pfändungs- und Überweisungsbescheid verfügte jedoch der Vorsitzende, daß "der gepfändete Betrag von S 1,010.027,-" an das Finanzamt zu überweisen sei, wovon er letzteres und den Vertreter des Antragstellers verständigte. Unter einem ordnete er die Auflösung der Sparbücher und die Durchführung der Überweisung an (ON 802).

Dagegen erhob Dr. P***, in eventu gestützt auf § 15 StPO, Beschwerde an den Gerichtshof zweiter Instanz, mit der er beantragte, letzterer wolle deswegen, weil er als Erleger zum Rückerhalt der Kaution legitimiert sei, den angefochtenen (nicht formgerechten) "Beschluß" des Erstgerichtes, welches damit seinen Ausfolgungsantrag implicite abgewiesen habe, im stattgebenden Sinn abändern oder doch aufheben und dem Landesgericht die Entscheidung über jenen Antrag sowie "die Abgabe einer ablehnenden Stellungnahme gegenüber der exekutionsführenden Abgabenbehörde iS der §§ 35 AbgEO 262 EO" auftragen (ON 803).

Das Oberlandesgericht Wien gab dieser Beschwerde mit der Begründung Folge, daß der genau dem Pfändungs- (zu ergänzen: und Überweisungs ) Bescheid des Finanzamtes folgende erstgerichtliche Ausfolgungs-"Beschluß" deswegen verfehlt sei, weil kein Bargeldbetrag erliege, sondern Inhaber-Wertpapiere in Gestalt von zwei Sparbüchern, sodaß nicht Forderungsexekution, sondern Pfändung (gemeint wohl: und Überweisung) des Herausgabeanspruchs "hätte erfolgen müssen", wobei allerdings der Herausgabeanspruch nicht dem Steuerpflichtigen, also nicht dem Verurteilten T***, sondern vielmehr dem Beschwerdeführer Dr. P*** zugestanden sei; demgemäß hob es den angefochtenen "Beschluß" ersatzlos auf, wobei es in den Gründen - mit dem Bemerken, daß das Finanzamt inzwischen die "Forderungspfändung" gemäß § 16 AbgEO eingestellt habe (ON 806) - darauf hinwies, daß vom Erstgericht nunmehr unverzüglich über die Ausfolgung der beiden Sparbücher zu entscheiden sei (ON 807).

II. Mit ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde strebt die Generalprokuratur die Feststellung an, daß die dem Beschluß des Beschwerdegerichtes ihrer Ansicht nach zu entnehmende, das Erstgericht bei der Entscheidung über die Ausfolgung der beiden Sparbücher zum Nachteil des Verurteilten bindende, unbegründet gebliebene "Rechtsansicht", daß der Herausgabeanspruch nicht Peter T***, sondern Rechtsanwalt Dr. PfO*** zustehe, mit den für eine Geleitkaution nach § 419 StPO grundsätzlich geltenden Bestimmungen der §§ 190 bis 192 StPO nicht im Einklang stehe.

Aus §§ 190, 191 Abs 1 StPO ergebe sich nämlich, daß das Gesetz als Sicherheitsleistung entweder eine vom Verhafteten oder zu Verhaftenden stammende Kaution oder aber eine von dritter Seite zu leistende Bürgschaft vorsehe; dementsprechend sei nach dem Freiwerden einer gerichtlich erlegten Kautions- oder Bürgschaftssumme (aus einem der in § 192 Abs 1 oder Abs 2 StPO angeführten Gründe) die Kaution dem Beschuldigten und die Bürgschaftssumme dem Bürgen auszufolgen, sofern nicht die Sicherheitsleistung durch (vom Beschuldigten oder Bürgen verschiedene) dritte Personen in Anspruch genommen werde, wie etwa nach § 5 GEG, durch Pfändungen etc.

Im vorliegenden Fall gehe aus dem Geleitbrief, mit dem das freie Geleit an T*** nicht gegen Erlag einer Bürgschaftssumme durch Dr. P*** erteilt worden sei, ebenso wie aus der Einlieferungs-Anzeige der Verwahrungsabteilung hervor, daß T*** "- unbeschadet des Umstandes, woher die Mittel kamen - eine Kaution" gestellt und sich bloß bei deren Erlag infolge eigener Abwesenheit im Sinn des § 39 Abs 1 StPO seines damaligen Verteidigers bedient habe.

Das Oberlandesgericht habe daher, indem es nicht auf die zuvor dargestellte Rechtslage abgestellt habe, und im übrigen auch im Widerspruch zu der einen Anspruch des Dr. P*** geradezu ausschließenden gesamten Aktenlage einen Herausgabeanspruch des Verurteilten T*** betreffend die beiden als Kaution erliegenden Sparbücher verneint und einen solchen des früheren Verteidigers bejaht.

Rechtliche Beurteilung

III. Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Anders als für den Fall, daß eine Sicherheitsleistung für verfallen zu erklären ist (§ 191 Abs 2 und Abs 3 StPO), enthält das Gesetz für den Fall ihres Freiwerdens (§ 192 Abs 1 und Abs 2 StPO) keine an das Strafgericht adressierte Vorschrift darüber, welche Verfügung nach ihrer beschlußmäßigen Freigabe (§ 192 Abs 3 StPO) über sie zu treffen ist; daraus folgt, daß dem Gericht nach dem Freiwerden einer strafgerichtlich hinterlegten Sicherheitsleistung (§ 191 Abs 1 erste Fallgruppe StPO) ohne Rücksicht darauf, ob es sich um eine Kaution oder um eine Bürgschaftssumme handelt, keine andere Stellung zukommt als einem sonstigen Verwahrer: die Sicherheitsleistung ist demgemäß (vgl § 961 ABGB) mit allem Zuwachs dem Erleger zurückzustellen. Die dementgegen von der Generalprokuratur vertretene Rechtsansicht, daß bei der Ausfolgung einer strafgerichtlich erlegten Sicherheitsleistung darnach differenziert werden müsse, ob sie als Kaution oder als Bürgschaftssumme zu beurteilen sei, findet im Gesetz keine Stütze; die Frage nach den Kriterien jener Unterscheidung im allgemeinen sowie hier im besonderen kann dementsprechend auf sich beruhen.

Ebensowenig bietet die Prozeßordnung eine Grundlage für die der Wahrungsbeschwerde zugrunde liegende weitere Ansicht, daß nach dem Freiwerden einer beim Strafgericht erlegten Sicherheitsleistung im Fall des Vorliegens einander widerstreitender, nicht ohnehin gesetzlich oder durch die zuständige Behörde klargestellter Ausfolgungsansprüche das Strafgericht selbst über die Person des Berechtigten zu entscheiden habe: diesfalls ist vielmehr dann, wenn nicht im kurzen Weg ein Einverständnis der Beteiligten zu erzielen ist, die Sicherheitsleistung nach § 1425 ABGB (zivil-) gerichtlich zu hinterlegen; eben das ist auch in Fällen aktuell, in denen ein Überweisungsgläubiger (wie hier: die Republik Österreich, vertreten durch ein Finanzamt - vgl § 2 Abs 2 lit a AbgEO) die Rechte eines der mehreren potentiell Ausfolgungsberechtigten (hier: diejenigen des - demgemäß darüber nicht verfügungsberechtigten - Verurteilten T*** gegenüber dessen ehemaligem Verteidiger Dr. P***) wahrnimmt.

Bei der Prüfung der Frage freilich, wer im Einzelfall tatsächlich als (primär ausfolgungsberechtigter) Erleger aufgetreten ist, darf nicht übersehen werden, daß naturgemäß auch beim Erlag jedermann das Recht hat, sich durch einen Machthaber vertreten zu lassen, sodaß der Überbringer einer Sicherheitsleistung damit keineswegs auch schon zwangsläufig als deren Erleger zu beurteilen ist: ob er im eigenen Namen erlegt hat oder als Vertreter eines Machtgebers, ist demgemäß jeweils eine Tatfrage, die (wie im vorliegenden Fall) durchaus strittig sein mag und diesfalls ihrerseits zu einem Vorgehen nach § 1425 ABGB Anlaß geben kann. So gesehen ist der Generalprokuratur gewiß darin beizupflichten, daß die bekämpfte Passage der Beschwerdeentscheidung, wonach der Herausgabeanspruch - worüber das Strafgericht (wie schon gesagt) im Streitfall gar nicht zu befinden hat - nicht dem Verurteilten T***, sondern seinem ehemaligen Verteidiger Dr. P*** zugestanden sei, mit dem bloßen Hinweis darauf, daß letzterer seinerzeit die Sparbücher erlegt hat, einer zureichenden Begründung bei weitem entbehrt.

Dabei aber handelt es sich - je nach der (dem Beschluß nicht zu entnehmenden) Ursache dieses Mangels - dann, wenn das Beschwerdegericht von der Annahme ausging, der Verteidiger habe die Sicherheitsleistung im eigenen Namen erlegt, um einen der Anfechtung nach § 33 StPO entzogenen (und für die Rechtsmittelentscheidung im übrigen völlig irrelevant gewesenen) Ausspruch über eine Tatfrage und dann, wenn es irrigerweise annahm, der Überbringer der Sparbücher sei als solcher jedenfalls auch schon als deren Erleger anzusehen, nicht um einen (mit der Wahrungsbeschwerde reklamierten) Verstoß gegen die Bestimmungen der §§ 190 bis 192 StPO (in bezug auf die Frage, wer nach dem Freiwerden einer hinterlegten Sicherheitsleistung ausfolgungsberechtigt ist), sondern vielmehr um eine Fehlbeurteilung der Rechtswirkungen eines Bevollmächtigungsvertrages (§ 1002 ABGB). Daß das Erstgericht bei der nunmehr zu treffenden Verfügung über die frei gewordene Sicherheitsleistung an diesen Ausspruch weder in die eine noch in die andere Richtung hin gebunden ist, sei dazu nur noch der Vollständigkeit halber vermerkt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - da dem Beschwerdegericht die von der Generalprokuratur angenommene Gesetzesverletzung nicht unterlaufen ist - zu verwerfen.